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Improvisiertes Weihnachtsglück

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14.12.2002
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Improvisiertes Weihnachtsglück

Weihnachten 2003. Ich bin müde. Meine Beine sind schwer und doch schleppe ich mich weiter durch den Schnee. Die Laternen beleuchten nur schwach die alte Straße, die meinen Weg darstellt. Es ist dieser Drang in mir, ohne Ziel immer weiter zu kommen... Die Häuser am Rande sind mit Lichterketten geschmückt. Ihre Dächer sind mit Schnee bedeckt. Weihnachtsidylle eines kleinen Dorfes. Mein linkes Bein schmerzt. Ich weiß, dass ich heute Abend nicht mehr weit komme.
Eine Sternschnuppe am Himmel. Ich wünsche mir Wärme, eine Familie und ein Bett. Es sind kaum Menschen auf der Straße. Sie sitzen in ihren Häusern und feiern mit ihren Kindern Weihnachten. Ich weiß nicht, wann ich das letzte mal einen geschmückten Weihnachtsbaum von Nahem gesehen habe.
Ich bin fertig mit dieser Welt.

Eine Tür öffnet sich. „Opa Klaus?“ Eine Frau eilt auf mich zu. Sie umarmt mich, als wären wir alte Bekannte. Mein strenger Körpergeruch scheint sie nicht zu stören. Ich stehe stocksteif da. Ich bin verwirrt.
Sie versucht mich zum Haus ziehen. Ich wehre sie erst ab und lasse es dann geschehen. Sie sieht nicht so aus, als wolle sie mir böses. In dem Haus ist es warm und es riecht nach Essen. Sie schließt die Haustür und schiebt mich dann in das Wohnzimmer. Dabei strahlt sie mich die ganze Zeit freudig erregt an. Ihre Stimme überschlägt sich fast als sie nach nach ihren Kindern ruft. „Amelie, Jonathan, seht euch an, wer uns besuchen kommt“ ich höre Getrampel auf der Holztreppe. Dann stehen sie vor mir. Der Junge ist nicht älter als 8, das Mädchen vielleicht 5 Jahre alt. Sie sehen etwas befremdlich an mir hoch.
„Kinder, das ist euer Opa Klaus“ Die Augen der beiden weiten sich. Das Mädchen stößt ein spitzen Schrei aus, der mich zusammen fahren lässt. Dann rennen beide auf mich zu und graben ihre Gesichter in meinen Mantel. „Opa, ich dachte du kommst gar nicht mehr.“, flüstert der Junge.“
Ich werde immer verwirrter.
Ich heiße nicht Klaus.
Die Kleine hebt ihren Kopf. „Möchtest du vielleicht ganz warm baden, Opi? Du bist ja eisig kalt!“ Noch ehe ich reagieren kann, rennt sie die Treppe wieder rauf und ich höre Wasser rauschen. Die Frau will mir den Mantel abnehmen aber ich schüttele den Kopf. Es wäre mir peinlich, wenn sie meinen Pullover sehen würde. Er ist kaum noch ein Fetzen. Sie scheint zu verstehen und lässt von mir ab. Jonathan steht immer noch gerührt neben mir uns guckt mich mit wahnsinnig großen Augen an. Er scheint genauso wenig zu glauben was gerade passiert ist, wie ich. Ich mag ihn irgendwie.
Die Frau nimmt meine kalte Hand.
„Mensch Klaus, ich bin so froh, dass du da bist um mit uns Weihnachten zu feiern. Die Kinder freuen sich tierisch.“
Ich räuspere mich und will sie fragen, was das soll. Ich habe keine Familie. Schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Das hier muss ein Irrtum sein. Langsam scheint Jonathan wieder zum Leben zu erwachen. „Warum bist du einfach abgehauen, Opa? Seit der Papa tot ist, warst du nie wieder hier.“ Er versucht mich vorwurfsvoll anzugucken. Seine kindliche Art bezaubert mich. Ich will ihn nicht enttäuschen. Ich möchte einfach sein geliebter Opa sein, wenn auch nur für heute. Ich gucke hilflos zur der Frau und ich habe das Gefühl etwas flehendes in ihrem Blick zu sehen. Ich beschließe, das Spiel mitzuspielen. „Weißt du mein Kleiner, ich bin durch die ganze Welt gereist, als der Papa von uns gegangen ist. Ich wollte einfach alles erforschen und nun bin ich ein alter Mann.“ Jonathan ist selig. Ich streichle im durch seine Wuschelhaare. Er wendet sich an seine Mama: „Kann der Opa die Weihnachtstage über hier bleiben?“ Seine Mutter lächelt mich an. „Er wird Weihnachten mit uns feiern , doch dann muss er wieder weiter ziehen.“ Jonathan nickt verständnisvoll.
Mit einem Indianerschrei stürmt Amelie auf mich zu und hüpft an mir hoch. „Opaaa du kannst jetzt baden!“
Sie reicht mir eine Hand und ich lasse mich die Treppe herauf in das Bad führen.
Die Badewanne ist mit weißem Schaum bedeckt und es duftet im ganzen Bad nach Fichtennadelaroma. Amelie zeigt auf einen kleinen Stapel Sachen und gibt mir zu verstehen, dass ich die anziehen sollte, wenn ich fertig mit baden wäre. Ich bedanke mich bei ihr mit einem Kuss auf die Stirn und sie hüpft davon. Ich glaube, nur glückliche Kinder rennen und hüpfen. Ich bin als Kind nur umhergeschlichen.

Ich sehe mich im Bad um. Aus dem großen Spiegel sieht mir ein alter, runzliger Penner entgegen, den das Leben gezeichnet hat. Was ist das für ein Leben, dass ich plötzlich Weihnachten feiern darf?
Ich ziehe mir die muffigen Kleider vom Leibe und lege mich in das dampfende Bad. Die Wärme des Bades kommt wie ein Schauer über mich. Sie kriecht in jeden Faser meines Körpers. Ich schließe die Augen um den Moment zu genießen.
Ich bleibe eine halbe Ewigkeit in der Wanne. Doch irgendwann wird das Wasser kalt und ich muss den Ort verlassen, der mir wie ein Paradies vorkommt. Ich ziehe mir die neuen Sachen über und blicke noch einmal in den Spiegel. Er Spiegel zeigt einen Mann, der Ruhe und Kraft ausstrahlt. Stolz hebe ich etwas meinen Kopf.

Als ich die Treppe herunter schreite, fühle ich mich als würde ich gleich den Friedensnobelpreis erhalten.
.An den Wänden hängen Bilder. Sie zeigen Jonathan und Amelie. Doch bei einem Bild bleibe ich mit den Augen hängen. Es ist ein Mann abgebildet, der mich stark an meine eigene Gestalt erinnert. Fasziniert betrachte ich die Photographie. Ist das der Opa, deren Rolle ich nun vorläufig spielen soll? Erst nach einer Weile fällt mir das Muttermal unter seinem rechtem Auge auf. Es unterscheidet unsere Gesichter bedeutend. Das musste doch auch der Frau aufgefallen sein, auch wenn sie ihren Klaus eine Weile nicht gesehen hatte. Sie musste wissen, dass ich trotz einer gewissen Ähnligkeit nicht der verschwundene Opa war. Vielleicht hat sie mich von dem großem Fenster aus gesehen und anfangs wirklich gehofft, ich sei Klaus. Doch spätestens, als ich im hell-beleuchtetem Wohnzimmer stand., muss sie es gewusst haben. Auch die Kinder mussten es gespürt haben. Doch niemand lässt sich irgendetwas anmerken. Das Haus ist wie verzaubert. Alle wissen, dass es ein Spiel war, aber jeder einzelne beherrschte seine Rolle perfekt. Ein Lächeln schleicht über mein Gesicht. Das ist das Beste aber auch Seltsamste, was mir je passiert ist.
Ich gehe in weihnachtlicher Vorfreude auf das Wohnzimmer zu und wünsche allen Fröhliche Weihnachten. Die Kinder strahlen.
Aber ich strahle mehr.

 

Hallo Fanny!

Insgesamt hat mir Deine Geschichte gut gefallen. Der Obdachlose, der Weihnachten bei der Familie mitfeiern wird, die Familie, die sich nichts anmerken lässt, ihn aufnimmt, auch als klar wird, dass er nicht der Opa ist. Sein Wunsch geht auf wunderbare Weise in Erfüllung. … gut geschrieben finde ich es ebenfalls.
Nur gibt es inhaltlich auch ein paar Sachen, über die ich mir Gedanken gemacht habe. Wenn er Opa Klaus nicht zufällig ähnlich gesehen hätte – die Familie hätte ihn nicht mal bemerkt. Und wie hat sie ihn eigentlich bemerkt? Einen Passanten auf der Straße, jemanden, den man Jahrelang nicht gesehen hat… hmmm. :susp:
Was mir noch aufgefallen ist: Kinder, die den Irrtum bemerken, wären vielleicht nicht ganz so schnell bereit, ihre Rolle als Enkel weiterzuspielen. Und nach Weihnachten wird er wieder rausgeworfen… Weihnachten auf ein paar harmonische Feiertage begrenzt, warum? Um den Schein zu wahren?
Den ersten Satz, diese Zeitfeststellung würde cih eher weglassen. Man kommt als Leser gut drauf, dass es sich um Weihnachten handelt, und ist es wichtig, dass es genau dieses Jahr ist?
Soviel Meckerei, dabei finde ich die Geschichte eigentlcih ganz gut...
Ansonsten hast Du die Verwirrung des alten Mannes darüber, seine Veränderung sehr gut rübergebracht.

Schöne Grüße
Anne

 

Hallo,
eine sehr schöne Geschichte. Gerade der Blick aus der Sicht des alten Mannes
Den Anmerkungen von Anne kann ich mich nur anschliessen, doch kann ich mit diesen kleinen Fehlern/Fragen leben. Die Geschichte ist einfach schön und passt in die Weihnachtszeit. Warum immer ganz tief nachgraben. Einfach lesen und geniessen ;)

liebe Grüsse

 

Danke für die eigentlich positiven Kritiken!
Ich habe auch überlegt, ob ich den alten Mann für immer bei der Familie leben lasse. Aber das hätte nicht so gut gepasst.
Trotzdem ist ja das ENde eigentloich offen, vielleicht bleibt er ja doch für immer.
Das kann sich ja jeder so auslegen, wie er will.
mfg
Fanny

 

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