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Kurt König

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06.12.2017
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Kurt König

Ich springe aus dem Taxi, renne, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe zu meinem Apartment direkt unterm Dach hoch, sperre die Tür auf, werfe meinen schicken Louis-Vuitton-Koffer in die Ecke, wie ich meinen schicken Louis-Vuitton-Kofferimmer in die Ecke werfe, meinen immer auf die gleiche Weise gepackten schicken Louis-Vuitton-Koffer, zwei monochrome Hemden, zwei monochrome Krawatten, zwei monochrome Unterhosen, monochrome Socken, monochrome Unterhemden, und diesen Esoterik-Schrott über Erleuchtung, den mir Carlotta mit den Worten geschenkt hat, es würde mir bestimmt guttun, mich mal ein bisschen mit Spiritualität auseinanderzusetzen, meine spirituelle Ader zu entdecken, und den ich, auch wenn ich mit Carlotta, mit der mich mal ein Verhältnis, eine Affäre oder tatsächlich Liebe oder wie auch immer man das heute noch nennen kann oder will, verband, schon lange keinen Kontakt mehr habe, immer auf meine Geschäftsreisen mitnehme, keine Ahnung, warum, dann aber doch nie lese, nachts im Hotelzimmer, in Chicago, Lissabon oder neulich in diesem idiotischen Wiesbadener Hotel, in dem, wenn man das Zimmer betritt, auf einem Bildschirm plötzlich ein Kaminfeuer angeht, das wahlweise mit Panflötenmusik oder Harfenklängen oder sonstigem Entspannungsgedudel, das Carlotta, ich erinnere mich, ich erinnere mich, ich erinnere mich, bestimmt gefallen hätte, untermalt werden kann, und dann, jetzt und als wäre das Aufprallen meines schicken Louis-Vuitton-Koffers auf dem blitzblanken Parkett ein Stichwort oder Kommando gewesen, klingelt plötzlich, mein Festnetztelefon und ich denke schon, es ist Carlotta, Carlotta, Carlotta, aber es ist nicht Carlotta, sonder Kurt König, mein Nachbar, der nicht mein wirklicher Nachbar ist, aber mit mir in derselben Straße wohnt und den ich, nachdem er, ein Vertreter der bildungsfernen Schichten und des abgehängten Prekariats und ein echtes Berliner Original, mich mal beim Bäcker anquatschte und ich Idiot mich tatsächlich darauf einließ, keine Ahnung, warum, keine Ahnung, keine Ahnung, nun an der Backe habe und den ich, mir immer wieder, nachdem ich Idiot ihm auf sein Drängen hin idiotischerweise meine Festnetznummer gegeben hatte, nicht mehr loswerde, und der dann, jetzt, plötzlich und mit weinerlicher Stimme, sagt, dass ihm, dem, wie ich ja wüsste, das Glück im Arsch erfroren sei, das Wasser mal wieder bis zum Hals stehe und dass er sich, wenn nicht schnell etwas passiere, gleich an der Lampe aufhängen wolle, woraufhin ich, auch wenn es nicht das erste Mal ist, dass Kurt König anruft und sagt, dass ihm das Wasser mal wieder bis zum Hals stehe und dass er sich, wenn nicht schnell etwas passiere, gleich an der Lampe aufhängen wolle, mich breitschlagen lasse, mich mit ihm beim Bäcker zu treffen, zwecks Lagebesprechung. Und dann, jetzt, etwas später, sitze ich schon im türkische Café Harmonie in der Ystader Straße und warte, in meinem Latte Macchiato rührend, jetzt, und jetzt, und jetzt, auf Kurt König, der, obwohl gerade mal Anfang 40, aufgrund seiner Manie und seinen Depressionen schon Frührentner ist und sich seine magere Rente mit einem Scheißjob als Klomann beim Mauerparkflohmarkt aufpoliert, aber nie damit auskommt, es reicht, so jedenfalls Kurt König mit wässrig blauen Augen und Dackelblick, vorn und hinten nicht, was natürlich auch kein Wunder ist bei den ganzen Zigaretten, die er ununterbrochen raucht, und dem ganzen Schnaps, nicht die billigsten Marken, den er ständig trinkt, und den ganzen Pornos, die sich Kurt König, wie er mir erfrischend unverblümt einmal beichtete, immer wieder reinzieht, und die Miete muss schließlich auch noch bezahlt werden, die ganzen Stromkosten, die ganzen Nebenkosten, die ganzen sonstigen Lebenshaltungskosten und auch die ganzen Geldstrafen wegen den ganzen Schlägereien, in die Kurt König, der, was vermutlich mit seiner Depression zusammenhängt, leicht reizbar ist, immer wieder gerät, Kurt König, die arme Sau, denke ich, in meinem Latte Macchiato rührend, jetzt, und jetzt, und jetzt, aber Kurt König ist natürlich nicht nur eine arme Sau, sondern auch ein schlauer Hund, der ganz genau spürt, dass ich ein naiver Trottel bin, der sich, warum auch immer, warum auch immer, warum auch immer, denke ich, in meinem Latte Macchiato rührend, in meinem Latte Macchiato, immer wieder bereit dafür ist, sich von ihm ein Ohr abkauen zu lassen und ihm einen Kaffee auszugeben und sich von ihm nach seinen tränenerstickt hervorgebrachten Hilferufen und Ankündigungen, sich, weil ihm nun mal, wie ich wisse, das Glück im Arsch erfroren sei und ihm das Wasser wieder mal bis zum Hals stehe, gleich an der Lampe aufhängen zu wollen, wieder anpumpen zu lassen, und sich von ihm in aller Öffentlichkeit, beispielsweise Aysche gegenüber, der bildschönen und blutjungen Bedienung des Bäckereicafés Harmonie, als seine allerbeste Pumpstation anpreisen lässt und ihm immer wieder aus der Patsche hilft, in der er natürlich immer wieder landet, weil ich natürlich nicht Kurt Königs einzige Pumpstation bin, es nämlich schier unzählige andere Pumpstationen gibt, und so ein fataler Pumpkreislauf entsteht, weil er, Kurt König, wie er mir, mich mit seinen wässrig blauen Augen samt Hundeblick ansehend, freimütig gestand, seine Schulden bei einer alten Pumpstation immer nur zurückzahlen kann, indem er eine neue Pumpstation anzapft, ein teuflisches System, das natürlich immer wieder zusammenbricht, woraufhin auch Kurt König zusammenbricht und mich, die Mutter aller Pumpstationen, wie er mich manchmal nennt, anruft und sagt, dass er sich an der Lampe aufhängen wolle, woraufhin ich natürlich jedesmal einschreite und Kurt König rette, wie ich ihn natürlich diesmal wieder retten werde. Ich werde Kurt König wieder retten. Sage ich mir. Ich werde Kurt König diesmal nicht mehr retten. Sage ich mir. Ich werde Kurt König nur noch ein einziges Mal retten. Sage ich mir. In meinem Latte Macchiato rührend. Jetzt. Und jetzt. Und jetzt. Und denke dann, jetzt. in diesem magischen Moment, in dem Aysche mich, wie ich es mir jedenfalls einbilde, anlächelt, dass Kurt Königs Pumpkreislauf endlich und endgültig gestoppt werden, Kurt König ein für allemal gerettet werden muss, und beschließe, dass ich, wenn Kurt König auf einer Papierserviette des türkischen Bäckereicafés Harmonie einen Vertrag unterschreibt, in dem festgehalten ist, dass er, Kurt König, mich und auch sonst niemand jemals wieder als Pumpstation benutzen wird, alle seine Schulden übernehmen und sogar noch was drauflegen werde. Ich rühre in meinem Latte Macchiato. Jetzt. Und jetzt. Und jetzt. Und warte auf Kurt König. Aber Kurt König kommt nicht. Kurt König hat sich, wie ich von Ayshe Wochen später erfahren werde, tatsächlich an seiner Lampe aufgehängt.

 

Hallo Sheriff

Zuallererst, ohne auch nur einen Buchstaben gelesen zu haben, dachte ich: was für ein Monolit und dann las ich los, etwas stolpernd, der vielen Kommata wegen, las ich weiter und freundete mich mit der Schreibweise an, als Expirent, was interessant scheint und stolperte über die Wiederholungen, die aber stilistisch eingesetzt waren und daher nicht zu beanstanden sind, weil sie ja im Stil passen und daher dazugehören, ich las weiter, weiter und weiter und hatte Mühe das Gelesene zu verarbeiten, es stolpert beim hinterherkommen, aber es ging, man beisst sich durch, denn so lang ist der Text ja nicht, ein Ende war in Sicht und dann kam das: Ein Punkt. Aber Warum? Und dann kommen mehr Punkte? Warum dieser Stilbruch am Ende?

Gruß
pantoholli

 

Herzlichen Dank für Dein Feedback und Deinen Punkt mit den Punkten; über die Punkte werde ich nochmal gründlich nachdenken (und bestimmt noch weiter an der Story, am Stil, feilen...); nebenbei fällt mir, apropos Punkte, ein kleiner Witz ein: was steht auf dem Grabstein eines Flohfriedhofs? Hier liegt der springende Punkt begraben... Beste Grüsse! Sheriff

 

Hola Sheriff,

ein langer Kommentar wird’s nicht, denn ich habe nicht zu Ende gelesen. Aber weil Du Feedback möchtest, sollst Du es haben.
Ohne es zu wissen, geschweige denn zu wollen, bin ich bei Deiner Geschichte an einen experimentellen Text geraten. Anfangs fand ich das ganz interessant, doch recht bald begann es zu nerven. Und dann muss ich mir den Rest des Textes nicht antun, denn es blieb bei diesem unablässigen Geschwafel. Würde mir das jemand vorlesen oder mir jemand irgendeine Begebenheit auf diese Art erzählen, dann bekäme er recht bald ein großes Pflaster auf die Schnute geklebt.
Ich bin der Ansicht, dass ein Text dem Leser etwas geben soll, sogar muss – sonst kann er in der Schublade bleiben. Das kann ein einfacher Spaß sein, aber natürlich gerne mehr – bis hin zum Leseerlebnis. Bei Deiner Schreibart geht die Handlung / die Pointe im Gebrabbel unter. Vor allem bringst Du Dich (und den Leser) um die Möglichkeit, Bilder entstehen zu lassen, Emotionen zu kitzeln, Metaphern einzubauen etc.
Lieber Sheriff, das ist völlig okay, dass Du mal etwas ausprobiert hast, aber aus meiner Sicht hat ein Text nur Bestand, wenn er liefert, nicht nervt.

Da Du, wie man sieht, schreiben kannst, wäre ein Kurswechsel sicherlich kein Problem für Dich.
Schöne Grüße!
José

 

Na, das sind aber mal 2 sehr unterschiedliche Feedbacks (herzlichen Dank für beide!), die ich bekommen hab: das erste empfiehlt mir, den experimentellen Stil noch konsequenter durchzuziehen, das zweite, ihn aufzugeben... mit ersterer Rückmeldung kann ich mehr anfangen, was aber keine Kritik an der zweiten, mir ebenfalls wertvollen und hilfreichen Rückmeldung sein soll: Dass mein Text - der tatsächlich keine Bilder und Emotionen hervorrufen soll, (das hat einerseits mit den beiden sich spiegelnden Figuren zu tun, die egonzentrisch, monolythisch, in labyrintischen Gedankenwelten gefangen, unfähig zu echter Empathie/Emotionen sind, am Ende steht ja auch ein Suizid, andererseits damit, dass ich ein Anhänger des Film noir bin, also des Ansatzes, dass echte Emotionen nicht innerhalb, sondern außerhalb der Fiktion liegen), sondern vielmehr rhytmisch-musikalisch funktionieren soll - noch nicht richtig rockt / noch nicht überzeugend in den Sog zieht, liegt natürlich keineswegs am Leser, sondern daran, dass mein Text - wie ich durch meinen durch die Feedbacks geschärften Blick feststelle - noch lange nicht genau genug gearbeitet ist, ich muss, denke ich, feilen, feilen, feilen (aber sehr toll, dass diese Seite hier diesen Werkstattcharakter hat, so dass man Texte mal ausprobieren kann, sehen, ob es sich lohnt, daran weiterarbeiten, und dies dann durch die guten Rückmeldungen auch besser kann als ohne!!!)

 

Hallo nochmal,

Zitat: "Dass mein Text ...vielmehr rhytmisch-musikalisch funktionieren soll"

Oha. Dafür holperts aber mächtig im Lesefluss. Wenn das dein stilistisches Mittel sein soll, dann würde ich vorschlagen dem Text ein paar Zeilenümbrüche zu gönnen, so dass es, eher wie ein Liedtext, sich dann auch rythmisch lesen lassen kann. Dieser Textmonilith hilft da nicht. Vielleicht sogar Absätze, so dass man fast an Strophen erinnert ist.

Und klar rate ich Dir, den experimentellen Stil konsequenter durchzuziehen, sonst hat das Experiment ja schon von Anfang an verloren. ;)

Apropos dein Witz und musikalisch: Warum geht ein Musiker ungern übern Friedhof? ... Zu viele Kreuze.

Gruß
pantoholli

PS: Wenn das stilistische Mittel hier zu arg ausgereizt wirdm, kann es passieren, dass der Text in den "Kurzgeschichten" falsch platziert ist ;)

 

Ja, Textfluss holpert noch, dort, und dort, und dort, das stimmt, das seh ich, da muss ich noch feilen, feilen, feilen, damit es wirklich swingt und sich ein Sog einstellt, aber Zeilenumbrüche und Absätze funktionieren nicht, weil das Monolitische, Hermentische, Atemlose, Gehetzte, Eingesperrte der formale Ausdruck des inneren desolaten Zustands der beiden Figuren ist, am Ende steht ja ein Suizid. Wenn ich da Pausen/Absätze mache, bricht mir das alles zusammen (ich hab´s mal ausprobiert...). Also werd ich weiter daran arbeiten, vielleicht hast Du ja zu einem späteren Zeitpunkt nochmal Lust, draufzugucken und vielleicht kann der Text Dich ja noch überzeugen ;-) Danke für dein erneutes Feedback!

 

Hallo Sheriff,

herzlich willkommen!

Ich finde diesen Versuch an der Form schon mutig und gar nicht so schlecht, dass sich weiteres Feilen daran nicht lohnen würde.
Da mir grad die Zeit fehlt, nur zwei Beispiele, die für einige Textstellen gelten:

und diesen Esoterik-Schrott über Erleuchtung, den mir Carlotta mit den Worten geschenkt hat, es würde mir bestimmt guttun, mich mal ein bisschen mit Spiritualität auseinanderzusetzen, meine spirituelle Ader zu entdecken, und den ich, auch wenn ich mit Carlotta, mit der mich mal ein Verhältnis, eine Affäre oder tatsächlich Liebe oder wie auch immer man das heute noch nennen kann oder will, verband, schon lange keinen Kontakt mehr habe, immer auf meine Geschäftsreisen mitnehme, keine Ahnung, warum, dann aber doch nie lese, nachts im Hotelzimmer, in

Dort ist das Problem, indirekte Rede in gutem Deutsch einzubauen. „Würde“ ist da nicht die beste Lösung.
Die Position der Verben:
Hier: „verband“ kann weiter nach vorne: mit der mich mal ein Verhältnis verband
Achtung, kann weitere kleine Änderungen nachziehen-

das wahlweise mit Panflötenmusik oder Harfenklängen oder sonstigem Entspannungsgedudel, das Carlotta, ich erinnere mich, ich erinnere mich, ich erinnere mich, bestimmt gefallen hätte, untermalt werden kann, und dann ...
hier ist die Sortierung nicht optimal.
Vorschlag:
das wahlweise mit Panflötenmusik oder Harfenklängen oder sonstigem Entspannungsgedudel untermalt werden kann, das Carlotta, ich erinnere mich, ich erinnere mich, ich erinnere mich, bestimmt gefallen hätte, und dann …

Ganz allgemein: Ein wenig kürzen! Bleib beim Wichtigen und Machbaren!

Lieben Gruß

Asterix

 

Hej Sheriff,

gleich vorweg, ich kann's bloß lesen und wirken, nachwirken lassen.

Und mich hat's erst amüsiert und ich bin so mitgetragen worden und mußte mich bremsen, nicht zu schnell zu lesen. Es war aber ein Leseereignis der anderen Art, eine andere Art der Spannung.

Die Wiederholungen habe ich als unangenehm betrachtet, aber nur auf den Inhalt bezogen. Ich selbst habe an diesen Stellen entschleunigt. Waren sie dafür gedacht? Sie wirkten auch potenzierend, denn ich habe die Manie des Herr König auch damit auf den Protagonisten übertragen und er bekam somit einen deutlichen Charakter.

Mir hat es gefallen. Haste jut jemacht, Sheriff.

Ein Leseeindruck und freundlicher Gruß, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Danke für Eurer wertvolles Feedback! Ihr habt völlig recht, ich muss weiter verdichten, rhytmisieren, es ist wirklich vertrackt, ich komm nicht wirklich weiter, wenn ich theoretisch über die Stellen groß nachdenke, nur, wenn ich mich beim Überarbeiten immer wieder in die Manie der Figur reinfallen lasse, reinfühle, was stimmt und was nicht, das gelingt mir aber immer nur schrittweise, es ist wie ein ständiges Sieben, bei jedem neuen Sieb werden die Löcher ein wenig kleiner, hoffe ich, insgesamt ist das Schreiben für mich immer mit großer Unsicherheit verbunden, von daher ist es für mich sehr schön, gespiegelt zu bekommen, dass der Stil, wenn auch noch änderungsbedürftig, grundsätzlich funktioniert. @ Kanji: über die ambivalente Funktion von Wiederholungen denke ich viel nach, dass du das mit dem Gegensatzpaar Entschleunigung/ Potenzieren so klar benannt hast, war sehr hilfreich; herzliche Grüsse!

 

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