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Manchmal muss man nachts lesen!

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17.09.2002
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Manchmal muss man nachts lesen!

„Verflixt und zugenäht!“, schimpfte die Prinzessin. „Ausgerechnet jetzt macht jemand das Licht aus.“
Es war schlagartig stockdunkel geworden. Man konnte die Hand nicht mehr vor Augen sehen. Die Finsternis stürzte herab und erstickte nicht nur jeden Lichtstrahl, sondern auch alle Geräusche und Gerüche. Eben noch hatte die Prinzessin das gefährlich wütende Schnauben des Drachenfürsten Repto gehört, sie hatte den ekelerregenden Schwefeldunst in ihrer Nase gespürt, den alle Drachen verbreiten, und nun war da – nichts mehr! Kein Laut, kein Schatten, kein Lufthauch, nicht das Fitzelchen eines Duftes... Nichts – absolut nichts!
Zitternd lehnte sie sich gegen die kalte, steinerne Schlosskellerwand. Sie hatte keine Wahl. Sie musste warten. Warten bis es wieder hell wurde. Sie spitzte die Ohren und lauschte. Kam Repto, der Fürst der Drachen, näher? Sie wusste es nicht. Es war, als seien ihre Ohren mit weichem Wachs verklebt worden. Die Prinzessin hörte nichts anderes, als ihren eigenen, eiligen Herzschlag...

Hui! Das war knapp gewesen! Sebastian zog die Decke bis ans Kinn und bemühte sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Zum Glück hatte er Mamas Schritte rechtzeitig gehört. Er hatte gerade noch das Licht löschen und das Buch unter sein Kopfkissen schieben können.
Als sich die Zimmertür öffnete, kniff Sebastian die Augen zu. Ein schmaler Lichtfinger kroch durch den Türspalt und glitt kitzelnd über Sebastians Nase. Wenig später schloss Mama die Tür leise und der Junge war wieder allein.
Er rollte sich auf den Bauch, vergrub das Gesicht in den Armen und versuchte, zu schlafen. Er versuchte es ehrlich und mit aller Kraft, aber es klappte nicht. Das Buch unter seinem Kopfkissen war zu laut. Es rief nach ihm und lockte mit süßen Versprechungen. Es ging nicht anders: Sebastian musste unbedingt wissen, ob Repto, dieser widerliche Drachenfürst, die Prinzessin...

Entschlossen knipste der Junge seine Leselampe an und zog das dicke Buch unter dem Kopfkissen hervor. Er spitzte noch einmal die Ohren, aber auf dem Flur war nichts zu hören. Mama saß sicher wieder im Wohnzimmer, bei Papa.
Sebastian seufzte vor Vorfreude und schlug das Buch auf. Zusammen mit dem Lesezeichen purzelte ein knapp fingergroßes Mädchen aus den Seiten und landete auf allen Vieren vor Sebastian auf der Bettdecke. Der Junge schnappte verblüfft nach Luft, doch bevor er etwas sagen konnte, rappelte die junge Dame sich auf, stemmte die Fäuste in die Seiten und begann, lautstark zu schimpfen:
„Also du warst das! Du hast plötzlich das Licht ausgemacht! Kannst du dir eigentlich vorstellen, wie das ist, wenn man mutterseelenallein in einem dunklen Kellergang steht, nichts sehen, nichts hören und nichts riechen kann und genau weiß, dass Repto hinter der nächsten Ecke lauert?“
Sprachlos starrte Sebastian die schimpfende Person an. Das war die Prinzessin! Er rieb sich ungläubig die Augen, doch das Mädchen verschwand nicht. Es blickte ihn nur mit wütend funkelnden Augen an.
„Ich hoffe sehr, dass du so etwas nie, nie wieder machst!“, sagte es streng, drehte sich auf dem Absatz um und trat mit einem großen Schritt zurück in das Buch, aus dessen Seiten es eben gekollert war. Wie ein Staubsauger verschluckte das Buch das Mädchen. Im Nu war es zwischen all den mit schwarzen Buchstaben besetzten Zeilen verschwunden.
Ungläubig fuhr Sebastian mit dem Zeigefinger über die Zeilen der Geschichte. Da war nichts. Kein Spalt oder Schlitz, keine Öffnung, nur das glatte, bedruckte Papier.
„Tut mir echt Leid!“, murmelte er zerknirscht und fand jetzt selber, dass es gemein von ihm gewesen war, die arme Prinzessin allein in dem dunklen Kellergewölbe zurückzulassen. Schließlich war sie auf der Flucht. Auf der Flucht vor Repto, dem Drachenfürsten und alle Welt wusste, dass Repto nichts lieber verspeiste, als zarte, blonde Prinzessinnen.
Sebastian warf einen schuldbewussten Blick zur Tür. Es ging nicht anders. Er musste weiterlesen!
„Es muss sein, Mama!“, flüsterte er. „Manchmal muss man nachts lesen!“

 

Hallo al-dente,

eine tolle Geschichte, phantasievoll, witzig, gut geschrieben!

Liebe Grüße

Andrea

 

hallo al-dente,

du warst ja richtig produktiv heute. :)
Auch diese Geschichte ist dir wunderbar gelungen. Natürlich muss man manchmal nachts lesen, und natürlich werden die Figuren in der Geschichte dabei so lebendig, dass sie aus den Seiten purzeln können.
Hoffen wir mit Sebastian, dass nicht so bald neue Schritte auf dem Flur neues Unheil für die Prinzessin ankündigen. :)

Liebe Grüßes, sim

 

@Wossibär

Danke. Da werde ich ja ganz rot. Hast Du nichts zu meckern? :)

@Sim
Nein, nein, nein! Ich war heute überhaupt nicht produktiv. Beide Geschichten liegen schon länger in der Schublade. Ich habe sie nur gepostet. :)

Ich freue mich sehr, dass Dir auch dieser Text gefallen hat.

Liebe Grüße Euch beiden
Barbara

 

Hi al-dente,
Deine Geschichte gefällt mir sehr gut - könnte von mir sein :D
Aber Spaß beiseite - Dein Schreibstil ist so, wie ich es mag, locker, flüssig, ohne Kanten. Die Idee, Akteure aus Buchseiten steigen zu lassen ist zwar nicht neu, aber so, wie Du das umgesetzt hast, war es für mich neu, und hat mir sehr gut gefallen.

Liebe Grüße
Jadro

 

Hi al-dente!
Tolle Geschichte! Und die Idee erst-wäre ich nie drauf gekommen bzw. kannte ich noch nicht. Genial geschrieben. Nur hätte ich auch zu gerne gewußt ob das Biest die Prinzessin bekommt oder nicht.

LG Ulrike

 

Hallo al-dente!
Deine Geschhichte hat mir richtig gut gefallen.
Ganz lebendig beschrieben.

:thumbsup: Darfür gibt es ein großes Lob.
Viele Grüße Mercedes

 

Hallo Barbara!

Lebendig erzählt...phatasievoll und für Kinder sicher ein Anreiz, ihre Bücher auch in Zukunft nachts zu lesen ;) Damit es den ganzen Abenteuerern und Prinzessinen nciht auch so geht und sie plötzlich im Dunkel stehen. :D Lesen macht Spaß, vor allem, wenn man es heimlich tut....

liebe Grüße
Anne

 

Hallo al-dente!
Eine entzückende Geschichte. Sie gefällt mir thematisch wirklich sehr gut. Sprachlich kann ich auch nur staunen. Solch einen schönen Schreibstil lese ich wirklich gerne. Da kann man ja richtig was bei lernen!
Mehr davon!!!

Gruss
Sabine

 

Hallo al-dente,

eine originelle Geschichte und ein indirekter Lobgesang auf Fantasie und Lesespaß!

Liebe Grüße,
tschüß... Woltochinon

 

Hall al-dente

Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen.
Eine wundervoll witzige, fantasievolle Geschichte.

Mehr davon!

Steffi

 

Hallo Ihr Lieben,

vielen herzlichen Dank für Eure lobenden Worte! Ich habe mich ganz doll darüber gefreut :bounce: :bounce:

Liebe Grüße
Barbara

 

Hallo Barbara,

ich schließe mich an - eine tolle Geschichte.

Zwei kleine Vorschläge:

aus dessen Seiten es eben gekollert war
"gekollert" kenne ich nicht - ich würde "gekullert" schreiben.
zwischen all den, mit schwarzen Buchstaben besetzten, Zeilen
Hier würde ich die Kommas weglassen.

Schöne Grüße
Roy

 

Hallo Roy,

wie schön, dass Du auch diese Geschichte gelesen und kommentiert hast. :) Danke!

Zu Deinen Anmerkungen:
"gekollert" hieß es immer in meiner Kindheit - ich glaube, der Begriff kollern kommt aus Böhmen. Ich werde mich bei meinen Eltern erkundigen. "Kullern" kenne ich natürlich, aber"kollern" ist mir soviel vertrauter...

Die Kommata werde ich weglassen, ich habe beim Schreiben schon darüber nachgedacht und war mir schrecklich unsicher!

Liebe Grüße
Barbara

 

Hallo Barbara!
Eine wirklich süße Geschichte. Sehr fantasievoll und gut geschrieben. :)
Zu Stil und Formulierungen und so brauch ich ja bei dir nichts mehr sagen. Alles beim Alten.

Und klar, manchmal muss man einfach nachts lesen.. das geht nicht anders
Sei es, weil man das Buch für die Schule zum nächsten tag fertig gelesen haben soll :D oder weil es einfach gut ist und man wissen möchte, wie es weitergeht

Ich hab nur ein paar kleiner Anmerkungen:

Verflixt und zugenäht!“, schimpfte die Prinzessin. „Ausgerechnet jetzt macht jemand das Licht aus.“
Es war schlagartig stockdunkel geworden. Die Prinzessin konnte die Hand nicht mehr vor Augen sehen. Die Finsternis sank herab und erstickte nicht nur jeden Lichtstrahl, sondern auch alle Geräusche und Gerüche. Eben noch hatte die Prinzessin das gefährlich wütende Schnauben des Drachenfürsten Repto gehört, ...
Hier hast du dreimal „Prinzessin“ dicht hintereinander. So dicht aussehen mag das ja nicht, aber wenn man es laut liest, fällt einem schon auf, dass „Prinzessin“ oft vorkommt.
Du könntest der Prinzessin einen Namen geben. Der Junge hat ja schließlich auch einen Namen. Und wenn das Mädchen einen Namen bekommt, dann hab ich noch eine „Anfrage“ oder Bitte. Aber dazu später

Als sich die Zimmertür öffnete, kniff Sebastian die Augen zu. Ein schmaler Lichtfinger kroch durch den Türspalt und glitt kitzelnd über Sebastians Nase. Wenig später schloss Mama die Tür leise und Sebastian war wieder allein.
Kurz hintereinander „Sebastian“. Vielleicht fallen dir noch andere Formulierungen ein. Zum Beispiel das zweite „Sebastian“ könnte man doch durch „seine“ ersetzen. Du sagst ja vorher schon, dass er die Augen zukneift. Ich denke, es ist klar, dass du im nächsten Satz immer noch von Sebastian sprichst.

Mama saß sicher wieder im Wohnzimmer, bei Papa.
Hm, mein Gefühl sagt mir, dass nach „Wohnzimmer“ kein Komma kommt. Ich denk darüber noch mal nach und frag meinen Deutschlehrer morgen mal (ich hoffe, ich vergess das nicht.. *zettelschreib* :D)

Ich hoffe sehr, dass du so etwas nie, nie wieder machst!“, sagte es streng, drehte sich auf dem Absatz um und trat mit einem großen Schritt zurück in das Buch, aus dessen Seiten es eben gekollert war. Wie ein Staubsauger verschluckte das Buch das Mädchen
Hm, „gekolltert“ klingt in meinen Ohren ein wenig seltsam. Für mich klingt „gekullert“ besser. Meine Meinung.
Vielleicht könntest du den letzten Satz etwas umformulieren, so dass diese zwei „das“ nicht so eng auf einander folgen?

So, das wars dann aber auch schon. :)

bye und tschö

P.S. Achso, ja, mein Antrag oder Bitte. Ich finde, wenn du schon von der Prinzessin und dem Drachenfürst Repto anfängst, „musst“ du dazu auch eine geschichte schreiben.
Ich könnte mir schon vorstellen, dass einige Kinder gerne wissen würden, wie die Geschichte mit der Prinzessin und dem Drachenfürst ausgeht. ;) :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Sarah,

Danke fürs Lesen und für das Lob! :)

Deine ersten beiden Anregungen habe ich beherzigt und den Text geändert.

An "gekollert" halte ich vorläufig fest - dies Wort gehört zu meiner Kindheit (siehe oben). :)

Die Wiederholung des Wortes "das" stört mich nicht, deshalb bleibt der Satz so stehen.

Was die Geschichte über Repto und die Prinzessin angeht - vielleicht denken sich die Kinder, denen meine Geschichte vorgelesen wird, ja selber eine story aus. Oder wie wäre es zum Beispiel mit Dir? :D

Liebe Grüße
Barbara

 

Hi!
Also, ich finde die Geschichte auch sehr gut! Da ich ja eigentlich auch fast noch ein Kind bin (werde im Dez. 14), kann ich dir sagen, dass jedes Kind diese Geschichte sehr gerne hören wird. (Naja, vielleicht nicht jedes, aber auf jeden Fall jedes Kind, dass einen ähnlichen Geschichtengeschmack hat wie ich und das sind die Meisten ;-) )

 

Hallo mausilein!

Willkommen hier auf KG.DE! :)

Ich habe mich darüber gefreut, dass auch Dir die Geschichte gefiel. :)

Liebe Grüße
Barbara

 

Hallo Barbara,

ich kann mich den anderen leider nur anschließen, hab keine konstruktive Kritik zu bieten :)

Gefiel mir sehr, deine kleine Geschichte, hätte ruhig noch weitergehen können. Der Showdown zwischen Drache und Prinzessin hätte sich auch gern im Zimmer des Kleinen abspielen können. :)

Gruß
Rainman

 

Hallo rainman,

wieso leider? - Ich freue mich, wenn Ihr nichts zu meckern findet :D !

Es gibt, jedenfalls in meinem Kopf, bisher noch keine Geschichte, geschweige denn einen Showdown zwischen dem Drachen und der Prinzessin. :)

Danke für die positive Kritik.

Liebe Grüße
Barbara

 

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