Kopfgeld
Sie weckten Martok nur auf, um ihn gleich wieder bewusstlos zu schlagen. Kurz bevor sie ihm einen Knüppel über seinen zwergischen Dickschädel zogen, zuckten seine Mundwinkel kurz - fast so, als ob er lächelte.
Gegen Mittag des nächsten Tages wurde er mit pochenden Kopfschmerzen wach. Er lag an Händen und Füßen gefesselt quer über dem Rücken eines Maultieres. Die Qualität der Knoten besagte, dass er nicht von Anfängern gefangen genommen worden war. Dass Sie ihm nicht die Augen verbunden hatten hieß, dass es andererseits auch keine echten Veteranen waren.
Gut, dachte er. Dann bemerkten sie, dass er wach war. Ein hässlicher Ork holte mit kettenbewehrter Faust aus und schickte Martok zurück ins Reich der Alpträume.
Beim nächsten Mal ließen sie ihn lange genug wach, dass er ein wenig Wasser aus einer schlammigen Pfütze trinken konnte. Außerdem konnte er sich einen genaueren Eindruck von seinen Gastgebern verschaffen. Es waren hauptsächlich Orks, acht an der Zahl, dazu vier Goblins und eine grobschlächtige Kreatur, die er für einen Halboger hielt.
Der hässliche Ork, den Martok für den Anführer hielt, trug seine gute Zwergenaxt und den schweren eisenbeschlagenen Holzschild. Das Kettenhemd hatten sie ihm gelassen, vermutlich, weil es keinem von ihnen gepasst hätte.
Soweit er es mit auf dem Rücken gefesselten Händen feststellen konnte, hatten sie ihm alle Waffen abgenommen, sogar die eingenähten Klingen in den Stiefeln und die in seinem Bart versteckten langen Nadeln. Damit war bisher alles nach Plan verlaufen.
Es war an der Zeit, zu Phase zwei überzugehen. Nachdem er den schlimmsten Durst an der Pfütze gestillt hatte, wälzte er sich mühsam in eine sitzende Position. Sofort war er von vier muskelbepackten und grimmig blickenden Orks umringt. Er ignorierte die pochenden Kopfschmerzen und sagte:
„Kann mir vielleicht einer von euch Hackfressen sagen, wo’s hier nach Olwand geht? Ich hab‘ da ‘nen wichtigen Termin.“
Das Grinsen der Orks verriet ihm, dass die nächsten Tage nicht angenehm werden würden. Das hier waren nicht nur gewöhnliche Schläger. Diese Jungs hatten Spaß an der Sache.
Der erste Schlag traf ihn seitlich auf die rechte Wange. Martok tat das einzig Vernünftige: Er nutzte den Schwung des Treffers und ließ sich seitlich auf den Boden fallen. Dann krümmte er sich, soweit es seine Fesseln erlaubten, zu einer Kugel zusammen. Mit eng zusammengepressten Beinen und fest auf die Brust gedrücktem Kinn versuchte er, seine empfindlichsten Körperteile zu schützen.
Natürlich konnte er nicht verhindern, dass er mehr als ein Dutzend übler Treffer gegen Kopf, Brust und Magen kassierte. Da er auf dem Boden lag traktierten sie ihn hauptsächlich mit Fußtritten. Immerhin hatten die meisten Stiefel keine Eisenkappen.
Das Trommelfeuer aus Tritten und vereinzelten Faustschlägen schien minutenlang zu dauern, aber Martok wusste aus Erfahrung, dass es kaum einige Herzschläge lang währen konnte. Sie wollten ihn vermutlich lebend und konnten es sich nicht erlauben, ihn aus einer Laune heraus tot zu prügeln. Andererseits hatte er sich auch schon mal geirrt und Orks waren nicht unbedingt für vorausschauendes Denken berühmt.
Als sie ihm endlich eine Pause gönnten, blutete er aus Platzwunden auf der Stirn und an der Oberlippe. Seine Rippen schmerzten bei jedem Atemzug. Er hob den Kopf, sah den hässlichen Ork aus glasigen Augen an und fragte:
„Iss‘ das alles, was ihr Weicheier drauf habt?“
Er hatte keine Ahnung, ob sie ihn überhaupt verstanden, aber der Sinn der Botschaft musste angekommen sein. Der Hässliche verzog sein Gesicht zu dem, was er sich wohl unter einem Grinsen vorstellte. Dann schüttelte er den Kopf und verpasste Martok einen wuchtigen Schwinger direkt ins Gesicht.
Eine Zwergennase brach mit hässlichem Knacken. Der resultierende Schmerz gesellte sich zu seinen zahlreichen Kollegen. Dann wurde es wieder dunkel für Martok…
…weil er die Augen geschlossen und sich schlaff in den Dreck hatte fallen lassen.
Es dauerte einige Zeit, bis er es schaffte sich wieder auf seine Umgebung konzentrieren konnte. Die Orks unterhielten sich. Über ihn. Genau wie er es gehofft hatte.
Er verstand genug von ihrer kehligen, primitiven Sprache, um die wichtigsten Informationen zu filtern. Mit ein wenig Glück würden sie ihm den Namen ihres Auftraggebers verraten. Dann würde er endlich wissen, wer vor etwa zwei Monden ein recht ansehnliches Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hatte – und vielleicht sogar warum.
Die orkischen Wortfetzen verschwammen in seinen Ohren zu unverständlichem Gebrabbel. Martok war müde. Eineinhalb Tage ohne erholsamen Schlaf, ohne Essen und mit zu wenig Wasser, dafür aber einem Überschuss an Prügeln forderten ihren Tribut. Man sagte ihm nach, selbst für einen Zwergen überaus zäh zu sein und vielleicht rettet ihm das in den kommenden Tagen das Leben, aber für den Augenblick verlangte sein Körper nach einigen Stunden Schlaf. Martok wehrte sich noch ein paar Herzschläge lang, dann gab er nach.
Die nächsten Tage folgten einer beinahe beruhigenden Routine. Er wurde tagsüber auf einem Maultier durch eine karge Landschaft geschleppt, der ein kalter Herbstregen auch noch das letzte Bisschen wilder Schönheit geraubt hatte. Er saugte gewissenhaft die Regentropfen ein, die sein dichter Bart auffing und stillte seinen Durst in den wenigen Pausen oder am Abend zusätzlich aus brackigen Pfützen. Jeden zweiten Tag bekam er ein paar Bissen schimmeliges Brot, während seine Entführer sich an geräuchertem oder gepökeltem Fleisch gütlich taten. Wenn Martok der Meinung war, genug getrunken und gegessen zu haben, provozierte er mit ein paar Beschimpfungen neue Prügel.
Dieser Teil war der leichteste, denn die Hemmschwelle eines Orks gegenüber der Ausübung körperlicher Gewalt war gemeinhin recht niedrig. Zu Martoks Glück wollten sie eher seinen Willen, als seine Knochen brechen und so schaffte er es an den folgenden Abenden beinahe jedes Mal, seine Ohnmacht nur vorzutäuschen. Am siebten Abend seiner Gefangenschaft und vermutlich mehr als hundert Meilen nordöstlich der kleinen Senke, in der sie ihn aufgegriffen hatten, war er sich sicher: Der Name desjenigen, der das Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hatte, war Krulm. Oder vielleicht auch Krolm.
Möglicherweise war der Kerl Alchimist, oder (schlimmer) Zauberer, aber in jedem Fall lebte er in einer Stadt namens Bergheim, irgendwo östlich des Wildlandes aber südlich des alten Waldes.
Martok hatte keine Ahnung, warum Krulm (oder Krolm) ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hatte, noch sagte ihm der Name überhaupt irgendetwas. Aber diese Informationen reichten vorerst. Es war Zeit für Phase drei.
Die Orks, die Goblins und der Halboger würden bald merken, dass eigentlich nicht sie ihm, sondern er ihnen aufgelauert hatte.
Sein Plan war recht simpel gewesen: Martok wusste, dass er weder ein guter Ermittler, noch ein guter Spurenleser war. Seine Chancen, die treibende Kraft hinter dem Kopfgeld aufzuspüren waren also - optimistisch betrachtet - in etwa gleich null.
Nach der zweiten Begegnung mit einem Möchtegern-Kopfgeldjäger innerhalb einer Woche hatte er also die sicheren Grenzen des Konzils verlassen und sich ins Wildland aufgemacht. In einer Taverne, die ihm vielversprechend erschien, hatte er einige ziemlich auffällige Fragen gestellt, einige ebenso auffällige Andeutungen gemacht, beiläufig seinen Namen fallen lassen und dann lautstark erklärt, er würde lieber in der Wildnis übernachten, als Geld für ein flohverseuchtes Strohlager zu bezahlen. Gerade außerhalb Sicht- und Hörweite der morschen Holzpalisaden der kleinen Siedlung hatte er dann ein rauchendes Lagerfeuer entzündet. Und genau dort hatten sie ihn geschnappt.
Bis hierhin hatte er alles mehr oder weniger genau geplant. Von jetzt ab würde er improvisieren. Die Goblins waren kein Problem, eher Hilfstruppen, die beim ersten Anzeichen von Problemen das Weite suchen würden. Die meisten der Orks wirkten kampferprobt, aber auch das war kein Problem. Diese Grünhäute mochten ein paar Raufereien oder auch Duelle überstanden haben, aber Martok war praktisch mit der Axt in der Hand geboren worden. Er war bei Klingenmeistern in die Lehre gegangen, die auf eine Jahrtausende zurückreichende Tradition und Erfahrung zurückblicken konnten und hatte in den vergangenen hundertfünfzig Jahren noch einige Tricks dazu gelernt. Er hatte vermutlich in mehr Schlachten gekämpft, als diese stinkenden Bastarde Lebensjahre auf dem Buckel hatten.
Der Halboger konnte das einzige nennenswerte Hindernis zwischen ihm und seiner Freiheit darstellen, aber darum würde er sich kümmern, wenn es soweit war.
Du findest Kupfer, du findest Gold, wie die Priester zu sagen pflegten. Es machte ab einem bestimmten Punkt einfach keinen Sinn mehr, sich zu viele Gedanken zu machen.
Noch eine Stunde, höchstens zwei, dann würde er den Strick, der seine Hände fesselte und den er seit der Mittagsstunde mit dem Daumennagel bearbeitete, genug geschwächt haben, dass er bei einem kräftigen Ruck reißen sollte.
Er musste heute Nacht fliehen, denn es gab etwas, dass ihn doch ein wenig beunruhigte: Seine Entführer hatten sich offenbar beim Proviant verschätzt. Vor zwei Tagen hatten Sie das letzte Fleisch verspeist. Und wenn Martok eines über Orks gelernt hatte, dann dass ihnen ein voller Magen im Zweifelsfall wichtiger war, als ein voller Geldbeutel.
Mit etwas Glück würde er die beiden Wachen ausschalten, bevor sie Alarm geben konnten. Dazu musste er den langen Bratenspieß benutzen, der aus einem Rucksack ragte.
Falls er kein Glück hatte, würde es ein wenig komplizierter und wohl auch ein wenig hässlicher werden. In diesem Fall würde er…
Martoks Überlegungen wurden von einem leisen Rascheln schräg hinter ihm unterbrochen. Erst dachte er, es wäre vielleicht ein Raubtier, das sich zu nahe ans Lagerfeuer wagte, aber dann erkannte er, dass jemand versuchte sich anzuschleichen.
Das gehörte nicht zum Plan.
Ein kurzer Blick durch seine halb geschlossenen Augenlider zeigte ihm, dass die Wachen ihm momentan den Rücken zudrehten. Neben Martok tauchte das Gesicht eines jungen Menschen auf. Es war mit Erde und Schlamm schwarz gefärbt. Vielleicht hoffte der Kerl, damit bei Nacht möglichst unauffällig zu bleiben.
„Keine Angst, Zwerg“, flüsterte der Mensch. „Mein Name ist Thulin und ich werde dich retten.“
„Verpiss dich!“, zischte Martok.
Thulin schien kurz irritiert, setzte dann aber seine Erklärung fort:
„Ich habe gesehen, wie sie dich geschnappt haben und folge euch schon fast eine Woche lang.“
Thulin zückte ein schartiges Messer.
„Ich schneide jetzt deine Fesseln durch und dann verschwinden wir von hier.“
„Nein! Hau ab! Ich brauch‘ keine Hilfe.“
Nun erschien eine steile Falte zwischen Thulins Augenbrauen, was wohl seine Version eines verärgerten Gesichts war.
„Na hör mal, ich habe unzählige Entbehrungen auf mich genommen, um dich zu retten. Und ich will das Kopfg… Ich meine eine gerechte Belohnung!“
„Mann! Wegen Dir gehen wir noch beide drauf, Du blödes Arschloch! Verpiss dich endlich bevor…“
Ein Knurren oder vielleicht auch ein Lachen war aus der Dunkelheit hinter Thulin und Martok zu hören.
Danach ging es schnell. Der hässliche Ork stürzte sich mit der Axt auf den Menschen. Thulin wehrte sich verbissen aber nur kurz, dann ging er blutend zu Boden. Martok stürzte sofort zu ihm hin und schaffte es sogar fast, den Menschen zu erreichen bevor er den Knauf der Axt auf den Hinterkopf bekam. Dann wurde es dunkel. Diesmal wirklich. Keine Spielchen mehr. Der Plan war schief gegangen.
Als Martok am nächsten Abend erwachte, dröhnte sein Schädel und die Zunge lag ihm wie ein aufgedunsener Kadaver im Mund. Seine alten Freunde, Hunger, Durst und Müdigkeit stritten mit den Schmerzen um seine Aufmerksamkeit.
Darüber hinaus musste er weitere schlechte Neuigkeiten erfahren: Seine Hände waren nicht mehr mit dem beinahe schon durchtrennten Strick gefesselt, sondern mit massiven Eisenhandschellen.
Es sah also relativ beschissen aus.
Allerdings gab es auch ein paar gute Neuigkeiten: Zum einen war Thulin letztlich doch noch zu etwas Nutze gewesen und hatte Martok ein wenig Zeit verschafft. Das verriet ihm das Menschenbein, welches gerade auf dem Bratenspieß über dem Feuer knusprig braun wurde. Die Mägen der Orks würden für mindestens zwei weitere Tage gefüllt sein.
Die zweite gute Neuigkeit war ein Eisennagel. Er hatte sich aus Thulins Lederpanzer gelöst, als der Ork den Menschen niedergestreckt hatte. Martok hatte ihn sich bei seinem Sturz ins weiche Fleisch des Handballens gerammt. Für ein subtileres Versteck war keine Zeit gewesen. Nun pochte und wartete der Nagel dort, unbemerkt von den Orks und versteckt unter einer Schicht Dreck und getrocknetem Zwergenblut. Falls Martok keinen Wundbrand bekam, würde ihm dieser Nagel vielleicht das Leben retten. Er war zwar nicht besonders geübt im Schlösserknacken, aber er war ein Zwerg und er hatte Geduld.
Trotz der Schmerzen zuckten seine Mundwinkel kurz - fast so als ob er lächelte.