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Märchen vom Mädchen, das auszog das Meer zu finden

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16.03.2008
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Märchen vom Mädchen, das auszog das Meer zu finden

Es war einmal ein kleines Mädchen, für das die Mutter alles tat, damit es ihm gut ginge. So hatte es ein eigenes Zimmer, Spielsachen im Überfluss und jeden Tag bekam es die Speisen, die es sich wünschte. Im Garten stand eine Schaukel, und wenn es Lust verspürte nach Bewegung und frischer Luft, dann lief es einfach hinaus und schwang sich gen Himmel. So fehlte es dem kleinen Mädchen an nichts. Die Jahre vergingen, das Mädchen wuchs heran.

Mit der Zeit verlor es das Interesse an seinen Spielsachen und der sorgsam eingezäunte Garten wurde ihm zu eng. Da fragte das Mädchen seine Mutter, was denn da außerhalb des Gartens sei, und mit jedem Tag regten sich Neugier und Sehnsucht ungestümer in seinem jungen Herzen. Die Mutter aber wurde sehr ärgerlich, wenn das Mädchen die Frage stellte, was sich denn dort außerhalb des Gartens befände. „Hier ist es gut für dich, denn nur hier und bei mir bist du sicher vor allen Gefahren. Am besten ist es, du fragst mich nie wieder.“ Da das Mädchen seine Mutter sehr liebte, wagte es nicht mehr zu fragen.

Es versuchte, die Sehnsucht in seinem Herzen zu löschen, spürte jedoch, dass für jeden Funken Sehnsucht, den es fahren ließ, sich dunkle Traurigkeit im Herzen einnistete. So wurde das Mädchen still und krank, und seine einzige Freude war es, bis zur Besinnungslosigkeit zu schaukeln. Die Beine wie früher gegen den Himmel gestreckt, so lange auf und nieder zu schaukeln, bis es glaubte, es fliege der Sonne entgegen.

Die Vögel des Gartens, die kamen und gingen, wie es ihnen gelüstete, berichteten dem Mädchen, wie es zuging in der Welt. Sie erzählten Geschichten von fremden Kindern, großen Städten, Seen und dem Meer. Der Gedanke an das ferne Meer, die unendlich weite Sicht und den wilden Wind, der jedem das Haar zerzauste, weckte wieder die alte Sehnsucht, in die Welt hinaus zu ziehen.

Eines Nachts schob das Mädchen dann seinen Schwermut wie eine Bettdecke beiseite, nahm das am Abend heimlich geschnürte Bündel, schrieb noch ein paar Zeilen für die Mutter und stahl sich leise wie eine Maus aus dem Haus, welches es noch nie zuvor verlassen hatte.

Da stand es nun, mitten auf der Straße, nur das hohe Firmament über seinem Kopf mit Sternen, die ihm ermutigend zu zwinkerten. Das Mädchen eilte die ganze Nacht quer durch die unbekannte Stadt, bis es die letzten Häuser hinter sich zurückließ. Es genoss die kalte Luft auf der Haut, fühlte sich lebendig wie nie. Die ungewohnten Geräusche in der Dunkelheit machten ihm keine Angst. Als es erschöpft war, legte es sich auf dem weichen Waldboden nieder und schlief sofort ein.

So fand es in der Morgendämmerung eine heimkehrende Füchsin, die sich wunderte über das schlafende Menschenkind mitten im Wald. Als die Füchsin neugierig an dem Mädchen schnupperte, erwachte es. Das Mädchen rieb sich die Augen und fragte die Füchsin, wie es denn zum Meer gelangen könne. Das Tier überlegte kurz, und weil Füchse schlau und durchtrieben sind, antwortete es „Wenn du mir den Fuchsbau sauber hältst, die kleinen Füchse versorgst und auf sie achtest, wenn ich zur Jagd gehe, dann wird es dein Lohn sein, dass ich dir verrate, auf welchem Wege du zum großen Wasser gelangst.“

Das erschien dem Mädchen ein ehrlicher Handel, und so willigte es ein. Es gab sich große Mühe, all die Arbeiten, die die Füchsin ihm auftrug, mit Sorgfalt zu erledigen, doch da es keine Übung im Putzen, Kochen und Kinderhüten hatte, stellte es sich anfangs recht ungeschickt an. „Ich sage dir erst dann, wie du zum großen Wasser gelangst, wenn du mir wirklich eine Hilfe bist“, knurrte die Füchsin, wenn das Mädchen dann und wann nach dem Meer fragte.

So flossen die Tage dahin, der Sommer ging, die Bäume färbten sich bunt und verloren bald ihre Blätter. Es wurde kalt und klamm in der Fuchshöhle. Nicht viel später fielen die ersten Schneeflocken, und der Wald hüllte sich in tiefes Schweigen. Der Winter war hart und dauerte lang. Dicht aneinander gedrängt, versuchten sich die kleinen Füchse und das Menschenkind zu wärmen. Zitternd erwarteten sie die Rückkehr der alten Füchsin, deren Beutezüge jetzt nur mäßig erfolgreich waren. So lag das Mädchen des Nachts mit nagendem Hunger und schlotternden Gliedern auf seinem harten Lager und dachte an die Mutter, die doch wohl damit recht gehabt hatte, dass es dort außerhalb des Gartens feindlich und ungemütlich sei.

Eines Tages wurde es jedoch wieder spürbar wärmer im Wald, die Vögel begrüßten den Frühling übermütig, und mit dem Schnee verschwanden auch die dunklen Gedanken. Nachdem das Mädchen alle Hausarbeit erledigt hatte, legte es seine Schürze ab, trocknete seine Hände und ging zur Füchsin. „Es ist Zeit, dein Versprechen einzulösen“, sprach es „ich habe deine Kinder versorgt, deinen Bau sauber gehalten und alles getan, was du mir aufgetragen hast. Nun will ich wissen, wie ich zum Meer finden kann“. Da lachte die Füchsin nur höhnisch„Was bist du doch für ein dummes Ding. Woher soll ich wissen, wo das Meer ist? Ich war noch nie dort. Wüsste auch nicht, was ich da sollte. Bleib doch hier. Hier geht es dir doch gut“.

Wütend und traurig zugleich zwängte sich das Mädchen durch den Höhleneingang nach draußen und verließ den Wald ohne einen Blick zurück. Auf seinem weiteren Weg lief es über Felder und Wiesen, die von Bauern bestellt wurden. Es verstand sehr schnell, dass es zu essen und zu trinken bekam und ein Bett für die Nacht, wenn es seine Hilfe auf den Gehöften anbot, die es hier überall gab. Bei der Füchsin hatte es viel gelernt an praktischen Dingen, und so war es überall willkommen. Wenn es dann abends an den groben Tischen inmitten der Bauersleute hockte, fühlte es sich wohl und geborgen in der Gemeinschaft und dachte kaum noch an die Mutter.

Jedes Mal, wenn es aber glaubte, hier könne es sich niederlassen, so erschien vor seinem inneren Auge das Bild des weiten Meeres, und fast vermeinte es das Rauschen der Brandung zu hören wie einen Lockruf.

So brach es dann doch wieder auf und wanderte weiter, bis sich eines Tages die Landschaft öffnete, Wiesen und Felder zurückblieben und das Lied der Lerche vom Geschrei der Möwen abgelöst wurde. Die Sehnsucht stellte sich im Herzen des Mädchens auf wie ein hungriges Tier und trieb es zur Eile an. Als es endlich Sand unter den Füßen spürte, rannte es mit letzter Kraft die Dünen herauf und blieb atemlos auf dem Kamm der Düne stehen. Das Mädchen konnte sich nicht satt sehen am Grün und Blau des Meeres, konnte sich nicht satt hören am ewigen Gesang der Wellen. Glücklich ließ es sich die Düne herunter rollen und blieb platt auf dem Rücken am Strand liegen, den freien Blick in den Himmel gerichtet, bereit zur Sonne zu fliegen.

Und als es lange so gelegen hatte, verspürte es Lust, Muscheln und Steine zu sammeln. Und als es lange Muscheln und Steine gesammelt hatte, da ging es in den nahe gelegenen Ort, schrieb eine Karte an die Mutter, mit den Worten „es gibt sie, die Welt außerhalb des Gartens. Ich bin glücklich. Wart nicht mit dem Abendessen. Ich werde eine Weile noch unterwegs sein“.
Und wenn das Mädchen nicht gestorben ist (und das ist es nicht. Soviel sei verraten), dann ist es noch immer dabei, die Welt außerhalb des Gartens zu entdecken, und die Mutter hält das Abendessen vergeblich warm.

 

Hallo Meerjungfrau,
und da du scheinbar noch relativ neu auf kg.de bist, auch ein herzliches Willkommen hier.

Sehr schön und märchenhaft. Der Rechtschreibung bist du genau wie auch der Grammatik mächtig und deine Absätze passen auch. Ja, schön war das.

Was mich aber trotzdem stört (manchmal bin ich auch wirklich fies):
So schön alles auch ist, manchmal läuft dein Text ein wenig unrund, z. B. letzter Satz, erster Absatz. Da hast du bis dorthin den (zugegeben) schwierigen Märchenstil gehalten, um dann in einen harten, realistischen Satz zu enden. O.K. Aufweckeffekt gesetzt, doch stilistisch erwartet man (zumindest ich) dann bei jedem Absatz so einen Ausklang oder einen kompletten Schwenk in die reale Ebene. Beides führst du nicht durch. Gut, muss jetzt auch nicht sein. Andere mögen das auch anders empfinden, aber ich für meinen Teil fühle mich dann im Lesefluss verstört.
Ähnliche (meist nur für einen Satz) Stiländerungen waren auf den ganzen Text verteilt und immer bin ich gelesstolpert.
Komplett gestört hat mich auch der gesamte letzte Absatz. Der wirkt irgendwie so - wie soll ich sagen - wie ein Rausschmiss, wie ein Nichtausklingenlassenwollen.

Aber ansonsten
habe ich deinen Text wirklich gern gelesen und für sehr gut empfunden. Ich übe mich schon in Neugier, was da Tolles noch kommen möge.

lg
lev

 

Hallo Meerjungfrau und ein herzliches Willkommen!

"Klassische" Märchen sind nicht so ganz mein Fall, aber da kannst du ja schlecht was für. :)
Deshalb nur ein paar Anmerkungen:
-

und seine einzige Freude war es, bis zur Besinnungslosigkeit zu schaukeln.
irgendwie witzig, passt aber mE nicht ganz zum Erzählton
-
Und als es lange so gelegen hatte, verspürte es Lust, Muscheln und Steine zu sammeln. Und als es lange Muscheln und Steine gesammelt hatte, da ging es in den nahe gelegenen Ort, schrieb eine Karte an die Mutter, mit den Worten „es gibt sie, die Welt außerhalb des Gartens. Ich bin glücklich. Wart nicht mit dem Abendessen. Ich werde eine Weile noch unterwegs sein“.
Und wenn das Mädchen nicht gestorben ist (und das ist es nicht. Soviel sei verraten), dann ist es noch immer dabei, die Welt außerhalb des Gartens zu entdecken, und die Mutter hält das Abendessen vergeblich warm.
Das Ende ist leider auch nicht so schön - sowohl stilistisch als auch inhaltlich.

Ansonsten sind für meinen Geschmack ein paar überlange Sätze drin, im Gegenzug aber auch einige wirklich sehr schöne. Wie gesagt, Märchen sind nicht so mein Ding. :)

Beste Grüße

Nothlia

 

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