Ketten
Wie angekettet lag ich in meinem Bett. Ich versuchte rauszukommen, aber die Fesseln hielten mich unten. Diese habe ich mir zugegebenermaßen selbst angelegt. Angekettet an meinem Bett, um der schmerzhaften Welt da draußen zu entfliehen, stach mir das Eisen der massiv schweren Ketten in die Nase. Die schweren Kettenglieder drücken auf meinem ausgehungerten Oberkörper. Das Eisen fleischte sich in meinen, sich windenden, Körper, der den natürlichen Trieb hat aufzustehen.
Ich wollte nie wieder hinaus. Mich nie wieder zeigen und auch nie wieder etwas fühlen. Um das zu erreichen, habe ich mich dazu entschlossen, meinen Körper an mein Bett zu ketten.
Die Tage vergingen in einem trüben Dämmerzustand. Die Ketten, einst eine Flucht vor der Welt, wurden nun selbst zu einem Gefängnis. Jeder Atemzug war ein Kampf gegen das Gewicht der Glieder, jede Bewegung eine schmerzliche Erinnerung an die selbst auferlegte Isolation.
Eines Nachts, als der Vollmond durch das Fenster seinen Schein warf und die Ketten einen Schatten auf die Wand warfen, klopfte es an meiner Tür. Stutzend wühlte ich mich auf meine linke Seite und verrenkte meinen Kopf, um zur Tür zu schauen. Stechender Schmerz durchzog meinen ganzen Körper in dieser Position.
Ich muss jetzt völlig den Verstand verlieren, dachte ich mir. Der Wahnsinn und die Isolation haben meinen Verstand zerfressen, wie Holzwürmer einen alten antiken Holztisch.
Es klopft noch einmal. Parallel dazu spüre ich, wie das Blut durch meinen ganzen Körper schoss, durch meinen immer schnelleren Herzschlag. Dieser Zustand meiner Selbst führte dazu, dass Blut anfängt, aus meinen Wunden zu suppen.
Ein weiteres Klopfen folgte und gab meinem Verstand, wie ein Schlagring, einen Schlag, der ihn zum Läuten brachte. Meine zitternde Stimme setzte der Totenstille und dem leisen Klirren der Ketten ein Ende: “Ist da wer?”, fragte ich zögernd.
Nichts. Die Stille und das leise Klirren der Ketten finden ihren Weg in der Mondnacht zurück. Zerrend versuche ich mich zu heben und den Alles trotzenden Ketten entgegenzuwirken, um zur Tür zu kommen, doch es war vergebens. Ein loderndes Brennen meiner keimenden Wunden lässt mich bei dieser Aktion in die Knie fallen.
“Du kannst reinkommen", krächzte ich mit meiner leisen Stimme und letzten Atem hinaus.
Ich schiele zur Tür und das Klimpern folgt auf meine Bewegung. Danach Stille.
Doch dann hörte ich ein leises Tappen vor der Tür. Ein nackter Fuß auf einem Laminat. Das Holz der alten Hütte knarrt.
Die golden gewundene Türklinke senkte sich sanft. Ein leichtes kleines metallisches Klicken erklang, als der Mechanismus einrastete und die Tür sich allmählich öffnete. Ein kühler Windzug ließ mich lebendiger fühlen, als in den letzten Monaten.
Euphorie, Angst und Spannung durchstrahlten meinen Körper und ließen meine Erwartungen, was sich hinter der Tür verbirgt, empor stiegen.
“Du bist nicht allein” sprach eine sanfte, göttliche weibliche Stimme durch den kleinen Türspalt. Die Stimme trug so viel Wärme in sich, dass sie die kalten Ketten in der dunklen Nacht erwärmen konnte.
“Wer bist du?” fragte ich jetzt etwas lauter, durch die Energie, die mir diese Stimme gab
.
“Jemand, der versteht.” war die Antwort. "Jemand, der dir helfen kann, die Ketten abzunehmen.”
Trotz der kurzen Lebenslust, die ich verspürte, als ich ihre Stimme gehört habe, hat sich mein Verstand in der brutalen, kahlen Realität zurückgeholt. “Ich will die Ketten nicht verlieren, sie schützen mich und sind alles, was ich habe.” sagte ich mich meiner tränenerstickten Stimme.
“Ich habe gehört, wie du versucht hast, dich zur Tür zu bewegen, als ich draußen vor der Tür stand und klopfte.” erzählte sie in einem besorgten Tonfall. “Du siehst ausgehungert aus. Deine Wunden, die Suppen ja richtig. Lass mich dir helfen."
“Ich will das so” schmiss ich flink entgegen.
“Ist es wirklich richtig, wegen Schmerzen entgegen seiner Natur zu gehen und sich in seinem Zimmer an sein Bett zu ketten, bis man stirbt?”
Die Frau senkte ihre Stimme zu einem sanften Flüstern, voller Mitgefühl und Verständnis. “Denkst du nicht, dass du niemals heilen wirst, wenn sich die Ketten immer weiter in deinen zarten Körper einfleischen?"
“Ich habe keine Wahl. Die Ketten sind das Einzige, was mich davon abhält, zu brechen. Wenn ich sie loslasse, wird der Schmerz unerträglich.”
Ich versuchte zu rationalisieren, was hier gerade geschieht und ob mein Handeln richtig ist. Vielleicht treibt mich der Wahnsinn auch in eine absurde Geschichte. Fakt ist, dass ich die letzten Monate nicht rausgegangen bin und ich keine zwischenmenschlichen Beziehungen geführt habe, also wer war das für meine Tür?
Nicht der Gedanke, dass ich heilen möchte, oder die Ketten loswerden wollte, brachte mich zum Handeln. Nein, es war mein schiere Neugier. Wer zur Hölle, kann sich um mich kümmern. Mein Gedanken ratterten wie schon seit dem Tag, an dem ich mich angekettet habe, nicht mehr.
Eine schier unendliche Kraft durchströmte meinen Körper. Ich spürte, wie meine Muskeln sich anspannten und stahlhart wurden. Die Ketten hingegen kämpften, um sich zusammenzuhalten. Eine elektrisierende Spannung entstand zwischen meinen Muskeln und den Ketten, als ob Blitze durch meinen Körper zuckten und gegen das kalte Metall prallten.
Mir wurde klar, dass ich entweder jetzt sterben würde, wegen der schieren Anstrengung, oder dass dies der Moment war, in dem ich die Ketten, die ich mir selbst auferlegt hatte, wegsprengen würde. Die Ketten zogen sich langsam auseinander, und meine Muskeln zerrten mir die allerletzte Energie aus dem Körper, als ich mich gegen die Fesseln stemmte.
Ein ohrenbetäubendes Knallen schallte durch die Mondnacht, gefolgt von einer Kaskade aus metallischen Klirren und Klappern. Die Ketten brachen auseinander und fielen in einem chaotischen Crescendo auf den Boden, wie ein Hagel aus Eisen, der gegen die Dielen prallte. Das laute Echo hallte durch den Raum und verschwand langsam in der nächtlichen Stille.
Für einen Moment herrschte völlige Ruhe. Mein Körper sank erschöpft tiefer in die gepolsterte Matratze. Meine Nase zog in einem tiefen Zug die gewonnene Freiheit ein, und mein Mund stieß einen kräftigen Hauch aus, der all den Schmerz und die Qual losließ. Die Erleichterung war überwältigend, wie ein plötzliches Aufatmen nach langem Ertrinken.
Ein Moment der Erleichterung folgte. Mein Körper sinkt erschöpft tiefer in die Feder gepolsterte Matratze. Meine Nase zog in einem tiefen Zug die gewonnene Freiheit ein und mein Mund wurde mit einem kräftigen Hauch all den Schmerz los.
Ich war verwundert, weil die Frau von Eben vor meiner Tür nichts mehr zu sagen schien.
Ich hob meinen gebrechlichen Körper aus dem Bett. Man hörte ein Plätschern des Blutes, das auf dem Mondlicht gefüllten Boden goss.
Ich tastete mich langsam voran, meine Muskeln zittern vor Erschöpfung. Jeder Schritt war für mich eine Herausforderung, als ob ich durch dickflüssigen Schlamm waten würde. Das plätschern des Blutes begleitete jeden meiner Schritte, ein düsterer Soundtrack zu meiner erlangten Freiheit.
Pure Entschlossenheit brachte mich dazu, die Tür langsam zu öffnen, begleitet von einem sanften Knarren. Das Licht des Vollmonds flutete den Flur, ein silberner Schein, der die Dunkelheit durchbrach und ihm den Weg wies. Mit zittrigen Schritten wagte ich mich voran und meine Augen gewöhnen sich langsam an das grelle Mondlicht.
Erwartungsvoll streckte ich meinen Kopf hinaus in den Flur und kippte dabei beinahe um. erst links dann rechts blickte ich, doch nichts außer gähnende Leere solle meinen Blick erwidern.
Eine Leere, so düster wie der finsterste Abgrund, durchströmte mich.
“Wo bist du?” hallte meine Stimme in den leeren dunklen Flur. Das Ticken der Standuhr aus dem Wohnzimmer erwiderte die Frage. Niemand schien mehr hier zu sein.
Ich stellt mir die Frage, ob ich verrückt wurde wegen der Ketten, doch realisierte, dass ich bereits schon verrückt war, weil ich mich angekettet habe.
Es macht jetzt keinen Unterschied mehr. Mein Körper, ausgemergelt und von tiefen Wunden übersät, ächzt nach Essen, und jeder Schritt ist eine Qual. Triefend, wie ein geschlachtetes Tier, ziehe ich mich Richtung Esszimmer. Mein Blut, dunkel und zähflüssig, bildet eine rote Spur auf dem kühlen Boden, wie ein makaberer Fluss, der den Weg meiner Qualen und meiner neu gewonnenen Entschlossenheit markiert.
Jeder Tritt meiner nackten, zitternden Füße hinterlässt einen blutigen Abdruck, der schnell in kleinen Rinnsalen zerfließt. Die einst unbedeutenden Tropfen vermischen sich und formieren sich zu einer breiten, dunkelroten Bahn, die meinen Weg aus dem Zimmer hinaus markiert. Das Holz des Bodens saugt die Flüssigkeit gierig auf, doch die Menge übersteigt seine Kapazität, sodass das Blut in kleinen Bächen davonläuft.
Mein Atem geht schwer und stoßweise, als ich mich an den Wänden entlang taste, um nicht zusammenzubrechen. Die Schatten des Flures sind lang und bedrohlich, doch das Licht des Vollmonds, das durch die Fenster strömt, taucht die Szene in ein gespenstisches Glühen. Die Stille der Nacht wird nur vom leisen Tropfen meines Blutes unterbrochen, das unablässig auf den Boden prasselt.
Ich erreiche die Tür zum Esszimmer und lege meine zittrige Hand auf die Klinke. Das kalte Metall fühlt sich seltsam beruhigend an, fast wie eine Brücke zurück in die Realität. Mit letzter Kraft drücke ich die Klinke herunter, und die Tür öffnet sich langsam, knarrend, als ob sie seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt worden wäre. Ein Schwall kühler Luft strömt mir entgegen, und ich atme tief ein, als würde ich zum ersten Mal seit Monaten wirklich Luft bekommen.
Das Esszimmer, in einem schwachen, silbernen Mondlicht getaucht, wirkt unwirklich. Der große, hölzerne Tisch ist leer, und die Stühle stehen stumm und erwartungsvoll um ihn herum. Meine Augen suchen fieberhaft nach Nahrung, nach etwas, das meine zerbrechliche Existenz stärken könnte.
Doch noch dringender ist der Drang, die Person zu finden, die mich gerettet hat. Wer auch immer sie ist, sie hat einen Funken Hoffnung in mein dunkles Dasein gebracht. Die Dunkelheit der vergangenen Monate scheint sich ein wenig zu lichten, und trotz des Schmerzes und des Blutes, das mich weiterhin schwächt, ist in mir ein neues Feuer entfacht.
Mit entschlossener, wenn auch wankender Bewegung setze ich meinen Weg fort, durch das Esszimmer und hinaus in die Ungewissheit, entschlossen, die Person zu finden, die mich von meinen selbstauferlegten Ketten befreit hat. Es ist Zeit, wieder zu leben, trotz der Dunkelheit, die mich umgibt, und des Blutes, das aus meinen Wunden fließt.