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Klein zu sein ist nicht schwer - groß zu werden jedoch sehr

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16.06.2006
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Klein zu sein ist nicht schwer - groß zu werden jedoch sehr

Ich war elf Jahre alt, als meine Mutter sich von meinem Vater hatte scheiden lassen. Seither lebte ich bei ihr, da sie das Sorgerecht für mich bekommen hatte. Die beiden waren in schrecklichem Streit auseinandergegangen. Sie gaben sich gegenseitig die Schuld am Scheitern ihrer Ehe.
Papa lebte seither mit einer fremden Frau zusammen. Angeblich hatte er diese Marlene erst nach der Scheidung kennen gelernt. Doch Mama behauptete, das wäre schon Jahre so gegangen. Papa hätte sie schon immer betrogen, wenngleich es auch nicht immer mit der selben Frau gewesen war.
Papa dagegen war der Meinung, Mama hätte sich noch nie sonderlich um ihre Familie gekümmert. Er hätte sich die Liebe einer Frau gewünscht, aber die bekäme er von ihr nicht. Ihre Karriere als Inhaberin eines Modegeschäftes wäre ihr wichtiger gewesen.
So ließen sie kein gutes Haar aneinander, und ich stand mittendrin. Ich wusste nicht, wer von beiden recht hatte. Ich wusste nur, dass ich beide sehr lieb hatte und das ewige Tauziehen um mich leid war.
Ich konnte nicht mehr mit ansehen, wie sie sich ständig stritten. Sie hatten das nie absichtlich vor mir getan und waren der Meinung, dass ich nichts davon mitbekam. Aber Wände sind manchmal sehr dünn und Türen haben Schlüssellöcher, so wie Kinder feine Ohren und neugierige Augen haben.
Als die Scheidung dann durch war und die beiden nicht mehr zusammen lebten, hatte ich dieses Problem nicht mehr. Kein Wunder : Wenn sie nicht zusammen waren, konnten sie auch nicht streiten.
Ich vermisste mein altes zu Hause. Mein Zimmer, in dem ich vom Bett aus den Himmel beobachten konnte. Das schräge Dachfenster hatte mir das möglich gemacht.
Und ich vermisste Whisky, meinen Mischlingshund, den ich zum fünften Geburtstag bekommen hatte. Als Mama und Papa unser damaliges Haus verkauft hatten, mussten wir auch Whisky weggeben. Weder sie noch er hatten eine Wohnung gefunden, in der Haustiere erlaubt erlaubt waren. Zumindest nicht so große Hunde wie Whisky. Ich hatte nächtelang heimlich geweint, da mir niemand sagen wollte, wo Whisky letztendlich gelandet war. Meine Eltern hielten es für besser, wenn ich das nicht wüsste. Sie hatten gesagt, er hätte ein schönes neues Zuhause und das wäre das wichtigste.
Mein Vater mochte es nicht, wenn ich weinte. Er konnte irgendwie nicht damit umgehen, und so schenkte er mir zum Einzug in die neue Wohnung einen Kanarienvogel. Doch diese dämliche Vieh konnte nicht einmal singen.
Dann war da noch meine Freundin Milena, die zehn Jahre lang neben uns gewohnt hatte. Es gab keinen Menschen, dem ich mehr vertraut hätte als ihr. Sie verstand mich immer und nahm meine Probleme ernst.
Nun lag ich allein in dem neuen kleinen Zimmer auf dem Bett, ohne Whisky, ohne Milena und konnte durch das doofe Fenster nicht einen einzigen kleinen Stern entdecken. Ich ließ meine Lieblings-CD, die neuesete von Bon Jovi, laufen. Ich hätte am liebsten losgeheult, doch das tat ich nicht. Mein Vater hatte immer gesagt, Indianer würden nicht heulen. Aber ich war kein Indianer. Zum ersten Mal fragte ich mich an diesem Abend, was ein indianischer Junge in meiner Situation tun würde. Wahrscheinlich auch heulen, was sonst?
Eine erste Träne lief mir über die Wange, als die Türe aufging und meine Mutter eintrat.
"Patrick? Schläfst du schon?" flüsterte sie in das dunkle Zimmer hinein.
Ich wischte mir schnell die Träne weg. "Nein."
Meine Mutter machte das Licht an und setzte sich zu mir aufs Bett. "Dein Vater hat eben angerufen. Er wollte morgen mit dir und dieser Frau auf den Campingplatz am See fahren."
Ich richtete mich auf. "Wirklich?" Ich hatte schon lange nichts mehr mit meinem Vater unternommen.
"Ich habe ihm aber gleich gesagt, dass das nicht in Frage kommt. Wir beide würden schon etwas unternehmen."
Das Lächeln auf meinem Gesicht verschwand. "Was hast du gesagt?" fragte ich verwirrt.
"Na, dass du nicht mitkommst. Ich habe mir gedacht, dass du keine Lust hast, mit dieser Frau...", doch ich ließ sie nicht ausreden.
"Verdammt, Mama! Wieso meint ihr beide eigentlich immer ganz genau zu wissen, was ich will? Ich liebe Dad, und da ist es mir egal, ob seine Freundin Marlene dabei ist. Ich habe es satt! Ich kann für mich selbst entscheiden." Ich schrie schon fast. Das überraschte nicht nur mich selbst, sondern anscheinend auch meine Mutter. Sie starrte mich aus großen Augen an, und so war es auch endlich mit meiner Beherrschung vorbei. Ich weinte. Ich ließ meinen Tränen freien Lauf. Das schien meine Mutter komplett zu verwirren. Sie hatte mich seit Jahren nicht mehr weinen sehen.
"Aber Paddy!" versuchte sie.
"Nenn mich nicht so! Das darf nur Milena. Und sonst keiner. Klar?"
Ich sah ihre Hand auf mich zukommen, im ersten Moment dachte ich, sie wolle mich schlagen, doch sie strich sanft durch mein schulterlanges blondes Haar. Ich sprang vom Bett und meine dunkelblauen Augen funkelten sie böse an. Sie waren feucht von Tränen, doch das war mir egal. Zum ersten Mal in meinem Leben. Blitzschnell hatte ich meine Jeans angezogen und mein Portemonnaie gegriffen. Mama stand erschrocken auf. "Patrick, was hast du vor?" Meine Mutter hatte ihre Stimme erhoben. Doch daran störte ich mich nicht. Ich ranne aus der Wohnung hinaus, über die Straße, in unbestimmte Richtung.

Ich kam an einer Telefonzelle vorbei, und plötzlich wusste ich, was ich tun wollte.
"Hallo Frau Zimmer, hier ist Patrick. Ist Milena da?"
"Klar, einen Moment bitte."
Ich versuchte, mich zu beruhigen, bis meine Freundin ans Telefon kam.
"Paddy? Bist du das? Was ist los?"
"Milena, ich halt es nicht mehr aus. Ich hau ab!"
"Mach keinen Blödsinn. Das ist doch nicht dein Ernst?"
"Doch!" Ich schlug entschlossen mit der Faust auf die Telefonbücher. Ihre Stimme zu hören, tat mehr weh, als ich vermutet hätte. Wir waren zusammen groß geworden, wie Geschwister. Wir hatten jeden Tag miteinander verbracht, während der Schule, nach der Schule. Von ihr hatte ich auch meinen ersten Kuss bekommen, gezwungenermaßen, weil sie ausprobieren wollte, was daran so toll ist. Wir sind zu dem Zeitpunkt beide neun Jahre alt gewesen und zu dem Schluss gekommen, dass das ganze eine feuchte und eklige Angelegenheit war.
Und nun war sie fast zwanzig Kilometer von mir entfernt in Lübeck, wo sie immer noch wohnte und auch da hingehörte - nur ich nicht mehr.
"Was hast du denn jetzt vor, Paddy? Wo willst du hin?"
"Ich weiß nicht genau, mal sehen. Ich hab noch ein paar Mark, damit komme ich noch mit dem Zug nach Hamburg. Da ist doch morgen das Bon Jovi-Konzert. Das werde ich mir angucken. Und dann mal weitersehen."
"Paddy, nicht..."
"Machs gut, Milena." Ich hängte auf und lief weiter.

Am Bahnhof war nichts los, Totenstille. Ich begab mich auf Gleis zwei und setzte mich dort auf die Bank. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es schon 23.30 Uhr war. Der nächste Zug nach Hamburg würde erst in fünfundfünfzig Minuten fahren, und außerdem würde das auch der letzte Zug sein, der heute noch in diese Richtung fuhr.
Ich machte es mir auf der Bank bequem, winkelte die Beine an und stützte meinen Kopf auf den Knien ab. Langsam wurde es kalt und müde wurde ich auch. War meine Entscheidung richtig? Einfach weglaufen? Zumindest würde meine Mutter sich Sorgen machen und sehen, was sie von ihrem Verhalten hatte.
Ich gähnte und verfiel in einen traumlosen Schlaf.
Geweckt wurde ich erst durch das Einfahren des Zuges.
Ich griff nach der Tür eines Wagons, als ich meinte, eine Stimme hinter mir hätte meinen Namen gerufen. Ich drehte mich um und erkannte Milena. Sie lief mit großen Schritten auf mich zu. Sie war größer geworden im letzten halben Jahr, und auch ihr Haar war viel länger. Es fiel ihr schon bis auf die Schultern. Als sie bei mir ankam, bremste sie ruckartig ab.
"Paddy!" brachte sie gerade so hervor und griff nach meiner Hand, als könne sie mich so zurückhalten. "Bitte geh nicht weg. Mach keinen Blödsinn."
Es tat so gut, sie nach so langer Zeit wieder zu sehen.
"Ich will ja auch gar nicht wirklich weg. Ich bin nur so sauer auf meine Eltern. Sie behandeln mich wie ein Kind. Sie glauben, ich kan nicht entscheiden, was für mich richtig ist und was nicht."
Milena senkte den Blick. Erst herrschte Stille, doch dann musste sie lachen.
"Was ist?" frage ich genervt. Lachte sie mich jetzt aus?
"Da haben sie wohl recht. Du hast ja nicht mal Schuhe an!"
"Was?" Ich sah an mir herunter. "Oh!" Irgendwie hatte ich das Gefühl, als wäre ich gerade sehr rot im Gesicht geworden. Zum Glück war es weitgehend dunkel. Ob Milena es trotzdem gesehen hatte?
Verlegen fuhr ich mir mit der Hand durchs Haar. Ich hatte tatsächlich weder Schuhe noch Strümpfe an. Das bemerkte ich wirklich erst jetzt!
Der Zug fuhr gerade ohne mich ab.
"Wie wäre es, wenn du mal mit deinen Eltern gemeinsam redest? Über deinen Standpunkt, meine ich."
"Das werde ich wohl müssen. Der Zug ist abgefahren!" Ich lächelte verlegen.
Milena strich mir kurz über die Wange. Dieses Gefühl war schöner als der feuchte Kuss in der Garage. Sie wirkte plötzlich so erwachsen.
"Wo kommst du eigentlich so schnell her?"
Milena drehte sich um und deutete in die Dunkelheit, wo ich nach genauerem Hinsehen meine Mutter erkannte.
"Ich wollte deine Mutter anrufen, nachdem du aufgelegt hattest. Doch sie meldete sich nicht. Zehn Minuten später stand sie vor unserer Tür. Sie hat sehr geweint, Paddy."
Ich atmete tief ein. "Ich werde jetzt mit ihr reden."
Gemeinsam verließen wir den Bahnsteig.
"Was hättest du eigentlich gemacht, wenn ich doch in den Zug gestiegen wäre?"
"Ich wäre mitgefahren. Irgendeiner muss ja auf dich aufpassen."
Ich hatte mit einem Mal eine Idee und fasste all meinen Mut zusammen, das folgende auszusprechen: "Hast du Lust, morgen mit mir zum Campingplatz am See zu fahren? Ich hätte dich gerne dabei."
"Klar. Wenn dein Vater nichts dagegen hat?"
"Der hat nichts zu sagen. Er nimmt schließlich auch eine Frau mit!"

 

Hallo aneika,

ich habe Deine Geschichte hierher verschoben, da es eher ein Text für Jugendliche ist.

al-dente

 

Hallo aneika,

ein elf oder zwölfjähriger Junge reißt also ohne Schuh und Strümpfe zu Hause aus, erklärt der Freundin am Telefon mal locker, er hätte noch genug Geld, um mit dem Zug nach Hamburg zu fahren und sich dort auch noch eine Karte für ein Bon Jovi Konzert zu kaufen, tut dieses sogar zu einer Tageszeit, zu der ihn spätestes, wenn er allein auf dem Bahnsteig schlafend, jemand angesprochen hätte. Und seine wahrscheinlich gleichaltrige Freundin redet dann so wunderbar erwachsen mit ihm, wie es sich Pädagogen in ihrem kühnsten Träumen nicht ausdenken mögen.
Die Mutter schafft es auch, in zehn Minuten bei der Freundin zu sein, obwohl sie doch gar nicht mehr in Lübeck wohnt.
Flüchtigkeitsfehler wie

Ich ranne aus der Wohnung hinaus
sind auch noch drin.

Es scheint mir einiges unglaubwürdig, aber vielleicht fehlen ja nur Informationen.

Lieben Gruß, sim

 

Hey Aneika,

Als die Scheidung dann durch war
Hier könnt man ja auch schreiben:
Als die Scheidung rechtskräftig war und...

Mein Zimmer, in dem ich vom Bett aus den Himmel beobachten konnte. Das schräge Dachfenster hatte mir das möglich gemacht.
Du schiebst öfter so einen erklärenden Satz hinter einen erzählenden Satz. Ich mag sowas nicht so sehr. Hier könnte man zB auch schreiben. Ist natürlich nicht zwingend:
Mein Zimmer, in dem ich vom Bett durch das schräge Dachfenster aus den Himmel beobachten konnte.

in der Haustiere erlaubt erlaubt waren.
Irgendwas ist in diesem Satz zu viel. Mach dich mal auf die Suche.

Doch diese dämliche Vieh konnte nicht einmal singen.
dieses

Ich hätte am liebsten losgeheult, doch das tat ich nicht.
Ich denke mal, der Halbsatz am Ende ist nicht nötig, da es vorher im Konjunktiv geschrieben ist.

doch sie strich sanft durch mein schulterlanges blondes Haar.
Die Formulierung hier finde ich unpassend. „durch mein schulterlanges blondes Haar.“ ist eine dieser Standard-dritte-Person-Beschreibungen für Haare. Hier ist die Geschichte allerdings in der ersten Person geschrieben, weswegen es komisch erscheint, dass der Junge sich selber so beschreibt. Ich würd einfach schreiben:
durch meine Haare.

Zum ersten Mal in meinem Leben.
Den Satz finde ich misslungen, zumal es unvollständig ist. Baue das hier in den Satz davor ein oder streiche es.

Ich ranne aus der Wohnung hinaus
Das hier ist immer noch falsch.

über die Straße, in unbestimmte Richtung.
Da fehlt ein unbestimmter Artikel.

Sie war größer geworden im letzten halben Jahr, und auch ihr Haar war viel länger. Es fiel ihr schon bis auf die Schultern.
Öhm, der hat sie also ein halbes Jahr nicht mehr gesehen? Bei 20 km Entfernung? Nun, das halte ich doch für arg unrealistisch... bzw. unglaubwürdig.

Der Zug fuhr gerade ohne mich ab.
"gerade“ würde ich streichen.

Ich finde diese Geschichte wie sim auch größtenteils unglaubwürdig, so zusammengekleistert, dass es irgendwie zu halten scheint. Aber mit ein paar "Wie soll das denn gehen"-Fragen fällt dann alles zusammen... Das ende war aber süß, da mußte ich echt lächeln. :)

Eike

 

Hallo Aneika,

ich finde es sehr schade, dass Du auf die (in meinen Augen sehr guten) Anmerkungen meiner Vorschreiber nicht eingegangen bist, da sind viele Tipps und Anregungen dabei, wie Du Deine Geschichte noch verbessern könntest. Aus dem Grund werde ich mich recht kurz fassen ...
Die Grundidee hat mir eigentlich gefallen, dieser Konflikt intessiert sicher viele. Auch der Schluss hat mir gefallen. Nicht gefallen hat mir manches inhaltliche und die etwas schlampig erscheinende Umsetzung - näheres haben Dir sim und Eike schon geschrieben. Auch der Titel gefällt mir nicht so - ich mag diese Sprüche nicht, sie werden so oft bei passenden und unpassenden Sitautionen verwendet, dass ich sie als absolut nichtssagend empfinde. Die Geschichte ist mit Sicherheit eine Überarbeitung wert!

schöne Grüße
Anne

 

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