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Komödie oder Tragödie?
Einleitung
Unser Held treibt sich viel herum. Was ihn treibt, wird nicht ganz klar. Wir tippen auf Geld. Aus Prinzip. Das regiert doch die Welt – also das Geld, nicht das Prinzip. Auf jeden Fall regieren nicht die drei Gewalten: Legislative, Exekutive, Judikative. Sie spielen bloß mit. Was macht die vierte Gewalt? Einheitsbrei – soweit sollten wir uns einig sein. Alle dasselbe. Wer liest schon noch wirklich den Spiegel? Doch nur derjenige, der seine Meinungen bestätigt haben will. Wir wissen doch was drin steht: CDU und FDP doof, Wirtschaft? Alles Verbrecher! Ansonsten Katastrophen, Amateure und Bösewichte in der ganzen Welt. Apropos Welt. Lesen wir die Welt, steht dasselbe drin - nur andersrum. Alles ist Bild – nur manches subtiler.
Aber es gibt auch andere Bühnen als Politik, mit anderen Darstellern und anderen Requisiten – aber dem selben Spiel. Eine dieser anderen Bühnen betritt unser Held zuerst. Sie heißt Sport.
Wer denn nun die Welt regiert? Wir schauen zu und sind gespannt.
Hauptteil
Zuerst wurde ich Fußballer. Da geht’s schon mit 18 an’s große Geld, dachte ich. Ich war ziemlich gut: durchsetzungsfähig, mit viel Übersicht und einem gnadenlosen Torriecher. Kaum volljährig kam schon das erste Bundesligaspiel und nach zwei Toren war ich zum ersten Mal ein Held: „Paul führt 1. FC Münchhausen zum Sieg“ lauteten die Überschriften, direkt neben der Story über die zunehmende Zahl von Brustvergrößerungen bei Mädchen unter 20. Fußball-Talkmaster nannten mich den „Retter des Traditionsclubs“ und die Homestory ließ gerade mal drei Tage auf sich warten. Natürlich dauerte es auch nicht lange, bis die ersten Kommentatoren mich zum Hoffnungsträger machten und dem Nationaltrainer empfahlen. Besser gesagt, sie legten mich ihm dringend ans Herz. Schließlich stand er zur Zeit selbst auf der Kippe. Nach „Acht Spielen ohne Niederlage“ wie vor zehn Tagen noch die Sportzeitschrift titelte, erhielt zwei verlorene Spiele später die Überschrift „sieben Mal hintereinander nicht mehr gewonnen“ den Vorrang. Also durfte ich, der Hoffnungsträger und das Supertalent, in der Nationalmannschaft spielen. Nur sechs Monate nach dem Bundesligadebüt. Ein Traum, ein kurzer.
Nach diesem Spiel traf ich nämlich nie mehr ins Tor. Dafür traf ich eine kleine Asiatin. Sehr süß. Der Sex war einmalig. Wirklich nur einmalig, weil mich ein Photograph beim Verlassen des Bordells erwischte. „Eine Schande für ganz Münchhausen“ lautete der Titel am nächsten Tag. Darunter ein Photo der Asiatin und auch ein Bild mit meiner Freundin – aus der vormaligen Homestory. Die Freundin hatte sich schon Tage vorher wegen „einem wirklichen Mann“, wie sie sagte, von mir getrennt – aber wen interessiert das schon. Die Sportzeitschrift wies in einem langen Kommentar darauf hin, dass ich abgehoben sei und moralisch eine negative Vorbildfunktion für die Jugend besäße: „Wer mag ihm denn glauben, es sei das erste Mal gewesen?“.
„Wie lange kann der Trainer ihn noch halten“, kam erst in der Woche danach. Ich las die Geschichten alle. Genug Zeit auf Bank und Tribune.
So studierte ich lieber und wurde anschließend Vorstand. Da gibt’s mit 28 auch ne Menge Geld zu verdienen, dachte ich. Unser Unternehmen, die Dausend AG, war erfolgreich, schaffte den Börsengang, verdoppelte in einem Jahr die Belegschaft auf 10 Mitarbeiter und machte Tausende Aktionäre mit Kursvervielfachungen reich. Bei den Journalisten war ich sehr beliebt. Gute Ideen für Storys entwickelten wir gemeinsam bei Essen und genügend Wein. Ich erzählte kurz, was wir vorhatten in den nächsten Jahren, und die Freunde von der Presse begriffen schnell und ohne viele Worte, wie gut die Pläne waren. „Wann macht ihr denn den nächsten großen Deal?“, war die meistgestellte Frage. Wir machten viele Deals, meine Freunde die richtigen Schlagzeilen und der Kurs lief, nein flog wie von selbst. „Der Highflyer des Jahres“, war eine der schönsten Überschriften. Aber am schönsten war immer noch: „Dausend – Kaufen!.“ Das war der Aufmacher noch über dem Bericht über die Brustverkleinerungen bei knapp 30jährigen Frauen mit Rückenproblemen. Auf Pressekonferenzen und unserer Hauptversammlung präsentierten wir Models in knappen Leibchen - mit unserem Logo über der Brust (75C). Das kam bei meinen Freunden von der Presse und bei unseren Aktionären noch besser an als die Gewinnprognosen für die nächsten Jahre.
Ja, ja, die nächsten Jahre. Die Konjunktur brach ein, die Kunden weg und langsam aber sicher auch der Kurs unserer Aktie.
„Warum habt ihr denn nicht für schlechte Zeiten vorgesorgt?“, war die erste Frage eines besonders gut befreundeten Journalisten - zehn Minuten nachdem die erste Pressemitteilung mit schlechten Nachrichten draußen war.
„Es wird wieder“ antwortete ich ihm, „ich diskutiere gerade mit meinem Vorstandskollegen intensiv die weiteren Maßnahmen. Dann melde ich mich bei Dir“.
„Machtkampf im Vorstand von Dausend“ lautete die Headline am nächsten Tag. Alle anderen sprangen auf den Zug auf. Die Frage, ob so viele große Deals in einem Jahr schlau gewesen seien, wurde in jedem Artikel gestellt und ein Kommentator schrieb, die Zeit der großen Essen und der Girlies sei für Dausend endgültig vorbei. Gott sei dank, liefen solche Themen nur noch auf Seite zwei, weil die erste Seite seit Wochen dem Trend zu Penisimplantaten für Männer ab 25 – also kurz nach Überschreiten des sexuellen Höhepunkts - vorbehalten war. Sechs Wochen später war unsere Aktie um 90% gesunken, und jetzt waren sich alle Redakteure einig: Die Dausend-Aktie sollte jeder Aktionär nun besser verkaufen. Der Aufsichtsrat war sich auch einig: Ich hätte stark nachgelassen. Schon okay.
Fünf Jahre hangelte ich mich von Job zu Job. Dann wurde ich mit 38 Politiker. Da gab’s keine Menge Geld. Die Hälfte meines letzten Gehalts. Na ja, was soll’s. Dafür trafen hier meine bisherigen Erfahrungen optimal zusammen: Ich konnte mit Journalisten umgehen, war durchsetzungsfähig und treffsicher, mit viel Übersicht und einem gnadenlos guten Riecher für das, was andere hören wollen. Familienpolitik war zwar nicht ganz mein Gebiet, ich hatte auch nicht wirklich viel zu sagen, das aber umso überzeugender. Details? Wen interessierte das schon. Diejenigen, die mich fragten, verstanden ja selbst nicht viel davon. Ich hatte nur ein Thema: Kinder. Kinder brauchten mehr Kindergartenplätze, Familien mit Kindern brauchten mehr Geld, Kinder sind unsere Zukunft. Sie kennen das. Das Thema kam an. Erst bei der Presse, dann bei den Wählern und schließlich bei meiner Partei. Ich sei genau der Richtige für den Job, sagte der Parteivorsitzende. Vier Monate später war ich Kanzlerkandidat. Und ich siegte. Grandios. Ich war der mächtigste Mann Deutschlands.
Ende und Moral
Und wieder einmal flogen unserem Helden die Herzen zu. Ob Zeitungen oder TV, Radio oder Internet. Endlich mal ein fähiger Politiker. Aber wir ahnen es schon. Es konnte nicht gut ausgehen. Zuerst fand ein findiger Journalist heraus, dass der Kanzler seinen Privatwagen in der selben Anlage waschen ließ wie seinen Dienstwagen. Natürlich ohne den Privaten zu bezahlen. Doch einen Tag bevor ihm sein Parteivorsitzender - als Reaktion auf die zunehmende Kritik der Presse an diesem Amtsmissbrauch - den Rücktritt nahe legen konnte, explodierten auf einem fernen Kontinent zwei Wolkenkratzer. Er hatte Glück: Zwei Wochen später als die Berichte auf allen Kanälen zu diesem Thema abebbten, erinnerte sich niemand mehr an seine Bonuswaschkartenaffäre.
Aber es war nur ein kurzes Glück. Es ist leider nicht überliefert, ob sein endgültiger Sturz nun damit zusammen hing, dass er mit seiner Freundin in einem Pool planschte und sich dabei photographieren ließ, ob die kleine Asiatin 20 Jahre vorher abgetrieben hatte und irgend jemand die Geschichte wieder ausgrub („Unser Kanzler. Beihilfe zum Kindermord?“ titelten sie – zumindest mit Fragezeichen, dass muss man ihnen zugute halten) oder ob er das Wort Jude (wahlweise auch den Namen des amerikanischen Präsidenten) mit der falschen Betonung ausgesprochen hatte. Es steckte keine böse Absicht dahinter, aber wen interessiert das schon.
Na ja und was machte unser Held dann? Er heiratete die Asiatin (sie hatten viel Spaß - auch wenn sich sein Implantat trotz des gefühlsechten Überzugs ständig durch die Reibung elektrisch auflud), schrieb sein Buch „Eintagsfliegen im Zweireiher“ (verkaufte sich bestens) und gründete einen Hobby-Fußballverein in dem er heute mit 48 noch jedes Wochenende spielt (und fast immer Tore schießt).
Und die Moral von der Geschicht? Sie schreiben weiter. Ende nicht in Sicht. Moral? Die gibt es nicht. Wer will die schon.
PS: Jetzt fragen Sie nicht, wer die Welt regiert oder mahnen an, es hätte zum Schluss der Geschichte gehört. Sie sollen ja selbst denken und nicht glauben, was geschrieben steht.