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Leicht gemacht

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23.10.2003
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Leicht gemacht

Leicht gemacht

In aller Ruhe, verkündet der alte Kirchner seinem neuen Kurs das Wesentliche:
„Nun“, und nach einer gedehnten Atempause sagte er,
„Sie haben sich also entschlossen, meiner großen Liebe, der Physik, ihre Aufmerksamkeit zu verleihen.
Ich warne sie, denn die Physik ist schlecht für den Geist, ein wahrer Verführer.
Denjenigen unter ihnen, die verstehen werden was ich meine, steht eine harte Zeit bevor.
Die Anderen haben Glück und verlassen uns wieder. Laut meiner persönlichen Statistik bereits innerhalb der Ersten zehn Tagen.
Für diesen Fall empfehle ich den allseits beliebten deutschen Dichter Goethe und seinen ´Faust´.“

Diese und noch ein paar weitere Formulierungen gehören zur halbjährlichen Begrüßungsprozedur. Finster und im vollen Bewusstsein seiner mächtigen Autorität fügt er schließlich hinzu: „Mein Name, ich sage ihn übrigens nur einmal, ist Kirchner.
Professor Doktor Kirchner. Ich werde ihr Lektor sein.“
Nicht etwa, weil ihn noch im selben Atemzuge der leidige Umstand des ungewollt zweifachen Kirchners lügen straft, sondern aufgrund einer viel weiter in die Vergangenheit reichenden Pein sieht sich der alte Kauz für einen Moment außer Stande, fortzufahren.

Was ihn derart schockiert, sitzt unbedarft und noch ganz fasziniert von der heiligen Atmosphäre des Hörsaals in der vierten Reihe von oben, weit davon entfernt zu bemerken, dass sie die einzige Studentin im Raum ist.
Kirchner kann es nicht fassen. Das hatte sich schon lange keine mehr getraut. Eine Angst kommt urplötzlich in ihm auf, und dünne Perlen bilden sich über seinen grauen Brauen.
„Fürs Erste genug, morgen dann in alter Frische!“, bricht es stotternd aus Kirchner heraus, während er überraschend einpackt, um dann geradewegs zur Tür hinaus zu verschwinden.

Die Gänge sind leer, als Kirchner schnellen, hallenden Schrittes zum Studiensekretariat des Fachbereichs läuft. Er ist bereits entschlossen, will der Sache gleich ein Ende bereiten, wird aber erst mal von der Sekretärin gestoppt und auf einen Platz verwiesen. Er harrt ungeduldig aus und wird endlich von der Erinnerung gänzlich heimgesucht.
„So wie damals,“ denkt er, als die Sekretärin die Unterlagen der „Neuen“ herauskramt, „steht mir der Schweiß auf der Stirn.“
Da sich sein Blick irgendwo draußen hinter dem Fenster im Himmel verheddert und mit dem Wind fortzuziehen scheint, erblickt er noch einmal, was damals geschehen war.

Er sieht sich fast breitbeinig, in geselliger Runde anderer Dozenten, von denen manche auch auf ihren Badetüchern liegen, in der Sauna sitzen.
Was da vor seinem inneren Auge abläuft, war seiner Ansicht nach, ein von langer Hand geplanter Anschlag auf seine Person gewesen.
Dort, in die allseits berühmte akademische Saunarunde hatte man ihm einst, es waren wahrscheinlich aufmüpfige Studenten gewesen, eine Prostituierte platziert.
Leichtes Spiel hatte sie gehabt, mit einem Mann der sich ganztägig mit nichts als seinen Quarks und Ähnlichem auseinandersetzt und Frauen gegenüber wohlweißlich einen Sicherheitsabstand einhält.
Sie war einfach herein stolziert, hatte ihn mit ihren freizügigen Unternehmungen animiert, hatte mit ihren Reizen um seinen Verstand gerungen und schließlich gewonnen.
Sie hatte ihn erigiert, vor all seinen Kollegen, Assistenten und Mitarbeitern.

Ja, der ganze Hofstaat hatte tags darauf gegrinst oder gelacht. Und das Schlimmste, wie er fand, war nicht die Demütigung vor Ort und der peinlichen Hilflosigkeit seines eigenen Körpers teilhaftig zu werden; schlimmer noch waren für ihn die unzähligen Sprüche und Vergleiche, die er danach zu erdulden gehabt hatte.
Vergleiche, in denen man zum Beispiel die Quantenphysik, die Kirchners Fachgebiet war, als die Lehre von den kleinsten Energien, aufs Gemeinste mit dem Vorgefallenen in Verbindung gebracht hatte.
Es hatte also Jahre gedauert, das Geschehene wieder aus dem Uni-Alltag zu verbannen.

„Und alles nur, weil ich meine Meinung vertreten hatte, dass Frauen in der Physik nichts zu suchen haben“, sagt jetzt der Kirchner ungeahnt laut vor sich her, während er sich mit einem Taschentuch über die schweißnasse Stirn geht.
„Wie meinen?“ tönt es vom Schreibtisch plötzlich zurück.
„Ach nichts“, und schon im Stehen fügt er hinzu:
„Lassen sie mal, mein Anliegen hat sich erübrigt.“
Rasch hat er nun seine ursprüngliche Idee, in den Unterlagen der Studentin nach Rechtfertigungen für eine Ablehnung zu kramen, verworfen, und läuft nicht minder hektisch, wieder zurück zu seinem Fachbereich.
Anstatt sich möglichen Fragen und Diskussionen im Büro auszusetzen, löst er das Problem lieber auf die gute alte Weise.

Vor dem Hörsaal trifft Kirchner, wie erwartet, noch ein paar verstreute Studenten. Unter ihnen ist auch die eine.
„Kommen sie mal mit!“ Schwappt es emotionslos aus ihm heraus, woraufhin sich das überraschte Mädchen hinter ihm in Bewegung setzt und ins Hinterzimmer des Hörsaals folgt.
Dort will er es kurz und schmerzlos hinter sich bringen:
„Finden sie den Umstand nicht ein wenig sonderbar, ja, fast mysteriös, dass sie die einzige weibliche Kursteilnehmerin bei mir sind, Frau, äh... ?“
„Darbig, ich heiße Manuela Darbig“, ergänzt die überfordert und nachdenklich dreinschauende Studentin.
„Wie dem auch sei, ich möchte die Sache nicht unnötig umschreiben. Als Frau haben sie in meinem Kurs keine Chance auf Bestehen. Sehen sie bitte zu, dass sie sich anderweitig umschauen, vielleicht in der Germanistik oder der Pädagogik!“
Und bevor die Fassungslose ihre Sprache wieder finden kann, wird sie mit einem „das war es auch schon, was ich ihnen mitteilen wollte, das Gespräch ist beendet“ vor die Tür gesetzt.

Auf dem leeren Flur hört man jetzt ein paar leise Füße, langsam schlürfend, gen Ausgang gehen. Es sind ihre.
Die Schultern hängen ihr herab, aber der Kopf hält sich tapfer in einer würdigen Höhe.
Aus ihrer Tasche zieht sie ein dickes Buch mit der Aufschrift „Quantität der Atome, von Prof. Dr. Kirchner...“
Mit leicht tränenden Augen und dem geringen Trost dessen, der weiß das ihm gerade ein großes Unrecht wiederfahren, lässt sie es, wohl absichtlich, aus geraumer Höhe in den blechernen Abfallkorb seitlich der Eingangstüre fallen. Das laute Scheppern zieht an ihr vorbei und über den gesamten Flur hinweg.
Unberührt davon geht sie hinaus, ins Freie.


Die Geschichte wurde für die Wörterbörse verfasst. Die vorgegebenen Worte waren:
Quantenphysik, Lektor, umschreiben, mysteriös und Sauna.
editiert am 21.1.04

 
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Hallo Lasius,

du hast aus den vorgegebenen Wörtern eine hübsche Geschichte über einen alten Stiesel gemacht, der unter seinen Vorurteilen zu leiden hat. Dabei hast du diese Wörter so geschcikt eingebaut, dass ich sie nicht bemerkte. Sie fügten sich also richtig gut in dene Geschichte ein.
Hat mir gefallen, ein paar Anmerkungen habe ich trotzdem. (Anmerkungen gestrichen, da vollständig editiert. Weitere Korrekturen per PM geschickt)

Das wars dann aber auch schon. In der Zeichensetzung scheinst du die alte Rechtschreibung zu bevorzugen, oder ist das ein Versehen? Dann hast du noch einige Kommas zu viel.

Lieben Gruß, sim

 

Lieber sim,
ich bedanke mich erst einmal für das Lesen und die Mühe. Toll das dir die Geschichte gefällt!!!
Ich werde, glaube ich, fast alles was du mir rätst übernehmen.
"Seiner Ruhe Herr" sollte bedeuten, dass er ein alter Hase ist. Keine unkontrollierten Schritte vor der Klasse also.Da weiß ich noch nicht, ob ich vielleicht "in aller Ruhe" draus mache.

Wegen der Zeichensetzung: Du glaubst gar nicht welches große Lob du mir ausgesprochen hast, denn ich fange damit sozusagen bei Null an. Und ich benutze in der Tat die Alte. ( Habe keine Unterlagen für die Neue)
Wenn du allerdings noch Lust hast, zeige mir bitte das oder die Komma(s) die noch überflüssig sind oder ganz fehlen.
Gruß Lasius

 

Hi Illusionist,

und danke für deine ehrlich Meinung. Ist eben auch schwer gewesen, ein heikles Thema zu finden. Ich finds ganz ordentlich.
Gruß Lasius

 

Für zwei Wochen aus der Wörterbörse in "Gesellschaft" verschoben. Bitte am 10.02. zurück.

 

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