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in der Fremde

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15.03.2008
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in der Fremde

"Was erlauben sie sich!", herrschte sie mich an und versuchte sich aus meinem Griff zu befreien. Natürlich hielt ich ihre Hand nur noch fester. Mein Name ist Tollo, Illi Tollo und die Hand, die ich festhielt, war, vermutete ich, die meiner Frau oder meiner Geliebten. Seit Stunden folgte ich ihr auf ihren Wegen durch die mir damals immer noch fremde Stadt. Sah sie ein leichtes Frühlingskleid aussuchen, einen Strohhut mit langen blauen Bändern über der Krempe und später die Lebensmittel genau prüfen, bevor sie diese kaufte und in einen Korb aus Weidenholz legte.

Ich kam vor ein paar Tagen in dieser Stadt zu Bewusstsein, torkelnd, immer wieder gegen die Mauer eines Hauses prallend, als wäre ich ein leckgeschlagenes Schiff und hätte Schlagseite. Mein Gesicht tat entsetzlich weh und fühlte sich an, als wäre es zwischen eine Zange geraten. Ohne zu wissen wo und wer ich war und ohne die Fähigkeit zu einem klaren Gedanken oder wenigstens einer diffusen Assoziationskette tastete ich mich an der Mauer entlang - mich mit der einen Hand von dem warmen Stein abstützend und mit der anderen mein Gesicht haltend, dass diese völlige innere Leere verhüllte.

Vielleicht stellen sie sich jetzt vor, dass es eine neblige Nacht in einem verrufenen Winkel der Stadt war? Tatsächlich wirkte meine Geschichte vor so einem Szenario sicher glaubwürdiger, aber ich ziehe es vor die Wahrheit zu erzählen, wie ich sie erinnere: Es war ein sommerlicher Tag in einer gepflegten und anscheinend wohlhabenden Gegend, die Sonne strahlte hell aus kräftigem Blau und die wenigen Wolken waren nur Schönheitsflecken oder Orientierungspunkte für Möwen und Tauben, die durch die Lüfte schossen.

Akkurat ausgerichtete, blitzsaubere Bürgersteige, prächtige Jugendstilhäuser und die tierköpfigen Bewohner dieser Stadt waren die ersten Eindrücke meines damals noch leicht zu beeindruckenden, weil bis dahin unbeeindruckten Geistes. In dieser luftig-leichten Boulevardatmosphäre schleppte ich mich von Haus zu Haus und von Straße zu Straße, wie ein Seelenverkäufer inmitten einer prächtigen Regatta. Bis ich an dem alten Backsteingemäuer ankam, hatte ich mich bereits soweit erholt, dass ich gehen konnte, ohne mich von den Wänden abstützen zu müssen.

Der Turm war das erste, was ich von der Kirche sah - er ragte weit über die Bürgerhäuser hinaus, die um das alte Gotteshaus herumstanden als wollten sie es beschützen oder gefangen halten. Aus vielen Häusern klang Musik und Gesang oder Stimmengewirr und fröhliches Gelächter, es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen: Pfauenköpfige Hybridwesen vor allem, aber ich sah auch Löwen- und Eulenköpfige, die leicht wie Sonnenstrahlen in die Häuser hinein oder aus ihnen heraus schlüpften. Einem Impuls folgend verbarg ich mich vor den Bewohnern dieser Stadt, setzte meine Kapuze auf und suchte lange Minuten, bis ich zwischen zwei Häusern eine schmale Lücke fand, die zu der Kirche führte. Die Höhe der Häuser ließ kein Licht auf den Boden des Gangs, in dem kleine Wesen auf und zwischen den Fäkalien der Bürger herumhuschten, fliehende schnatternde Schatten, die mit hohen Pfeiftönen zu kommunizieren schienen. Sie kümmerten sich nicht um mich und ich ging vorsichtig in und durch das Zwielicht, bedacht darauf, keine der Kreaturen zu zertreten.

Die Gasse, die die Straße mit dem Innenhof verband, war nur ungefähr zehn Meter lang, aber während ich sie durchquerte, krümmte sie sich mal links- und dann wieder rechtsherum, sodass ich den Eindruck bekam, ich wäre im Magen einer großen Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt. Es wird wohl eine halbe Stunde gedauert haben, die ich das Verwirrspiel der escherschen Gasse mitspielen musste, bevor ich auf den Hof zwischen den Bürgerhäusern und auf die Kirche zugehen konnte, wo ich die schweren Türen öffnete und in die wohltuend kühlen Eingeweide der Kirche schlüpfte. Zuerst war ich alleine in dem großen Raum, dessen Decke sich in Dunkelheit verlor. Das wohltuende Gefühl, dass mich beim Erblicken der Kirche umfing: Dass sie ein Ziel nicht nur für die Schritte, sondern auch ein erster Anhaltspunkt für das schwimmende Ich wäre, verlor sich, als ich mich umblickte und nichts was ich sah eine Resonanz auslöste. Alleine und fremd fühlte ich mich, als ein hundsköpfiger Pfarrer zu mir kam und mich fragte ob er mir helfen könne. Wie ich so in seine traurigen Augen blickte und seine Pfote auf meinem nackten Arm spürte, schüttelte ich hastig den Kopf und murmelte etwas davon, dass ich gar nicht gläubig und also hier auch nicht richtig sei, entschuldigte mich für die Störung und verschwand schnell wie eine kühle Brise. Er rief mir noch hinterher, dass ich jederzeit wieder kommen könne.

Während ich mich von der Kirche entfernte, schauerte es mir den Rücken hinunter und zugleich fühlte ich Gewissheit, dass hier oder mit mir irgend etwas nicht stimmte. Die Welt passte nicht zu mir oder ich nicht in sie. Ich durchsuchte meine Kleidung und fand ein Portemonnaie, in dem ein Ausweis und das Foto einer Frau waren. Sowohl der Mann auf dem Ausweis als auch die Frau auf dem Foto hatten bleiche, im Vergleich zu den Hybridwesen zerbrechlich wirkende Gesichter. Ich schloss die Augen und ertastete meine Gesichtszüge. Auf dem Kopf hatte ich ein bisschen Fell und links und rechts von meinem Mund auch, die Zähne waren weder besonders spitz und scharf wie es für einen Fleischfresser sinnvoll wäre, noch hatten sie die großen Kauflächen, die ich als Pflanzenfresser bräuchte. Vorsichtshalber hielt ich mich von den tierköpfigen Bewohnern der Stadt fern, streifte tags durch die dämmerigen Gassen und Winkel zwischen den Häusern und lugte durch die Fenster heimlich in das Leben der Tierköpfigen hinein. Es wurde gegessen, gelacht und gestritten, Gefieder geputzt und Felle gebürstet, musiziert und diskutiert. Bei einer Gelegenheit sah ich welche, die meinem Spiegelbild ähnlich waren. Andere Kreaturen wie ich, deren Hände durch Ketten miteinander verbunden waren und die den Tierköpfigen Tabletts an einen großen Tisch brachten. Die Herren der Stadt verstanden es wohl zu speisen! Es duftete ganz köstlich nach Gebratenem und Gesottenem, die Mahlzeiten wurden in mehreren Menüs aufgetragen, immer erfüllte neuer Duft den Raum und drang durch den schmalen Fensterspalt an meine unsensiblen Geruchsrezeptoren. Wie groß war mein Verlangen, auch etwas von dem Gelage abzubekommen, einmal war ich nahe dran gegen ein Fenster zu klopfen. Aber als ich sah, dass meinen Artgenossen Knochen mit Fleischfetzen hingeworfen wurden, die diese gierig abnagten, verschwand der Impuls. Etwas war hier nicht richtig, die Ketten um ihre Arme und das gierige Nagen stießen mich ab und machten mir angst.

So streifte ich weiter alleine und unerkannt durch die Stadt. Ausgangs- und Endpunkt meiner Erforschungen wurde die Kirche und der Hundekorb des Pfarrers, den er mir nachts vor das Portal stellte und in dem ich mich zum schlafen zusammen rollte. Häufig träumte ich von einem anderen Sternenhimmel und der Frau auf dem Foto, mit der ich unter diesem fremden Himmel durch nächtliche Parks spazierte und die mir zärtliche Worte ins Ohr flüsterte. Manchmal wachte ich auf, sah zum Firmament hinauf und erblickte wieder nur die Sterne, die hierher gehörten - mir aber falsch erschienen - und ich wartete in den Morgen hinein, um meine Suche nach ihr wieder aufzunehmen.

Als ich sie heute erblickte, wusste ich, dass sie die gesuchte war und verfolgte sie, bis sich der Tag neigte und ich sie in dieser dunklen Gasse stellte. Sie war die einzige, von der ich mir Antworten erhoffen konnte. Meine Hoffnung, dass mit dem wiedererkennen auch meine Erinnerungen zurückkehrten, bewahrheitete sich zu diesem Zeitpunkt nicht.

"Was erlauben sie sich?", herrschte sie mich an. Ich fühlte mich rot werden und suchte nach einer passenden Antwort. "Lassen sie mich los, oder ich schreie!", drohte sie. Alles in mir widerstrebte, sie weiterhin festzuhalten, aber sie war mein einziger Anhaltspunkt. "Bitte schreien sie nicht, ich will ihnen nichts böses tun.", war alles was ich sagte. "Nichts böses tun? Sie brauchen nicht glauben, dass ich Angst vor ihnen habe! Ich bin eine freie Frau." Stolz reckte sie mir ihr Kinn entgegen und wartete ab. "Sehen sie, ich hoffe, dass sie mir vielleicht helfen könnten." "Helfen? Wobei?" Ich ließ sie los und senkte den Kopf. "Ja, wobei überhaupt? Ich weiß es nicht..." Dann, ihr ins Gesicht schauend: "Ich bin seit Tagen in dieser Stadt und weiß nicht wieso, ich weiß gar nichts, außer, dass ich sie suche, weil ich ein Foto von ihnen besitze. Es bedeutet doch etwas, ein Foto von jemandem zu haben, oder?"
"Zeigen sie her." Ich fingerte das Portemonnaie heraus und gab ihr das Foto. Sie betrachtete es genau. "Stimmt, das bin ich. Wo haben sie das her?" Ich zuckte die Schultern. "Es war in meinem Portemonnaie." Sie schüttelte den Kopf. "Und dort war auch der Ausweis, der doch meine Identität festhalten sollte. Hier, sehen sie." Ich reichte ihr das Dokument und verfolgte gespannt jede Regung des Gesichts, ihre Augen huschten systematisch über das Dokument und sie runzelte die Stirn, während sie die Informationen verarbeitete. "Wo ist denn aufgezeichnet zu welcher Klasse Mensch sie gehören?" Fragend hob ich die Augenbrauen. "Klasse?" "Sind sie Nutzmensch wie die meisten, Zuchtmensch oder Diener?" Hilflos blickte ich sie an und drehte ihr meine leeren Handflächen in einer ratlosen Geste entgegen. Sie schaute mich prüfend an, dann ergriff sie meine Hand und nahm mich auf verschlungenen Wegen mit zu ihrer Wohnung in einem heruntergekommenen Teil der Stadt.

Sie erzählte von den drei Klassen unserer Rasse, die den Tierköpfigen als Sklaven und Nahrungsmittel dienten. Sie sagte ihr Name sei Raeth und sie sei wegen ihrer herausragenden genetischen Anlagen Zuchtmensch gewesen. Raeth wurde von ihrem Herren freigelassen, weil sie das Leben seiner Tochter rettete, aber sie war die große Ausnahme. Es gab nur sehr wenige freie Menschen und sie alle lebten hier, in den Slums dieser Stadt. Immer noch bin ich beeindruckt, wie geschickt sie Lügen und Halbwahrheiten in ihre Rede einflocht. Damals kam mir kein Zweifel an ihrer Vertrauenswürdigkeit. Wir gingen über steinerne Treppen zu ihrer Wohnhöhle, die außer einem kleinen Zimmer nur aus Wasch- und Kochnische und schmalem Flur bestand. In einer Ecke des Zimmers stand eine kleine Couch und sie bedeutete mir, mich zu setzen. Während sie Tee aufsetzte, fragte sie nach meinen Erlebnissen. Ich erzählte alles was ich seit meiner Ankunft erlebt hatte - eine Viertelstunde später war mein Leben vor uns ausgebreitet.

Raeth machte ein nachdenkliches Gesicht, rührte in ihrem Tee und fasste das gehörte knapp zusammen. "Du bist ohne Erinnerung aufgewacht, fühltest dich fremd und warst auf der Suche nach mir, da mein Foto dein einziger Anhaltspunkt war. Und was soll ich mit dir anfangen, hm?" Nun war es an ihr, mich ratlos anzuschauen. "Erst einmal kannst du bei mir bleiben und auf der Liege schlafen." Auf der Liege aus grobem Holz lagen mit Stroh gefüllte Säcke - Kopfkissen und Bettdecke - es sah unbequem aus.

Ich nahm das Angebot hin und nickte knapp mit dem Kopf – viel zu erschöpft um Dankbarkeit zeigen zu können. Sie bereitete ein einfaches Mahl, das wir auf dem kleinen Balkon schweigend aßen. Ihr Haus stand am Rande der Menschen-Slums - vor dem Haus begannen die sogenannten schattigen Viertel, die sie mir als menschliches Widerstandsnest beschrieb. Die Häuser in diesem Viertel waren bis auf eine Ausnahme ein- oder zweigeschossig. Inmitten der schäbigen Hütten, die von der stets darüber liegenden Dunkelheit erdrückt zu werden schienen, erhob sich ein schiefer Turm, aus dessen Fenstern ungesund wirkendes, gelbes Licht die Dämmerung durchglühte. Dieser war die Keimzelle des Widerstands gegen die Herrschaft der Tierköpfigen, von dort wurden die Entführungen und Überfalle auf die reichen Viertel geplant, sowie die Aktivitäten der Diebesgilden koordiniert, wie Raeth erzählte.

Einst, vor der Ankunft der Menschen, bestanden diese Viertel nur aus ein paar Häusern. Im Laufe der Jahrhunderte und der Domestikation des Menschen breiteten sich die Viertel aber immer weiter aus, über die Hügel am Rande der Stadt oder in die Quartiere der Wohlhabenden. Es geschähe über Nacht, erzählte sie, die Häuser fräßen sich in die bestehenden städtischen Strukturen hinein und wandelten die Häuser der Reichen, des Lichts, in die schäbigen Hütten der Schattigen um, oder es entständen Schattenhütten, wo vorher nichts gewesen sei. Dort kommen sie alle unter: kriminelle Menschen, entflohene Sklaven und abtrünnige Tierköpfige. Es sei eine explosive Mischung.

"Warum unternehmen die da nichts?" Ich zeigte auf das Viertel, in dem ich aufgewacht war, auf die weißen Häuser, die in der Dämmerung zu leuchten schienen. "Tun sie doch. Regelmäßig werden Strafexpeditionen in die schattigen Viertel geschickt, um den Turm zu zerstören. Vor allem Sklaven werden in die Truppen gepresst und gegen den Feind gepeitscht. Meistens gelingt es ihnen den Turm zu vernichten, in dem sie ihn in Brand stecken oder die Wände mit gigantischen Rammen zum Einsturz bringen. Eine Weile wird es dann ruhiger, doch nicht einmal einen Monat später ist ein neuer Turm aus dem dunklen Grund gewachsen. Mehr ist den Tierköpfigen nicht möglich, sie sind zwar die Herren der Menschen, aber die Stadt scheint der ihre zu sein."
"Du meinst die Stadt beherrscht die Tierköpfigen?" Raeth überlegte einen Moment und wählte ihre Worte vorsichtig. Sie sprach von urbanen Gerüchten, die vielleicht oft genug wiederholt wurden, dass sie eine eigene Realität erschufen und dass man sich nicht sicher sein könne, aber alles deute auf die Stadt als tatsächlichem Herrscher hin, sie sprach von dem Lebensraum, der größer und stärker als die Summe seiner Teile sei.
"Natürlich versuchten die Tierköpfigen, die schattigen Viertel zu zerstören oder wenigstens das Wachstum einzudämmen, mehrmals zündeten sie den Tumor ihrer Stadt an, wie sie die Viertel nennen. In der Reaktion darauf häuften sich Unfälle, direkt nachdem die Häuser der Banditen vernichtet wurden. Neu gebaute Gebäude brachen ein, Pilze und Schwämme breiteten sich in den weißen Vierteln aus und vergifteten das Grundwasser. Es dauerte eine Weile, aber dann erkannten die vermeintlichen Herren der Stadt, dass die weißen Viertel Tribut für jedes zerstörte Haus in den schattigen Vierteln leisten mussten. Was im Dunklen vernichtet wurde, wirkte sich immer auf der hellen Seite aus. Als die Tierköpfigen das erkannten, begannen sie sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren und beschränkten sich in der Folgezeit darauf, die Wachen zu verstärken und den nachwachsenden Turm zu zerstören.“

Die Stunden huschten nur so dahin, während Raeth mir von ihrer Weltsicht erzählte, ich saugte die Informationen auf und mein Kopf wurde schwer und schwerer wie der vollgesogene Schwamm es wird. Es war eine angenehme Schwere, ich empfand die Informationen als Anker, der mir erste Sicherheit in dieser Existenz und Welt verschaffte. Wie von weither hörte ich Raeth die Reste des Mahls abräumen und das Geschirr abwaschen - mein Kopf sank bald auf die Brust und ich schlief ein.

Am nächsten Morgen erwachte ich in einer leeren Höhle, sie hatte mir auf einem Zettel notiert, dass sie Besorgungen machte. Der Zettel informierte mich weiterhin darüber, dass ich die Bücher lesen sollte, die auf einem Stapel daneben standen.

Es waren einfache Bücher, die mir erste Kenntnisse über Religion, Politik und Gesellschaft vermittelten, also über die Art und Weise, wie die Tierköpfigen ihre Stadt und ihr Leben organisierten. Die Gesellschaft der Tierköpfigen befand sich in stetem Fluss, sie fürchteten den Stillstand wie eine tödliche Krankheit. Es gab keine Verpflichtungen, bis auf wenige Posten, die stets besetzt werden mussten: auf der höchsten Ebene waren das der oberste Priester, der denkende und der kämpfende Fürst. Diesen untergeordnet waren der Vermittler zu den Herrschern des schattigen Viertels, der Verwalter des menschlichen Bestands und der Herr der Tore, wobei sie in der Praxis ihrer Tätigkeiten selten oder nie einander störten, sodass jegliche Hierarchie nur repräsentativen Charakter hatte. Niemand kämpfte darum, einen Platz in den elitären Rängen einzunehmen. Positionen wurden nicht durch die meisterliche Handhabung von Intrige oder mit eisernem Durchsetzungsvermögen erreicht, sondern durch Wahlen bestimmt, deren Ergebnis jeden treffen konnte. Es musste sich niemand zur Wahl stellen, weil jeder automatisch zur Verfügung stand, das heißt, dass jeder in die höchsten Ränge aufsteigen konnte. Andererseits konnte niemand von der Besetzung eines Amtes, für das ihn die Mehrheit für geeignet hielt, Abstand nehmen. Um die zukünftigen Amtsinhaber wurde getrauert wie auf der Erde in Vorzeiten um Verstorbene. Riesige Feste wurden abgehalten, bei denen mit ausgesuchten Speisen, Gesängen und anderen Künsten den Abschiednehmenden noch einmal mit der ganzen Prachtentfaltung ihrer Kultur gehuldigt wurde. Diese zukünftigen Amtsinhaber trauerten mit ihren Verwandten und Freunden um sich selbst, darum, aus dem Reigen von Kultur, geistreichem Spiel und ewiger Zerstreuung ausscheiden zu müssen. Am Tag nach dem Fest erwachten sie als andere Wesen zu neuer Existenz, sie empfingen Weihen und initiierten sich durch uralte Riten aus der Freiheit des schaffenden Geistes in die Funktion ihrer Verantwortung. Innerhalb unregelmäßiger Abstände fanden neue Wahlen statt, in denen wieder ein jeder für jede Position gewählt werden konnte. Die alten Eliten wurden mit einem Fest begrüßt, in dem ihre Wiedergeburt in den Reigen gefeiert wurde. In späteren Zeiten, als die Gesellschaft transzendenter wurde und die gegenseitige Bedingtheit von Abschied und Ankunft erkannte, wurden die Feste häufiger zusammen gefeiert.

Das Hauptnahrungsmittel der Tierköpfigen waren Menschen, die mit bestimmten Wurzeln und Blättern ernährt wurden, welche für zartes Fleisch mit dem süßlichem Geschmack sorgten, der bei den Löwenköpfigen sehr beliebt ist. Manche Menschen, die das Vertrauen ihrer Herrscher erlangten, beaufsichtigten die anderen, suchten Exemplare zur Züchtung heraus - manche Tierköpfige verfolgten Programme, mit denen spezielle Eigenschaften oder Äußerlichkeiten herangezüchtet werden sollten - oder schlachteten und verarbeiteten ihre Artgenossen zu Koteletts, Wurst oder den berühmten Pasteten. Die Tierköpfigen lebten allerdings in einer aufgeklärten Gesellschaft, die den Nutzmenschen saubere Hütten zur Verfügung stellten, sie bekamen ausreichend Auslauf um die Lebensfunktionen aufrechtzuerhalten und wurden relativ schmerzlos getötet. Es gab auch einige, die den Genuss von Menschenfleisch aus moralischen Erwägungen ablehnten, aber diese waren bei weitem in der Minderheit, schließlich gab es im Menschenfleisch bestimmte Nährstoffe, die man aus anderen Quellen nicht bekäme, verteidigte sich die Mehrheit.
In der Religion beschränkten sie sich auf die Selbstanbetung. Die Künstler, denen Großes gelang, wurden die Idole der anderen, die dem Werk des Einen tendenziell nacheiferten, es aber auch durch eigenes zu bereichern suchten. Auch hier wechselten die Idole und auch hier waren die betreffenden Künstler froh, wenn sie aus dem Fokus der Aufmerksamkeit entkommen und sich der Kunst wieder mit einer individuelleren Leichtigkeit hingeben konnten.

Das alles las ich an diesem morgen. Während einer Lesepause fiel mir der überraschende Umstand auf, lesen zu können und ich dachte mir, dass ich also auch schreiben können müsste. Ich nahm Stift und Blatt, die neben dem Bücherstapel lagen, und begann die Hand zu bewegen, gespannt, was meine Worte mir verraten würden. War ich doch ein leeres Blatt nicht mehr, sondern schon gefüllt worden - durch Raeth, meine eigenen paar Erfahrungen und das, was ich las. Ich bin Illi Tollo, fremd in dieser Welt, stand auf dem Papier, welches ich zu einem Flieger faltete und durch das Fensterloch von Raeths Wohnhöhle in die Lüfte über den schattigen Vierteln segeln ließ.
Kurz darauf - als ich schon wieder las - flog ein dunkler Vogel in die Höhle hinein und beobachtete mich beim Studium. Ganz still stand er auf der Couch, nur manchmal bewegte er den klug wirkenden Kopf, als wollte er mich aus einer anderen Perspektive betrachten. Es hatte den Anschein, als dächte er tiefschürfendes und es dauerte wohl eine Stunde, bevor er zu einem Ergebnis gekommen war und wieder davon flog. Ich stand auf, verfolgte seinen Flug und sah ihn in den Turm des schattigen Viertels fliegen.

Wie mir bald erzählt wurde, war der dunkle Vogel ein Rabe und Abgesandter des Oberhaupts der Bewohner des schattigen Viertels: Des Herrn der Tore. Ich liebe den Ruf des Raben sehr, und noch mehr würde ich ihn lieben, wenn er mich nicht nur beobachtet, sondern auch gewarnt hätte, was sehr wohl in seiner Macht gelegen hätte. So jedoch traf mich unvorbereitet, was ich beim Blick aus der Höhle heraus sah: Das Meer vor der Stadt schäumte auf, es schien zu kochen und brodeln.

Langhalsige Ungeheuer, die mit einer unglaublichen Geschwindigkeit in Richtung Stadt schwammen, peitschten die Wasseroberfläche mit ihren massigen Körpern auf und zerschmetterten die wenigen Boote, die jetzt noch unterwegs waren, mit erschreckender Beiläufigkeit. Es war wie eine Flut von riesigen Körpern - so dicht drängten sich die Wasserbewohner, es schien unmöglich zu unterscheiden welcher Schlangenhals zu welchem geschuppten Körper gehörte. Es war ein grausiges, faszinierendes Bild. Und ja, es wirkte wie ein Bild, ich begann die Wirklichkeit der Situation erst zu begreifen, als sich die gewaltigen Körper regelrecht gegen die Kaimauer warfen, wonach ein Beben durch die Stadt lief, als wäre diese wirklich ein Lebewesen, das sich im Schlaf gestört fühlt und zu regen beginnt. Ich hielt mich an dem Balkongeländer fest, um nicht heruntergeschüttelt zu werden. Durch diese Gefährdung meines eigenen Lebens kam ich wieder zu mir, riss mich von dem Anblick der schuppigen Invasoren los und folgte einem Impuls, der mein ganzes Wesen ausfüllte. Ich lief weg. Immerhin wäre ich gerne weggelaufen, Raeth suchen, wie mir der Engel auf der Schulter zuflüsterte, oder mich in einer dunklen Ecke verkriechen und abwarten, bis die Turbulenzen dieser unbekannten Welt sich gelegt hätten, wie mir der gehörnte Widerpart des Geflügelten eingab. Schnell das Buch zur Seite, durch die Tür und die Treppe hinunter. Bis zur Hälfte des Treppenhauses kam ich.

Die Probe auf meine Moral oder Unmoral nahmen mir dann Truppen der Tierköpfigen ab, die das Treppenhaus hinaufstürmten und mich umgehend und mit einer Entschlossenheit festnahmen, die mir verriet, dass ich das erklärte Ziel dieses grimmigen Haufens Löwenköpfiger war. Mein kleiner Widerstand erschöpfte sich in der Versicherung nicht derjenige zu sein, den sie suchten, was weder besonders originell war noch irgendeine Wirkung zeigte. Bald waren meine Hände auf den Rücken gekettet und ich wurde von einem jungen Löwenköpfigen, in dessen großer Hand das Ende der Kette verschwand, das Treppenhaus hinuntergezerrt. Vor dem Haus warteten weitere Soldaten, ich schätzte den Trupp auf ungefähr zwanzig Köpfe, was die Stärke einer Kohorte ausmachte, wie ich in einem Buch über das hiesige Militärwesen las. Einen kurzen Moment wunderte ich mich, warum ein solch großer Trupp wegen mir ausgeschickt wurde, fand dafür aber keine Erklärung.

Dass diese Truppenstärke aber gerechtfertigt und sogar noch zu wenig war, um mich in die hellen Viertel zu eskortieren, erwies sich, als wir geduckt und in schnellem Laufschritt die schattigen Viertel zu durchqueren suchten. Die Luft war stickig und schwül, das Atmen fiel schwer. Meine stummen, angespannten Begleiter störten sich nicht an der trüben Suppe, die sie in dieser Gegend Luft nennen. Allerdings relativierten sich die Atemprobleme angesichts der Schwierigkeit überhaupt auf den Beinen zu bleiben. Der Boden unter meinen Füßen bockte und schlingerte, als wäre er eine Mischung aus Meer und wütendem Bullen. Auch dieses Problem schien nur ich zu haben - die Soldaten bewegten sich unbeeindruckt wie alte Seeleute oder Rodeo-Reiter, was in mir den Eindruck hervorrief, sie erlebten solch eine Situation nicht zum ersten mal. Mein Bewacher zerrte mich ungeduldig hinter sich her und jedes Mal, wenn ich zurückfiel, schnitten mir die schmalen Ketten schmerzhaft ins Fleisch. Ich war völlig damit beschäftigt auf den Beinen zu bleiben und nicht zurück zu fallen. Aus Richtung des Hafens hörte ich wahnsinnig klingendes Kreischen und Fauchen und verängstigte und wütende Rufe. Was das alles zu bedeuten hatte, diese Frage tauchte am Rande meines Bewusstseins auf, verschwand allerdings sogleich, als mein Bewacher - von einem Pfeil getroffen - schlagartig und mächtig wie ein gefällter Baum zu Boden fiel und mich hinter sich her zog.

Der Soldat fiel aus vollem Lauf zu Boden, mit einem gurgelnden Schrei überschlug er sich und riss mich von den Füßen. Desorientiert und von einer jähen Schmerzwelle keuchend, die die ins Fleisch schneidende Kette durch meine Nervenbahnen schickte, landete ich auf ihm. Um mich herum surrte die Luft von einem Schwarm von Pfeilen, die von allen Seiten gleichzeitig zu kommen schienen. He-he-he-Rufe begleiteten die gefiederten Todesbringer und um mich her gingen in den nächsten Sekunden die nächsten Getroffenen zu Boden. Einer der Soldaten blies in ein Horn und durch einen roten Nebel aus Schmerz sah ich, wie sich die Überlebenden schnell und diszipliniert zu einem Kreis formierten, Rücken an Rücken stehend, die hohen Schilde schützend vor sich haltend. Auch mein löwenköpfiger Bewacher schien auf das Signal zu reagieren. Er war noch nicht tot, aber in einem Wahn gefangen, der ihn versuchen ließ, sich den Pfeil aus dem Hals zu ziehen, wofür er die Kette losließ. Ich nutzte meine neu gewonnene Freiheit, indem ich mit der Kette seine Kehle zuschnürte und ihn zu würgen begann. Jetzt war ich dankbar für die grausam schmalen Kettenglieder, die seine Kehle gleichsam zu durchschneiden schienen und sein Sterben beschleunigten. Das Gefühl der nachgebenden Knorpel in seinem Hals war kein schönes, aber es entsetzte mich auch nicht. Es war nicht das erste mal, dass ich jemanden umbrachte.

Mit einer Behändigkeit, die mich selbst überraschte, befreite ich mich von dem Toten und stolperte vom Schlachtfeld weg in eine dunkle Gasse, wo ich mich gegen eine Wand kauerte und den weiteren Verlauf des Kampfes verfolgte.

Es standen nur noch wenige Tierköpfige, die von Pfeilen gespickt waren wie Nadelkissen - trotz aller Ausweglosigkeit blieben sie hinter ihrer Schildmauer stehen und erwiderten den Beschuss mit kleinen Armbrüsten. Auf einmal verstummten die He-he-he-Rufe und es war nur noch der ferne Schlachtenlärm vom Hafen zu hören. Es waren Augenblicke äußerster Anspannung, die Soldaten starrten mit verbissenem Kampfgeist auf die umliegenden Hausdächer und versuchten ihre Angreifer auszumachen. Als aber diese sich zeigten, kamen sie mit einer Schnelligkeit, die keine Reaktion mehr zuließ. Sie sprangen von den niedrigen Dächern herab, mit wehenden Mänteln und über das Gesicht gezogenen Masken. Sie kamen aus den Häusern gestürmt und aus den Gassen - manche schienen direkt aus dem Boden zu wachsen, aber alle hatten das gleiche Ziel: Wie eine dunkle Flut strömten die Bewohner des schattigen Viertels zusammen und stürzten sich mit einer Vehemenz, die ihren Hass verriet, auf die überlebenden Soldaten. Es starben etliche der Maskierten - die Löwenköpfigen kämpften bis zuletzt - aber trotzdem dauerte es nicht mal eine Minute, bis die letzten Soldaten unter der puren Masse von Angreifern regelrecht begraben wurden. Ich wandte den Blick ab, als ich sah, wie die Maskierten ihre Zähne in das noch warme Fleisch der Tierköpfigen gruben. Bald war die ganze Gasse von wollüstigem Schmatzen und Stöhnen erfüllt.

Obwohl der Überfall im ersten Augenblick wie eine Rettung schien, fühlte ich mich angesichts des Schlachtmahls nicht mehr gerettet - ich dachte damals, dass es vielleicht nur um Nahrungsbeschaffung ging und ich, der möglicherweise nur zufällig mitten in den Raubzug geraten war, stünde gleichfalls auf dem Speiseplan, sollte ich entdeckt werden. Aber ich irrte mich, das Fressen war nur eine Nebensache, hauptsächlich ging es um mich. Und mich brauchten sie lebend, wovon ich natürlich nichts ahnen konnte. Mühsam stemmte ich mich hoch und lief los. Aber auch diesesmal war meine Flucht nach wenigen Schritten zuende, von einem Hausdach warf man ein Netz nach mir, in dessen groben Maschen ich mich verfing. Mit meinen zusammengeketteten Händen war ich nun also doppelt sicher verpackt und als ich wieder einmal fiel, fragte ich mich flüchtig, ob es irgendjemanden gab, der es nicht auf mich abgesehen hatte. Kurz darauf sprang ein Maskierter vom Dach und landete elegant federnd neben mir auf dem Boden. Unter dem Eindruck des großen Fressens stehend, machte sich kurzzeitig Panik in mir breit und ich versuchte mich hektisch aus dem Netz zu befreien, womit ich mich natürlich nur noch mehr verstrickte. "He, ganz ruhig. Du bist sicher." Die Stimme kannte ich doch! - und tatsächlich zeigte sich unter der Maske Raeth, die nun ein kleines Messer aus ihrem Gewand zog und das verstrickte Netz methodisch und gelassen zerschnitt. "Tut mir leid, dass ich dich alleine gelassen habe. Ich dachte, wir hätten mehr Zeit. Der Spähvogel, mit dem dich unser Herr der Tore in Augenschein nahm, hatte anscheinend nicht seinen besten Tag, er hätte den Trupp bemerken müssen." Ich schüttelte den Kopf. "Und nun? Deine Wohnung ist ihnen bekannt, sie suchen mich. Wo können wir hin?" Sie versuchte ein Lächeln und bedeutete mir, ihr zu folgen. "Ohnehin hat die Revolte begonnen. Komm mit zum Herren der dunklen Tore, er wird uns sagen was zu tun ist."

Der Herr der dunklen Tore war kein beeindruckender Anblick. Er kauerte zwischen roten Kissen aus abgegriffenem Brokat, sein eingefallener Oberkörper verjüngte sich zu einem faltigen Hals, auf dem sein schütter behaarter Kopf vor und zurück wiegte, als meditierte er. Zu seinen Füßen stand ein kleines Tor zwischen silbernen Geldhaufen auf einem niedrigen Tisch. Er war nicht alleine. An seiner Seite saß eine junge Frau, die ihn aus klaren Augen aufmerksam beobachtete. Irgendwo in den Schatten - ihre Anwesenheit verrieten die beiden durch Würfelgeklapper und das energische Gespräch, das sie im Flüsterton führten - hockten zwei Männer im Schneidersitz. Die von einem seltenen Öl gespeisten Lampen verbreiteten das ungesund wirkende gelbe Licht, das ich von Raeths Balkon gesehen hatte.

"Der Erdenmensch. Sieh an." Sagte der Alte. Dann erstmal nichts mehr. Raeth ging vor ihm in die Hocke und flüsterte ihm etwas zu. Er winkte ab. "Ich weiß doch, schließlich holte ich ihn her." Das Geflüster und Geklapper verstummte, die beiden Spieler drehten mir langsam ihre Köpfe zu und beobachteten mich. "Der soll der fehlende Held sein? Da brauchen wir uns ja nicht zu wundern, wenn wir aus unserer Misere nicht herauskommen." Höhnte einer von ihnen. "Du hast diesen seltsamen Zettel geschrieben und in die Stadt fliegen lassen - mach doch nächstes Mal gleich ein Signalfeuer." Er schüttelte den Kopf. "Wegen deiner Dummheit opferten Männer im Kampf ihr Leben." Die Eindrücke erschlugen mich mit ihrer Vielzahl, ich öffnete den Mund um etwas zu sagen, aber die Worte fanden mich nicht. "Na, gleich das Sprechen verlernt? Verdammt, nimm es nicht so persönlich, es sind einfach harte Zeiten. Ich bin Targos." Sprach der Spötter, kam aus den Schatten auf mich zu und streckte mir seine Hand entgegen, die ich automatisch ergriff um sie so fest zu drücken wie ich konnte. "Und du bist also Illi - seltsamer Name für einen Erdenmenschen. Illi, der Held. Du kommst gerade rechtzeitig." Targos lächelte lakonisch. "Ich bin ja der Meinung, dass unser viel geliebter Herr der Tore einfach mal wieder die falsche Seele aus eurer Dimension gefischt hat, aber wen kümmert schon die Meinung eines alten, kampferfahrenen Recken, der viele Welten und noch mehr Länder gesehen hat."

Ich ließ seine Hand los. "Illi Tollo ist mein Name, ich bin fremd in dieser Welt. Was ich schrieb, war das einzige was ich sicher wusste. Und du, Targos, tätest gut daran, dir einen verdammten Meißel zu besorgen und meine Ketten zu sprengen, anstatt Reden zu halten!", blaffte ich den überraschten Targos an. Einen Augenblick dachte ich, wir müssten uns schlagen: Sein Gesicht verfinsterte sich und der imposant gezwirbelte Schnauzbart begann zu zittern wie eine Seismografennadel, die ein baldiges Beben ankündigt. Das Adrenalin ließ mein Herz hämmern und instinktiv suchte ich nach einer Waffe. Aber das Beben kam dann aus seinem Brustkorb, nicht aus seiner Hand, und entlud sich mit einem donnernden Lachen. "Hehehe. Er erkennt mich wirklich nicht! Ist das zu glauben?"

Langsam war ich ernsthaft entnervt von seiner Show, dieser seltsamen Welt und davon, dass anscheinend jeder mehr über mich und die Umstände wusste, als ich selbst. Ich schlug ihm meine beiden Fäuste ins Gesicht (so zusammengekettet hatte ich ja keine Wahl, entweder beide oder keine) und sah mit beträchtlicher Befriedigung, wie er hintenüber kippte und mit einem dumpfen Geräusch auf den Holzboden traf. "Fühlt sich noch jemand zu Späßen aufgelegt? Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt - ich komme gerade in Fahrt. Ansonsten hätte ich aber auch nichts dagegen, wenn mir mal irgendjemand erklärt, was hier eigentlich los ist." Mein Blick machte die Runde und blieb bei Raeth hängen. "Raeth?" Die schaute fragend zum Alten, der wieder einmal mit der Hand winkte. Schien einer von den ganz sparsamen Typen zu sein, die mit einer Geste alles auszudrücken versuchen. Dieses Winken war anscheinend ein bejahendes, denn sie setzte sich seufzend neben dem Alten auf ein Kissen und begann zu erzählen.

Raeth sprach von dem erbärmlichen Leben, das sie auf diesem Planeten führen müssten, von der Qual, die es für denkende und mitfühlende Wesen bedeutet, erleben zu müssen, wie Artgenossen als Nahrungsmittel gehalten und gefressen werden. Von der Hoffnung, zu der die schattigen Viertel wurden, nachdem der erste Herr der dunklen Tore das Leid der hiesigen Menschen in einem großen Zauber bündelte, mit dessen Kraft er die schattigen Viertel als Rückzugsraum schuf. All diese Ereignisse fanden vor langer Zeit oder finden seit langer Zeit statt.

Seitdem die Viertel erschaffen wurden, waren viele Hundert Jahre vergangen, die Domestikation des Menschen indes lag schon soweit zurück, dass sie in den Schatten der Vergangenheit verborgen war. Es gab nur noch mündliche Überlieferungen, Legenden, die berichten, dass die Menschen ursprünglich nicht auf diesem Planeten siedelten, sondern durch Dimensionstore aus ihrer angestammten Welt flohen und nach ihrer Ankunft von den hier bereits lebenden Tierköpfigen versklavt wurden.

Natürlich klingelte es da bei mir, schließlich scheinen sie ja auch mich aus einer anderen Welt geholt zu haben. Kam ich aus der besagten Heimatwelt? Irgendetwas in mir machte Klick und die Erinnerungen kehrten wieder zurück. Ich begann mich an meine eigene Heimatwelt zu erinnern, an ein Leben unter riesigen Plexiglaskuppeln, hinter deren gläsernen Wänden die perfekt terrageformte Welt lag, grüne Wälder und Wiesen zwischen blauen Seen und unter klaren Himmeln, wie in einem Heidi-Idyll. Nur war diese Welt entgegen dem äußeren Schein für Menschen tödlich geworden, eine Terraforming-Biochemikalie hatte sich mit einem exotischen Virus verbunden und das neu entstandene Supervirus brachte einen Menschen innerhalb weniger Tage um. Trotz fehlender Wirtskörper verschwand dieses Virus nicht von der Planetenoberfläche, weswegen sich die Menschheit einen neuen Lebensraum unter schützenden Kuppeln erbauen musste, in denen wir gefangen waren. In dieser Welt war es auch, dass ich mit der Frau aus meinen Träumen unter fremden Sternen spazieren ging, wo sie mir Versprechungen und Träume ins Ohr flüsterte. Sie sprach von einer Mission, die sie in sich spüre, von einer Aufgabe, für die sie diese sterile Welt verlassen müsse. Als wir auf die von innen auf die Kuppel projizierten Sterne blickten, sagte sie, sie müsse gehen. Und diese Frau war Raeth, ich schaute sie an und wusste es einfach. Erinnerte mich an ihren Gesichtsausdruck wenn sie gedankenverloren in die Sterne blickte, entschlossen und fluchend einen Androiden reparierte oder an diesen einen, ganz besonderen Gesichtsausdruck, als sie mir einen letzten heißen Kuss gab, bevor sie durch das uralte Dimensionstor ging, das in sagenhafter Vergangenheit erschaffen wurde. Kurz bevor das Tor sie verschluckte, drehte sie sich zu mir und stimmlos formten ihre Lippen das Versprechen, das wir uns wiedersehen würden.

"Wir mussten es tun." War ihre einzige Reaktion. Sie sah, dass ich sie und unsere gemeinsame Vergangenheit erkannte. "Was tun? Drück dich klar aus, verdammt! Mich im ungewissen über meine Herkunft lassen und tun, als ob du mich nicht kennen würdest, meinst du das? Mich von diesen tierköpfigen Wesen gefangen nehmen zu lassen und mich mit ansehen zu lassen, wie ihr sie massakriert und auffresst?" Der Alte hob beschwichtigend seine Hände. "Ruhig Blut Erdenmensch. Es blieb uns keine Wahl - wir mussten dich schnell in diese Welt holen. Das Virus drang durch einen Riss in deine Plexiglassiedlung und begann, alles Leben zu vernichten. Wir mussten schnell handeln, sonst wärst auch du gestorben. In der Eile ist die Beschwörung misslungen, sodass du nicht bei uns erwachtest, sondern ohne Gedächtnis, beim ewigen Feind." Dann lachte er ein unangenehm hohes, keckerndes Altmännerlachen. „Deine verfrühte Ankunft löste hier einiges aus: den Angriff der mythischen Seeungeheuer, das Erwachen der Stadt und sogar den Fresswahn unserer Soldaten." Wieder dieses keckernde Lachen des Alten. „Daraus schließe ich, dass ich nicht danebengriff“, er blickte zu Targos, der sich mürrisch umblickte und wieder aufrappelte, „diese Aktivitäten legen das Zeugnis deiner Herkunft ab - du warst der letzte fehlende Teil des Helden. Ihr seid das Auge des Sturms, das Zentrum des Geschehens, und der Sturm folgt euch.“ Mir fehlten weiterhin die Worte und ich setzte mich, als er mir demonstrativ ein Kissen zurechtrückte.

Während wir Brot aßen und Wein tranken, steckten meine Gastgeber die Köpfe zusammen und besprachen in schnellem Flüsterton die Schritte, die nun zu tun seien. Boten kamen herein - durchweg Eulenköpfige, die ich das erste mal an der Seite von Menschen sah - und brachten Nachrichten, raunten sie dem Herren der Tore zu, während draußen die Hölle tobte. Sie waren wie kleine Dämonen, die kurz aus Flammenmeeren auftauchten, ihre Nachricht überbrachten und sogleich wieder eintauchten.

Denn die Stadt schien zu glühen, durch die Fenster waberte sengend heiße Luft in das Turmzimmer und es klang, als würden sich riesige Maschinen durch die Gassen wälzen, die alles kurz und klein dreschen. Brennende Häuser illuminierten die Nacht mit rotorangefarbenem Schein, aus dem teeriger schwarzer Qualm aufstieg. Von diesem akustischen wie optischen Inferno ließ sich niemand im Raum stören, ich als einziger wurde unruhig. Raeth spürte es und legte ihre Hand auf meine, aber ich entzog sie ihr. Als meine Gastgeber ihre Besprechung beendet hatten, bellte der Alte ein paar harte Worte, woraufhin sich die Gruppe zerstreute. Targos bedeutete mir, meine Hände auf einen steinernen Schemel zu legen und schlug mit Hammer und Meißel meine Ketten entzwei, er gab mir ein kurzes Schwert und einen kleinen Schild, wie es der Alte befahl. Er starrte mich mit seinem linken Auge, das ich gut getroffen hatte, wütend an - es begann sich bereits grün zu verfärben. "Wir müssen weg, unserer Bestimmung folgen. Komm." Targos lief los, Raeth, der andere Würfelspieler und ich folgten ihm die Treppen hinunter.

Auf dem Weg zu den Straßen des schattigen Viertels stießen aus verborgenen Turmzimmern Bewaffnete zu uns, Löwenköpfige und Maskierte, sie waren ebenso wie ich mit kurzem Schwert und kleinem Schild bewaffnet. Wir waren ungefähr dreißig Mann, die auf der Straße ankamen. Oder auf dem, was davon übrig war. Wenn man eine Straße als Durchgang zwischen zwei Häuserreihen definiert, war das hier definitiv keine mehr. Die flachen Häuser auf der gegenüberliegenden Seite vom Turm waren geschleift. Sie sahen aus, als hätte ein gigantischer Hobel eineinhalb Stockwerke abgetragen, sodass nur noch halbstöckige Häuser übrig blieben. In diesen halben Häusern standen oder saßen halbe Kreaturen, die von dem gnadenlosen Hobel überrascht wurden - Kopf- oder Rumpflose, Menschen und Tierköpfige, die gerade am Abendbrottisch saßen oder ihre Waffen pflegten. In einem Haus hatte es sechs Kämpfer getroffen, die sich gerade für den Kampf gürten wollten, in einem anderen eine Familie, die sich zum Essen zusammengesetzt hatte. "Diese perversen Zauberer!", fluchte Raeth. "Die Tierköpfigen?" "Natürlich die, wer denn sonst?," funkelte Raeth mich an, dann warf sie sich gegen meine Brust, dass wir beide nach hinten fielen. An der Stelle, an der ich vor kurzem noch gestanden hatte, zerschnitt ein Axthieb die Luft. Der Axtschwinger brüllte vor Wut, dass er mich verfehlt hatte und dadurch aus dem Gleichgewicht geriet. Die Momente, die er seine Axt noch nicht wieder unter Kontrolle hatte, nutzte Targos, um ihm von hinten das Schwert durch die Nieren zu stechen. Wie ein Schatten tauchte er hinter dem Löwenköpfigen auf, stach ihm sein Schwert mit dem zärtlichen Gesichtsausdruck eines Liebhabers in den Rücken, drehte es wie einen Schrauber in der Wunde und verdrehte mit der anderen Hand das Genick des Feindes, bis es mit trockenem Knacken brach. Die Flammen fraßen sich durch die Gebäude hinter uns, die zu derselben Häuserzeile wie der schiefe Turm gehörten und leckten bereits nach den Mauern des Hauptquartiers.

Auf den Straßen bekämpften sich die Einwohner der schattigen Viertel mit Tierköpfigen, die in kleinen Trupps von zehn bis fünfzehn Soldaten durch die chaotische Stadt zogen. Auch unser Trupp wurde in Gefechte mit kleinen Einheiten verwickelt, die unsere Leute voneinander trennten. Ich kämpfte Rücken an Rücken mit Targos, bis Raeth, der Würfelspieler und sechs Maskierte uns einen Korridor durch die Kämpfenden geschlagen hatten und uns zuwinkten, dass wir ihnen folgen sollten. Sie liefen in eins der geköpften Häuser, wir ihnen hinterher: Vorbei an stöhnenden Verwundeten, leblos daliegenden und an den Körpern derjenigen, die von dem riesigen Hobel zerteilt worden waren und deren Rümpfe, Unterleiber oder Beine stehen geblieben waren, als wären sie in Wachs gegossen. Raeth öffnete eine verborgene Bodenluke, entzündete eine Fackel und folgte den Steinstufen hinab in die Dunkelheit der Unterstadt. Bevor ich die Stufen hinunter ging, blickte ich mich noch einmal um, von einem mächtigen Grollen aufmerksam gemacht. Der Turm brach zusammen und während die meisten Steine noch bebten und einige schon fielen, flog ein dunkler Punkt aus einem Turmfenster hinaus. Ich hätte wetten wollen, dass es ein Rabe war. Bevor ich aber weiter spekulieren konnte, schoss ein Pfeil wenige Zentimeter an meinem Gesicht vorbei und blieb vibrierend in einem Holzbalken stecken. Der Pfeil war nur der Vorbote, denn nach dem knappen Fehlschuss sprangen drei Axtschwinger fast gleichzeitig über die Reste der Hauswand und stürzten sich auf mich wie ein Mann. Einer der Maskierten drängte mich in Richtung Treppe, die anderen fünf stellten sich den Axtschwingern in den Weg. Aus der Dunkelheit hörte ich Raeth mich mit scharfer Stimme auffordern, endlich nachzukommen. Hinter mir schloss sich die Luke und bis auf die kleine Insel aus Fackelschein bestand die uns umgebende Stille nur aus Dunkelheit.

Es war wie ein waten im Nebel oder eine Schifffahrt über einen vergessenen Ozean. Wir vier: Raeth, Targos, der andere Würfelspieler und ich, hasteten durch die Gänge unter dem schattigen Viertel. Das orangene Licht der flackernden Fackel schälte archaische Tier- und Menschengestalten aus dem grob behauenen Fels. Durch das andauernde Erdbeben, durch die stete Bewegung, in der sich unsere Umgebung befand, sowie den unsteten Fackelschein verzerrten sich die ohnehin grotesken Gesichtszüge der Idole noch zusätzlich. Sie schienen mich anzugrinsten oder anzuschreien, manchmal war es, als wollten sie nach mir greifen. Die Wände zitterten und ächzten wie ein altes Schiff, das kurz davor steht, auseinanderzubrechen.

Wie lange wir bis zu der Wendeltreppe liefen, weiß ich nicht zu sagen. Mein Zeitgefühl ist ohnehin nicht das Beste - unter dem Eindruck dieser surrealen Szenerie versagte es völlig. Es musste aber eine lange Strecke gewesen sein, die uns in eine beträchtliche Tiefe geführt hatte, denn der Weg die Wendeltreppe hinauf schien kein Ende zu nehmen. Vielleicht war es aber auch eine Illusion, die die Treppe endlos scheinen ließ. Irgendwelche Zauber waren dort mit Sicherheit am Werk, warum nicht solche, die ein paar Dutzend Meter Treppe hinzufügten oder uns dieselben Stufen immer wieder gehen ließen. Die Stufen waren abwechselnd schwarz und weiß wie eine Klaviatur und unter unseren Füße wurden die Stufen zu riesigen Tasten. Ob es Illusion war? - aber ich konnte zuerst einzelne schwere Klänge hören, die durch die Stille zogen wie Pottwale durch die Tiefen eines irdischen Ozeans.

Mit unserem Aufstieg veränderten sich die Tonlagen, hohe schrille Töne kamen hinzu und auch weiche warme Klänge. Aus dem zusammenfließen der Töne entstand ein Bild. Da war ein Tal, von Bergen und Wäldern meiner einstigen Heimat begrenzt - einer Welt, Jahrtausende vor dem fatalen Terraforming. In diesem Tal war eine unüberschaubare Menschenmenge, die sich vor einem Tor versammelt hatte. Die Angst dieser Menschen war körperlich spürbar, sie drückte gegen meinen Oberkörper wie eine graue Wand aus Moll-Akkorden. Am Horizont blitzte und donnerte es, niemand war zu sehen, aber etwas in mir wusste, dass das Leben der Menschen nur durch Flucht gerettet werden konnte. In dem nächsten Klangbild strömten die Bedrohten durch das Portal, flohen vor dem unbekannten Feind. Das war der Exodus. Dann sah ich sie auf diesem Planeten durch ein Schwesterportal herauskommen, in unmittelbarer Nähe der Stadt. Die Fliehenden waren der einen Katastrophe entkommen, aber Frieden fanden sie nicht. Sie wurden von Truppen der Tierköpfigen bald nach ihrer Ankunft umzingelt und zusammengetrieben. Das weitere Schicksal meiner Vorfahren erschien mir in blitzlichtartigen Momentaufnahmen: Die Aufteilung der Menschen in Diener und Zuchtmenschen, das Anlegen der Ketten bei den Dienern und das Zusammenpferchen der Zucht- und Nutzmenschen in hastig errichteten, bewachten Lagern. Familien wurden getrennt, Kinder weinten und graugesichtige Eltern, die aussahen, als ob sie bereits zu viel gesehen hätten, fügten sich kraftlos in die neuen Bedingungen, die sie für sich Schicksal zu nennen begannen. Es fiel den Tierköpfigen nicht schwer, die von langer Flucht und Verfolgung geschwächten Menschen in die ihnen zugedachten Rollen zu zwingen. Wenige Jahre nach ihrer Ankunft waren sie in die Gesellschaft der Tierköpfigen als Sklaven und Nahrungsquelle integriert.
Aber schon im Laufe der folgenden Jahrzehnte erwachte der Kampfgeist einiger Männer und Frauen. Hier deckten sich die Bilder mit dem von Raeth erzählten. Die Aufsässigen flohen aus der Gefangenschaft und in ihrer Mitte war einer, der die schattigen Viertel schuf. Damals war der Keim des Widerstandes entstanden, der sich nun zu einer handfesten Revolte auswuchs.

Ich war der letzte auf der Treppe und so vermute ich, dass ich der einzige war, der die letzten Klangbilder sah. Wobei sehen nicht der richtige Ausdruck ist, denn was ich wahrnahm, konnte mit den üblichen Sinnen nicht wahrgenommen werden. War es zu Beginn des Aufstiegs wie ein akustischer Wandteppich, der uns die Stufen hinauf begleitete und eine zusammenhängende Geschichte, die des irdischen Exodus, erzählte, so waren die Bilder des Martyriums blitzlichtartig gewesen. Kaum greif- und fokussierbar wie Fledermäuse, die durch die Nacht fliegen.
Schlussendlich aber waren da Bilder wie bei einer Collage, die von mir und den meinen erzählte, deren Motive in Sekundenbruchteilen ausgetauscht wurden. In rascher Folge wechselten die sich überdeckenden Bilder wie in einem Fiebertraum, ich glaubte den Alten zu sehen, der durch das Tor griff, gleichzeitig war da ein Bild von mir und Raeth, wie wir beieinander lagen. Doch Augenblicke später lag sie bei einem anderen, auf einer Welt, deren Himmel rot waren. Dann bei dem Alten. Dann sah ich den Alten, der durch das Tor griff, wodurch seine Hände ins riesenhafte vergrößert wurden. Mit diesen Klauen griff er - nach mir. Ich erkannte mich und meinen kleinen Schädel in seinen riesigen Klauen, er zerrte mich von der Erde der Plexiglaskuppeln auf diesen Planeten. Als ich am Ende der Treppe bei den anderen ankam, brach ich zusammen.

Zu mir kommend, sah ich Raeths sorgenvolle Augen wenige Zentimeter vor meinen flirrenden Augenlidern, die einfach nicht aufbleiben wollten. Sie schüttelte mich und schlug mir ins Gesicht. "Du musst aufwachen!", bedrängte sie mich. "Wir brauchen dich." Mein Kopf war ein Farben- und Lichtermeer von sich vermischenden Bildern, voller Widersprüche und abbrechender Gedankenketten wie nach einem epileptischen Anfall. Ich hielt ihre Hand fest, bevor sie mich erneut schlagen konnte und bewegte den Kopf langsam wie ein Bär, der aus dem Winterschlaf erwacht. "Wofür?", brachte ich mühsam hervor. "Wir müssen uns vereinen, zu einem werden."

"Vereinigen?", fragte ich ratlos. "Wir vier sind nicht nur Individuen, sondern Facetten des Heldenprinzips, eines Prinzips, das jetzt zu gemeinsamem Fleisch werden will. Der Sturm ist schon da, jetzt werden wir das Auge dazu. Die entfesselte Kraft braucht Lenkung."
Die sind doch alle irre, schoss es mir durch Kopf. "Ich will nicht kämpfen, bin kein Held...", stammelte ich. Denn darauf lief doch alles hinaus, das Gerede von ewigem Feind und ewigem Held, von Sturm und entfesselter Kraft. Soviel Sinn entnahm ich den rätselhaften Fragmenten von Raeth und dem Alten. Aber ohne auf meinen Widerspruch einzugehen, hievten Targos und Raeth mich hoch und hielten mich zwischen sich aufrecht. Der Würfelspieler stimmte einen leisen Gesang an. Bald fielen die beiden anderen ein und auch ich, obwohl mir Text und Sprache unbekannt waren, sang diese fremden Laute. Besser gesagt: Zunge und Mund begannen ein Eigenleben zu führen und intonierten die säuselnden Zischlaute ohne Zutun meines Willens. Mithilfe des zauberischen Gesangs lösten wir unsere Seelen aus der Körperlichkeit und vermischten sie miteinander. So wurden wir zum ewigen Held. Einem Kämpfer ohne Wünsche und Erinnerungen, mit Mordlust als einzigem Gefühl - eine biologische Maschine. Wie Raeth sagte: Als der Gesang vorbei war, war ich Teil eines größeren Ganzen geworden.

Durch die Vereinigung strömten unsere Erinnerungen und Gefühle zusammen, wodurch ich Einblick in die Vergangenheit der anderen bekam. Da war die Welt der roten Himmel, die Targos' Welt war. Da war eine Landschaft voll seltsamer Pflanzen, die in dschungelähnlichen Dickichten die Oberfläche überwucherten - das war die Welt des Würfelspielers. Ich sah den Würfelspieler in das sonnendurchflutete Grün eintauchen, bewaffnet mit Speer und Rundschild, auf der Jagd nach den stolzen, grausamen Raubkatzen seiner Heimat. Auch Targos‘ Erinnerungen waren kriegerischer Natur - er ritt auf blau geschuppten, pferdeartigen Kreaturen in die endlosen Kriege gegen andere Nomadenstämme unter den roten Himmeln seiner Welt. Raeth tauchte in jeder Impression auf, sie lag bei den beiden Kriegern wie sie bei mir gelegen hatte. Die Szenen ähnelten meiner Vergangenheit mit ihr: lange Spaziergänge, leidenschaftliche Nächte und das Versprechen, dass wir uns wiedersehen würden. Sie war der Knotenpunkt, die Verbindung zwischen den anderen und mir. Ohne sie wären wir an diesem Tag nicht dort gewesen.

Doch ihre Rolle in dem ewigen Spiel blieb undurchschaubar, die Gründe für ihr Handeln erfuhren wir nicht. Wir sahen sie nur in den Erinnerungen der anderen auftauchen - was immerhin verriet, dass sie uns etwas vorgemacht hatte, als sie jeden einzelnen von uns glauben gemacht hatte, sie würde nur ihn lieben. Ihre eigene Vergangenheit schirmte sie ab, mit welcher Macht auch immer. Wir hatten damals sowieso keine Zeit darüber nachzudenken, denn Raeth, die das Kommando über unser Körper-Konglomerat übernommen hatte, zwang unsere Beine (waren es wirklich acht?) in Richtung der Tür, die auf der anderen Seite des prunklosen Raumes zu sehen war, dessen Weite sich an die magische Treppe anschloss. Man kann sich unseren Gemeinschaftsgeist als großes Haus mit vielen Räumen vorstellen, und unseren Gemeinschaftskörper als einen riesigen Roboter, von dem wir nur Leib und Gliedmaßen waren, während Raeth im Kontrollraum saß. Wir kamen bis zur Mitte des Raumes, schon strömten die ersten Turmwächter aus geheimen Türen. Dicht an dicht, Schulter an Schulter, drängten sich Tierköpfige nebeneinander und auf uns zu, beschossen uns mit Laserstrahlen und Musketen, schlugen mit Äxten und Schwertern nach unserem Leib, der unheiligen Viereinigkeit. Jedes rational denkende Wesen hätte Angst bekommen, aber die Vernunft fand keinen Platz mehr in uns. Im Gegenteil, unsere Schwerter sangen vor Glück, Blut trinken zu können, und pulsten uns dieses kalte kristallklare Gefühl durch die Adern. Es war wie auf hohen Gipfeln mit Kriegsgöttinnen zu schlafen, ein einziger Traum voll Schlachtenwut. Unsere Schwerter (waren es wirklich vier?) schnitten durch die Körper wie eine Sense durchs Korn, parierten die Schüsse oder lenkten sie um, sodass sie auf die Schützen trafen. Wir tanzten durch einen feinen Blutnebel, wirbelten wie ein Derwisch immer wieder um unsere Achse und machten den letzten Schritt unserer Choreografie erst, als der letzte Schlag den letzten Gegner fällte. So kämpften wir uns durch die Räume und Stockwerke dieses Turmes, dessen Architektur ihn als Zwilling des dunklen Turmes verriet. Wir kämpften gegen Geflügelte und Geschuppte, gegen wunderschöne nackte Frauen, die nur eine Brust hatten und die mit ihren Bögen eine schwindelerregende Schussfrequenz und Genauigkeit erreichten, gegen einen riesigen Leviathan, dessen harter Leib ein ganzes Stockwerk füllte - wir töteten sie alle. Am Ende unseres Wütens waren wir im obersten Stockwerk angekommen.

Was dann geschah, entzieht sich der Schilderung. Worte sind nicht mehr nur ungenügend für das Folgende, sondern der folgende Kampf spielte sich in Bereichen ab, die so fern der menschlichen Erfahrungswelt sind, dass jeder Versuch sie mit dem menschlichen Wortschatz zu beschreiben nur weiter vom Geschehen wegführt. Glaubt mir, ich habe es oft genug versucht und bin jedes Mal gescheitert. Wieder und wieder stellte ich die Sätze um und durchsuchte Wörterbücher nach Begriffen mit den treffendsten Konnotationen, die uns hier, auf der Erde, zur Verfügung stehen. Den besten meiner Schreibversuche könnt ihr im folgenden lesen. Ich schrieb ihn nur auf, weil es mir zum Bedürfnis wurde, den inneren Weg des Schreibens dieser Geschichte zuende zu gehen, deren zunehmend nebulöserer Charakter Spiegel meines damaligen Schicksals ist.

Kurz bevor wir die letzte Stufe der letzten Treppe nahmen, hatte ich eine kurze Eingebung, in der mir bewusst wurde, dass der Turm, unser Auftrag und also auch meine Anwesenheit auf dem Planeten der Tierköpfigen bald sein Ende finden würde, zum Guten oder zum Schlechten.
In dem Raum, der das oberste Stockwerk war, vervielfältigte sich unser Multi-Ich: Spiegel, halbe Spiegel, Spiegelscherben waren dort überall, unser Bild wurde verzerrt zurückgeworfen und geteilt. So schien es beispielsweise, dass zwei unserer Beine auf uns zuliefen, während gleichzeitig drei Arme und ein Kopf uns vorauseilten. Doppelgänger von uns bewegten sich an der Decke und an den Seitenwänden aufeinander zu und glitten ineinander über, bis sie verschwanden. Das Spiegelzimmer vervielfältigte nicht nur die äußere Gestalt, sondern im selben Zuge auch das unwirkliche Empfinden, den Wahn, der aus der Seelenschmelze entstand. Dieser Wahn musste mich weggetrieben haben, tief in die inneren Welten hinein.

Innerlich sah ich vor dem Haus, als das ich mir unsere Gemeinschaftsseele vorstellte, einen See entstehen. Eine lockend daliegende, spiegelglatte Oberfläche, die so tief wie dunkel war. Es war eine Verlockung in tiefere Bereiche meines Ichs zu fliehen, der ich nachgab. Denn ich wollte nicht kämpfen und floh auch vor der zu engen, brennenden Berührung mit dem Ich der anderen - ja, ich floh, aber wohin? Weg von dem Seelenhaus, in dem jede Seele ihren eigenen Raum hatte. Ich ging aus meinem Zimmer die Treppen des Hauses hinunter, gab dem Drang in die offenen Zimmer, welche die Seelen der anderen waren, hineinzusehen, nicht nach und gelangte durch die offen stehende, knarrende Tür auf eine graue Ebene. Es wirkte, als wären es viele Schritte bis zu dem See, aber ich musste nur einen machen und stand schon am Ufer. Als ich in das dunkle Spiegelglatt hineinblickte - dort wehte kein Wind, es gab nichts außer dem See, dem Haus und der Ebene - sah ich mein Gesicht, das von Targos und dem Würfelspieler. Es ging zu wie auf einer irren Scharade, bei der die Masken blitzschnell ausgetauscht wurden. Die Gesichter wechselten sich ab wie bei einer Dia-Show oder rotierten wie die Rädchen eines Glücksspielautomaten. Ich starrte und starrte in die Gesichter, Masken, Bilder und spürte den Sog, der von ihnen ausging. Das alles war ich, weil wir eins waren. Und da ich so viele war, war ich gleichzeitig weniger als jemand, der nur einer ist. Substanzlos, ohne festen Kern, Persönlichkeits- und Vergangenheitslos.

Diese Gedanken griffen nach mir, wollten in meinen Kopf fließen, aber ich wehrte mich dagegen, wehrte mich gegen den dunklen See, der in meinen Kopf fließen wollte. Auch hier: Ohne Verstandesgrund, aber mein Gefühl stieß diese Gedanken mit aller Macht von sich. Doch gegen den nächsten Gedanken war keine Gegenwehr mehr möglich, weil er schon eine Erkenntnis war: Dass ich - und also die Gedanken des dunklen Sees erst recht - schon in mir war, weil doch die Landschaft - Ebene, Haus und See - nur symbolisch und ich doch bereits in meiner Gedankenwelt war, dort von den inneren Bildern umgeben und also keine tiefere Verlorenheit mehr möglich war. Ich sah einen klitzekleinen Illi in meinem Kopf, in diesem einen weiteren und so fort und so weiter, dutzende und hunderte kleine, kleinere und winzige Illis wie auf einer Schnur aufgereiht, eine Schnur, die zu einem Strudel wurde, einem dunklen Strudel, vielleicht in einem See, der mich hinabzog, einen stummen Schrei auf den Lippen. Ich fiel durch meine Ichs, fiel durch die Universen meiner Innenwelten und verlor mich, verlor jede Vorstellung von Materie, Körperlichkeit und Persönlichkeit.

Fast. Ein kleiner Rest blieb doch zurück. In der Bildhaftigkeit der Innenwelt war er eine beleuchtete Kajüte auf einem kleinen Schiff, das von einem end- und zeitlosen Sturm umtost wurde. Dort, in dieser Kajüte, war ich sicher, verkroch mich und verband mich mit jeder anderen meiner Seelen, die ich auf dem Sturz in den Strudel der Welten fand. Die Flucht vor dem Kampf schien gelungen, jetzt galt es auszuhalten und abzuwarten. Abzuwarten ohne ein worauf, ohne vernünftigen Grund. Tierhaftes Ausharren nach einer impulsiven Flucht. Aber wo waren die anderen - wo waren Targos, Raeth und der Würfelspieler? Denn alle diese Welten waren auch die ihren, sie mussten irgendwo hier sein.

Wie zur Antwort griffen Raeths Hände durch den Sturm, umfassten das Licht, das mein Ich war, und formten aus dem Knäuel Seelen einen Schädel wie ein Töpfer ihn aus Ton geformt haben könnte.
Zuerst der Schädel, an dem ihre Klauen zogen, dann der Körper, der aus dem sich entfernenden Schädel herausglitt, schwebte oder fiel. So flog die Geistesmaterie oder der Seelenstoff durch meine inneren Universen. Sie zog mich durch den Sturm, durch den Strudel, durch den See. Zog alle meine Seelen und band sie in einen Körper, der wie ein flatterndes Hemd an dem Schädel hing. Mit einer kalten Wut schleifte sie mich den Weg zurück, riss mich durch die Oberfläche des Sees und schleuderte mich in mein Zimmer unseres Seelenhauses.

All die irritierende Vielfältigkeit - das Sein im Sein im Sein - verschwand auf einen Schlag - ich wurde Arm und Schwert und parierte einen Hieb. Dort erkennend, dass wir - das gemeinsame Ich - noch immer in dem Spiegelraum im Turm war, doch nicht mehr alleine. Der andere Held, der große Feind, war auch dort, griff uns mit vier Äxten zugleich an, die wir mit vier Schwertern blockten. Schlag und Gegenschlag, weiter und weiter trieb uns der Kampfwahn oder die Bestimmung, bis das fremde wir - ein Tierköpfiger - tot am Boden lag. Höhnische Zungen werden behaupten, dass mir schlicht die Worte fehlten, den Kampf zu beschreiben, aber Wahrheit ist, dass die Tatsachen nicht mehr beschreibbar waren, und Tatsache ist auch, dass die äußeren Kämpfe in dieser Geschichte nur Beiwerk sind.

Nachdem der große Feind besiegt war, brach Raeth als erste aus unserem Verbund aus. Sie schmiegte sich weinend an die Brust des Toten und flüsterte zärtliche Laute in sein Fell. Targos, der Würfelspieler und ich folgten ihr nach, folgten wir doch einer Bestimmung. Die Leichenschändung geschah ohne Zutun unseres Willens, wie es schon mit dem Gesang war. Vielleicht ist es auch nur eine Schutzbehauptung, um mich von den anderen Maskierten abzugrenzen, deren Fressorgie mich ekelte. Diese Möglichkeit räume ich ein, wenn ich auch nicht an sie glauben kann. Der Feind war zu vier Leibern geworden, die tot dalagen. Systematisch schnitten wir den Toten ihre Brustkörbe auf, rissen das noch pulsierende Herz heraus und aßen es. Heute glaube ich, dass wir einem archaischen Trieb folgten, der uns glauben machte, dass die Stärke der Toten auf uns übergehen würde. Jetzt, in dieser neuen Welt, las ich in Büchern, dass auch die Menschen früherer Zeiten diesen Glauben lebten.
Raeth mussten wir bewusstlos schlagen, weil sie nicht wollte, dass wir die Leiber schänden. Das war das letzte Mal, dass ich sie in ihrer menschlichen Gestalt sah.

Denn bald nachdem wir die Herzen gefressen hatten, griff etwas wie eine riesige Hand nach meinem Kopf und den Köpfen meiner Mithelden und zog uns durch die Dimensionen. Ich wurde über einer unglaublich seltsamen Welt abgeworfen, lasst euch davon, zum Schluss, erzählen. Hier waren nicht die Tierköpfigen dominant, sondern Menschen. Sie hatten riesige Türme überall gebaut, Städte voll von Türmen und Palästen und einer unübersehbaren Anzahl von Hütten, Städte, die durch Straßen, Schienen und unsichtbare Flug- und Schifffahrtswege verbunden waren. Menschen, die in den unglaublichsten Verkleidungen durch diese Gigantomanie liefen, spazierten oder gingen. (Zuerst war ich höchst erfreut, weil ich dachte, dass es hier mehrere Rassen von Lebewesen gäbe, die gleichberechtigt nebeneinander existieren, so verschieden sahen sie aus.) Ich war so froh, in einer scheinbar friedlichen Welt angekommen zu sein, wo Menschen wie ich frei leben konnten - fast hätte ich der Versuchung nachgegeben, mich dem nächsten lachend in die Arme zu werfen. Gut, dass ich es nicht tat, denn für den, zu dem ich geworden war, war kein Platz unter ihnen. Durch meine Erfahrungen vorsichtig geworden, mied ich die lauten Straßen und belebten Plätze und suchte die Natur. Wie ein wildes Tier, das sich verstecken will, dachte ich noch.

Und wie erstaunt war ich, als mein Gedanke durch den Anblick meines Spiegelbildes prophetischen Charakter bekam. Im Spiegelbild war - natürlich ich, aber: Ich hatte das Gesicht von einem Löwen. Schrecken durchfuhr mich. War das die Wirkung des Herzens, das ich aß? Mir kam ein weiterer, schrecklicher Gedanke und ich durchsuchte meine Taschen. Tatsächlich, dort war ein Portemonnaie, in dem waren mein Ausweis und ein Bild. Auf dem Ausweis stand mein Name - Ollo Tilli - und das Bild zeigte ein Löwenmädchen, das mich an Raeth erinnerte. Verdammt - sollte sich alles wiederholen wie ein schlechtes Theaterstück, das man ein zweites mal sehen muss? Musste ich fremd bleiben, war ich nicht nur ewiger Held, sondern auch ewiger Fremder? Aber diesesmal erinnerst du dich, du hast Vergangenheit, aus der du lernen kannst, sprach ich mir Mut zu, um mich dann aufzumachen und das Löwenmädchen zu suchen. Tief unter der Stadt, in alten, vergessenen U-Bahnschächten fand ich sie, vielleicht fand sie auch mich. Dort streifte ich umher, auf der Suche nach einer geheimen Stadt, in der Menschen und Tierköpfige zusammenleben sollten. Die Zeichen an der Oberfläche hatten sich gehäuft, dass es so etwas geben könnte: Ein alter Lageplan in den Taschen eines gestorbenen Obdachlosen, Schatten, deren Form mich an Tierköpfige erinnerte, Schatten, die ich von weitem sah, wie sie in einen dunklen U-Bahn-Schacht gingen. Endgültig sicher machten mich Graffitis, die wie meine Tatzen waren - ein Löwenköpfiger musste seine Tatze als Schablone benutzt und sein Revier so markiert haben. Je näher ich diesem Tunnel kam, desto häufiger wurden die Zeichen, ich ging hinein, streifte lange durch die Tunnel, Gänge und Schächte ohne jemanden zu finden, bis ich auf Raeth stieß.

Dieses mal wussten wir beide. Es waren keine Worte und kein Versteckspiel nötig. Wir erkannten uns und sie nahm mich mit. Durch die Gänge und Höhlen der unterirdischen Stadt. Mit zu einem Herren der Tore, ein gebeugter kleiner Löwenköpfiger, der mir erzählte, dass er mich durch die Dimensionen gezogen hatte. Dass ich erst die zweite Facette des Heldenprinzips sei und wir noch auf die anderen warten müssten, bevor die Kämpfe losgingen. Ich sagte, dass ich nicht kämpfen wolle und werde, er aber lächelte nur raubtierhaft und antwortete, dass ich meinem Schicksal nicht entkommen könne. Danach weiter mit Raeth durch die Gänge. Zu ihrem Lager, das sie mit mir teilte und auf dem ich am nächsten morgen, vor wenigen Stunden, allein erwachte. Wieder lagen Bücher herum, die Notiz sparte sie sich dieses mal. Es waren Bücher über den Planeten, auf dem ich mich jetzt befinde, über die Erde. Mein Heimatplanet, Jahrtausende nach dem Exodus, Jahrhunderte vor der Virus-Katastrophe und doch war ich wieder so fremd hier, wie vormals auf dem Planeten der Tierköpfigen. Über die internen Informationskanäle der geheimen Stadt erfuhr ich von den sich zuspitzenden Ereignissen, es wird von kleinen Revolten gesprochen, vom Aufbegehren von Tieren, Tierköpfigen und einer kleinen Menschengruppe gegen die unmenschliche Behandlung durch die Menschen. Ich erlebe das Messerschärfen, bekomme mit wie Beschwörungen intoniert, Maschinengewehre geladen und Codes von Atomwaffen geknackt werden. Targos’ traf gestern ein, nun war er ohne Gedächtnis, ein Umstand, der bei unfreiwilligen Dimensionsreisen anscheinend öfter vorkommt. Mir lagen ähnliche Worte auf der Zunge, wie er sie mir sagte.

 

Hallo Kubus,
uff! Wall of text! Meine Augen bluten!
Bitte liefer Absätze nach. So wird das keiner lesen. Ich bin weit genug gekommen, um festzustellen, dass es sich um irgendeine angestrengte Analogie auf nicht vegetarisch lebende Menschen handelt, aber mehr les ich jetzt nicht, das tut mir in den Augen weh.

gruß

 

hey vita! ursprünglich postete ich die geschichte auf einem anderen forum als fortsetzung in zwölf teilen und in einer größeren schrift, da fielen die mängel in der textkonzeption nicht auf. stimmt aber, dass es so abschreckend wirkt, ich werde ein paar optische atempausen einarbeiten und den text dann wieder online stellen. der angestrengte eindruck wird nämlich von dem textblock kommen, die geschichte an sich ist gut!
grüße
kubus

 

heda kurzgeschichtler! jetzt hat die geschichte absätze - macht sich nun jemand die mühe, sie zu lesen? mein dank für kritik wäre gewiss!
liebe grüße
kubus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Kubus,

ich würde in der Geschichte noch mehr Absätze einfügen. Vor allem solltest Du aber unbedingt dort wo Dialoge sind immer eine neue Zeile beginnen, wenn der Sprecher wechselt. Das ist gängige Praxis und liest sich einfach besser.

Die Grundidee (zukünftiger Held ohne Gedächtnis findet die Hintergründe seines Seins heraus und wird wie geplant zum Held) ist zwar nicht wirklich neu, dass dies sich dann aber in verschiedenen Stufen wiederholen soll, gibt der Idee schon einen gewissen Reiz. Es könnte interessant sein zu sehen, wie sich die Geschichte fortsetzt.

Ich denke allerdings nicht, dass viele die Geschichte überhaupt zu Ende lesen werden. Ich muss Dir leider sagen, dass ich mich dazu zwingen musste.

Der Titel an sich ist etwas irritierend und passt meiner Meinung nach nicht zum Text.

"Was erlauben sie sich!", herrschte sie mich an und versuchte sich aus meinem Griff zu befreien.

Hier habe ich mich gefreut. Gleich im ersten Satz geschieht etwas und der Leser ist gespannt darauf zu erfahren was. In den ersten drei Absätzen wirfst Du Fragen auf, die den Leser neugierig machen. Was ist mit der Frau? Warum kann sich der Hauptcharakter nicht erinnern? Was ist mit ihm geschehen? Ich will jetzt mal nicht darauf herumreiten, dass man auch diese drei Absätze noch straffen könnte, um sie spannender zu machen. Den Einstieg in die Geschichte finde ich vergleichsweise gelungen.


Akkurat ausgerichtete, blitzsaubere Bürgersteige, prächtige Jugendstilhäuser und die tierköpfigen Bewohner dieser Stadt waren die ersten Eindrücke meines damals noch leicht zu beeindruckenden, weil bis dahin unbeeindruckten Geistes.

Hier wird der Leser zum ersten Mal ins Stocken geraten, was den Lesefluss natürlich völlig zerstört. Bis hierhin bin ich von einer normalen Welt ausgegangen. Die Frau geht zum Shopping. Alles passend zu einer schönen kleinen Stadt. Dann kommen die tierköpfigen Bewohner. Das kommt so schnell und unerwartet, dass es der Leser leicht übersehen kann. Hier könntest Du einen Einschub machen, dass die Stadt nur auf den ersten Blick (Akurat ausgerichtete, blitzsaubere Bürgersteige, prächtige Jugendstilhäuser) normal erscheint und dann darauf eingehen, dass aber die Bewohner nicht normal Sinn. Das Ganze müsste natürlich zur Geschichte passen, aber irgendsowas in der Art fände ich sinnvoll.

Auf den weiteren 10 Seiten passiert jetzt leider nicht viel. Wir hatten die Handlungsdiskussion ja bereits an anderer Stelle. Ich will da nicht weiter drauf rumreiten, aber ich sehe es schon so, dass in der Geschichte zu wenig passiert und zu viel beschrieben wird. Das wusstest Du aber wahrscheinlich schon, bevor Du meinen Kommentar gelesen hast.

Die Ortsbeschreibungen sind sehr detaliert. Du gibst Dir viel Mühe mir diesen Formulierungen, die alleine betrachtet sicher sehr schön zu lesen sind, einem längerem text aber das Tempo nehmen.

Der Leser weiß lange nicht wo sich das Ganze abspielt. In welchem Rahmen spielt die Geschichte? Welche Zeit? Wie sind die Machtverhältnisse? Der Leser erfährt, dass die Menschen in verschiedenen Hierarchien leben und von tierköpfigen Wesen beherrscht werden. Wer diese Wesen sind und was sie wollen erfährt der Leser nicht. Später kommt das zwar im Ansatz noch, aber das finde ich zu spät. Im 1. Drittel der Geschichte sollte sich der Konflikt noch stärker aufbauen, der ja später zum Kampf führt. Das wäre wesentlich spannender zu lesen als Ortsbeschreibungen. Ich finde auch, dass die Charaktere sehr oberflächlich bleiben und viel mehr Tiefe habe sollten. Gerade bei der Länge des Textes.

Phasenweise wird nicht ganz deutlich, was der Held erlebt und was er nur liest. Die Handlung ist sehr sprunghaft und teilweise abgehackt.

Als ich sie heute erblickte, wusste ich, dass sie die gesuchte war und verfolgte sie, bis sich der Tag neigte und ich sie in dieser dunklen Gasse stellte.

Heute finde ich hier etwas unpassend. Später kommt eine Passage an der die Handlung einen Sprung von mehreren Jahren macht.


. Was das alles zu bedeuten hatte, diese Frage tauchte am Rande meines Bewusstseins auf, verschwand allerdings sogleich, als mein Bewacher - von einem Pfeil getroffen - schlagartig und mächtig wie ein gefällter Baum zu Boden fiel und mich hinter sich her zog.

Ich verstehe den Sin dieser Aussage nicht. Natürlich fragt er sich, was das alles zu bedeuten hat. Warum aber verschwindet die Frage wenn sein Bewacher vom Feind getroffen wird?

Du hast einige dieser längeren Sätze im Text. Auch hier gerät der Leser ins Stocken. Liest den Satz vielleicht ein zweites Mal und kommt so raus. Die Spannung – wenn sie denn da war – verschwindet.

Vorbei an stöhnenden Verwundeten, leblos daliegenden und an den Körpern derjenigen, die von dem riesigen Hobel zerteilt worden waren und deren Rümpfe, Unterleiber oder Beine stehen geblieben waren, als wären sie in Wachs gegossen.

Ein weiteres gutes Beispiel für ein Satzmonster:D

Höhnische Zungen werden behaupten, dass mir schlicht die Worte fehlten, den Kampf zu beschreiben, aber Wahrheit ist, dass die Tatsachen nicht mehr beschreibbar waren, und Tatsache ist auch, dass die äußeren Kämpfe in dieser Geschichte nur Beiwerk sind.

Interessant. Du entschuldigst Dich beim Leser mit einer Ausrede dafür, dass Du den Kampf nicht näher beschrieben hast. Ich fände es schön, gerade diese Szenen miterleben zu dürfen.

Der Feind war zu vier Leibern geworden, die tot dalagen. Systematisch schnitten wir den Toten ihre Brustkörbe auf, rissen das noch pulsierende Herz heraus und aßen es.

Es mag kleinlich sein, aber Herzen von Toten pulsieren nicht mehr

Insgesamt bin ich der Meinung, dass Du sehr viel mehr aus der Story hättest herausholen können. Die Idee finde ich grundsätzlich gut. Die Umsetzung hat aber doch zu viele Schwächen, die dem Leser die Freude an der Story nehmen werden. Du erzählst eigentlich nur. Nie zeigst Du dem Leser die einzelnen Szenen. Du ziehst ihn nicht in die Geschichte hinein. Es entsteht keine Spannung, weil viele hochtrabende Formulierungen den Lesefluss stören.

Viele Grüße
Jörg

 

he jörg, sorry. habe gar nicht mitbekommen, dass du schon längst geantwortet hast, bitte nicht sauer sein. der tipp mit den dialogen klingt gut, den werde ich bei der nächsten längeren story beherzigen. die idee ist an moorcocks ewigen helden angelehnt, variationen gibt es wahrscheinlich bereits zuhauf. einen irritierenden titel finde ich gar nicht so verkehrt, weil der leser so aufmerksam wird. so, dass du dich zum weiterlesen zwingen musstest, tut natürlich weh, umsomehr freut mich dein durchhaltevermögen. ;)
die oberflächlichlichkeit der charaktere ist gewollt, denn es soll eine handlungsorientierte geschichte sein, dass hier auch schon wieder zuviel beschrieben worden sein soll, irritiert jetzt mich.

mit dem spannungsbogen rennst du bei mir offene tore ein, der funktioniert überhaupt nicht, ich weiß. da habe ich keine tolle ausrede, kann nur sagen, dass ich es beim nächsten mal besser machen will.

Als ich sie heute erblickte, wusste ich, dass sie die gesuchte war und verfolgte sie, bis sich der Tag neigte und ich sie in dieser dunklen Gasse stellte.

Heute finde ich hier etwas unpassend. Später kommt eine Passage an der die Handlung einen Sprung von mehreren Jahren macht.


heute kann glaube ich ersatzlos gestrichen werden, aber die handlung macht nie so einen sprung. wenn du das so gelesen hast, kommts auf die liste, aber es ist das erste mal, dass jemand solch einen zeitsprung las.

. Was das alles zu bedeuten hatte, diese Frage tauchte am Rande meines Bewusstseins auf, verschwand allerdings sogleich, als mein Bewacher - von einem Pfeil getroffen - schlagartig und mächtig wie ein gefällter Baum zu Boden fiel und mich hinter sich her zog.

Ich verstehe den Sin dieser Aussage nicht. Natürlich fragt er sich, was das alles zu bedeuten hat. Warum aber verschwindet die Frage wenn sein Bewacher vom Feind getroffen wird?


naja, herabfallende äste zum beispiel unterbrechen eben solche betrachtungen... das zu verstehen, muss ich dem leser zutrauen

das mit den satzmonstern stimmt wohl, sim meinte auch mal, dass ich dazu neige, zuviele worte zu machen die unnötig sind zuviele worte zu machen die unnötig sind... mag was dran sein, ich versuche wirklich zu verknappen.

ich hatte einfach keinen bock, diesen kampf zu beschreiben. die ganze geschichte lief darauf zu, deswegen konnte ich ihn nicht auslassen, also trickste ich. hm, naja, tralala

dein letzter komm ist wirklich kleinlich, ich stimme dir zu. ;)

aber wieso zeige ich keine szenen? ein ich-erzähler berichtet, daher das erzählende. nie und nicht sind natürlich fiese schwestern in diesem kontext. vielleicht liegts an unseren verschiedenen auffassungen von geschichten, dass es bei dir gar nicht zündete. nichtsdestotrotz danke ich für die inaugenscheinnahme :) und werde bei der nächsten story sicher an einige punkte denken. merci sagt

ein dankender

kubus

 

Hi Kubus,

aber wieso zeige ich keine szenen? ein ich-erzähler berichtet, daher das erzählende.

Nehmen wir mal ein Beispiel

Durch die Vereinigung strömten unsere Erinnerungen und Gefühle zusammen, wodurch ich Einblick in die Vergangenheit der anderen bekam. Da war die Welt der roten Himmel, die Targos' Welt war. Da war eine Landschaft voll seltsamer Pflanzen, die in dschungelähnlichen Dickichten die Oberfläche überwucherten - das war die Welt des Würfelspielers. Ich sah den Würfelspieler in das sonnendurchflutete Grün eintauchen, bewaffnet mit Speer und Rundschild, auf der Jagd nach den stolzen, grausamen Raubkatzen seiner Heimat. Auch Targos‘ Erinnerungen waren kriegerischer Natur - er ritt auf blau geschuppten, pferdeartigen Kreaturen in die endlosen Kriege gegen andere Nomadenstämme unter den roten Himmeln seiner Welt. Raeth tauchte in jeder Impression auf, sie lag bei den beiden Kriegern wie sie bei mir gelegen hatte. Die Szenen ähnelten meiner Vergangenheit mit ihr: lange Spaziergänge, leidenschaftliche Nächte und das Versprechen, dass wir uns wiedersehen würden. Sie war der Knotenpunkt, die Verbindung zwischen den anderen und mir. Ohne sie wären wir an diesem Tag nicht dort gewesen.

Für Deinen Prot ist das ein ganz entscheidendes Erlebnis, über das Du aber locker "hinwegerzählst", als lese er die Tageszeitung. Gerade hier hättest Du aber die Möglichkeit viel mehr Spannung und auch Tiefe zu erzeugen. Hier muss der Leser an den Buchstaben kleben und mit dem Helden mitfiebern.

Was fühlt Dein Prot? Ist er nicht völlig überwältig von den vielen neuen Erinnerungen, die plötzlich auf ihn einströmen?

die oberflächlichlichkeit der charaktere ist gewollt, denn es soll eine handlungsorientierte geschichte sein, dass hier auch schon wieder zuviel beschrieben worden sein soll, irritiert jetzt mich.

Deine Geschichte ist ja jetzt schon sehr lang und geht schon mehr in Richtung Novelle. Wenn die Charaktere zu oberflächlich sind, wird sich der Leser nicht in sie hineinversetzen, nicht mit ihenen mitfiebern. Letztlich ist es dem Leser dann egal, was aus ihnen wird.

Klar Handlung ist das Kernelement jeder Geschichte. Es sollte immer was passieren, damit sich der Leser zwischendrin nicht langweilt. Gerade bei lngeren Geschichten gibt es natürlich eine bestimmte Menge an Infos, die der Leser einfach braucht. Die jetzt so in die Handlung zu integireren, dass es spannend bleibt ist die Aufgabe des Autors

dein letzter komm ist wirklich kleinlich, ich stimme dir zu

Jo. So bin ich halt :lol:

Ich bin dann mal auf die nächste Geschichte gespannt. ;)

Grüße
Jörg

 

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