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Kabelsalat
Bei uns im Haus gibt es zwei heilige Kühe: eine davon hat vier Räder und steht in der Garage, die zweite steht im Wohnzimmer und hat ne Menge Knöpfe. Des Hausherrn liebstes Kind: seine Stereo-Anlage.
Süchtig nach dem perfekten Klang versucht er, die Boxen ideal zu platzieren, und leidet, weil mein Verständnis für derartige technische Feinheiten beim Einschaltknopf endet. Je nach Platzbedarf werden die Boxen von mir verstellt oder als Ablagefläche benutzt, Kabel lockern sich, eine Box streikt nun gänzlich, beim Laut- und Leisedrehen kracht es im Receiver und als unser Jüngster mit Buntsstiften eine Box künstlerisch gestaltet, vergeht auch dem Hausherrn die Liebe zur Musik.
Endlich ist der Wohnbereich fertig und er wagt einen neuen Vorstoß, die Kinder sind erwachsen und vor unkontrollierbaren Überfällen auf seine guten Stücke muss er sich nicht mehr fürchten. „Hast Du ein Antiquariat überfallen?“ fragt ihn der Jüngste, als er sein Tonbandgerät aufstellt. „Entsorg den alten Ramsch und schaff dir neue Geräte an!“ empfiehlt ihm der Ältere. Doch trotz dieser feinfühligen Kommentare werden Ein- und Ausgänge gemessen. Ein Eingang des Receivers ist defekt, eine Box hat ne Macke, das Videogerät pfeift auf dem letzten Loch. Da gibt´s nur eines: Abbauen, Einpacken, Schleppen, Hinbringen, Reparieren lassen, Abholen, Schleppen, Auspacken, Aufbauen! Das dauernde Hin und Her stresst ihn, die Luft ist zum Schneiden dick, sein Frust entlädt sich in dem Satz: „Kann mir mal vielleicht irgendeiner die Taschenlampe halten?“.
Als alle Geräte wieder miteinander verbunden sind, versagt die zweite Box ihren Dienst. Dem Receiver ist offensichtlich die Fummelei mit den Kabeln auch zuviel geworden und der Satz „Mist, ich habe einen Ausgang geschlachtet“ leitet erneut die bereits bekannte Prozedur ein: Abbauen, Einpacken .........!
Der Plattenspieler hat ebenfalls ein biblisches Alter, die alten Scheiben werden aufgelegt. Sie sind etwas verstaubt und man hört leichte Kratzgeräusche aus den Boxen. Das stört sein musikalisches Empfinden beträchtlich. „Geh doch mal rauf auf den Dachboden und schau mal, ob du das Zubehör zum Platten putzen findest.“ Meine Antwort „Such selber, hab jetzt was Besseres zu tun, als den ganzen Dachboden umzugraben!“ trägt auch nicht dazu bei, die sowieso schon aufgeheizte Stimmung positiv zu beeinflussen. Die Nadel auf der Langspielplatte fängt zu hüpfen an, da die Bässe das Regal zum Vibrieren bringen. Da muss Abhilfe in Form von schalldämmenden Kegeln her, auf die die Boxen gestellt werden. Tina Turner mit „River Deep And Mountain High“, bis die Wände wackeln, Simon and Garfunkel mit „Bridge Over Troubled Water“ bis zum Abwinken. Im stillen sehne ich mich nach dieser viel besungenen Brücke, um runterspringen zu können. „Wo gehst du denn hin, ich dachte, das ist deine Lieblingsmusik?“ fragt er, als ich Richtung Garten gehe.
„Das schon, aber mein Gehör hat einen Urlaubsantrag eingereicht!“
Ein neuer DVD-Player ist unbedingtes Muss! Dolby Surround in einer Lautstärke, die einem Kino gerecht wird, auf 60 qm Wohnfläche, eine einzige Peinigung bei Autorennen oder Fußballspielen.
Ein paar Tage später bekommt er eine CD mit Steirischer Volksmusik geschenkt. Eigentlich ist das gar nicht unsere Musikrichtung und auch meine Frage, ob er sie vom Sender mit den meisten Hörertoten geerbt habe, hält ihn nicht davon ab, diese Zwangsbeglückung einzuleiten. Volle Pulle nachts um 23 Uhr. Mein Hinweis, er solle leiser schalten, weil oben die Jungen schlafen, wischt er mit einer Handbewegung zur Seite. Plötzlich steht unser Ältester im Raum: „Hej, Alter, bist eingeraucht oder was?“ Zwei weitere Boxen werden angeschafft. Wenn jetzt im Oberstock jemand schläft, wird mit den, fachmännisch ausgedrückt, hochtonlastigen Boxen Musik gehört, wenn keiner daheim ist, mit den bassdröhnenden Ungeheuern und wenn auch noch die Nachbarn verreist sind, kommen alle vier Boxen gleichzeitig zum Tragen. Der Hausherr ist begeistert. Soviel Musik wie jetzt hat die Stereo-Anlage überhaupt noch nie verkraften müssen. Sie wird zu heiß. Ein Ventilator wird angeschafft. Ein Plätzchen im Regal findet sich. Er bläst hinter den Geräten vorbei, die Luft kreist kühl um die im Wohnzimmer Sitzenden. Eindeutig zuviel Power nur zum Geräte kühlen. Meine Feststellung: „Praktisch, kann ich mir das Staubwischen sparen, wird alles gleich weggeblasen!“ treibt ihn wieder ins Fachgeschäft. Am nächsten Tag bringt er einen kleinen Ventilator mit. Der reicht allerdings nur für ein Gerät. Ein zweiter ist notwendig fürs Tonband. Den dritten bekommt der Fernseher. Wenn schon, denn schon. Leider haben diese Ventilatoren einen gewissen Geräuschpegel, der den Musikgenuss leicht beeinträchtigt. „Stell doch die Musik so laut, dass das Ventilatorengeräusch untergeht und damit das Gehör nicht überstrapaziert wird, können wir die Ohren ja mit Ohropax verstopfen“. Er antwortet mir darauf nicht, aber sein Blick spricht Bände.
Das Verkabeln ist kompliziert. Die Hinterfront des Regals gleicht einem surrealistischen Gemälde Picassos, schwarze, weiße, kupferfarbene Kabel schlängeln sich gut sichtbar hinter den Geräten vorbei, Kabelsalat en gros.
Da stellt sich heraus, dass der Fernseher, sofern er über die Stereo-Anlage läuft, nicht mehr per Fernbedienung laut und leise zu schalten ist. Das heißt, in den Werbepausen rettet nur ein schneller Sprung vom Sofa das Gehör vor Spätschäden. Außerdem ist es nicht mehr möglich, dass über Kopfhörer Musik gehört werden kann und gleichzeitig ein anderer Fern schaut. Das ist nicht im Sinne des Erfinders, daher werden im Essbereich die restlichen Geräte kombiniert, zwei weitere Boxen incl. schalldämmender Kegel werden besorgt, der alte CD-Player angeschlossen. Hier kann jetzt per Kopfhörer Musik genossen werden, während sich zwei Meter weiter die Fernsehsüchtigen wälzen.
Wir haben jetzt in einem einzigen Raum sozusagen die einfache Anlage, die zum Frühstück eingeschalten wird und mit der sogar ich noch zurecht komme, ohne dass Gefahr besteht, technische Teile zu zerstören. Und die Dolby-Luxus-Version, die für die musikalische Bereicherung an Wochenenden und Feiertagen gedacht ist, damit der Hausheer auch noch was davon hat, wenn er 10 m weiter im Garten entspannt schnarchend auf seinem Liegestuhl dahinrelaxt.
Leider ist der Radioempfang der Frühstücksanlage nicht immer störungsfrei. Seine Frage „Liegen nicht irgendwo auf dem Dachboden noch Zimmerantennen?“ treibt mir den Schweiß auf die Stirn. „Die hab ich ungarisch entsorgt!“ Das bringt das Fass zum Überlaufen und bissig zischt er zu mir rüber: „Drück doch den Ungarn regelmäßig monatlich hundert Euro in die Hand, dann kannst du dir das Einkaufen und auch das Wegschmeißen sparen!“
Die neue Zimmerantenne wird perfekt platziert und sorgt für einwandfreien Musikgenuss. Die Prämisse an mich: hier wird nicht geputzt, damit sie nicht verstellt wird. Hier putzt nur der Hausherr selbst. Auch gut! Aber ich bin zu klein, um sie problemlos erreichen zu können, ein selbst konstruierter Schalter in Hüfthöhe löst auch dieses Problem.
Am Abend stellen wir fest, dass unser Fernsehgerät simultan übersetzt, die linke Box spricht Deutsch, die rechte Englisch. Kein Problem für den Hausherrn, ein Knopfdruck genügt und alles ist wieder so wie es sein soll.
Allerdings beschäftigt mich noch eine Frage: Wie kann ich die Aufmerksamkeit des Hausherrn, die er in den letzten Wochen ausschließlich der Stereo-Anlage widmete, mal wieder auf mich lenken? Plötzlich fällt mir die Lösung ein. Ich werde mich in einen erotischen Fetzen wickeln und ins unterste noch leere Regalfach legen. Vielleicht krieg ich auch einen eigenen Ventilator.