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Krupf, der kleine Fisch

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22.06.2001
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Krupf, der kleine Fisch

Das Wasser war angenehm in seiner Temperatur. Der kleine Fisch schwamm seine Runde und fing das Futter auf, das von oben herab rieselte. Eine Wasserpflanze schaukelte leicht in der Strömung und streifte seinen Bauch, ehe der Zierfisch sich weitertreiben ließ, eine weitere Runde schwamm und wieder Futter auffing. Krupf hatte viel Platz in seinem Aquarium. Als er klein war, musste er sehr kleine Kreise ziehen, wenn er schwamm. Nicht nur, dass das Becken sehr begrenzt war, er teilte es auch mit einem ganzen Schwarm. Hier hatte er viel Platz für sich und seine Kreise, und war recht zufrieden. An manchen Tagen hämmerte und hallte es sehr laut im Wasser. Dann bekam Krupf Angst und versteckte sich unter einem Stein oder in der Wasserpflanze. Was auch immer das war – es hörte sich Furcht erregend an, und Krupf legte keinerlei Wert darauf, sich diesem Monster zu stellen.

Es wurde hell, und es wurde dunkel in seiner Welt. Regelmäßig rieselte Futter hinein, trieb mit der Strömung, sackte langsam zu den kleinen weißen Kieseln am Boden. Krupf beeilte sich nicht zu fressen. Er hatte genug Zeit dafür. Und er suchte es auch gerne zwischen den Steinchen heraus. Wenn er müde war, schwamm er neben die Pflanze, schmiegte sich zwischen die Blätter und ruhte sich aus. Er war glücklich in seiner kleinen Welt.

Eines Tages schrak Krupf inmitten seiner Wasserpflanze hoch, weil das Wasser plötzlich turbulent wurde. Es schwappte ein weiteres Mal, Krupf purzelte aus seinen Blättern heraus und befand sich – gegenüber von dem größten Fisch, den er je gesehen hatte. Er war riesig, und er war anscheinend über irgendetwas erzürnt. Der Karpfen erblickte Krupf, schoss durch das Wasser und ging auf den kleinen Kerl los. Dieser wich aus, schwamm so schnell er konnte. Er schaute nicht richtig, wo er hin schwamm und krachte mit einem dumpfen Schlag gegen die Scheibe. Krupf war irritiert, wo kam die her? Direkt aufgefallen war sie ihm noch nie… Aber dafür war jetzt keine Zeit. Benommen wandte er sich um. Er starrte dem Karpfen entgegen. Nicht, weil er so tapfer war, sondern weil er vor Angst vergaß zu flüchten. Der große rammte ihn mit seinem Kopf in den weichen Bauch, wirbelte herum und riss Krupf ein kleines Stückchen aus der Schwanzflosse heraus. Krupf löste sich aus seiner Erstarrung und schwamm wieder los. Sein Ziel war der ausgehöhlte Stein. Darin konnte man sich auch super vor dem anderen Monster schützen, das immer so dumpfe Geräusche mit sich brachte. Der Zierfisch erreichte seine Höhle und presste sich an das andere Ende. Der Karpfen war zu groß und passte nicht durch die Öffnung. Aggressiv starrte er hinein und wedelte hin und her.

Nach einer ganzen Ewigkeit, so erschien es Krupf, nahm er all seinen Mut zusammen: „Warum tust du das?“ fragte er. „Ich habe dir nichts getan!“ Die großen Augen des anderen blickten ihn unverwandt an. Keine Antwort.
„Ich heiße Krupf. Und du?“ Wieder keine Reaktion.
„Hat dir deine Mama keine Manieren beigebracht?“ fauchte Krupf, nun schon mutiger. Der Karpfen machte einen undefinierbaren Laut, drehte sich um. Im davon schwimmen sagte er traurig: „Meine Mama wurde mir weggenommen.“ Krupf sah ihm ratlos nach. Wo war der aggressive Kerl geblieben? Der Karpfen blieb vor der Scheibe halten und blickte… Ja, wohin? Krupf wusste es nicht. Ihm war ja diese Wand noch nie bewusst aufgefallen. Vorsichtig wagte er sich unter seinem Stein hervor und näherte sich langsam dem Größeren. Neben ihm hielt er an.
„Janosch.“
„Wie bitte?“
„Ich heiße Janosch.“
„Wohin schaust du?“
„Raus.“
„Was ist raus?“
„Na, das, was hinter der Scheibe ist.“
„Was ist denn hinter der Scheibe?“
„Hast du noch nie rausgeschaut?“
„Nein. Ist mir noch nie aufgefallen…“ Krupf presste seinen Kopf an das Glas und schaute hinaus. Er sah viele Tische und Stühle, fein säuberlich in Reih und Glied aufgestellt. Menschen saßen dort. Eine kleinere Ausgabe rannte auf ihn zu. Das ganze Aquarium dröhnte. Krupf fuhr erschreckt zurück. Janosch lachte leise. „Das ist nur ein Mensch. Er klopft gegen die Scheibe, um auf sich aufmerksam zu machen! Du brauchst keine Angst haben…“
„Woher weißt du das?“
„Das hat mir meine Mama beigebracht.“
Sie schwiegen eine Zeitlang zusammen. Dann sagte Krupf: „Was tun die Menschen dort?“
„Sie essen… Sie essen Fische wie uns.“
„Hat dir das auch deine Mama erzählt?“
„Ja.“
Wieder schwiegen sie, schauten den Menschen beim essen zu und dachten darüber nach, dass sie Fische aßen.
Mit der Zeit vergaß Krupf diese Unterhaltung. Er und Janosch spielten gemeinsam, teilten sich das Futter. Janosch wuchs immer weiter. Anfänglich doppelt so groß, war er bald über das vierfache von Krupf. Sie ruhten gemeinsam aus und beobachteten manchmal die Menschen und ihre Eigenarten.

Janosch und Krupf fraßen gerade, als einmal mehr das ganze Becken mit dem dumpfen Dröhnen erfüllt war. Plötzlich war ein riesiges Etwas im Wasser, was Janosch mühelos in die Luft hob, die Wasseroberfläche durchbrach und Krupfs Freund entführte. Krupf schwamm hinterher, bis ganz oben, steckte seinen Kopf aus dem Wasser und schrie nach Janosch. Aber Janosch wurde von den Menschen weggetragen. Das letzte was er sah war, dass der Große im Netz zappelte und sich wehrte. Als er außer Sicht war, ließ Krupf sich langsam zurück ins Wasser gleiten. Er war sehr aufgeregt. Er schwamm an den Scheiben entlang und blickte hinaus in der Hoffnung Janosch zu sehen. Plötzlich sah er ihn. Aufgeregt hüpfte Krupf auf und ab, um seinen Freund auf sich aufmerksam zu machen. Aber Janosch lag reglos auf einem riesigen flachen Stein, von dem die Menschen aßen! Ungläubig beobachtete Krupf den Menschen, der seinen Freund an einen der Tische trug und vor einem anderen Menschen abstellte. Und der… Aß tatsächlich… Seinen Freund auf.
Krupf zog sich in seine kleine Höhle zurück. Er war wieder alleine. Und er hatte Angst. Wenn sie Janosch aßen, würden sie ihn auch essen, wenn er größer wurde. Und Janosch hatte immer gesagt, er müsse so viel essen, um ganz groß zu werden. Er war so stolz auf seine Wachstumsfortschritte gewesen. Er fehlte Krupf so furchtbar. Mit wem sollte er spielen? Wer würde ihm die Welt erklären? Und auf ihn aufpassen, wenn er Angst hatte?
In seiner Angst und Verzweiflung, mit all seinem Schmerz, der ihn innerlich zu zerreißen drohte, fasste Krupf einen Entschluss. Er wollte nicht mehr wachsen. Er wollte nicht gegessen werden. Und so aß er selbst nichts mehr.

Eines Morgens, Tage später, entdeckte ihn der Restaurantbesitzer, mit dem Bauch nach oben an der Wasseroberfläche schwimmend. Krupf war gestorben, weil er nichts mehr gegessen hatte. Weil er solche Angst vor dem hatte, was ihm vermeintlich passieren würde – und davon war er fest überzeugt.

Woher hätte er wissen sollen, dass Menschen einen Fisch wie ihn nie gegessen hätten?

 

Hi Eowyn,

ich weiß nicht so recht, was ich mit deiner Geschichte anfangen soll. Sie erinnert mich an ein Märchen, eine Kindergeschichte, auch ihr Inhalt. Kleiner Fisch schließt Freundschaft mit großem Fisch, Fisch wird gegessen. Und was nehme ich als Botschaft aus deiner Geschichte mit? Auch Feinde können zu Freunden werden? Wir haben immer nur einen begrenzten Horizont und verstehen die Welt nie ganz? Schließ keine Freundschaften, denn am Ende bist du doch wieder allein?

Einige Merkwürdigkeiten haben mich etwas irritiert. Zum Beispiel, dass der kleine Fisch die Glasscheibe und die Außenwelt vorher nie wahrgenommen hat. Oder, dass er den Karpfen auch zubereitet auf dem Teller noch erkannt hat.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Juschi,

welche Botschaft du daraus mitnimmst, musst letztendlich du entscheiden.
An sich ist es eine Geschichte darüber, wie man die Welt wahr nimmt. Und dass man über den Tellerrand schauen sollte, sich keine Sorgen über Dinge macht, die vielleicht nicht passieren, denn:
- er nimmt die Welt um ihn herum nicht wahr, sondern bosselt nur vor sich hin. An sich nicht schlecht, er ist ja auch glücklich, aber als ungewöhnliche Dinge vor sich gehen ist er erstmal überfordert. In seiner eigenen kleinen Welt kam das nicht vor.
- Krupf hat eine Entscheidung getroffen, die ihn das Leben gekostet hat - was aber nicht hätte sein müssen, wenn er sich mit dem beschäftigt hätte, was wirklich um ihn herum passiert: er wäre nicht gegessen worden ... Er hat sich Sorgen um das gemacht, was nie eintritt - es ist wie bei dem Sprichwort: "Wie man über die Brücke kommt, darüber sollte man sich Gedanken machen, wenn man davor steht."

... Dass Krupf Janosch auch zubereitet noch erkannt hat: Fische werden zuweilen auch "am Stück" serviert, von daher ist es jetzt nicht so weit hergeholt.

Vielen Dank für dein Feedback
Eowyn

 

Hallo Eowyn,

eine Fabel mit einer deutlichen Aussage: Es ist schwer Erkenntnis zu gewinnen. Jemand kann sich in seiner kleinen Welt abkapseln, solange dieses Glück nicht gestört wird, mag man zufrieden sein. Wird über den Tellerrand hinaus geschaut, muss man sich mit Ungewissheiten auseinander setzen, besteht die Gefahr der Fehlinterpretation. Man kann das (beschränkt) auf Menschen übertragen.
Eine als kleiner Nachdenklichkleitsauslöser durchaus geeignete Geschichte.

L G,

tschüß Woltochinon

 

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