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Jessicas Glück

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05.05.2015
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Jessicas Glück

Ich war schon immer dick.
Meine Mutter liebte es ein Foto von mir herumzuzeigen, auf dem ich aussah wie ein Rubensengel, nur noch ein bisschen dicker. Viereinhalb Kilo, sagte sie dann in einem Ton, der Respekt forderte für die Frau, die eine solche Gebärleistung vollbracht hatte. Viereinhalb Kilo hat das Kind gewogen. Jedenfalls hatte es von Anfang an etwas zuzusetzen, sagte mein Vater dann, und lachte gutmütig. Meine Tante Adelheid, selbst auch nicht die Schlankste, kniff mir in die Wange und sagte: Sie ist nun mal ein süßes Pummelchen, unsere Kleine.
Aber nicht nur ich war dick. Wir waren eine dicke Familie. Das kommt von der sitzenden Tätigkeit, pflegte mein Vater als Begründung anzuführen. Er war LKW-Fahrer bei einer kleinen Spedition, die ihn jeden Morgen auf die gleiche Tour schickte, so dass er am Abend pünktlich zum gemeinsamen Abendessen wieder zu Hause war. Das hatte er sich nach fünfzehn Jahren von seinem Chef ausgebeten, der Familie wegen. Das Abendessen mit uns sei ihm heilig, sagte er. Es gäbe nichts Schöneres als gemeinsam mit seinen Liebsten am Tisch zu sitzen und zu essen.
Meine Mutter hatte auch eine sitzende Tätigkeit. Sie war Kassiererin im Supermarkt und kam den ganzen Tag kaum dazu, ein paar Schritte zu tun. Ihre Arbeit im Supermarkt hatte den Vorteil, dass sie immer bestens informiert war über sämtliche Sonderangebote, sodass wir zu Hause stets einen reichlichen Vorrat an Lebensmitteln hatten. Außerdem war sie eine hervorragende Köchin. Keiner konnte die dicken braunen Bratensaucen so zubereiten wie sie und ihre Schwarzwälder Kirschtorte war legendär. Esst noch, pflegte sie zu sagen, morgen soll es doch schönes Wetter werden. Dazu mussten alle Teller und Schüsseln leer sein, wie man sagt. Kein Wunder, dass wir alle dick waren.
Die sitzende Tätigkeit meines Bruders bestand darin, vor dem Computer zu sitzen. Er war vierzehn und brütete jeden Tag neue Pickel aus, die durch seinen enormen Konsum von Schokoriegeln und Kartoffelchips besonders gut gediehen. Seit kurzem schloss er sich in seinem Zimmer ein und sein Computer hatte ein neues Passwort. Ich vermutete, dass er die Pornoseiten im Internet entdeckt hatte.
Ich selbst liebte das gute Gefühl, völlig ausgefüllt zu sein. Es stellte sich ein, wenn wirklich nichts mehr hineinging in den Magen, nicht mal das kleinste Stückchen Schokolade.
Dieses Gefühl war mit einer gewissen Gleichgültigkeit verbunden, einer Gleichgültigkeit der Welt im Allgemeinen und meiner Welt außerhalb der Familie im Besonderen. Denn alles, was man so hört oder liest über das Schicksal dicker Kinder in ihrem sogenannten sozialen Umfeld, das heißt in meinem Fall Schule und Bekanntenkreis, trifft zu.
Angefangen mit dem schadenfrohen Gelächter der Mitschüler, wenn ich auch beim fünften Versuch, über den Bock zu springen, schmerzhaft mit dem Bauch gegen das Holz klatschte oder wenn ich trotz aller Anstrengungen schon beim ersten Liegestütz scheiterte, bis hin zu den Papierkügelchen mit den Worten 'Bist du nicht bald schlachtreif, du fette Sau?' Jede nur denkbare Gemeinheit habe ich in meiner Schulzeit erlebt. Mit der Zeit machte es mir nicht mehr so viel aus, und weil ich alles gelassen hinnahm, verloren die anderen irgendwann die Lust daran, mich zu mobben.
Einen gewissen Respekt erwarb ich mir dadurch, dass ich eine recht gute Schülerin war. Natürlich nicht zu gut, dafür wusste ich zu sorgen, denn das hätte dem Stigma der Dicken noch das der Streberin hinzugefügt, und das wäre absolut tödlich gewesen. Nein, aber doch so gut, dass man sich nicht zu schade war, von mir abzuschreiben, oder die Hausaufgaben von mir machen zu lassen.
Es gab eine Zeit, da hätte ich gerne eine richtige Freundin gehabt, eine Freundin, mit der man Kissenschlachten machte, die einem zeigte, wie man sich richtig schminkt oder mit der man sich ausmalte, wie es sein würde, wenn man zum ersten Mal mit einem Jungen Sex hatte. Aber keines der schlanken Mädchen in meiner Klasse wollte etwas zu tun haben mit mir.

Doch dann kam Felix. Felix war der Auszubildende des Bäckers, der die Backstube im Supermarkt meiner Mutter betrieb. Ich verdiente mir in den Sommerferien etwas Geld dort, indem ich die Regale aus- oder einräumte und allerlei Hilfsdienste verrichtete.
„Hallo“, sagte er und lächelte mir fröhlich zu. Ich blieb wie erstarrt stehen, unfähig mich zu rühren. Er sah aus wie ein junger Gott in seiner gestreiften Bäckerschürze und mit der kleinen weißen Haube auf den blonden Haaren. Michelangelos David war nichts dagegen. Augenblicklich wurde ich mir meiner Figur in dem rosafarbenen Supermarktkittel bewusst. Ich sah darin sicher aus wie ein dickes rundes Glücksschwein! Meine Ohren brannten, ich wusste nicht, wohin ich schauen sollte, meine Füße waren wie angenagelt und die Palette H-Milch, die ich auf den Armen trug, wurde plötzlich tonnenschwer. Die Welt um mich herum schien stillzustehen.
„Hallo“, brachte ich schließlich heraus. Meine Stimme muss geklungen haben wie das Piepsen einer minderbemittelten Maus.
„ Ich bin der Felix“, sagte er mit einer Unbefangenheit, die mich umhaute. „Arbeitest du hier?“
„Nur in den Ferien.“ Hoffentlich konnte er nicht hören, wie mein Herz hämmerte.
„Okay. Dann sehen wir uns sicher öfter jetzt. Ich bringe jeden Morgen die Sachen hierher.“
Er winkte mir abschießend zu und verschwand mit seinen leeren Brotkörben. In der folgenden Nacht hatte ich einen wilden erotischen Traum. Runde, knusprige Brötchen kamen darin vor, pausbackige Engel und Michelangelos David, der eine gestreifte Bäckerschürze trug.
Mit kalten Händen und klopfendem Herzen wartete ich am nächsten Morgen auf Felix, und als er mit einem großen Korb herrlich duftender backfrischer Brotlaibe auftauchte, stand ich schon da in meinem rosa Kittel.
„Ich heiße Jessica“, wagte ich zu sagen, und er antwortete: „Schöner Name, Jessica.“
Dann lud er mich zu einem Kinobesuch ein. Den ganzen Tag lief ich mit einem grenzdebilen Lächeln durch die Gegend, so dass meine Mutter fragte, was denn mit mir los sei. „Ich habe eine Verabredung heute Abend. Ins Kino!“
„Das freut mich, Jessica. Es wird ja auch Zeit, dass du mal ausgehst.“ Ich gab meiner Mutter einen Kuss auf ihre runde Wange. Die Welt war plötzlich rosa geworden, so rosa wie mein Supermarktkittel.
Wir sahen Avartar in 3D. Aber ich habe nicht viel in Erinnerung behalten von dem Film. Anschließend gingen wir in die Imbissstube gleich neben dem Kino, und Felix bestellte uns Pommes Frites und Bratwürste. Er hat die Hälfte von meiner Portion gegessen, ich hatte gar keinen richtigen Appetit. Er sagte, ich hätte ein hübsches rundes Gesicht und ein paar Kilos zu viel machten ihm nichts aus. Ich wusste, für diese Worte würde ich ihn immer lieben.
Ein paar Verabredungen später gingen wir zusammen ins Bett. Ich hatte ihn mit in mein Zimmer genommen, weil er sein Zimmer zu Hause mit seinem Bruder teilen musste. Er tat ganz schön weh beim ersten Mal, und das Laken war voller Blut. Aber er sagte, es sei schön gewesen, und er sei glücklich mit mir. Ich liebte seinen straffen, schlanken Körper, die schmale Taille und die kräftigen Muskeln unter der glatten Haut.
Er spielte Fußball, und jeden Samstag stand ich am Rand des Fußballfeldes und feuerte seine Mannschaft an. Anschließend wartete ich auf ihn, bis er mit noch nassem Haar vom Duschen kam, die große Sporttasche lässig über der Schulter. Wir gingen dann zu mir nach Hause und liebten uns. Anschließend lagen wir eng nebeneinander und betrachteten meine Kindermobiles an der Decke. Er stützte sich auf seinen Ellenbogen, sagte, meine Augen erinnerten ihn an Toffeefees, und kringelte eine meiner Haarsträhnen um seinen Finger. Ich fuhr sachte mit dem Zeigefinger über seine Augenbrauen. Noch nie hatte ich so blonde Augenbrauen und Wimpern gesehen. Das Blau seiner Augen verdunkelte sich, wenn er mich ansah. Ich liebte ihn so sehr, dass es wehtat.

„Sehen wir uns heute Abend?“
„Geht leider nicht, hab' Fußballtraining.“
„Dann morgen?“
„Meine Mutter hat Geburtstag, da kann ich nicht weg.“

Ich hätte es wissen müssen. Immer öfter fand Felix irgendwelche Ausreden, und wenn wir zusammen waren, schien er irgendwie abwesend zu sein. Aber ich wollte es nicht wahrhaben. Erst als er mich in der Disko an die Hand nahm und mit sich nach draußen zog, wurde ich misstrauisch. Die Angst verursachte einen lähmendes Gefühl in meinen Beinen.
„Ich muss mit dir reden“.
Mein Herz setzte aus. Nein, dachte ich, nein! Bitte, bitte nicht. Um mich herum wurde es eiskalt.
Ich starrte ihn nur an.
„Es ist so. ...“ Er stockte. Er wagte nicht, mir in die Augen zu sehen.
„Ich habe mich in ein anderes Mädchen verliebt. Es ist einfach passiert. Ich kann nichts dafür!“
Die Welt ging unter. Einen Augenblick befürchtete ich in Ohnmacht zu fallen. Es war, als hätte mich jemand urplötzlich mit eiskaltem Wasser übergossen. Ich fing an zu zittern. Um es zu unterdrücken schlug ich die Arme um meinen Oberkörper. Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen traten.
„Wer ist es?“, brachte ich schließlich heraus. Wieso war es wichtig, das zu wissen, fragte ich mich im selben Augenblick.
„Melanie. Du kennst sie ja auch von der Schule her, hat sie mir erzählt. Wir sind seit zwei Wochen zusammen.“
Natürlich, dachte ich, die schöne, schlanke Melanie. Im Sport immer die Beste. Plötzlich wurde ich wütend. Die Wut stieg in mir auf wie glühende Lava in einem Vulkan. Ich holte aus und schlug Felix in sein schönes David-Gesicht.
„Dann hau doch ab, du Arschloch!“, schrie ich, „geh doch zu deiner dünnen Melanie!“
Ich drehte mich um und lief davon.

Es dauerte einige Wochen, bis ich mich von meinem Liebeskummer erholt hatte. Zuerst war ich richtig krank. Meine besorgte Mutter kam in mein Zimmer und brachte mir mein Lieblingsessen ans Bett. „Du musst doch etwas essen, Schatz“, sagte sie, „Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen.“ Sie hatte recht. Allmählich schmeckte es mir wieder. Ich aß. Mehr als zuvor. Es war das gute Gefühl, das ich von früher kannte.
„Du wirst immer fetter“, sagte mein Bruder eines Morgens am Frühstückstisch, „guck dich bloß mal an.“
„Guck dich doch selber an, du Qualle“, fauchte ich zurück. Aber es stimmte. Ich aß und aß und wurde immer dicker. Aber es machte mir nichts aus. Wen kümmerte es schließlich, wie ich aussah.
Eines Nachts bekam ich Bauchschmerzen. Offensichtlich ist mir irgendetwas nicht bekommen, dachte ich. Aber als die Schmerzen am Morgen noch nicht vorbei waren, sondern im Gegenteil immer schlimmer wurden, sagte meine Mutter, wir müssten sofort ins Krankenhaus.
„Vielleicht ist es eine Blinddarmentzündung und du musst operiert werden.“
Die behandelnde Ärztin, die mich untersuchte, machte ein ungläubiges Gesicht. „Wieso Blinddarmentzündung? Wissen Sie etwa nicht, dass Sie schwanger sind? Das Kind kommt jeden Augenblick zur Welt.“
Ich war fassungslos. Meine Eltern waren fassungslos. Keiner wollte mir glauben, dass ich nichts bemerkt hatte.
„Ihre Periode ist doch sicher ausgeblieben, oder?“, fragte die Ärztin.
„Kann schon sein“, antwortete ich, „aber die war immer schon unregelmäßig.
„Und dass Sie zugenommen haben? Und einen richtigen Bauch bekamen? Ist Ihnen das nicht aufgefallen?“
„Nein“, sagte ich, „ich habe ja auch so viel gegessen.“ Eine heftige Wehe ließ mich aufstöhnen.
„Wie dem auch sei. Jetzt jedenfalls wollen wir erst einmal dafür sorgen, dass das Baby gesund zur Welt kommt.“

Es war ein Mädchen, ein gesundes, wunderschönes kleines Mädchen. Es hatte einen Kopf voll brauner Haare, so wie meine, und blaue Augen. Man sagt zwar, alle Babys haben zuerst blaue Augen, aber ich war sicher, dass die Kleine die blauen Augen von Felix geerbt hatte.
Aber es war mein Kind, meins ganz allein. Es würde mich lieben, so wie ich es jetzt schon liebte. Als die Hebamme mir das Kind zum ersten Mal an die Brust legte und es gierig anfing zu saugen, durchströmte mich ein Gefühl, wie ich es noch nie erlebt hatte. Ich sah auf das winzige Gesicht hinunter, auf die Lippen, die die Brustwarze fest umschlossen, und hörte das regelmäßige Schluckgeräusch. Ich konnte dieses kleine Wesen mit meinem eigenen Körper nähren, konnte es wachsen und gedeihen lassen und zusehen, wie aus dem winzigen Wesen ein richtiger, schöner Mensch wurde. Ich war glücklich.

 

Hallo Konstantina,
schön und flüssig geschrieben, ich habe deine Geschichte sehr gern gelesen.
Eine ganz kleine Anmerkung: Ich finde, dass der letzte Teil, in dem Jessica das Baby bekommt, sehr unabhängig von seiner Vorgeschichte wirkt. Jessica hat da anscheinend ihren Liebeskummer schon gänzlich hinter sich gelassen, Felix taucht nicht einmal mehr in ihren Gedanken auf. Dabei spielt er in der Geschichte eine große Rolle. Ich würde mir da eine Verbindung wünschen.
Viele Grüße
Kersidra

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Konstantina,

dafür, dass du erst zu kurz hier bist, hast du ja schon eine ganze Palette gepostet. Ich erinnere mich, dass ich vor Kurzem angefangen habe, eine andere Geschichte von dir zu lesen und da hatte ich das ähnlich Problem (ich glaube, es war die mit der Frau, die ihren ersten Ehemann ermordet): Du erzählst nach.
Das lässt das ganze schleppend erscheinen und killt die Spannung.
Als jemand, der selbst noch relativ neu ist bzw. vor Kurzem noch "ganz neu" hier war: Lies' lieber erstmal mehr von anderen Mitgliedern - gute und weniger gelungene Gescichten gleichermaßen - inklusive Kommentare anderer und diskutiere auch mit. Das hilft unheimlich. Mir hat das sehr geholfen und außerdem macht es auch Spaß, finde ich.

Zu deiner Geschichte:
Der erste Satz hat mir gefallen. Deshalb hab ich auch weitergelesen.
Zack, du bist in der Geschichte, kannst dir jemanden vorstellen.
Aber dann fängt es an: Du erzählst linear die Geschichte dieses Mädchen und - pardon wenn das zu hart klingt - es ist wie das Nachmittagsprogramm von RTL.

Übergewichtiger Teenager wird gemobbt, verliebt sich, entliebt sich, merkt nicht, dass sie schwanger ist ... ???
Und ganz viel Konfliktpotential lässt du aus:
1) Das Beziehungsende: Hatte Felix doch Progleme mit Jessicas Pfunden, auch wenn er es nicht zugeben wollte? Gab es Druck von außen/Gruppenzwang, wurde er auch von Gleichatrigen etc. gemobbt?
2) Da wird ein junges Mädchen ohne Ausbildung schwanger - ohne überhaupt was zu merken - und das war's dann? Alles gut, alles Friede, Freude, Eierkuchen?
Das Ende war mir definitiv zu platt und hat mich eigentlich schon genervt zurückgelassen.

Auch Jessica finde ich unstimmig: Sie kommt aus einer Arbeiterfamilie par excellence, aber vergleicht ihre Umwelt mit Renaissancekünstlern? Wenn ich das richtig sehe: Ein gebildeter Schöngeist in einem sozialen Milieu, wo das nicht typisch ist. Finde ich zwar positiv, aber wenn, dann hättest du DAS mehr ausbauen sollen. Denn ansonsten ist sie einfach ein dickes Mädchen ohne Freunde. Punkt.
Da wirkt die Info mit ihren Schulleistungen "ich war gut, aber nicht zu gut" pflichtschuldig hineingeschoben und interessiert mich als Leser schon auch nicht mehr.
Alles platt, nichts plastisch.

Zu deiner Erzählweise: Kurzgeschichten haben für gewöhnlich keinen linearen Aufbau. Das fängt nicht bei der Geburt an und zieht sich über Jahre. Der Leser findet sich mitten in einer Szene, von da aus gibt es dann Rück- und wenn nötig auch Vorblenden. Wenn du Alice Munro liest, achte mal auf ihren Aufbau. ;) Der ist als Beispiel sehr gut und exemplarisch.
Außerdem: Mehr beschreiben, weniger erzählen. Mehr show, weniger tell.

Wenn du beispielsweise mit der Begegnung zwischen Jenny und Felix anfängst und dann darum herum aufbaust, wie sie total überdreht reagiert, weil sie noch nie ein Junge angesprochen hat und die anderen sie nur mobben ... Oder der Punkt, an dem er Schluss macht als Anfang und dann rückblickend Jennys Probleme aufrollst ... All das hilft deinem Spannungsaufbau ungemein.

Sprachlich musst du nichts machen, das ist gut. Deshalb kannst du dich inhaltlich und stilistisch voll reinhängen!

Liebe Grüße
Tell

 

Hallo Kersidra!

Danke für deinen positiven Kommentar. Deine Anregung nehme ich gerne auf. Beispielsweise könnte ich nach "Ich aß. Mehr als zuvor" den Satz eifügen: "Mit jedem Bissen begrub ich die Vorstellung, wie Felix eine blonde Haarstähne der dünnen Melanie um seinen Finger wickelte, etwas tiefer. Und allmählich stellte sich das gute Gefühl, das ich von früher kannte, wieder ein. Und die Gleichgültigkeit."

Gruß, Konstantina


Hallo, Tell!

Tut mir leid, deine Kritik kann ich an keiner Stelle nachvollziehen.

Offenbar hat der erste Satz, der dir ja gefallen hat, gewisse subjektive Erwartungen in dir geweckt, die dann von meiner Geschichte nicht erfüllt wurden. Sorry, aber das ist ein Problem deiner Herangehensweise an einen Text und nicht das Problem der Geschichte.

Ich befasse mich seit geraumer Zeit mit dem Schreiben von Erzählungen und habe, als ich dieses Forum entdeckte, drei inhaltlich und formal sehr unterschiedliche Kurzgeschichten ausgesucht und sie hier eingestellt, weil ich gespannt war auf die Kommentare dazu. Selbstverständlich habe ich viele der Texte und Kommentare von den anderen Mitgliedern gelesen, auch schon einige kommentiert. Allerdings bin ich mit meiner Kritik sehr zurückhaltend. Ich habe großen Respekt vor der kreativen Arbeit anderer und vermeide es, mich beim Lesen von meinen eigenen Vorstellungen leiten zu lassen.

Die Beurteilungen meiner drei Geschichten haben mich irritiert, weil sie widersprüchlich sind: Für den einen sind sie beispielhaft, für den anderen total daneben, der eine empfiehlt einen linearen Aufbau, du empfiehlst das Gegenteil usw. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll.

Nun zum Inhalt meiner Geschichte:

Das Problem des Dickseins kann natürlich von verschiedenen Seiten beleuchtet werden (Gruppenzwang, Mobbingverhalten, Beziehungsprobleme, usw.) Mich interessierte die innere Befindlichkeit eines durchaus klugen Mädchens, dass seine Verletztheit durch den Panzer des selbstironischen Sarkasmus zu verbergen sucht und den einzigen Trost in dem (schon fast zwanghaften) Essen findet. Ich dachte, das wäre deutlich geworden. Ein anderer Schwerpunkt hätte zu einer anderen Geschichte geführt.

Warum können einfache Eltern keine intelligente Tochter haben? Die sich sogar auf gewisse Weise vom eigenen Verhalten und dem ihrer Familie distanzieren kann? Und wäre es nicht möglich, dass Rubens und Michelangelo im Kunstunterricht der 10. Klasse behandelt werden?

Das Ende hast du gründlich missverstanden. Jessica sagt zwar "Ich war glücklich", aber dem Leser müsste klar geworden sein, dass sie die Realität (Leben mit dem Kind, Schule usw.) völlig ausblendet und ihr Kind sozusagen als Erweiterung ihres eigenen Selbst mit in ihr Zwangsverhalten einbezieht. Aus Essen wird Füttern, zwei Seiten einer Medaille. Das ist beileibe kein Ende mit "Friede, Freude, Eierkuchen", sondern birgt große Konflikte, die jetzt unweigerlich auf Jessica zukommen.

Zum Schluss noch ein Wort zu Alice Munro: Ich habe viele der nicht ganz leicht zu bewältigenden Erzählungen von ihr gelesen (übrigens hat sie 2013 den Literaturnobelpreis für ihre Kurzprosa erhalten) und ich habe festgestellt, dass sie die Form ihrer Geschichten immer dem jeweiligen Inhalt anpasst. Dabei geht sie mal linear vor, auch über Zeiträume von mehren Jahrzehnten, mal szenisch mit verschachtelten Rückblenden, mal ist sie sehr knapp in ihren Beschreibungen, mal geradezu ausschweifend. Ich glaube also, es gibt kein Patentrezept, abgesehen von ein paar Grundprinzipien, für eine gute Kurzgeschichte oder Erzählung, es kommt immer auf die Stimmigkeit von Form und Inhalt an.

Gruß, Konstantina

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Konstantina,

es tut mir leid, dass ich mich dir gegenüber nicht nachvollziehbar bzw. missverständlich ausgedrüclkt habe.
Vorab: Kritik ist immer subjektiv, hier ist niemand verpflichtet, einen Kritikpunkt anzunehmen, der ihn nicht selbst überzeugt.

Ja, einfache Eltern können eine intelligente Tochter haben. Das spreche ich auch gar nicht ab. Das fand ich ja auch - wie ich hoffte, erwähnt zu haben - das Interessante an deiner Ich-Erzählerin. Dass sie so milieu-untypisch war. Das hat sie mir - als einzigen Punkt - interessant erscheinen lassen, weshalb ich mir dazu mehr Tiefe gewünscht hätte, dass ich mehr über sie weiß als nur, dass sie übergewichtig und einsam ist.
Kann auch sein, dass im schulischen Kunstunterricht diese Künstler behandelt werden, aber dann ist es ja auch ein Charakterzug von Jessica, wenn sie sich gerade DAS merkt. Sie hat ja besitmmt auch Justin Bieber im Fernsehen gesehen, aber vergleicht niemandem in ihrer Umgebung mit ihm oder einem anderen Disney-Star (was alterypischer wäre). Ich sage nicht, dass es falsch ist - im Gegenteil. Es war auffällig und ein Punkt, der mich bezüglich der Ich-Erzählerin neugierig gemacht hat.

Und über die Preisträger der Nobelpreise bin ich bestens im Bilde, danke für die Info. ;)

Aber ich denke, nachdem ich die Kommentare zu dieser Ehemann-Mord-Geschichte nochmal nachvollzogen habe, dass wir aneinander vorbeireden.
"Rückblenden" ist von mir missverständlich gewählt.
Ich meine damit einen linearen AUFBAU mit rückblickenden Elementen, im Sinne von:

"Felix sprach mich an. Das tat kein Junge sonst. In der Schule warfen mir die Jungs immer nur Zettelchen mit Beleldigungen an den Kopf."
(Also, mal sehr burschikos formuliert).

Du meintest es so, oder?:

"Jessica sieht ein Fotoalbum durch. Da ist Felix.

2 Wochen zuvor:

Felix ist der Azubi vom Bäcker. Sie hat ihn noch nie zuvor gesehen."

Es geht auch nicht um den Zeitraum, der quantitativ abgedeckt wird in einer Kurzgeschichte - das können auch bei einer Kurgeschichte mehrere Jahre sein, das sitmmt - sondern darum, dass es eben doch "kurz" ist im Vergleich zur gesamten Biographie.

Was mir - und das ist subjektiv, wie schon mehrmals erwähnt - eben fehlt, ist der Bezug zu deinen Personen. Es sind kaum DIaloge da, da passiert einfach immer nur (und passieren tut nicht viel).
Dass Jessica zum Beispiel so naiv ist, wie du meinst, kommt nicht raus. Eine junge Dame, die doch sehr intelektuell zu sein scheint, das merkt man, aber sie ist so schnell ent- wie verliebt (natürlich erwähnst du Herzschmerz, aber das bleibt für mich alles sehr abstrakt).

Bei einer Kurzgeschichte tun sich viele oft leichter, Figuren zugänglicher zu machen, wenn sie szenisch-oritentiert erzählen.

Vielleicht habe ich mich jetzt verständlicher machen können.
Liebe Grüße
Tell

 

Hallo Konstantina!

Kein Krimi, aber ich bin trotzdem schon wieder da. Thematisch scheinen unsere Interessen nah beieinander zu liegen.
Bei anderen Punkten ...
Ist das für dich wirklich so verwirrend, dass du hier von verschiedenen Personen verschiedene Meinungen zu deinen Texten bekommst? Wir Leser/Kritiker haben nunmal unterschiedliche Geschmäcker und vor allem: unterschiedliche Hintergründe/Wissenstände. Du findest hier Leute aller Altersklassen, vom Teenager bis zum Renter. Manche sind totale Schreibanfänger, manche haben, wie du, Schreibschulen durchlaufen, manche haben schon eigene Bücher veröffentlicht (Bod, Selbstverlag, Kleinverlag oder sogar in renommiertem Großverlag), manche haben Literaturpreise gewonnen ...

Ich finde deine hier geposteten Kurzgschichten übrigens gar nicht so unterschiedlich. Sie sind stilistisch sehr ähnlich, und diesen Stil habe ich bei deinen anderen Geschichten ja bereits ausführlich kritisiert. Werde ich hier also nicht nochmal tun. Es hilft ja nichts, wenn wir vollkommen aneinander vorbeireden.

Noch eines zum Allgemeinen: Wenn du Änderungen an deinen Texten vornimmst, dann mach das bitte auch in den hier geposteten. Es hat doch wirklich niemand etwas davon, wenn hier nicht aktuelle, zu Hause im stillen Kämmerlein bereits verbesserte Texte kommentiert werden.

Nun ein paar Worte zu Inhaltlichen:

Zum Aufbau: Ja, das fällt unter Stil. Kurz: Ich schließe mich Tell an. Ist halt das Gleiche, was ich bei deinen anderen Texten auch schon gesagt habe (Spannungsaufbau, show, don't tell).

Sowas hier: "denn das hätte dem Stigma der Dicken noch das der Streberin hinzugefügt, und das wäre absolut tödlich gewesen. Nein, aber doch so gut, dass man sich nicht zu schade war, von mir abzuschreiben, oder die Hausaufgaben von mir machen zu lassen." => hätte ich gerne auserzählt. Warum wäre dick+Streberin tödlich, dick allein aber nicht? Warum macht sie Leuten, die sie als "fette Sau" bezeichnen, die Hausaufgaben? Ja, ich kann als Leser Vermutungen anstellen, aber ich finde im Text nicht genug, oder deutlich genuge Hinweise, so dass ich sicher sein kann, dass meine Vermutungen richtig sind. Vielleicht liege ich auch falsch, und dann wäre die gesamte Geschichte, die du mir hier erzählst, für mich nicht nachvollziehbar.

Mal eine Stelle, die ich ausgesprochen gelungen fand: "Augenblicklich wurde ich mir meiner Figur in dem rosafarbenen Supermarktkittel bewusst. Ich sah darin sicher aus wie ein dickes rundes Glücksschwein!"
=> Ja, hier hast du ausnahmsweise eine Show-Stelle, und schon gefällt sie mir. Leider verfällst du danach gleich wieder ins Tell. Kennenlernen, erstes Mal und schon ist die Beziehung vorbei. Alles wird so schnell runtergerattert, dads es förmlich vor des Lesers Augen vorbeifliegt und man dem nur verwundert hinterherschauen kann.
=> Ja, schon wieder Stil, sorry, aber da komme ich nunmal nicht drumherum. Stil ist das A und O.

"Wissen Sie etwa nicht, dass Sie schwanger sind? Das Kind kommt jeden Augenblick zur Welt." => Was? Neun Monate sind vergangen? Das las sich höchstens wie neun Wochen (und das auch nur wegen den einigen Wochen Liebeskummer)!

Das hier: "Das Kind kommt jeden Augenblick zur Welt. => Diese Geschichte möchte ich lesen, auserzählt lesen. Da ist ein Mädchen, das die kompletten neun Monate nicht merkt, dass sie schwanger ist. Wie kann das angehen? Das solltest du erzählen. Das wäre wirklich irre interessant!

So, okay, ich höre auf. Ich möchte dir ja nicht übermäßig lästig werden.

Grüße,
Chris

 

Hallo Konstantina,

Ich mag Deinen Erzählstil. Für mich braucht es nicht immer, wie hier so oft gesagt wird, "show". Es kommt ganz auf die Geschichte an.
ich liebe einfach erzählte Geschichten. Das regt meine Fantasie an und ich kann mich trotzdem in Personen und Situationen hineinfühlen.
Jedenfalls habe ich es hier mit Deiner Geschichte auch so erlebt. Was Du von der Familie und auch von Jessica's Problemen erzählst, konnte ich mir gut vorstellen.

Angesprochen hat mich auch der Familienzusammenhalt. Dem Vater ist es wichtig, gemeinsam mit seiner Familie zu essen. Dass er das mit seinem Chef ausgehandelt hat, - alle Achtung!

Das Glücksgefühl, als Jessica ihr Kind im Arm hält, hast Du schön beschrieben. Dabei wird es jedoch nicht bleiben. Jessica ist ja selber fast noch ein Kind und geht zur Schule.
Wie geht es weiter?

Jedenfalls habe ich die Geschichte gern gelesen.
Alles Gute wünscht Dir
Marai

 

Hallo Chris Stone!

Warum solltest du mir lästig fallen???

Nein, ich bin dankbar für deinen Kommentar. Ich werde über meinen "Stil" nachdenken und versuchen, bei meiner nächsten Geschichte mehr "show" zu zeigen.

Gruß, Konstantina


Hallo Marai!

Vielen Dank für dein positives feedback! Ich freue mich, dass dir mein Stil gefallen hat.

Gruß, Konstantina

 

Hej Konstantina,

wird Dir wahrscheinlich nicht gefallen. Ich bemühe mich, es kurz zu halten.

Der Anfang fand ich gut und er hat mir Lust aufs Weiterlesen gemacht. Als ich dann die ganze Familie einmal durch hatte, fand ich's leider kaum noch spannend. Auf mich wirken die alle recht pappkameradig.

Die Protagonistin und auch diesen Felix bekomme ich nicht zu fassen. Die tun mir nicht leid, ich kann die weder mögen noch etwas an ihrem Verhalten ablehnen, geschweige denn in irgendeiner Form Verständnis für sie aufbringen.

Ich hab am Ende keine Ahnung, was Du mit Deiner Geschichte thematisch angehen wolltest.

Mich interessierte die innere Befindlichkeit eines durchaus klugen Mädchens, dass seine Verletztheit durch den Panzer des selbstironischen Sarkasmus zu verbergen sucht und den einzigen Trost in dem (schon fast zwanghaften) Essen findet. Ich dachte, das wäre deutlich geworden.
Mir nicht.
Wenn Du Deine Protagonistin beispielsweise sagen lässt:
Er tat ganz schön weh beim ersten Mal
dann klingt das (als eins von vielen Beispielen) weder klug noch selbstironisch. Auch nicht sarkastisch.
Liegt vielleicht an mir, aber ich hab überhaupt keine Ironie in dem Text entdecken können.

Jedenfalls: Was da für Prozesse am Werk sind, was da alles verdrängt wird und welche Dramatik dem Ganzen innewohnt, wird kaum deutlich. Für mich entsteht ein komplett schiefes Bild und vom inhaltlichen Anspruch her hat es dann beinahe was von einer Doku-Soap.

Nichts als meine ziemlich ehrliche Meinung.

Gruß,
Ane

 

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