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Kupfer für Mister Kleit

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12.08.2001
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Kupfer für Mister Kleit

Kupfer für Mister Kleit

von:
E. G. Schwarz


Ich klopfte schüchtern, hörte das kurze "Herein!" des Kommandanten und dann betrat ich halb gesenkten Hauptes die Kabine des Chefs.
"Sie wollten mich sprechen, Sir?"
Mit schlotternden Knien stand ich in Captain Lorne Quentylls Kommandan-tenkabine. Übel war mir auch. Außerdem sah ich übernächtigt und blass aus. Das weiß ich, weil ich gerade eben in den Spiegel geschaut habe. Meine Augen taugen immer noch. Ich hatte keinen Appetit und hätte eher kotzen können als essen, aber darum ging es jetzt gar nicht. Ich war übernervös und meine Hände zitterten als hätte ich Parkinson, aber die Krankheit gibt's ja längst nicht mehr. Gerade zittrige Hände sind für den Chefingenieur eines Interstellartransporters das reine Gift. Damit kann man nicht mal 'ne Schraube festziehen, geschweige denn den hyper-gesteuerten Mikroschraubenzieher bedienen.
Lorne Quentyll schaute mich einen Atemzug lang schweigend an und wie mir schien auch etwas mitleidig-bedauernd. Aber die kommandantenhafte Strenge, für die man ihn oft fürchtete, lag heute nicht in seinem Blick. Es sah eher aus, als wol-le er mich mit väterlich-mitleidigem Erbarmen überschütten, wie man das bei ei-nem kranken Menschen tut, um ihm letzten Trost zu spenden.
Unmöglich konnte er wissen, was mit mir los war, denn mit niemand hatte ich auch nur ein Wort darüber gesprochen, aber todsicher sah er mir an, dass etwas nicht stimmte. Und dabei war ich so sehr darauf bedacht gewesen, mir nichts an-merken zu lassen, meinen Dienst so zuverlässig wie immer zu versehen und mich dann im nächsten Raumhafen stillschweigend zu verdünnisieren, um mich in aller Abgeschiedenheit in mein Schicksal zu ergeben.
Ich weiß nicht, ob diese Idee gut ist, aber ich habe sie nun mal gefasst, weil mir keine bessere einfiel. In dem Moment, als ich eintrat und das Gesicht Quentylls sah, war mir klar, dass ich nicht hier herauskommen würde, bevor ich nicht Rede und Antwort gestanden hatte. Widerstand würde mir nichts nützen und mein Ab-wehrpanzer würde irgendwann zerbröckeln. Ich würde ein Geständnis ablegen müssen, das ich gar nicht ablegen durfte. Und ganz genau betrachtet gab es auch nichts, was ich hätte gestehen müssen. Verdammt mistige Situation das! Wäre ich noch der alte gewesen, hätte ich darüber vielleicht lachen können. Aber von meiner ganzen früheren Pfiffigkeit war nicht viel mehr übriggeblieben. Ich war nicht mehr der alte, aber ich war der Alte.
Während Quentyll mir Platz anbot, wischte er sich mit einem ganz normalen Taschentuch den Schweiß von der Stirn, die bereits so hoch war, oder deren Schei-tel so breit geworden war, daß man die Haare rechts und links desselben binnen weniger Minuten leicht hätte zählen können. Dann fragte er mich, ob ich denn ger-ne was trinken wolle. Ich konnte ihm aber nicht sagen, dass ich mich am liebsten hier, jetzt und auf der Stelle totgesoffen hätte, damit es endlich vorbei war. Also nickte ich nur ergeben und musste hören, ich könne Vlops von Orgynii II bekom-men, oder auch Nonotogo, er habe aber auch garantiert echten Whisky von der Erde.
Ich weiß selbst nicht genau, wie ich meinen augenblicklichen Gemütszustand beschreiben soll. Jedenfalls ging es mir mies. Und mit seinem verschwenderischen Entgegenkommen vergrößerte Quentyll meine Unsicherheit nur noch mehr. Ich entschied mich für den Whisky, aber der beruhigte mich auch nicht. Er schmeckte heute nicht mal besonders.
"Sie fragen sich, warum ich Sie hergebeten habe, Mister Thynes", begann er umschreibend anstatt direkt zuzustoßen, wie er das sonst meist zu tun pflegte. Feinfühligkeit ist keine seiner hervorragenden Eigenschaften. Er ist kein schlechter Kommandant, sicher nicht, aber er kann einen unter Druck halten, sage ich Ihnen.
Mir fiel erstens auf, dass er mich heute "Mister Thynes" und nicht Matt nann-te, wie er es sonst zu tun pflegte und zweitens sagte er, er hätte mich her"gebeten", wo er nur zu befehlen braucht. Ein Kommandant braucht nicht zu bitten. Ich wusste ja so in etwa, was jetzt kommen würde, aber ich konnte meinen Chef - denn noch war er mein Chef - nicht anbrüllen, er solle mich gefälligst in Ruhe lassen und mich am Arsch lecken. So unanständige Sachen tut der ohnehin nicht.
"Wie soll ich anfangen", fing er an, "die Sache ist - nun ja - nicht so ganz alltäg-lich. Sie sind nun seit über zehn Jahren mein Chefingenieur, und einer der besten, die ich je hatte."
Er hätte jetzt mit auf dem Rücken verschränkten Armen auf und ab gehen können, jeweils sieben Schritte in jeder Richtung, denn größer war seine Kabine nicht. Nein, er saß nur da vor mir und schaute mich wie mit großen Kaninchenau-gen an. Er machte es sich aber auch unnötig schwer, fand ich. Trotz meines ka-tastrophalen seelischen Zustandes versuchte ich ein Grinsen zustandezukriegen. Aber nicht einmal das konnte ich mehr richtig. Es misslang kläglich.
"Verzeihung Sir, Sie haben mich doch nicht hierher gebeten, um mir zu sagen, was ohnehin jeder weiß. Was ist Ihr wirklicher Grund?"
"Quentyll lachte. "So liebe ich Sie, Matt, eingebildet und von sich selbst über-zeugt wie kein Zweiter. Das macht Sie sympathisch, Mann. Es steht Ihnen nicht, sich in Ihr Schneckenhaus zurückzuziehen als wollten Sie "Ade du schnöde Welt" sagen." Dann neigte er den Kopf ein wenig zur Seite und sagte, er wolle mir helfen.
Das dachte ich mir. Genau so sah der Captain nämlich aus. In letzter Zeit, seit es so abwärts mit mir geht, wollen mir immer alle helfen. Das ist schön, aber total nutzlos, weil man mir nicht helfen kann. Wie aber soll ich das einem Lorne Quen-tyll begreiflich machen? Der lässt nichts gelten, was er nicht gelten lassen will. Da nützt selbst gigantische Überzeugungskraft nichts. Kommandanten sind meist sol-che Dickschädel, sonst wären sie wahrscheinlich keine guten Kommandanten.
Ich kann ihm um keinen Preis der Welt die ganze Wahrheit sagen, dann sperrt er mich nämlich ein und erklärt mich für verrückt, obwohl er sonst ein ganz pas-sabler Vorgesetzter ist. Außerdem ist er ein hartnäckiger Typ. Er gibt niemals schnell auf und bringt es fertig, bis zum Umfallen auf ein und demselben Thema herumzuhacken. Ich wusste also, dass jetzt einiges auf mich wartete.
Quentyll eröffnete unser Gespräch, indem er mir mitteilte, was er und ich und wahrscheinlich die gesamte andere Besatzung längst wusste, nämlich, dass ich mich in erschreckender Weise verändert hätte. Ich sei unruhig geworden, zerfahren und täte dauernd so, als fühlte ich mich verfolgt. Er redete auf mich ein und brach-te dabei allerlei brauchbare Argumente vor, auch von wegen der Schiffssicherheit und solche Sachen.
Ich hörte mir schweigend an, was er mir sagen zu müssen glaubte und gab ihm in allem Recht. Er schloss dann mit den bewegenden Worten, dass er einen so qualifizierten Mann wie mich nicht gerne verlöre. Da wir nun bald das Mendora-System erreichten, könne mir dort mit Mitteln, die an Bord nicht zur Verfügung standen, vielleicht geholfen werden, sofern ich bereit sei, mir helfen zu lassen. Und eben diesen Eindruck habe er im Augenblick von mir nicht.
(Und eben diesen Eindruck hatte ich im Augenblick von mir selbst nicht.)
Hach, wie mir das auf den Wecker ging. Ich war in einer Verfassung, dass ich ihm am liebsten die Zunge rausgestreckt hätte; aber das tut man nicht, wenn man sich für wohlerzogen hält. Ich hasse langes Hin-und-Her-Diskutieren und ganz be-sonders dann, wenn ich weiß, dass es eben trotz der vielen schönen Worte zu nichts führen kann. Ich selber muss schließlich am besten wissen, warum mir nicht zu helfen ist. Deshalb wollte ich es kurz machen und erklärte entschlossen und, wie ich meinte, abschließend: "Tut mir leid, Sir, ich kann mit niemandem darüber reden."
Aber Lorne Quentyll müßte nicht Lorne Quentyll sein, wenn ihn meine Ver-schlossenheit nicht nur noch weiter angestachelt hätte. Er ist nun mal der Typ ei-nes Fährtenhundes. Und diesmal hatte er sich an meine Fährte geheftet, das spür-te ich. Bluthund wird man ja auch nicht wieder los.
In den letzten Wochen war aus mir ein richtig elender Feigling geworden und dafür schämte ich mich. Aber was soll's? Schämen ist eine Sache, keine Hoffnung mehr haben eine andere. Das beides lässt sich nicht unter einen Hut bugsieren. Das ist schon eine ganz verdammte Schweinerei, zumal ich immer gewusst habe, dass dieser Augenblick einmal kommen würde. Sogar den Zeitpunkt hatte ich lange vorher exakt errechnet. Aber jetzt, wo es soweit war, erwies sich das alles als sehr viel schlimmer, als ich es mir in meinen bösesten Alpträumen je ausgemalt hatte. Nur wer die absolute und endgültige Hoffnungslosigkeit kennt, wird das verstehen können.
Am liebsten hätte ich laut heraus um Hilfe geschrieen: Leute, helft mir! Ich bin am Ende! So und so ist es mir ergangen!
Aber eben gerade dieses "so und so" war ja das Problem. Hier lag das Unmögli-che. Ich konnte niemandem meine Geschichte erzählen, weil sie mir unter gar kei-nen Umständen von irgend einem Menschen geglaubt werden konnte. Es gibt näm-lich tatsächlich im Leben hin und wieder Ereignisse, die sind derart phantastisch und unglaublich, ja direkt idiotisch, dass man gut daran tat, sie für sich zu behal-ten.
"Sie sollten mir etwas mehr Vertrauen entgegenbringen, Matt", salbaderte er mir vor. (Jetzt nannte er mich plötzlich wieder Matt.) Er kam mir jetzt gerade vor wie ein um Gnade winselnder Liebhaber, der vor seiner Geliebten auf Knien he-rumkriecht und um Erhörung bittet. Aber Quentyll in solcher Pose? Ich konnte gerade noch das Lachen verkneifen und dieses Bild verscheuchen.
"Wir hatten doch stets so etwas wie ein freundschaftliches Verhältnis. Machen Sie dem jetzt nicht durch Ihre plötzliche Sturheit ein Ende. Irgendwas geht mit Ih-nen vor oder ist schon vorgegangen, ich weiß nicht. Ich verspreche Ihnen nur hoch und heilig, dass ich sie weder auslachen noch einsperren werde. Und - denken Sie doch mal nach - wenn Ihre Lage tatsächlich so aussichtslos und verzweifelt ist, wie Sie mich glauben machen wollen, dann können Sie doch bloß noch gewinnen, denn zu verlieren - das versuchen Sie mir ja wohl klarzumachen - haben Sie angeblich nichts mehr."
"Gegenfrage, Sir: Können Sie zaubern? Können Sie kleinere oder gar mittelgro-ße Wunder vollbringen? Na sehen Sie! Zumindest eins von beidem müssten Sie aber direkt aus dem Effeff beherrschen, wenn Sie mir tatsächlich helfen wollen. Es ist schon besser, Sie lassen mich einfach in Ruhe, verschwenden nicht Zeit, Kraft und Schnaps an mich und sehen sich im Mendora-System nach einem Ersatz um."
Der Captain war selbst jetzt in seiner Ruhe nicht zu erschüttern, und das fand ich erschütternd. Sowas ärgert mich richtig, weil ich mir dann noch hilfloser vor-komme. Nun gab ich mir schon solche Mühe, ihm zu verstehen zu geben, warum ich ihm nicht noch deutlicher zu verstehen geben konnte, was er offensichtlich nicht verstehen wollte. Und das war eigentlich bei diesem Chef nicht zu verstehen. Wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will. Oder war das jetzt unverständlich?
"Der Schnaps", geruhte er mir nun nahezu fröhlich zu verkünden, "ist mein privates Eigentum. Also kann ich ihn verschwenden an wen immer ich glaube ihn verschwenden zu müssen. Soviel dazu. Und was Zeit und Kraft anbelangt, kann von Verschwendung schon überhaupt keine Rede sein, denn neben Ihrem privaten Schicksal geht es ja auch noch so ein ganz kleines bißchen um die Schiffssicher-heit. Ein unzuverlässiger L.I. kann für das Schiff sehr viel verhängnisvoller werden, als ein Magnetwirbelsturm.
Okay, kürzen wir das Verfahren ab und kommen wir vom Drumherumgerede zum Tacheles. Lasset uns Klartext reden, wie der Bordpfarrer sagt. Vielleicht kann ich Ihnen tatsächlich nicht helfen. Was hindert Sie dann aber daran, mir Ihre ach so phantastische und unglaubliche Geschichte anzuvertrauen? Da sowieso alles vorbei ist, was zu behaupten Sie nicht müde zu werden scheinen, kann Ihnen eine schonungslose Offenheit auch nicht mehr schaden. Vielleicht aber - und dieses Vielleicht möchte ich besonders betonen - eröffnen Sie sich doch die Spur einer Chance."
Mit diesem letzten Satz schaffte er es, dass es bei mir "peng!" machte. Dieses "peng!" sprengte mit einem Schlag meinen ganzen so sorgfältig um mich herum errichteten Abwehrpanzer. Schon wieder hatte er Recht, denn die winzige Spur ei-ner Chance bestand tatsächlich. Vielleicht war es auch nicht mehr als nur die Spur einer Spur. Wie auch immer, selbst das ist besser als gar nichts. Unter den sieben Billionen Menschen, die derzeit in der Galaxis verteilt leben, gibt es ganze zweihun-dert, die mein Schicksal teilen. Die alleine wären in der Lage, mir zu helfen. Aber finde mal so einen unter so vielen, denn der nicht unbeträchtliche Haken bei der Sache ist der, dass keiner den anderen kennt. Jeder weiß lediglich, dass er diese Anzahl von Schicksalsgenossen hat.
"Also gut, Sir", gab ich mich achselzuckend geschlagen. "Sie haben gewonnen. (Ich gewinne letztlich immer, sagte mir sein Blick.) Es spielt tatsächlich alles keine Rolle mehr, dass ich einmal zum absoluten Schweigen gegenüber jedermann ver-pflichtet wurde. Wenn ich es jetzt breche, ändert das auch nichts mehr. Zwar wer-den Sie mir kein einziges Wort glauben, aber trotzdem stimmt die Geschichte bis ins letzte Detail, das schwöre ich Ihnen."
"Sie sollten vielleicht etwas weniger schwören und dafür etwas mehr reden, Thynes. Fangen Sie an."
***
Es gab einmal eine Zeit, begann ich meinen Bericht in der Art eines Märchen-onkels, da war ich auf der Erde ein recht erfolgreicher Geschäftsmann. Ich besaß einen recht gutgehenden Metallwaren-Großhandel und war deshalb mit der Welt und speziell mit mir selber recht zufrieden. Ich hatte zwar keine finanziellen Sorgen aber dafür einen attraktiven Fisch an der Angel, den ich - liebemäßig betrachtet - an Land zu ziehen (ins Bett zu locken wäre wohl richtiger) gedachte. Ich war nicht unattraktiv, weil jung, muskulös und durchaus nicht hässlich. Ich war also blen-dender Laune und gedachte an diesem Abend einen neuen Lebensabschnitt in An-griff zu nehmen.
Der trat auch ein, aber ganz anders als von mir beabsichtigt, denn gerade an diesem Abend tauchte ein Mann bei mir auf, der sich Mister Kleit nannte. Seltsa-merweise war er nicht ins Geschäft gekommen, wie das für einen Kunden wohl üb-lich gewesen wäre, nein, er platzte in meine Wohnung, gerade als ich mir ein Duf-tewässerchen nach dem Rasieren ins Gesicht schmierte. Frauen mögen das. Und nun stand er da - unangemeldet.
Sowas hätte mich an jedem normalen Abend kaum aus der Ruhe bringen kön-nen, außer heute. (Gründe: Siehe oben.) Ich war schon in Eile und würde zu spät kommen. Und wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Da stand nun dieses unscheinbare Männlein mit verschrumpelter lederartiger Haut und verkündete mit hoher Fistelstimme: "Einen wunderschönen Abend wün-sche ich, Mister Thynes. Mein Name ist Kleit, einfach nur Kleit. Entschuldigen Sie die etwas unübliche Art meines Eindringens, aber ich brauche Kupfer."
Ich hatte nicht nur eine Mordswut auf den Kerl, der gar nichts dafür konnte, dass er so unpassend erschien und war zudem noch wild entschlossen, mich von diesem für mich so wichtigen Rendezvouz nur durch den Tod abhalten zu lassen. Aber wie das Leben eben manchmal so spielt. Der Mensch denkt, aber - zumindest in diesem Falle - Mister Kleit lenkt.
"Geschäftszeiten Montag bis Freitag von Acht bis Acht. Samstag Ruhetag. Gu-ter Mann, kommen Sie morgen ins Büro, ich habe es im Moment ganz fürchterlich eilig. Da wartet eine sehr hübsche Frau auf mich."
"Verstehe ich, Mister Thynes, verstehe ich vollkommen", sagte er und verneigte sich. "Aber in diesem Falle tut es mir Leid. Wir müssen uns entweder jetzt und hier handelseinig werden oder gar nicht. Und bevor Sie mich rausschmeißen, bedenken Sie dies: Ein Geschäft, wie ich es Ihnen biete, wird Ihnen mit Sicherheit kein zwei-tes Mal in Ihrem Leben geboten. Überlegen Sie es sich also gut. Sie vertun viel-leicht, nein bestimmt, die Chance Ihres Lebens."
Bei Sprücheklopfern dieser Machart, die einem wahre Wunder direkt vom Himmel versprechen, empfinde ich einen Horror. Auch Kleit schien mir zu dieser Sorte zu gehören, die man besser sofort mit einem Tritt in den Arsch vor die Tür setzt, aber er machte, verdammt nochmal, keinen zwielichtigen Eindruck. Ein un-bestimmtes Gefühl in der Gegend im Bauch, wo es immer kribbelt, warnte mich, obwohl nichts kribbelte, mit dem Manne in der eben beschriebenen Weise zu ver-fahren. Also bat ich ihn mit einem gekünstelten Lächeln herein.
Mein Kommandant lauschte meinem Bericht schweigend und auf seltsame Art fasziniert und er unterbrach mich kaum mit Zwischenfragen. Er hatte aber ganz richtig vermutet, dass Kleits wegen meine Verabredung tatsächlich ins Wasser fiel. Was ich für mich behielt, war die Tatsache, dass damit auch gleich die ganze Lieb-schaft in die Binsen ging, weil ich ernstzunehmende Konkurrenz hatte. Ich hab's aber trotzdem nie bedauert.
"Sie wären also bereit, mir Kupfer zu verkaufen?" begann Kleit von vorne.
Das war eine dumme Frage, fand ich, denn immerhin war ich der Inhaber ei-nes Metallwaren-Großhandels, und diesem Manne zu seinem Kupfer zu verhelfen, lag durchaus nicht außerhalb meines Geschäftsbereiches. Nur die Art, wie er die-sen Handel zu tätigen wünschte, erschien mir ein wenig seltsam. Ich verlangte dann von ihm zu wissen, wie viel Kupfer ich wann wohin und zu welchem Preis zu liefern hätte.
"Meine Organisation kümmert sich um die ganze Organisation." (Er sagte das wörtlich so.) "Sie liefern das Kupfer, werden bezahlt, stellen weiter keine Frage und das ist dann auch schon alles."
Es fiel mir schwer, keine Fragen zu stellen, denn schließlich kann man Kupfer in beliebigen Mengen ganz ohne jede Geheimniskrämerei im freien Handel kaufen, sofern man Geld genug hat, um es zu bezahlen.
Auf meine Frage, wie viel er denn benötige, deutete Kleit an, er nähme unbe-grenzt jede Menge, die ich binnen eines Monats besorgen könnte.
Kleits Geschäftsgebaren war in der Tat mehr als seltsam. Aber ein guter Ge-schäftsmann muss seinen Kunden ihre kleinen Eigenheiten nachsehen. Im Falle des Mister Kleit begnügte ich mich schweren Herzens damit, mich zu wundern, nicht zu fragen und erklärte mich einverstanden. Aber ich wies ihn vorschriftsmä-ßig darauf hin, dass ich ihm nicht unbedingt den allergünstigsten Marktpreis ma-chen könne wenn ich unter einem Zeitdruck ordern müsse.
Kleit winkte daraufhin bloß ab wie einer, der seine Brieftasche vor lauter Reichtum gar nicht mehr schließen kann und wischte meinen Einwand mit der Bemerkung beiseite, ich solle nur tun, was erforderlich sei. Innerhalb eines halb-wegs vertretbaren Rahmens spiele der Preis keine Rolle. Wichtig sei in erster Linie eine möglichst große Menge zum vorherbestimmten Liefertermin.
"Wir sehen uns dann in einem Monat wieder", sagte mein Besucher zum Ab-schied. "Auch wenn es für Sie seltsam oder gar unverständlich scheint: Wir müssen darauf bestehen, dass Sie unsere geschäftlichen Transaktionen streng vertraulich behandeln. Das bedeutet, um es zu präzisieren: In Ihren Büchern darf der Name Kleit nicht auftauchen, auch nicht die Umstände, unter denen das Geschäft abge-wickelt wurde. Wenn Sie ein guter Geschäftsmann sind - und wir wissen selbstver-ständlich, dass Sie einer sind - dann finden Sie Wege - legale, versteht sich - die meine Organisation aus dem Spiel lässt. Und schweigen Sie bitte auch gegenüber Ihren Freunden und Bekannten darüber, insbesondere aber über diese Begegnung. Sie werden einen nicht unbeträchtlichen Gewinn einstreichen, den Sie verbuchen mögen, wie es Ihnen beliebt. Mit anderen Worten: Ein Mister Kleit hat Sie niemals besucht.
Gut, dass Sie bisher nicht gefragt haben. Tun Sie's auch weiterhin nicht, dann ist es gut. Schlucken Sie einfach, was Ihnen rätselhaft und unverständlich er-scheint. Sie sollen aber wissen, dass unsere Forderung auf einem für uns sehr rea-len Hintergrund steht.
In den nächsten Tagen werden Sie eine als Anzahlung gedachte Überweisung auf Ihrem Konto vorfinden. Weiter wäre nichts zu sagen."
Und weiter wurde auch nichts gesagt, auf ebenso leisen Sohlen wie Kleit he-rangeschlichen war, machte er sich von dannen und ward fortan nie mehr gesehen. Nur das Bild dieses so geheimnisvollen Mannes hatte sich derart deutlich in mein Gehirn gebrannt, dass ich es wohl nie mehr vergessen würde.
Ja, und noch was fällt mir gerade ein, aber damit weiß ich bis heute wirklich nichts anzufangen. Bevor Kleit sich verabschiedete, hielt er mir seinen rechten Un-terarm hin. Dort war eine Zahlenreihe eintätowiert, siebenunddreißig Stellen, mit Buchstaben, Querstrichen, Bindestrichen, Plus und Minuszeichen.
"Aufschreiben! Einprägen! Nie mehr vergessen!" sagte er, bevor er endgültig verschwand.
Nun ja, ich habe mir diese Zahlenreihe gemerkt. Ich hab sie mir sogar später auf meinen Hintern tätowieren lassen. Warum gerade da, weiß ich nicht, aber da ist sie, da bleibt sie und da geht sie nie mehr verloren."
Während ich meinem gespannt zuhörenden Kommandanten das alles erzählte, wurde mir komischerweise leichter ums Herz. Ich weiß nicht wieso, denn immerhin gab ich hier ja erstmals mein bestgehütetes Geheimnis preis, von dem bisher mein ganzes Leben abhängig gewesen war.
"Dann kam dieses Geschäft mit dem Kupfer also wirklich zustande?" fragte Quentyll und goss noch einmal großzügig Whisky nach.
Ich konnte ihm noch nochmal bestätigen, dass ich damit das Geschäft meines Lebens gemacht hatte. Wenn Kleit gehandelt hätte, hätte er den Preis noch um die Hälfte drücken können, ohne dass ich dabei draufgezahlt hätte. Aber was ich ver-langte, wurde ohne lange nachzufragen bezahlt.
"Und wie blauäugig ich in diesem Falle war", fuhr ich fort, "können Sie daran erkennen, Chef, dass das ganze Geschäft mit Kleit ohne ein einziges schriftlich fi-xiertes Wort über die Bühne ging. Es gab lediglich eine mündliche Absprache zwi-schen Kleit und mir, alles ohne Zeugen. Man hätte mich nach Strich und Faden übers Ohr hauen können, wenn man das gewollt hätte. Aber das wurde mir sonst so cleverem Geschäftsmann erst hinterher klar. Es schien mir damals - und es scheint mir auch heute noch so, - als ob mein gesunder Menschenverstand von irgend einer höheren Stelle her vorübergehend blockiert gewesen wäre.
Aber was soll's! Ich wurde nicht betrogen. Ich lieferte zum vereinbaren Zeit-punkt genau einhundert Tonnen Kupfer und wurde dabei beinahe reich. Damit hielt ich die Sache dann für erledigt."
"Was sie aber wohl nicht war?" vermutete mein Kommandant.
"Natürlich nicht, denn dann wäre die ganze Geschichte gar keine richtige Ge-schichte und ich hätte heute keine Sorgen mehr. Der Clou, das Tüpfelchen auf dem I, oder wie immer Sie das nennen wollen, kam nach ziemlich genau zwei Jahren. Kleit hatte ich längst vergessen und war geschäftlich wieder zum Alltag übergegan-gen. Mich quälten damals größere Expansionspläne.
Plötzlich stand das ganze Geschehen von damals wieder so klar vor meinem inneren Auge, als habe Kleit gerade eben die Türe hinter sich zugemacht. Das Paket war irgendwo im Mittleren Westen der USA aufgegeben worden. Man konnte nicht mal den Poststempel klar erkennen. Ich fand darin eine kleine grüne Schachtel und einen Brief, den zu lesen ich Sie jetzt bitten möchte."
Lorne Quentyll winkte beinahe beidhändig ab und beteuerte, das müsse nun wirklich nicht sein, er glaube mir auch so jedes Wort. Ich solle nur mit meinem Bericht fortfahren.
Diese Reaktion meines Kommandanten machte mich nun aber wirklich ärger-lich. Der Brief war ja das Allerwichtigste an der Sache. Wenn er ihn nicht lesen wollte, konnte ich gleich den ganzen Rest vergessen. Dies machte ich ihm nahezu zornig klar.
"Nadada"!, sagte er, wie wenn er ein Baby einlullen wollte und schoss seine be-kannten Beruhigungswellen in voller Breitseite auf mich ab. Darin ist er unschlag-bar.
"Na ja, wenn Sie halt meinen, dass ich den Brief unbedingt lesen müsste, dann geben Sie schon her."


Verehrter Mister Thynes!
Gestatten Sie mir, Ihnen nun nochmals für Ihre damals so prompte Bedienung zu danken. Dieser Dank erfolgt mit Absicht erst jetzt. Wir haben Sie in den vergangenen zwei Jahren sehr genau beobachtet. Dass Sie davon nichts bemerkten, wissen wir. Rechnen Sie das unseren doch sehr speziellen Beobachtungsmethoden zu. Wir muss-ten wissen, ob Sie Ihr Schweigegebot einhalten, und das haben Sie getan. Damit ha-ben Sie die Vertrauensprüfung bestanden und können nun in unser Geheimnis ein-geweiht werden. Hätten Sie geredet, hätte dieser Brief und die grüne Schachtel Sie niemals erreicht.
Das Wissen, das wir Ihnen heute vermitteln, werden Sie niemals gegen unbe-rechtigte Personen anwenden. Es würde Ihnen auch gar nichts nützen. Gegen uns werden Sie es ebenfalls niemals anwenden können, aber irgendwann in der Zukunft könnte es Ihnen einmal von Nutzen sein.
Ich gehöre zum Volk der Kniedorflatter. Der Name sagt ihnen nichts. Wir leben auf irgendeinem Planeten irgendwo in dieser Galaxis und sind nach irdischen Maß-stäben als Rasse etwa eineinhalb Millionen Jahre alt. Selbst Sie, als nicht im Kosmi-schen Denken geübter Mensch, werden sich vorstellen können, dass dies für eine einzelne Rasse ein unglaublich langer Zeitraum ist. Es gibt auch nur noch wenige Millionen von uns. Schon seit mehreren Jahrhunderttausenden pflegen wir zu ande-ren Intelligenzen keinen Kontakt mehr. Im Verlaufe unserer Entwicklung hat sich dies als notwendig erwiesen, denn unsere Spezies ist mit keiner anderen in dieser Gala-xis kompatibel. Wir haben uns selbst ein ethisches Gesetz gegeben, das den Kontakt nur mit solchen Rassen erlaubt, mit denen wir genetisch kompatibel sind. Und - leider - sind wir keiner solchen Rasse in dieser Galaxis begegnet.
Unsere Suche wird sich demnächst auf die Galaxis Andromeda und andere um-liegende Galaxien erstrecken, in der Hoffnung, irgendwo den Ursprung unserer Spe-zies zu entdecken und dorthin zurückzukehren.
In dieser unserer Ethik liegt auch der Grund für die ganze Geheimhaltung, die wir Ihnen aufgebürdet haben. Da wir in der langen Zeit unserer Entwicklung bereits irgendwann vor unendlicher Zeit unsere Fortpflanzungsfähigkeit einbüßten, ist die Erhaltung unserer Rasse nur noch durch künstliche Lebensverlängerung möglich. Wir hoffen, wenn unsere Suche nach dem Ursprung erfolgreich ist, dass sich dies dann ändern könnte. Bis dahin aber müssen wir unser Leben künstlich immer weiter ver-längern. Und hier kommt nun das Kupfer ins Spiel. Wir benötigen es, um daraus je-nes Medikament herzustellen, das uns vor dem Aussterben bewahrt. Kupfer ist nun aber in weitem Umkreis um unsere Heimatwelt sehr selten und das Wenige haben wir längst ausgebeutet. Wir sind also gezwungen, immer weitere Exkursionen zu unternehmen, um uns mit Kupfer zu versorgen.
Mit Ihrer Lieferung haben Sie uns nun ohne es zu ahnen, viele Jahre zusätzli-chen Lebens ermöglicht. Dafür wollen wir uns revanchieren.
Sie erhalten von uns heute für jede Tonne Kupfer, die Sie uns lieferten zwanzig Jahre zusätzliches Leben geschenkt. Betrachten Sie das sozusagen als zusätzliche Gratifikation. Die einhundert Tabletten, die Sie in dieser Schachtel vorfinden, wurden aus ebenso vielen Gramm des von Ihnen gelieferten Kupfers hergestellt. Zuvor war es erforderlich, den Wirkstoff auf den menschlichen Organismus umzustellen, und das ist selbst für eine Rasse wie uns, die die Grenzen technischer Vollkommenheit er-reicht zu haben glaubt, nicht ganz einfach gewesen.
Wir schenken Ihnen hiermit zweitausend Jahre zusätzliches Leben. Nutzen Sie sie gut.
Zum Schluss sollen Sie noch wissen, dass wir innerhalb eines mehrere Jahr-zehnte umfassenden Zeitraumes von weiteren zweihundert Personen Ihres Planeten Kupfer geliefert bekamen. Alle wurden nach dem gleichen System belohnt, wenn sie die Vertrauensprüfung bestanden hatten. Keiner weiß vom anderen, aber jedem wurde mitgeteilt, dass er zweihundert Schicksalsgenossen auf der Erde hat. Es wird dem Zufall überlassen bleiben, ob sich jemals mehrere von ihnen begegnen werden. Nur gegenüber diesem Personenkreis gilt die auferlegte Schweigepflicht nicht.
Wir wissen recht gut, dass wir hier ein wenig Schicksal spielen und möglicher-weise damit sogar indirekt in die Entwicklung der Menschheitsgeschichte eingreifen. Gönnen Sie uns diese kleine Abwechslung. Das Leben von künstlich unsterblich ge-haltenen Wesen ist ohne solche Spielchen doch manchmal sehr langweilig. Ich bin sicher, Sie werden mit zunehmendem Alter unsere Motivation verstehen lernen.
Leben Sie nun endgültig wohl, Mister Thynes und nutzen Sie die Ihnen geschenk-ten Jahre gut. Sie brauchen nichts weiter zu tun, als alle zwanzig Jahre eine Tablette zu nehmen. Beginnen Sie damit gleich heute und erhalten Sie sich so ihre besten Mannesjahre.
Mit freundlichen Grüßen,
Kleit

Schweigend, und wie ich meine, betroffen, gab Lorne Quentyll mir den Brief zurück. Er schaute mich an und sagte nur ein Wort: "Phantastisch!"
Das überraschte mich nun doch, denn ich hatte ziemlich fest damit gerechnet, dass er zumindest ungläubig-mitleidig lächeln würde, wenn ihm die Höflichkeit schon verbot, sich vor Erheiterung brüllend am Boden zu wälzen.
"Ist das tatsächlich Ihr gesamter Kommentar, Sir?" fragte ich deshalb maßlos überrascht.
"Seien Sie doch froh, dass mir die Worte im Augenblick noch fehlen. Was wol-len Sie? Wollen Sie unbedingt ausgelacht werden? Mir scheint fast, Sie betteln re-gelrecht darum. Aber darauf können Sie lange warten, ich gehe nämlich davon aus, dass Ihre Geschichte stimmt. Damit wird mir Ihr gesamtes Verhalten während der letzten Monate schlagartig klar. Ich gehe nun doch wohl Recht in der Annahme, dass Sie Ihre letzte Tablette verbraucht haben und die nächste bald fällig wäre?"
Ich nickte schwer und doch irgendwie erleichtert. "Genau das ist mein Prob-lem, Sir. "Ich muss tatsächlich in Kürze die nächste Tablette nehmen und habe keine mehr. Ich weiß natürlich nicht, ob mein Alterungsprozess dann ganz normal wieder einsetzt und ich normal dort weiteraltere, wo ich einst aufhörte oder ob mein Körper diese lange Unterbrechung dadurch rächt, dass er rasant altert und ich vielleicht innerhalb von Tagen oder Wochen an Altersschwäche eingehe. Und, sehen Sie, genau das möchte ich in aller Ruhe und Abgeschiedenheit selbst feststellen. Ich werde im Mendora-System bleiben und mich dort niederlassen, falls mir noch eine gewisse Lebensspanne verbleibt. Trotzdem muss ich doch staunen, wie gelas-sen Sie mir meine Geschichte abnehmen."
"Kann man den Brief denn anzweifeln?" lautete seine Gegenfrage.
"Und wenn der gefälscht ist?"
Diesmal lachte Quentyll tatsächlich aus vollen Halse und lief rot an dabei.
"Machen Sie sich doch nicht lächerlich, Matt! Aus welchem Grunde sollten Sie mir eine solche Komödie vorspielen? Wer hätte davon einen Vorteil? Dann müssten Sie ja wirklich ernsthaft krank sein und es so vertuschen wollen. Hat man je sowas gehört? Unsterblichkeitstabletten aus Kupfer! Sie sind also tatsächlich ganze zwei-tausend Jahre alt?"
"Zweitausenddreiunddreißig, um ganz genau zu sein, Sir. Ich wurde im Jahr 1960 geboren."
"Hmmm!" machte Quentyll dann nachdenklich. "Sie haben soeben das aufer-legte Schweigen zum erstenmal gebrochen, wie ich annehme. Fürchten Sie nicht irgendwelche Konsequenzen?"
An diese Möglichkeit hatte ich die ganze Zeit über gar nicht mehr gedacht. Aber ich schüttelte den Kopf. Was sollte denn passieren? Meine Zeit war ja so oder so abgelaufen.
"Tja, was soll man da machen?" murmelte der Chef laut vor sich hin. "Hier scheint mir guter Rat tatsächlich nicht ganz billig zu sein. Wenn ich Ihnen doch bloß helfen könnte." Er wirkte in sich gekehrt und nachdenklich, so, als suche er tatsächlich einen Weg. Dann hellte sich sein Gesicht auf wie bei einem, der gerade eine gute Idee hat. Er wandet sich mir zu und sagte: "Würden Sie mir die leere Schachtel denn mal zeigen? Ein Material das zwei Jahrtausende mühelos über-steht, interessiert mich doch kolossal. Ich kenn jedenfalls kein Material, das das aushält. Darf ich sie mal anschauen?"
Das war zwar ein komisches Ansinnen, aber eigentlich fand ich nichts dabei, also reichte ich sie ihm. Er wandte sich "Hmmm" machend seinem Schreibtisch zu und unterzog die Schachtel im Lichte der Schreibtischlampe einer eingehenden Untersuchung. Ich wette, wenn er ein Mikroskop besessen hätte, hätte er sie auch noch darunter gelegt. Er hatte zwar kein Mikroskop, dafür aber einen Molekular-Strukturscanner und wandte ihn sorgfältig an. Dabei machte er wiederholt "Hmmm". Bevor der sich wieder umwandte, um mir die Schachtel auszuhändigen, fischte er aus seiner Schublade einen Mikroanalysator und versuchte einige Werte zu bekommen, mit denen er etwas anfangen konnte.
"Haben Sie denn mal einen von diesen angeblichen zweihundert Schicksalsge-nossen getroffen?" fragte er mich.
Ich sagte ihm, nein, das hätte ich nie, denn ich hätte mir auch nie die Mühe gemacht, nach welchen zu suchen. Ich hätte ja kaum die Leute direkt danach fra-gen können, erklärte ich ihm, und wenn auch, unter so vielen Billionen ausgerech-net einen der zweihundert zu finden...
"Ja, aber man hätte doch chiffrierte Anzeigen aufgeben können, die so abge-fasst sind, dass nur jemand, der das Geheimnis kennt, sie versteht. Sicher hätten Sie im Laufe der Jahrtausende irgendwann mal Erfolg haben können.
Ich hätte in diesem Moment beinahe losgeheult. Ausgerechnet jetzt, wo alles zu spät war, brachte der Mann mich auf die Idee, die mir, falls ich sie früher selber mal gehabt hätte, vielleicht das Leben hätte retten oder zumindest noch etwas ver-längern können.
Deshalb sagte ich ein paar Mal hintereinander dieses unanständige Wort. Sie kennen es sicher. Die hoffähig umschreibende Version davon lautet Analsekret "Sie glauben mir wohl nicht, dass ich darauf nie gekommen bin."
"Natürlich glaube ich Ihnen, Matt. Aber es ist doch etwas seltsam, dass man auf die naheliegendsten Dinge so schwer kommt, falls überhaupt jemals." Er gab mir die Schachtel zurück. "Schon das Material alleine könnte als Beweis gelten. Das hat meine Untersuchung ergeben. Und außerdem..."
Hier machte er eine bedeutungsvolle Pause. Ich spürte auf einmal fast körper-lich, dass etwas Ungeheuerliches in der Luft lag. Ich konnte kaum mehr klar den-ken, geschweige denn kombinieren. Dazu waren meine Nerven zu sehr strapaziert worden. In meinem Kopf herrschte ein chaotisches Durcheinander.
"Öffnen Sie die Schachtel!" befahl er mir.
"Was soll, das, Chef? Ich verstehe nicht, was..."
"Sie sollen nicht verstehen, sondern die Schachtel öffnen, verdammt nochmal. Lamentieren Sie nicht 'rum und tun Sie, was man Ihnen befiehlt. Ich klappte vor-sichtig den Deckel zurück... und schrie laut auf. Dass ich nicht ohnmächtig wurde, war schieres Glück.
"Nein, das gibt es nicht!" Das hatte ich richtig laut herausgebrüllt.
Und doch spielten mir meine angespannten Sinne diesmal keinen Streich.
"Da lagen fünf Tabletten in meiner Schachtel.
Ich wollte etwas sagen, aber ich konnte nicht. Da saß auf einmal ein Kloß, so dick wie ein Fußball in meiner Kehle. Und obendrein noch schien es so, als amü-sierte Quentyll sich köstlich an meiner Fassungslosigkeit. Dann sagte er ganz ru-hig.
"Sie können es unbesehen annehmen, Matt. Auch die Anderen geben Ihnen gerne etwas ab."
Ich muss wohl selten dämlich ausgesehen haben in diesem Minuten. "Die An-deren...? Welche Anderen...?" stotterte ich.
Und erneut beschenkte mich mein Kommandant mit einem überlegenen Lä-cheln. "Sie sind nicht mehr allein, Matthew Thynes. Henderson hat tausend Ton-nen Kupfer geliefert, Pierre Labour hält den Rekord mit neuntausend. Bei mir wa-ren es auch "nur" dreihundertfünfzig... und... und...und..."
So ganz allmählich klärte mein Verstand sich auf und ich begann zu begreifen, dass das Unmögliche Wahrheit geworden war. "Haben Sie denn gewusst, dass ich einer von den zweihundert war?" musste ich fragen.
"Nicht gewusst, Matt, aber wir haben es alle vermutet. Wären wir sicher gewesen... Aber das Schweigegebot von Kleit hat nach wie vor Gültigkeit. Ich weiß nicht, wie er oder seine Leute feststellen, wenn es einer bricht. Aber wir haben er-fahren, was dann geschieht. Die Tabletten dessen, der Verrat geübt hat, verlieren zwar generell nicht ihre Wirksamkeit, nur bei dem Verräter selbst wirken sie nicht mehr. Er beginnt normal zu altern und stirbt. Einer der Unseren hat es vor langer Zeit erfahren müssen. Das gehört wohl mit zu dem Spiel, dass Kleit und Genossen mit uns spielen, um sich auf unsere Kosten zu amüsieren.
Mit Ihnen zusammen sind wir nun einhundertneun Personen. Unsere Le-bensreserve beträgt bei genauer Aufteilung nahezu noch fünftausend Jahre - für jeden von uns.
Also, herzlich willkommen im Verein der Kupferlieferanten, Matt. Und - Kopf hoch!"

ENDE

 

Wow, eine wirklich recht beeindruckende Geschichte, muß ich sagen. Sehr phantastisch und dennoch schlüssig. Ich glaube man kann hier schon eine Menge Lebens- und Schreiberfahrung herauslesen.

 

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