Kummerkastentante
„Raus aus den Federn, das Frühstück wartet!“ schrie Mum und riss mich damit aus dem Schlaf. Noch ganz schlaftrunken zog ich mich an und schlenderte in die Küche. Dort saß Mum am Tisch und las eine Zeitung, meine kleine Schwester Ann- Katrin bestrich sich gerade ein Brötchen mit Butter.
„Jessica hat gerade angerufen,“ sagte Mum, „sie ist krank und kann heute deswegen nicht in die Schule. Du sollst sie bei der Schülerzeitung vertreten.“
„Jessica ist krank?“ fragte ich überrascht. Gestern schien sie noch putzmunter zu sein.
Ich frühstückte noch schnell und war eine Viertelstunde später aus dem Haus. Wieso hatte Jessica mir eigentlich nie gesagt, dass sie bei der Schülerzeitung mitmachte?
Wahrscheinlich dachte sie, ich würde sie dann für eine Streberin oder so halten.
Was sie da wohl genau machte? Witze ausdenken, Geschichten schreiben, Kochrezepte auswählen?
Mann, das würde bestimmt langweilig werden. Ich musste Jasmin, meine Freundin, unbedingt fragen, ob sie mitkommen wollte.
„Schülerzeitung?“ fragte Jasmin und sah mich fragend an. „Seit wann machst du denn da mit?“
„Mach ich ja gar nicht,“ meinte ich, „Ich soll für Jessica dorthin, weil sie krank ist.“
„Klar, wenn du willst, geh ich für dich dahin,“ sagte Jasmin.
Ich sah Jasmin fragend an.
„Wieso? Weißt du, was sie da machen muss?“
Jasmin beugte sich zu mir, sah sich dabei um.
„Sie ist-… Kummerkastentante,“ sagte sie dann und grinste breit. „Sie hilft anderen Leuten bei deren Problemen, geil, oder? Hat sie mir mal gesagt, aber das muss unter uns bleiben!“
„Und was findest du daran so geil?“ wollte ich wissen und kam mir ganz schön blöd vor zu fragen.
Jasmin verdrehte die Augen. „Dort schreiben Schüler hin, wenn sie Hilfe brauchen! Verstehst du?“
„Ach so! Klar! Okay, dann machst du das.“
„Du hast es immer noch nicht gecheckt, oder?“
„Nein.“
Gegen zwei Uhr klingelte Jasmin an unserer Haustür.
„Ich muss dir unbedingt etwas erzählen,“ sagte sie aufgeregt und stürmte an mir vorbei in mein Zimmer.
„Hallo, danke der Nachfrage, mir geht es auch gut,“ sagte ich zu mir selbst, schloss die Tür und folgte Jasmin. Sie saß inzwischen schon auf meinem Bett.
„Du hast einen Verehrer,“ sagte sie und grinste breit. „Und
dreimal darfst du raten, wer das ist.“
Ich zuckte mit den Schultern. Der einzige Typ, den ich schon seit langem anhimmelte und haben wollte, war unerreichbar für mich. Alex konnte jede kriegen, die er haben wollte, wirklich jede. Und ich war nun wirklich nicht die Hübscheste.
„Sag schon,“ meinte ich und kraulte Tommy, unseren schwarzen Kater, hinterm Ohr.
„Es ist Alex Büddner,“ sagte Jasmin.
„Willst du mich verarschen?“ fragte ich sie. „Du weißt nämlich ganz genau, dass-…“
Jasmin zog ein Blatt Papier aus der Hosentasche und entfaltete ihn.
„Den hat Alex per E-Mail an die Redaktion geschickt,“ sagte sie. „Soll ich vorlesen?“
Ich nickte. „Und wehe es ist eine Verarschung, dann kill ich dich.“
Jasmin zuckte mit den Schultern und las denn vor: „Hallo Kummerkastentante, seit kurzem bin ich in Mädchen namens Mia verliebt. Aber ich glaube, dass sie mich gar nicht sieht. Mir läuft jedes Mädchen hinterher, nur sie nicht. Wie kann ich sie auf mich aufmerksam machen? Alex Büddner.“
„Und wie kommst du darauf, dass ich damit gemeint bin?“ fragte ich Jasmin, die gerade einen Lachkrampf bekommen hatte.
„Na ja,“ sagte sie, als sie sich einigermaßen beruhigt hatte, „du bist die einzige Mia in der Schule, die ihm nicht hinterher läuft, oder? Und außerdem tust du in seiner Gegenwart ja auch immer so, als wäre er Luft, weil du Angst hast, dich vor ihm zu blamieren, oder?“
Ich überlegte kurz. Jasmin hatte Recht. Nur ich konnte damit gemeint sein!
Mein Herz machte einen Sprung.
„Willst du jetzt mit ihm reden?“ fragte Jasmin. „Wo ihr beinahe zusammen seid, kannst du ihm doch gestehen, dass du-…“
Sie brach ab.
„Was hast du?“ wollte ich wissen.
„Pst!“ Jasmin legte einen Finger auf den Mund und sah aus dem Fenster.
Mit triumphierendem Blick sah sich mich an.
„Er ist bestimmt wegen dir hier,“ sagte sie und zeigte aus dem Fenster.
Und sie hatte Recht: Alex war wirklich da und fuhr mit seinem Skateboard die Straße rauf und runter, bis er schließlich stehen blieb und sich gegen eine Wand lehnte. Ob er zu mir wollte?
Jasmin überredete mich, nach draußen zu gehen und mit Alex zu reden. Ich nickte, immerhin wusste ich, dass er mich auch
mochte und so musste ich nichts befürchten.
„Hi,“ sagte ich und stellte mich neben ihn. Alex nickte zum Zeichen, dass er mich gehört hatte.
„Was machst du hier?“ wollte ich wissen.
„Skaten,“ antwortete Alex und sah in eine ganz andere Richtung.
Ganz schön schüchtern, dachte ich und grinste.
„Wolltest du vielleicht zu mir?“ fragte ich ihn.
Alex sah mich fragend an. „Wieso sollte ich denn zu dir wollen?“
Sollte ich ihn jetzt sagen, dass ich seinen Brief gesehen hatte?
Ich atmete tief ein und wieder aus. Jasmin sah vom Fenster aus zu und winkte mir, als ich zu ihr sah.
„Ich habe deinen Brief gesehen, den du an die Kummer-kastentante von der Schülerzeitung geschickt hast und ich wollte dir nur sagen, dass ich-…“
„Was? Du denkst doch nicht wirklich, dass du damit gemeint warst, oder?!“ rief Alex und lachte laut auf. „Echt jetzt! Denkst du wirklich du wärst die einzige Mia? Ich würde mich nie, niemals in die verknallen, auch wenn du das einzige Mädchen der Welt wärst! Da wäre ich lieber schwul geworden!“
Und damit ging er weg. Traurig sah ich ihm nach, aber schon kurz danach verwandelte sich meine Trauer in Wut. Das hatte dieser Idiot bestimmt mit Absicht gemacht, weil er wusste, dass Jessica bei der Schülerzeitung mitmachte und meine Freundin war! So ein Idiot…- aber gut aussehend war er immer noch.