- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 11
Isabel
Isabel ( überarbeitete Fassung weiter hinten)
Segovia, im Jahre des Herrn 1474
Ich weiß, dass mein Ende nah ist, denn ich spüre schon seit geraumer Zeit, wie der kalte Atemhauch des Todes über meinen Körper streicht. Bald werde ich für immer die Augen schließen und mein geliebtes Kastilien verlassen, um vor das Angesicht des Schöpfers zu treten. Nur diesen einen Tag will ich noch erleben, den Tag, der für Isabel so vieles verändern wird. Ich weiß, dass er nicht mehr fern ist.
Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, so bereue ich nichts. Alles verlief ruhig, ohne nennenswerte Ereignisse, bis zu jener Zeit vor dreiundzwanzig Jahren, als mich das Schicksal am Hof von König Juan II von Kastilien mit Isabel zusammenführte. Nachdem ich Witwe geworden war, hatte ich wieder auf dem Anwesen meines Vaters Luis del Rio gelebt, welcher gute Beziehungen zum Hof unterhielt. Auf diese Weise war der König auf mich aufmerksam geworden und hatte mich zur Erzieherin des Kindes auserkoren, welches seine zweite Frau, Isabel von Portugal erwartete.
Ich erinnere mich noch genau an das Gefühl, als ich Isabel in Madrigal de las Altas Torres zum ersten Mal in den Armen hielt. Ein kleines Bündel Mensch, dessen kräftiges Geschrei schon damals die enorme Willenskraft erahnen ließ, welche Isabel in ihrem zukünftigen Leben niemals verlassen sollte, und die ihr stets von großem Nutzen sein würde.
Es war keine leichte Geburt für ihre Mutter gewesen. Fast drei Tage hatte diese in den Wehen gelegen, und schließlich am zweiundzwanzigsten April im Jahre des Herrn 1451 mit letzter Kraft die Frucht aus ihrem Leib gepresst.
Etliche Zuschauer waren bei der Geburt zugegen gewesen. Ich sehe es noch genau vor mir, die Königin mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Gebärstuhl, rechts und links von ihren Hofdamen gestützt, davor die Hebammen, sowie zwei Bürger und drei Notare aus Madrigal. Letztere hatten, wie es der Brauch bei königlichen Geburten erforderte, zu bezeugen, dass das Kind auch wirklich aus dem Schoß der Gebärenden gekommen war und nicht etwa im Falle einer Todgeburt durch ein fremdes ausgetauscht wurde. Selbst unter die Röcke der Hebammen hatten die Herren Notare geschaut, um sicher zu stellen, dass diese dort nicht ein anderes Kindlein verbargen.
Ich hatte währenddessen an der Seite gestanden, jederzeit bereit, das Neugeborene in Empfang zu nehmen. Die Königin tat mir von Herzen Leid. Obgleich ihrer gesellschaftlichen Stellung, hatte sie die Geburt wie jede andere Frau zu durchleben und musste zusätzlich zu den Qualen des Wehenschmerzes auch noch die Scham ertragen, ihre intimsten Körperteile fremden Männerblicken zu offenbaren. Die Notare kamen jedoch nur ihrer Pflicht nach, den Hergang der Geburt genau zu protokollieren und den Bericht sofort nach Beendigung dem König zu überbringen.
Die ersten Jahre in Isabels jungem Leben verliefen recht freudlos. Nach dem Tod ihres Vaters bestieg Isabels Halbbruder Enrique IV den kastilischen Thron und so gingen wir zusammen mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder Alfonso nach Arévalo. Dort lebten wir sehr zurückgezogen in einem düsteren Schloss. Isabels Mutter wurde immer schwermütiger und zeigte bald darauf erste Anzeichen einer Geisteskrankheit, die bereits in vorherigen Familienzweigen vorgekommen war.
Ich war mehr als froh, als König Enrique seine Halbgeschwister an den königlichen Hof nach Segovia holte.
Zu diesem Zeitpunkt war Isabel dreizehn Jahre alt gewesen, ein molliges junges Mädchen mit hellem Teint, blaugrünen Augen und blondem langem Haar. Schon damals zeigte sich, dass sie über einen klaren Geist, ein ausgeprägtes sittliches Gefühl und einen festen Willen verfügte – Eigenschaften, die ihr in dem beginnenden Kampf um die Thronfolge zu Gute kamen.
Isabels jüngerer Bruder Alfonso war unverhofft gestorben und so war Isabel die nächste Anwärterin auf den kastilischen Thron.
Meine Isabel – Königin von Kastilien – was für ein Gedanke!
Allerdings gab es noch eine Widersacherin. Juana, die Tochter Enriques aus seiner zweiten Ehe beanspruchte ebenfalls den Titel der Erbprinzessin von Kastilien.
Dabei war sie nichts anderes als ein illegitimer Bastard. Jedermann wusste doch, dass Enrique impotent war und eher dem anderen Geschlecht zusprach. Juana war die Tochter des Grafen Beltrán de la Cueva, des bevorzugten Bettgesellen der Königin. Der König wollte davon natürlich nichts wissen, er setzte alles daran, um seiner Tochter die Thronfolge zu sichern. Doch Isabel hatte ihrerseits viele Fürsprecher unter den Adeligen, unter anderem den Erzbischof von Toledo, Don Alfonso Carrillo, und so musste der König sie schließlich als seine Nachfolgerin anerkennen.
Bald darauf standen die ersten Heiratskandidaten vor der Tür. Der König von Portugal, der Herzog von Berry, ein französischer Kandidat und schließlich Fernando, der Thronfolger aus unserem Nachbarland Aragon, für den sich Isabel schließlich entschied. Ich erinnere mich noch genau, unter welch seltsamen Umständen der Prinz nach Kastilien gelangte, da Isabels Widersacher dessen Ankunft verhindern wollten. Palencia, einer der Berater der Prinzessin hatte alles bestens organisiert.
„Ich soll mich als Maultiertreiber verkleiden?“, entrüstete sich Prinz Fernando von Aragon. „Das kann doch nicht Euer Ernst sein.“ Ärgerlich blickte er auf Palencia, den Boten seiner zukünftigen Braut, der ihn in Zaragoza aufgesucht hatte.
„Euer Gnaden, dies ist die sicherste Möglichkeit, Euch wohlbehalten nach Kastilien zu bringen. Wie ich Euch bereits erklärt habe, müssen wir zum einen die Mendozas und zum anderen ein paar von Euren aragonesischen Granden fürchten, welche die Hochzeit Eurer Hoheit mit Prinzessin Isabel verhindern wollen. In dieser Verkleidung würdet ihr keinerlei Aufsehen erregen.“
Fernando bedachte Palencia mit einem stechenden Blick aus seinen dunklen Augen. Sein knabenhaftes Antlitz wollte nicht so recht zu dem hochgewachsenen, kräftigen Körperbau passen und sein braunes, glattes Haar ließ bereits trotz seines jugendlichen Alters von siebzehn Jahren, lichte Stellen über der Stirn erkennen. Sein üppiger Mund mit der etwas wulstigen Unterlippe zog sich zu einem spöttischen Lächeln nach oben. „Nun gut, Palencia, dann werde ich also Euer kleines Theaterstück mitspielen. Erklärt mir, wie wir vorgehen werden.“ Zufrieden lächelnd betrachtete Palencia Isabels zukünftigen Gemahl. Fernando schien eine starke Persönlichkeit zu sein, und hinter seiner hohen Denkerstirn vermutete Palencia einen klaren Verstand. Geduldig begann er, dem Prinzen seinen Plan zu erläutern.
Am dritten Oktober verließ Fernando in militärischem Aufzug, offiziell mit einer Gruppe von Soldaten, Zaragoza in Richtung Osten. Es sollte den Anschein erwecken, als ob er auf dem Weg nach Katalonien sei, um dort seinem Vater bei dem Niederschlag eines Aufstandes beizustehen. Zur gleichen Zeit brach eine prunkvoll ausgestattete Reisegruppe gen Süden auf, welche sich angeblich in Andalusien mit König Enrique treffen wollte. In Wirklichkeit würde der Tross aber kurz nach der kastilischen Grenze auf den verkleideten Prinzen stoßen, um diesem einen angemessenen Rahmen zu geben, wenn er zum ersten Mal seine junge Braut sehen würde.
Sobald sich der Prinz außerhalb der aragonesischen Hauptstadt befand, legte er im sicheren Schutz eines Waldstückes die ärmliche Kleidung eines Maultiertreibers an. Bis auf sechs zuverlässige Männer, unter ihnen Palencia, die sich ihrerseits als Kaufleute verkleideten, ritt die restliche Soldatentruppe wieder zurück nach Zaragoza.
Fernando spielte seine Rolle vorzüglich. Wann immer die Männer in Herbergen einkehrten, bediente er seine Mitreisenden bei Tisch und versorgte die Maultiere. Es schien dem jungen Prinzen sogar Spaß zu bereiten, einmal in diese, seinem bisherigen Leben so völlig unähnliche Rolle, zu schlüpfen.
Vier Tage nach ihrer Abreise aus Valladolid betrat die Gruppe zum ersten Mal kastilischen Boden. Die Grenzüberschreitung war ihnen gefahrlos gelungen, ohne dass sie einem der angekündigten Störenfriede begegnet waren. Sie ritten auf einen kleinen Marktflecken namens Burgo de Osma zu, deren Einwohner mit Isabel sympathisierten und unter äußerster Geheimhaltungsstufe auf die Ankunft des hohen Besuches vorbereitet worden waren. Am Vortag war bereits die Gesandtschaft eingetroffen, die offiziell auf dem Weg nach Andalusien sein sollte. Außerdem hatte Carillo dreihundert Lanzen nach Burgo de Osma geschickt, die den zukünftigen Gemahl der Thronerbin Kastiliens auf dem letzten Stück seines Weges zu derselbigen begleiten sollten.
Die Sonne war bereits seit ein paar Stunden hinter dem sich am Horizont auftürmenden Bergrücken verschwunden und die Tore der Stadt verriegelt, als sich die kleine Reisegruppe mit dem Prinzen der Stadtmauer näherte. Da sie auf Grund der immer größer werdenden Ungeduld Fernandos, in der letzten Nacht nicht eingekehrt, sondern in einem fort geritten waren, erreichten sie den Marktflecken früher als geplant.
„Endlich“, rief Fernando, der sich mittlerweile danach sehnte, die verschlissene Kleidung des Maultiertreibers wieder gegen seine eigenen feinen Prinzengewänder einzutauschen.
„Kommt, Don Alonso“, forderte er Palencia auf, „lasst uns den Torwächter bitten, uns einzulassen.“ Übermütig sprang der Prinz von seinem Maultier und lief auf die Mauer zu.
„He, Ihr da oben, öffnet das Tor!“, rief er. Der Wächter beugte sich über die Mauer und erblickte im schwachen Schein des Mondes eine Gestalt in zerlumpter Kleidung und ein paar sich nähernde Schatten.
„Verschwindet, oder ihr könnt etwas erleben“, brüllte der Torwächter zurück, und um seine Worte noch zu bekräftigen, warf er mit Steinen nach den Eindringlingen. Palencia gelang es gerade noch rechtzeitig, den Prinzen zu Boden zu reißen und somit zu verhindern, dass dieser an der Schläfe getroffen worden wäre.
„Seid Ihr des Wahnsinns, Mann?“, schrie Palencia den Werfer an. „Das ist Prinz Fernando von Aragon, der Bräutigam der Prinzessin Isabel. Wir sind einen Tag früher als erwartet eingetroffen. Lasst uns sofort eintreten!“
Nach einer halben Ewigkeit, wie es schien, ertönten Trompeten und Fanfarenstöße, und das Stadttor öffnete sich. In aller Schnelle hatte man sich bemüht, dem Prinzen doch noch einen angemessenen Empfang zu bereiten. Nachdem sich die Männer die Nacht über ausgeruht hatten, zogen sie am nächsten Morgen, nun mit der stattlichen Eskorte, die einem Prinzen von Aragon und König von Sizilien geziemte, weiter in Richtung Valladolid. Dreißig Kilometer vor der Stadt, in Dueñas, wurde der Tross von Pedro de Acuña, einem treuen Anhänger Isabels, empfangen.
Am vierzehnten Oktober im Jahre des Herrn 1469 war es endlich soweit: Die Ankunft Fernandos in Valladolid war für den Abend angekündigt worden. Die Prinzessin war sichtlich nervös, als sie in dem intimen Salon in Viveros Herrenhaus auf ihren Bräutigam wartete. Sie hatte mit Bedacht ein schlicht geschnittenes, aber von edlem Material gefertigtes Kleid gewählt, damit nichts das Augenmerk von den funkelnden Rubinen und glänzenden Perlen ihres Verlobungsgeschenks ablenkte, welches ihren weißen Hals schmückte. An den Wänden befestigte Kienspäne gaben dem Raum durch ihre Beleuchtung eine angenehme Atmosphäre. Die glühenden Kohlen der braseros verströmten behagliche Wärme.
Isabel hatte auf einem mit rotem Brokatstoff überzogenem Kanapee Platz genommen. Hinter ihr standen Gutierre de Cardenas, Juan de Viver, in dessen Haus wir uns damals aufhielten und meine Wenigkeit. Zu ihrer Rechten saßen Viveros Gemahlin und dessen älteste Tochter. Auf einem kleinen, mit Holzintarsien verzierten Tischchen waren ein Krug mit Wein und ein paar Leckereien zur Stärkung der Gäste platziert. Der Erzbischof, der dazu ausersehen war, den Prinzen vor dem Haus in Empfang zu nehmen, hatte sich bereits nach unten begeben.
„Don Gutierre“, flüsterte Isabel dem hinter ihr Stehenden zu.
„Sobald die Gruppe mit dem Prinzen den Raum betritt, müsst Ihr mir sagen, welcher mein Bräutigam ist. Ihr habt ihn ja bereits persönlich gesehen.“
„Natürlich, Eure Hoheit. Ihr könnt Euch auf mich verlassen.“
Und dann, kurz vor Mitternacht, führte Carrillo den Prinzen und drei weitere Männer in den Salon.
„Ése es, ése es! Der da ist es!“, rief Cardenas. Er zeigte auf den Prinzen und vergaß vor lauter Aufregung seine Stimme zu dämpfen. Isabel rettete die peinliche Situation, indem sie die Hand vor den Mund schlug und zu lachen begann. Wir anderen Anwesenden schauten uns unsicher an, doch schon bald fielen wir in das Gelächter ein. Dank dieses heiteren Zwischenspiels war die Angespanntheit der ersten Minuten verflogen. Die Prinzessin erhob sich und ging auf ihren zukünftigen Gemahl zu. Dieser nahm ihre Hände und küsste sie auf die Wangen. Neugierig betrachtete Isabel den Prinzen. Was sie sah, gefiel ihr, und auch Fernando schien von seiner jungen Braut, die gleichzeitig seine Cousine dritten Grades war, angenehm überrascht zu sein. Zufrieden nahm er zur Kenntnis, dass sie sein Verlobungsgeschenk trug, die Kette seiner Mutter, Königin Joana. Es war nicht einfach gewesen, Isabel dieses Geschenk zukommen zu lassen, da das Geschmeide bereits bei valenzianischen Pfandleihern verpfändet gewesen war, und Fernandos Vater es nur unter größten Schwierigkeiten wieder hatte auslösen können.
Der Prinz trug einen mit Otternfellen gefütterten Samtumhang, den er nun ablegte. Darunter kam ein dunkelblaues Brokatwams zum Vorschein, welches mit kostbaren Stickereien verziert war. Eine schwere Goldkette mit dem aragonesischen Wappen ruhte auf Fernandos Brust, sein dunkles Haupthaar schmückte die Königskrone von Sizilien.
So verlief also jene erste Begegnung der beiden jungen Thronfolger, die es allen Widersachern zum Trotz schafften, sich zu vermählen; am achtzehnten Oktober des gleichen Jahres wurden sie von Erzbischof Carrillo getraut.
Und nun ist geschehen, worauf wir schon lange gewartet haben, König Enrique, Isabels Halbbruder, hat für immer die Augen geschlossen, und meine Isabel wird Königin von Kastilien werden. Ich habe sie genau vor Augen, wie sie auf ihrem kostbar geschmückten Schimmel durch Segovia reitet, um die Krone und das Zepter Kastiliens zu empfangen, das rotblonde Haar wie ein Schleier über ihren Rücken wallend, in ihrem, mit goldenen Löwen und Türmen bestickten weißen Brokatkleid unter dem mit Hermelin verbrämten Pelzumhang. Ich sehe den Ausdruck auf ihrem Gesicht, der Stärke und Entschlossenheit widerspiegelt, Entschlossenheit, alles für ihr Land zu geben, für unser Kastilien, welches nun mit Aragon vereint ist.
Nun kann ich beruhigt sein und vor das Angesicht meines Schöpfers treten. Ich weiß, dass Isabel ihren Weg gehen wird, und dass für Kastilien neue Zeiten anbrechen werden, bessere Zeiten...