Immer mit der Ruhe
In meiner Mittagspause hatte ich plötzlich Lust auf ein Stück Kuchen. So ging ich schnell zu der kleinen Bäckerei an der Ecke.
Erfreut stellte ich fest, dass es sicher nicht lange dauern würde, bis ich meine Lust auf eines der wohlduftenden Köstlichkeiten stillen konnte, da sich nur eine Kundin vor mir befand. Mit wachsender Unruhe musste ich dann jedoch beobachteten, wie die Dame vor mir ihren Zeigefinger unentschlossen über die Auslage kreisen ließ und die Verkäufern jedes ausgewählte Stück graziös auf einer Pappunterlage dekorierte. Bald zeigte sich, dass die Wünsche der Kundin das Maß des Papptablettes überstiegen.
Die Kundin lächelte, die Verkäuferin lud gemächlich die Tortenstücke auf Tablettgröße XXL um, und ich warf einen verstohlenem Blick auf meine Armbanduhr. In fünf Minuten würde mein Meeting beginnen.
Endlich, dachte ich als ich sah, dass die ausgewählte Tortenpracht unter einem Papier verschwand.
Zeit für mich ein Stück Kuchen zu wählen. Ich entschied mich spontan für ein Stückchen Altländer Apfelkuchen, da ich beim Griff in meine Jackentasche feststellen musste das meine Brieftasche noch im Büro lag. Ich besaß gerade noch 1,50 Euro.
Um jegliche Verzögerung vorzugreifen, sortierte ich das Kleingeld gut überschaubar auf die Glastheke. Ich war mir sicher die Verkäuferin würde so mit einem Blick den Wert der Münzen erkennen und mir unnötiges Warten zwecks Nachzählung ersparen. Kaum das ich mein Werk beendet hatte, öffnete sich die Ladentür und eine alte Frau wurde von ihrem Terrier in die Bäckerei gezerrt.
Die Kundin vor mir zahlte.
Energisch trat ich einen Schritt nach vorne, zeitgleich jaulte etwas zu meinen Füßen auf. Betroffen beugte ich mich dem zur Seite springenden Hund entgegen und bemerkte aus den Augenwinkeln wie sich der Schatten der Besitzern vor mich schob.
Den Mund bereits geöffnet zum Protest blickte ich in ein mich strafendes Augenpaar. Meine Lippen stammelte verlegen eine Entschuldigung, während die Aufmerksamkeit der alten Frau auf die ausliegenden Probierstücke der Verkaufstheke gezogen wurde.
"Ist hier Zimt enthalten?"
"Nein", erwiderte die Verkäuferin und hielt der Alten den Teller entgegen.
"Ach, sind die Stücke groß", geziert wanderten krumme Finger über dem Kuchen hin und her.
Die Verkäuferin ergriff ein Brotmesser, setze den Teller auf den Tresen und zerteilte einige der Happen zum Briefmarken Format.
Schmatzend schob sich die alte Frau ein Stück zwischen die Zähne.
Und die Uhr tickte und tickte.
"Das schmeckt mir, davon hätte ich gerne ein Stück, junge Frau", sagte die Alte und zog ein Stofftaschentuch aus ihrem Jackenärmel, um sich mit diesem über dem Mund zu tupfen.
Die Verkäufer nickte und schob ein Stück des Kuchens auf den Heber.
"Halt", der Kehlkopf der alten hüpfte entrüste auf.
Ich verdrehte genervt die Augen.
"Sie wollen mir doch kein Kantenstück unterjubeln?"
Die Verkäuferin errötete und schüttelte den Kopf.
Meine Finger klopften eine Melodie. Die Alte schaute missbilligend. "Immer mit der Ruhe, junger Mann"! Ich verzog das Gesicht. Das war wohl der Moment, in dem mein Meeting begann.
"Na endlich", rutschte mir heraus, als ich sah, wie die Alte den sorgsam verpackten Kuchen in ihrer Tasche verstaute.
Die Alte schüttelte entrüstet ihr graues Haupt. "Kein Benehmen diese Jugend von heute."
Um sie eines Besseren zu belehren eilte ich zur Tür und hielt ihr diese demonstrativ auf. Ohne mich noch mit einem Blick oder Wort zu würdigen, tippelte sie an mir vorbei. Die Tür fiel ins Schloss und ich drehte mich auf dem Absatz um und sah: Wie mein Geld vom Tresen in die Kasse der Verkäuferin verschwand. Sie lächelte mir entgegen: "Was darf es sein?"
[Beitrag editiert von: merlin am 20.01.2002 um 12:33]