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Im Hafen des Schicksals

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19.09.2006
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Im Hafen des Schicksals

Angelina strauchelte, als sie bereits zum dritten Mal über eine Wurzel stolperte,
die sie in der Dunkelheit nicht gesehen hatte. Keuchend blieb sie stehen und
lehnte sich an einen Baum am Waldrand. Nur noch über die Lichtung! Ihr Blick
wanderte die spärlich bewachsenen Hänge des Berges hinauf. Seit Tagen brodelte
es unter der Erde, Rauchfahnen zogen vom Gipfel herab, fein wie silbernes
Engelshaar und ein rotes Glühen erhellte nachts den Himmel über der Westküste
Siziliens. Stimmte es, was die Priester sagten? Stand ihnen wirklich das jüngste
Gericht bevor? Würde wirklich Luzifer persönlich, mit all seinen dämonischen
Heerscharen, aus dem Leib der Erde fahren und die verdorbene Menschheit von
der Erde tilgen? Angelina erschauerte, streifte sich das schweißnasse Haar aus
dem Gesicht und lief über die Wiese auf Lucianos Hütte zu. Ob ihr Vater ihr
Verschwinden aus der Burg schon bemerkt hatte? Gott behüte! In seinem Zorn
war Graf Oskar von Catania zu allem fähig, wenn er seine Tochter mitsamt ihrem
Liebsten in die Finger bekam. Als sie die Hütte erreichte, stürmte Luciano auch
schon aus der Tür und riss sie in seine Arme.
„Endlich, du hast es geschafft! Ich hatte furchtbare Angst um dich, mia Cara! Hat
der Graf etwas bemerkt?“
„Nein, Liebster, ich glaube nicht. Ich bin die ganze Zeit über sehr vorsichtig
gewesen. Mein Vater denkt sicher, ich liege friedlich in meiner Kammer und
warte auf die bevorstehende Trauung mit diesem Scheusal Bernardo!“
„Gut, dann lass uns zusehen, dass wir in die Stadt hinunter und zum Hafen
kommen. Meine Mutter hat er grundlos auf den Scheiterhaufen gebracht und
meinen Vater wie einen Hund erschlagen lassen. Ich will nicht wissen, was dieser
Teufel erst mit uns anstellt, wenn deine Flucht zu früh entdeckt wird!“
„Ich habe Angst, Luciano, Angst vor meinem Vater, vor der Seereise und Angst
vor dem Berg!“
„Ich auch, mia Cara, ich auch!“
Er drückte sie an sich und warf sich einen kleinen Lederbeutel über die Schulter.
„Wir dürfen nicht länger warten, Angelina. Wir werden in der Dunkelheit ohnehin
länger in die Stadt brauchen, als mir lieb ist.“
Luciano atmete tief durch, und sie begannen den Abstieg nach Catania. Den sich
windenden Ätna hinunter, weg von der Burg des Grafen, zum Hafen, zur „La
Amata“, dem Schiff, das sie nach England bringen würde, in die Freiheit!

„Sind unsere Männer auf dem Posten?“, knurrte Oskar, Graf von Catania über
seine Schulter hinweg ins Halbdunkel seines Audienzsaales. In die Schatten der
gegenüberliegenden Wand kam Bewegung. „Natürlich, Herr! Es ist alles
vorbereitet, wie ihr es wünschtet“, schnarrte sein Hofmeister Alberto aus dem
Dunkel heraus. „Eure Tochter und dieser Bauernwelpe wiegen sich in Sicherheit,
aber eurer starken Hand werden sie nicht entkommen.“ Der Graf starrte weiter aus
dem Fenster in die Nacht und ließ den Umriss des bebenden Ätna nicht aus den
Augen. „Es muss ein Ende haben! Ein für allemal. Es darf keine Fehler geben.“
„Wenn sie wirklich zum Hafen wollen, wird die Falle auf dem Fischmarkt
zuschnappen, Herr.“
„Wohin sollte diese undankbare Metze von einer Tochter mit diesem Abschaum
Luciano sonst hin wollen? Aus meiner Steuerkasse fehlen über zwei Pfund Silber,
und solange sie nicht fliegen können, bleibt ihnen nur der Seeweg, um Sizilien zu
verlassen.“ Lautes Hundegebell aus dem Innenhof der Burg begleitete den Grafen,
als er sich vom Fenster wegdrehte und zur Saaltür eilte. Er prüfte den Sitz seines
Schwertgurtes und warf sich die Kapuze seines Mantels über den Kopf. „Es ist
Zeit, Alberto! Vincenzo und seine Meute sind bereit, wie ich höre. Es gilt einen
Kopf zu holen und eine Hure Demut zu lehren!“

Als im Osten bereits der Morgen zaghaft zu dämmern begann, erreichten Luciano
und Angelina atemlos die Ebene vor dem Nordtor Catanias. Einen kleinen
Moment lang machten sie Halt, und Luciano streichelte sanft über Angelinas
Haar. Furcht schimmerte in ihren Augen. Den ganzen Weg lang hatten sie
ängstliche Blicke in die Finsternis geworfen. Jeder Baum, jeder Strauch konnte
ein Häscher des Grafen sein und in der Luft lag das schwere Atmen und Keuchen
des Ätna. Der Berg schien auf und ab zu wogen. Immer wieder stieß er
Feuerfontänen in den Nachthimmel, als wollte er ihnen zum Abschied nachrufen
oder sie vor etwas warnen. „Bei Gott, dem Allmächtigen, Luciano! Was ist dies
nur für eine Teufelsnacht! Die Erde bewegt sich, gebärt Feuer und wir fliehen vor
meinem Vater, diesem Scheusal, ins Ungewisse!“
„Ruhig, mia Cara, beruhige dich. Wir werden es schaffen. Der Untergang, den die
Pfaffen gepredigt haben, kann uns sogar nützen. Sieh nur, am Tor stehen keine
Wachen. Selbst sie haben sich vor Angst verkrochen! Wir werden unbemerkt
bleiben können. Also, unser Schiff heißt „La Amata“, und liegt am Ende der
ersten Mole. Wir müssen das Fischerviertel durchqueren, über den Marktplatz,
und dann halten wir uns an der Hafenmauer, bis wir das Schiff sehen. Es werden
nicht mehr viele im Hafen liegen. Schon heute Nachmittag sind die meisten
Kapitäne mit ihren Schiffen vor dem Berg und dem Ascheregen geflohen.“ Er
küsste Angelina und kurz darauf überquerten sie im Laufschritt das freie Feld vor
den Stadtmauern.

Zwei wachsame Augenpaare beobachteten im Schutze einer kleinen Steinmauer,
wie sie durch das unbewachte Stadttor schlüpften. Einer der beiden Soldaten stieß
seinen Kameraden mit dem Ellbogen an. „Los! Wir haben genug gesehen. Schnell
durchs Osttor zum Marktplatz! Der Graf wird dort schon wie ein hungriger Wolf
auf seine Beute warten“, grinste er schief.

Luciano und Angelina huschten von Schatten zu Schatten, von einer Hauswand in
den Schutz der nächsten. Die Strassen waren wie leergefegt, alle Fensterläden
dicht geschlossen, aber bei einigen Häusern klapperten die Türen im Nachtwind,
weil ihre Bewohner schon geflohen waren. Plötzlich schwankte der Boden, als
wären sie bereits auf hoher See. Angelina krallte sich an Lucianos Arm fest und
starrte ihn mit vor Schreck geweiteten Augen an. „Was ist das, Luciano?“
„Ich weiß es nicht, mia Cara.“ Gerade als sie sich auf den Platz wagten, auf dem
die Fischer am Tag ihre Ware feilboten, fegte sie ein neuerlicher Erdstoß von den
Beinen. Aus dem Berg brach ein ungeheures Brüllen hervor, und der Boden des
Marktplatzes wölbte sich nach oben, als wolle sich ein gigantisches Tier an die
Oberfläche wühlen. Ringsum begannen die Holzhütten in sich zusammen zu
fallen. Als Luciano sich auf Angelina warf, um sie vor den herunterstürzenden
Trümmern zu schützen, meinte er in all dem Wahnsinn das Wiehern von Pferden
und das aufgeregtes Hundegebell zu hören. Er versuchte sich aufzurichten und
hob den Kopf. In diesem Moment explodierte die Bergspitze mit einem
donnernden Knall. Plötzlich brannte der Himmel, und es schien, als brächen alle
Feuer der Hölle auf einmal hervor. Mit einem Mal war die ganze Stadt purpurrot
erleuchtet, und die wirbelnde Asche leuchtete wie blutrote Schneeflocken.
Wie gebannt starrten Angelina und Luciano in den tobenden Himmel.

„Bleibt hier, ihr verdammten Feiglinge, ihr Bastarde!“ Wütend gab Graf Oskar
seinem Schimmel die Sporen und legte sich mit seinem ganzen Gewicht nach
vorne, als das Pferd sich im tosenden Orkan, den der Ätna entfesselt hatte,
verzweifelt aufbäumte. „Ihr verfluchtes Lumpenpack!“ Hilflos sah er seine
Wachen davon sprengen, wie Hasen auf der Flucht. Als das Beben begonnen
hatte, waren fünf seiner Männer mitsamt ihren Pferden unter herabstürzenden
Trümmern der Kathedrale begraben worden. Irgendwo unter den Bergen von
Schutt winselten Vincenzos Hunde. Vom Hundeführer selbst fehlte jede Spur.
Oskar heulte verzweifelt auf. Er war so nahe daran gewesen! Gerade als er
gesehen hatte, wie seine missratene Tochter und ihr Bauerntölpel den Marktplatz
betreten hatten, war die Welt in Feuer und Glut versunken. Nein! Es würde keine
Niederlage geben. Er konnte sich nicht darauf verlassen, dass seine Beute unter
den Trümmern lag. Er war Oskar, Graf von Catania, er würde seine Tochter
finden und diesen Bastard Luciano töten. Danach sollten sich von ihm aus alle
Kreaturen der Hölle um seine Seele balgen. Dem Teufel gehörte sie ohnehin.

Als Luciano sein erstes Entsetzen abgeschüttelt hatte, half er Angelina, auf die
Beine zu kommen. „Angelina, komm, wir müssen hier fort, schnell!“ Er zerrte sie
mit sich, und sie ließ es willenlos wie eine Puppe mit sich geschehen. Schließlich
hob er sie hoch und lief, so schnell es die bebende Erde unter seinen Füßen zuließ,
auf die Hafenmole zu. Er erreichte die ersten schaukelnden Schiffe und versuchte
durch all den Rauch und die wabernde Luft einen Namen zu erkennen. Auf allen
Seglern herrschte ein heilloses Durcheinander. Die See schien zu kochen, und die
Mannschaften schrieen und riefen Befehle durcheinander. Hektisch wurden
Planken und Haltetaue eingeholt. Alle wollten nur Eines: Weg aus dieser Hölle
auf Erden! Wenn er die „La Amata“ nicht fand, oder sie schon abgelegt hatte, was
sollte dann aus ihnen werden? Plötzlich zog Angelina an ihm. „Luciano…
langsamer b-bitte…da… gleich da vorne.“ Während sie sich mit ihrem rechten
Arm an ihn klammerte, zeigte sie mit ihrer linken Hand zitternd auf das nächste
Schiff vor ihnen. Auf dem Achterdeck erkannte er hinter tanzenden Rauchgeistern
in goldenen Lettern den Namen „La Amata“. Gerade als zwei Männer die
Laufplanke einholen wollten, erreichten sie den Aufgang.
„Haltet ein! Wir sind Passagiere!“, schrie Luciano heiser gegen den brausenden
Sturm an und schwenkte ihren Passierschein verzweifelt hin und her. Das Tosen
der See und das Dröhnen des Vulkanes verschluckten seine Worte beinahe.
Luciano sah einen der Seemänner winken und seine Lippen bewegen. Verstehen
konnte er den Mann zwar nicht, aber er sah, dass die Männer auf ein Zeichen hin
das Trittbrett wieder an die Hafenmauer legten. Kaum hatte er Angelina auf die
Planke gehoben, wurden sie beide von groben Händen erfasst und an Deck
gezerrt. Luciano konnte spüren, wie das Schiff sofort ein Spielball der wütenden
Wogen wurde, als es ablegte. „Bei allen Meeresgeistern, ihr habt mehr Glück als
Verstand!“, schrie der Seefahrer, der sie heran gewunken hatte, Luciano ins
Gesicht. „Siehst Du die Luke im Boden da vorne? Geht unter Deck und betet,
dass wir aus dem Hafen kommen, und uns der Sturm nicht doch noch an der
Mauer zerschmettert!“

Luciano schlitterte unsicher über das wild schaukelnde Mitteldeck auf die Luke
zu, hob die Gittertür hoch und stützte Angelina, als sie auf die erste Holzstufe trat.
Auf den ersten Treppen wandte er den Kopf noch einmal in Richtung Catania.
Wie in einem verrückten Traum sah er plötzlich eine Gestalt auf einem weißen
Pferd auf die Hafenmauer zujagen. Im letzten Moment konnte der Reiter den
Schimmel vor dem Kai zügeln und stierte wie besessen auf das Schiff. Luciano
aber hatte, wie der Rest der Mannschaft auf Deck, bereits nur noch Augen für die
feurige Schlange aus Lava und Verderben, die sich mitten durch Catania fraß.
Nun raste sie mit atemberaubendem Tempo auf die Hafenmauer zu und spülte
ganze Teile der Stadt mitsamt Pferd und Reiter wie Spielzeug ins Meer. Luciano
wandte sich benommen ab und brachte Angelina unter Deck, fort vom Anblick
dieser wahnsinnig gewordenen Insel. „Haben wir es geschafft, Liebster?“, lächelte
sie ihn schwach an.
„Ja, mia Cara, wir haben es geschafft. Du und ich, mein Stern, für den Rest
unseres Lebens.“
ENDE

 

Hallo Draigh,

herzlich Willkommen auf Kurzgeschichten.de!

Zunächst einmal solltest du die Zeilenumbrüche in deiner Geschichte noch ändern.

Deine Geschichte hat mir - mit Abstrichen - gefallen. Dass du schreiben kannst, merkt man vor allem an deinem flüssigen Stil. Er war sehr angenehm zu lesen und erzeugte in meinen Augen gute Bilder.
Was mir nicht so gut gefallen hat das waren deine Protagonisten. Ihre Gefühle kamen bei mir gar nicht an. Der Hass den Luciano und Angelina auf den Grafen spüren, kommt nicht richtig zum Ausdruck. Natürlich kann ich mir als Leser denken, dass besonders Luciano ihn hassen muss, da er ja seine Eltern getötet hat - allerdings ist das in seinen Reaktionen und Taten überhaupt nicht spürbar. Auch wäre interessant mehr über das Verhältnis von Angelina und ihrem Vater zu erfahren - auch ihren Hass kann ich als Leser nicht nachempfinden.
Etwas störend fand ich auch, dass Luciano seine Angelina immer "mia Cara" nennt. Ein oder zweimal ist das ja ein netter Zusatz, aber danach begann es unglaubwürdig auf mich zu wirken.

Insgesamt eine gute Geschichte, der aber meiner Meinung nach der entscheidende Funke noch fehlt.

Kleinigkeiten:

Würde wirklich Luzifer persönlich, mit all seinen dämonischen Heerscharen, aus dem Leib der Erde fahren und die verdorbene Menschheit von der Erde tilgen?

Wortwiederholung

Meine Mutter hat er grundlos auf den Scheiterhaufen gebracht und
meinen Vater wie einen Hund erschlagen lassen.

Das kommt mir ein wenig zu emotionslos vor.

Lieben Gruß, Bella

 

Hallo Draigh

Ein herzliches Willkommen auch von mir. Endlich tut sich mal wider was in der Historik-Rubrik. Im Wesentlichen kann ich mich der Kritik von Bella eigentlich nur anschließen. Dein Stil ist flüssig und der Plot ist schön zügig und spannend. Einerseits sorgt das für angenehme Kurzweil beim Lesen aber andererseits kommen dabei die Protagonisten, wie Bella auch schon sagte, zu kurz bei weg. Die Story wäre noch um einiges besser, wenn du die zahlreichen Konflikte zwischen den Figuren nicht nur Andeuten würdest. Auf jeden Fall ist es ein bisschen wenig wenn Angelina ihren Vater einfach die ganze Zeit als Scheusal und er sie als Hure beschimpft.
Eine differenziertere Charakterisierung lässt sich bei einer hecktischen Flucht natürlich schwer bewerkstelligen, ohne das es sehr hineingedrückt wirkt aber du könnstest es z.B. mit einer Rückblende oder ähnlichem versuchen.
Hier noch ein paar Sachen die ich, abgesehen von den Sachen die Bella schon genannt hat, auffällig fand:

Mit einem Mal war die ganze Stadt purpurrot
erleuchtet, und die wirbelnde Asche leuchtete wie blutrote Schneeflocken.
Wie gebannt starrten Angelina und Luciano in den tobenden Himmel.

Ist zwar keine wirkliche Wortwiderholung, ich würde aber trotzdem "erleuchtet" durch was anderes ersetzen.

Oskar heulte verzweifelt auf.

Irgendwie ist mir der Satz aufgestoßen, da ich diese Reaktion sehr unpassend für Oskars Charakter fand.

Danach sollten sich von ihm aus alle
Kreaturen der Hölle um seine Seele balgen. Dem Teufel gehörte sie ohnehin.
Huh, und das von einem Fürsten zu der Zeit. Ist zwar ein hübsches Bild aber ein bisschen sehr eindimensional Böse. Drüber hinaus: Ein von Gott legitimierter König, der einen Hochverräter (ist er ja objektiv betrachtet) jagt, würde das kaum von sich behaupten.


Nun raste sie mit atemberaubendem Tempo auf die Hafenmauer zu und spülte
ganze Teile der Stadt mitsamt Pferd und Reiter wie Spielzeug ins Meer.

Hm, ich weis nicht recht. Fliest ein Lavastrom wirklich mit "atemberaubendem
Tempo"? Ausserdem erinnert mich "spülen" einfach zu sehr an Wasser. Ist eine reine Assoziationsfrage. (Und gibt es überhaupt etwas das ein Lavastrom irgendwohin spülen kann? Sollte nicht alles, vor allem Holzhäuser, bei Kontakt in Flammen aufgehen?)
Aber das ist Krümelkacke, :) die Schilderung ist dir trotzdem gut gelungen.
Hat auf jeden Fall Spass gemacht zu lesen.

Gruß, Skalde.

 

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