Mitglied
- Beitritt
- 23.08.2013
- Beiträge
- 176
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 33
Klara sprüht gegen die Beschissenheit
Wir werden die Schweine schon die Liebe lehren, sagt Klara und schüttelt die Spraydose. Und Klara schüttelt sie so entschlossen, dass das Klacken zwischen den Altbauten schallt und ich mir vorstelle, wie die Bewohner dieser aufgeräumten Häuser, von dem Gepolter aus dem Schlaf gerissen, unzufrieden brummen, die Leselampen anknipsen, Brillen auf ihre Nasen setzen und an die Fenster treten, um von dort aus zu sehen, wie eine junge Frau im grünen Sommerkleid, vom Lichtkegel einer Laterne umzingelt, auf das Frontfenster einer Großbankfiliale, ohne die Dose einmal abzusetzen, ein riesiges rotes Herz sprüht.
Was machst du da?, frage ich Klara, was machst du denn da?, frage ich sie, obwohl ich ja genau sehe, was Klara da macht und Klara sieht mich an mit ihren wahnsinnig klaren Augen, auf denen man sich keinen Schleier vorstellen kann, sieht mich an und fragt mich entrüstet, ob ich denn keine Zeitungen läse. Ich muss auflachen, obwohl mir überhaupt nicht zum Lachen ist, wenn ich an die Nachbarn denke, die in diesem Moment an den Fenstern ihrer Altbauwohnungen stehen und im Schatten neben der jungen Frau nun auch einen Mann erkennen – ob er denn keine Zeitungen läse.
Doch, liebe Klara, will ich ihr sagen, und ob ich das tue, Zeitungen lesen, ich habe Zeitungen schon gelesen, liebe Klara, da hast du dir noch Donald Duck-Bildchen angeschaut. Du – die Micky Maus-Heftchen, ich – die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Schon mit achtzehn Jahren hatte ich die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter den Arm geklemmt und mit mir herumgetragen, obwohl ich sie damals als so öde, so unerträglich langweilig empfand.
Aber das will ich Klara nicht sagen, nicht so, also sage ich nur: doch.
Und da fragt mich Klara, ob ich, wo ich doch ein Zeitungsleser bin und überhaupt einen aufgeklärten Eindruck mache, nicht wisse, was diese Bank, an deren Fensterscheibe sie dieses schöne rote Herz soeben sprühte, in den letzten Jahren veranstaltet habe. Ob ich denn nicht mitbekommen hätte, dass man genau jene Bank wegen Geldwäschegeschäften, statt ihr die Lizenz zu entziehen, zu einer absolut lächerlichen Strafe von zwei Milliarden Dollar verurteilt habe, einem Betrag, der gerade mal den Quartalsgewinn dieser Bank aus eben jenen Geldwäschegeschäften darstelle.
Quartalsumsatz, sage ich.
Was spielt das für eine Rolle, sagt Klara.
Drogengeld, sagt Klara, Blutgeld, sagt sie, Mafiafinanzen, darum handele es sich doch in Wahrheit, und den Entscheidern, der Politik, dem Weltkapitalismus überhaupt, ihnen allen seien diese schlimmen Dinge so scheißegal, dass sie, statt diese Bank aus dem Verkehr zu ziehen, statt die Verantwortlichen für immer in Gefängnisse zu stecken, sie alle mit einer unfassbar lächerlichen Strafe davonkommen lassen. Und ob ich denn wisse, dass man in den USA, wo diese ganze Sauerei sich abgespielt habe, für den Besitz von ein paar Gramm Marihuana jahrelang im Gefängnis sitzen muss. Das sei doch ungerecht, oder? Das sei doch so verdammt ungerecht, diese Ungerechtigkeit sei doch nicht zu ertragen.
Da muss man doch was machen, sagt Klara, aber was kann ich schon tun. Ich bin doch völlig hilflos, sagt Klara, da ist diese widerwärtige Beschissenheit überall auf der Welt und ich kann nichts dagegen unternehmen. Man muss sich ja schon schämen, darüber zu reden, sagt Klara, weil man einen dann als verblendeten Weltverbesserer belächelt, sagt sie, und schlimmstenfalls am Kopf tätschelt wie ein linkes Kind, mit dem das Herz durchgeht.
Sie könne sich auf Demos die Lunge auskotzen, sagt Klara, könne sich in allen Kommentarspalten aller Zeitungen der Welt über diese furchtbare Beschissenheit auslassen, aber das interessiere keine Sau, niemanden, der was an dieser Misere ändern könnte, interessiere, was sie, Klara, da zu sagen habe – also komme sie hierhin und sprühe ein Herz aufs Fenster. Natürlich sei das bloß eine zahnlose Verzweiflungsaktion, ein Tropfen auf den heißen Stein, das weiß ich selbst, sagt Klara.
Und ich sehe Klara an, sehe diese aufrichtige Wut, glaube Klara, dass ihr diese Beschissenheit tatsächlich weh tut im Herzen, dass sie nicht bloß redet und schmiert, weil wir uns gerade auf der Party so fröhlich betrunken haben und sie sich verrückt und verwegen geben möchte, revolutionär, nehme Klara alles ab, was Klara sagt, verdächtige sie keiner Pose, keiner Künstlichkeit und kann, von dieser aufrichtigen Empörung beeindruckt, meines sonst zuverlässigen Zynismus' beraubt, überhaupt nicht mehr an die Nachbarn denken, die gerade, am Fenster stehend und uns beobachtend, die Polizeinummer wählen, sondern denke daran, was denn eigentlich mit mir los ist. Wo ist denn meine Empörung geblieben, frage ich mich, wohlwissend, dass auch ich betrunken bin, frage mich, warum sehe ich die gleiche Beschissenheit, die Klara sieht, warum lese ich die gleichen Nachrichten, die Klara liest, und warum regt sich in mir nichts mehr, wo doch in Klara ein regelrechter Sturm tobt. Warum wütet in dieser zierlichen, blonden Frau, die mit ihren verwuschelten Haaren so unglaublich ... unseriös aussieht, warum wütet in ihr ein Tornado und in mir rührt sich gar nichts. Warum.
Warum zucke ich bloß mit den Schultern und denke mir, ach, das Urteil kommt ja nicht wirklich überraschend, man habe ja gleich gewusst, dass die Bank systemrelevant ist, so eine systemrelevante Bank kann man nicht einfach dicht machen. Warum habe ich mich denn schon so an diese ganze Beschissenheit gewöhnt. Wo sind eigentlich meine Emotionen geblieben. Ist es denn wirklich so, dass man mit nur zweiunddreißig Jahren schon gelernt hat, seine Energie nicht auf ineffiziente Gefühle zu verschwenden, nicht auf Dinge, die mit einem selbst nichts zu tun haben. Oder ist man gar mit Gefühlsbulimie oder einer ähnlichen Krankheit infiziert, die so schwer ist, dass man sich auf dem besten Weg befindet, daran zugrunde zu gehen. Oder bin das einfach nur ich.
Das alles frage ich mich und sehe in die stechend klaren Augen dieser zwanzigjährigen Frau, die ich erst heute kennenlernte, erst vor einigen Stunden, und die mich von der Geburtstagsparty eines Schulfreundes nach draußen rief, einerundeumdenblockdrehen.
Klara reicht mir die Dose und fragt mich: Willst du das ausmalen?
Ich nehme die Dose und weiß nicht, ob ich das ausmalen will, ob ich mich an dieser Aktion beteiligen soll, ich, Herr Rechtsanwalt Nils Thelen, Doktor der Rechtswissenschaften, ob ich dieses Herz ausmalen, Mittäter dieser Sachbeschädigung werden will, dieser süßen und sinnlosen Sachbeschädigung; das weiß ich alles nicht, aber was ich genau weiß, ist, dass wenn ich mich weigere, dieses Herz auszumalen, wenn ich nicht an Ort und Stelle auch meine Hände gegen die allgemeine Beschissenheit des Systems erhebe, ich Klara nie wieder sehen werde.
Und während ich mich frage, ob ich denn Klara wiedersehen sollte, mich frage, wie das denn alles weitergehen soll, mit Klara, mit Jana, mit Herrn Rechtsanwalt Dr. Nils Thelen, höre ich die Dose in meinen Händen klacken, höre wie das Klacken durch die ganze Nachbarschaft schallt, spüre, wie es die Stille der Dunkelheit zerfetzt und denke nicht mehr an die Nachbarn, nicht mehr an die Polizei und auch nicht mehr an die Beschissenheit des Systems, sondern sprühe die rote Farbe auf die Fensterscheibe, dieser, für schlimme Dinge verantwortlichen Bank und kann mich dabei nicht an Klaras Villa-Kunterbunt-Zahnlücke sattsehen, die Klaras Lächeln mir anvertraut.
Es ist sechs Uhr morgens, als ich nach Hause gehe, durch die in ihrem Schlaf ebenmäßig atmenden, niemals schnarchenden Straßen Lindenthals streife, alle sich mir bietenden Umwege mit Dankbarkeit einschlage, den Geschmack Klaras zorniger Lippen auf meinen Lippen goutierend, den Geruch Klaras unseriöser Haare in meiner Nase bewahrend. Was jetzt passieren wird, tut mir leid.
Ich öffne die Tür. Ich ziehe die Schuhe aus. Auf Zehenspitzen gehe ich in die Küche und trinke drei Gläser Wasser. Ich kann mir morgen keine Kopfschmerzen erlauben. Ich schleiche ins Schlafzimmer, bleibe am Eingang stehen und sehe wie Janas Brust sich ruhig hebt und senkt. Ich knöpfe mein Hemd auf und lege es in den Wäschekorb. Ich streife meine Jeans ab, falte sie und lege sie zu den anderen in den Schrank. Ich stehe neben dem Bett und warte. Ich warte. Ich warte.
Jana atmet. Sie liegt auf dem Rücken, kerzengerade, und hat ihre Hände auf dem Bauch gefaltet. Vor sieben Jahren fand ich Janas Art zu schlafen einfach nur süß. Jetzt, wo ich neben ihr stehe und der Gleichmäßigkeit ihrer Atemzüge lausche, denke ich, dass in dieser Art zu schlafen, Nacht für Nacht, die Hände auf dem Bauch gefaltet, genau sieben Stunden kerzengerade auf dem Rücken zu liegen, dass genau darin Janas ganzes Wesen steckt. Janas gesamter Charakter drückt sich in dieser Haltung aus, denke ich neben Jana verharrend, ihre ganze Zuverlässigkeit, ihre Zielsicherheit, ihr Pragmatismus. Ich weiß, wenn ich Jana von Klara erzählte, davon, wie wir ein Herz auf das Fenster einer Großbankfiliale sprühten, davon, wie wir uns über die Beschissenheit des Systems unterhielten, davon, wie wir von der Polizei wegrannten, über die Bahngleise kletterten, uns in einem Hauseingang versteckten und dort, nachdem wir wieder unseren Atem fanden, stundenlang auf der Treppe knutschten und redeten und knutschten, ich weiß, wenn ich Jana davon erzählte, würde sie einen kühlen Kopf bewahren. Sie würde einen kühlen Kopf bewahren und mich lächerlich finden. Sie würde es mir nicht sagen, aber sie würde mich ganz und gar lächerlich finden. Sie würde es ihren Freundinnen erzählen und auch ihre Freundinnen würden mich lächerlich finden, lächerlich und peinlich.
Jana würde sich mit mir an den Esstisch setzen wollen, uns einen Kaffee kochen und mit mir überdiesachereden wollen. Sie würde die Situation analysieren, sie würde die Dinge haarscharf zertrennen, sie würde alle meine Beweggründe an die Oberfläche zerren und mich fragen, ob ich es denn tatsächlich ernst meinen könne. Da seien immerhin zwölf Jahre Unterschied, zwischen mir und Klara, würde Jana sagen, ob ich mir denn nicht vorstellen könne, es nicht zumindest in Erwägung zöge, dass, sobald die rosarote Brille abgefallen ist, ich mich doch ein wenig langweilen würde, mit einem dermaßen ... jungen Mädchen.
Seit wann bist du denn überhaupt so ein Revoluzzer geworden, würde sie mich fragen.
Jana würde zugeben, es könne schon sein, dass unsere Beziehung ein wenig eingeschlafen ist und es mit dem Sex auch schon mal besser geklappt hat, aber, würde Jana räsonieren, das sei nun mal der gewöhnliche Lauf des Lebens, so verhalte es sich eben in langjährigen Partnerschaften, so was passiere an jeder Ecke, dafür habe man andere Dinge.
Jana würde mich ausreden lassen, würde verständnisvoll nicken und ich würde wissen, dass sie im Grunde bereut, keinen Notizblock zur Hand zu haben, um meine Argumentation stichpunktartig zu erfassen. Am Ende, wenn alles gesagt worden wäre, ohne dass nur einer von uns je die Stimme gehoben hätte, würde Jana sagen, sie wolle mich nicht halten, ich könne selbstverständlich tun und lassen, wonach mir ist, sie habe die Sache bloß aus einer Vernunftsperspektive beleuchten wollen und eigentlich, wenn sie es sich recht überlege, sei auch sie noch lange nicht sicher, ob sie mich denn zurück nehmen will. So würde es sein.
Ich stehe neben dem Bett, höre zu, wie Jana atmet und warte. Worauf ich warte, weiß ich nicht. Ich weiß, es wäre das Beste, einen Rucksack zu nehmen, dort das Nötigste für die erste Zeit zu verstauen, Jana einen Zettel zu schreiben und zu meinen Eltern zu fahren. Doch ich merke, wie müde ich nach dieser Nacht bin, wie mir die Augen zufallen, denke an die Unmengen an Arbeit, die morgen auf mich wartet, an Dinge, die dringend erledigt werden müssen, an all das denke ich, während ich Janas kerzengeraden Körper betrachte, dann lüpfe ich die Decke, lege mich darunter und schließe die Augen. Dann werden wir eben morgen reden. Vielleicht.