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Marktbummel

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21.10.2001
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Marktbummel

Der kleine Markt erschien fast wie aus dem Nichts zwischen den engen Häuserzeilen erwachsend und mutierte binnen kürzester Zeit zu einer Kampfarena. Die imaginären Ränge bevölkerten sich zusehends mit heimischen Mülltonnen und im gegnerischen Fanblock -zugereist- Obstverpackungen aus aller Welt. Warum es mich heute hierher zog, wußte ich nicht. Es gibt Tage, da treibt dich nur die bescheidene Hoffnung nach draußen, es könnte dir ein Flugzeug auf den Kopf fallen. Tage, an denen man das Warten leid ist. Auf die Traumfrau, den Lottogewinn, den Weltfrieden, das Paradies, eigentlich nur auf den Engel, der dir sagt: "Wach auf, es ist alles nur ein dummer Traum!" Aber Engel trifft man nicht mal einfach so an der Bushaltestelle, nur die kleinen blauen auf den Mehrwegverpackungen oder dem Toilettenpapier. Eigentlich hat ja jeder seine eigene verworrene Vorstellung das Schicksal beeinflussen oder gnädig stimmen zu können. So sammelte ich seit längerem genau diese kleinen Umweltzeichen, anfangs aus Spaß, aber mittlerweile im festen Glauben daran, später einen Großkundenrabatt eingeräumt zu bekommen. Besonders stolz war ich auf meine letztens erstandene Kettensäge - beengelt weil lärmgemindert und abgasarm. Was mir jetzt definitiv noch fehlte, war jedoch ein Bewegungsflächenenteiser für Flugplätze. Unter Sammlern der absolute Exot. Wenn ich nur wüßte, wie ich da heran komme? Selbst ein abstürzendes Flugzeug dürfte sowas nicht an Bord haben.
Mittlerweile war ich am Spielfeldrand angekommen. Früher dachte ich immer es wären Ersatzbänke, auf denen die Omas geduldig harrend auf ihre Einwechslung warteten. Aber wenn man so sah, wie sie nach 3 Minuten wieder aufsprangen und sich humpelnd ins Getümmel stürzten, schien es eher, als hätten sie nur ihre Zeitstrafe abgesessen. Das obligatorische Warmlaufen absolvierte ich leicht schlendernd an den ruhigen Randbereichen. Hier stieß ich auf etwas Seltsames - Konservendosen von der Größe einer Regentonne.
"Was ist das?" fragte ich den Händler. "Na ja, eine Innovation! 10 Sardinen in einer Dose, 5 Kameras inklusive Infrarot-Firewire-Anschluß für den PC." "Und wofür das?" Er sagte: "Die Leute werden in Zukunft auf sowas stehen. Es liegen Zeiten der Rückbesinnung vor uns. Unsere Marktanalysen zeigen deutlich, daß sich der Mensch jetzt wieder mehr für seine Mitmenschen interessiert." "Und die Sardinen?" fragte ich ihn etwas irritiert. "Allesamt freiwillig dem Meer entstiegen, dem Ruf zu folgen an der Spitze dieses neuen Zeitalters zu stehen" versicherte er mir. Ich sah verstohlen an mir herunter. Irgendetwas mußte ich an mir haben, daß mich die Leute für verrückt genug hielten diesen Mist zu glauben. Immernoch überlegend, ob meine Schnürsenkel eigentlich einen Engel hatten, stolperte ich fast über den nächsten Stand.
Tausende Karten mit seltsamen Tierchen, bunt und quietschvergnügt wie es schien. "Und sie?" fragte ich einen bezopften Hinterkopf, dessen Vorderteil irgendwo emsig herumkramte. "Ich tausche Illusionen." "Das gefällt mir", sagte ich, "ich habe hier ein Traumato. Was ist der Wert?" Das schien sein Interesse geweckt zu haben. Plötzlich sah ich in ein Gesicht, das mich insgeheim den vorherigen Zustand wieder wünschen ließ: "Oh, dann brauchen sie unbedingt den Hyper-Heiler samt Super-Energie-Absauger, doppelt farblose Energie und Rück-Entwicklungsspray." "Und dann bin ich geheilt?" fragte ich etwas verwirrt. "Wie?" spiegelte sich kurz eine sichtliche Befremdung in seinen Augen wider und ging zuckend in ein Kopfschütteln über, so daß ein paar gequetschte Worte herausfielen: "Sagte ich nicht, daß ich mit Illusionen handle?" "Ja, ich vergaß" stammelte ich noch zur Entschuldigung.
Am nächsten Stand -ein Durchatmen entfernt- konnte man sich sein Weltbild zerstören lassen. Heute ein Zweifel gratis. Das war doch was. Der Verkäufer musterte mich, dann kam seine allesentscheidende Frage: "Schonmal drüber nachgedacht was 37 Meter pro Sekunde sind?" "Ja", sagte ich belustigt, "das ist doch einfach! Geschwindigkeit und nicht mal langsam. Das sind so 130 Kilometer pro Stunde." "Ansich schon", lächelte es zurück, "aber nun: 1 Meter ist definiert als das 1650763,73fache der Wellenlänge der von Atomen Krypton-86 beim Übergang vom Zustand 5d5 zum Zustand 2p10 ausgesandten Strahlung im Vakuum und 1 Sekunde" - ich wollte es gar nicht mehr wissen - "die Dauer von 9192631770 Perioden der Strahlung, die dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes des Atoms Zäsium CS 133 entspricht." Ja, das wirkte. Grübelnd schlich ich weiter, um möglichst keinem Atom auf die Füße zu treten.
Die nächsten Füße gehörten aber zu einer alten Frau. Laut Schild kaufte sie Ideale an. "Was bekomme ich für den Weltfrieden?" fragte ich sie. Sie schaute in ihre Preisliste, stöhnte kurz und fragte dann: "Haben sie nichts Exotisches? Weltfrieden nehmen wir nur im Bundle. Entweder mit Humanismus, Umweltschutz oder Romantik." "Nö", sagte ich, "die brauch ich noch. Aber ich kann ihnen mein Vertrauen in Fleischprodukte anbieten. Was bekomme ich dafür?" "Einen Gutschein für Fast-Food." Das war ja wohl nicht komisch!
Etwas verärgert fand ich mich am nächsten Stand wieder. Werd Teil einer Statistik, gerade Happy hour - alles zum halben Preis. "Ich bin arbeitsloser Mittelständler, hasse rosenverkaufende Nepalesen und finde, daß Benzin zu teuer ist" sagte ich zum Verkäufer. "Ja, da läßt sich was machen. Füllen sie mal den Bogen hier aus. Fälschen kostet übrigens extra" sagte er zum Ende hin betont leise. "Wie, auch bei den Arbeitslosen?" entfuhr es mir. "Nein", lachte er vielsagend, "das ist in diesem speziellen Fall schon inklusive. Und unter der Hand - wir suchen noch für die vorweihnachtliche Suizidalstatistik." "Na", höre ich mich sagen, "ich denk drüber nach."
Schon etwas erschöpft vom Bummeln ruhe ich am nächsten Stand aus. Die Wahrheit - keine Menschenseele zu sehen. Na hallo, wohl kein Verkaufsschlager! Nach einer Viertelstunde erschien ein kleines Mädchen, musterte mich und sah mich erwartungsvoll an. "Wie nun? Verkaufen, Tauschen, Kaufen. Was machst du?" fragte ich sie. "Ich habe Pfützen, dreckige Knie, Seifenblasen, Murmeln, Bonbons, Sandburgen, Märchen und eine Zahnlücke. Aber die verkaufe ich nicht, tauschen will ich um keinen Preis. Aber ich verschenke Wahrheiten." "Das ist nett, einfach so?" fragte ich ungläubig. "Ja", sagte sie, "wenn man sucht, findet man sie auch so, man muß bloß sehen können." "Hm", sagte ich blinzelnd, "das kann ich." Sie schüttelte nur den Kopf, reichte mir einen kleinen Zettel und verschwand. Hier stand: Alles wird gut.

Noch am selben Tag ging ich zum Optiker und verlangte eine rosarote Brille. "Die kostet 10 Pfennig" sagte er. "Wo ist der Haken?" fragte ich. "Sie betrügt nur die Augen, nicht das Hirn." "Und läßt sich da was machen?" Er schaute sich um, führte mich dann ins Hinterzimmer. Ein abgedunkelter Raum, kahle Wände mit den üblichen Apparaturen. Er brachte ein futuristisches Modell: blinkende Lämpchen, bunte Drähte. "Ein Neuro-Implantat, die absolute Innovation! Eigentlich noch in der klinischen Testphase und ohne selbstaufladende Solaraggregate." "Und", frage ich, "wo ist hier der Haken?" "Wir haben noch kein Feedback. Alle Versuchspersonen bleiben spurlos verschwunden. Wollen sie es dennoch versuchen?" Ich zögere kurz, dann willige ich ein.

Und alles ist gut, ich hüpfe in die nächstbeste Pfütze, renne schnurstracks zum nächsten Spielplatz und hier sitzen sie schon alle wie die Pinguine im Sandkasten. Ich ergatterte noch 3 Quadratmeter besten Grundeigentums, gleich neben der Wippe, baue mir ein Eigenheim und lebe fortan glücklich und zufrieden.

Ein duracell-Hase hüpft schwächelnd an meinen Zaun und fällt um.
Die Sonne scheint und alles wird gut.

_________________

 

Moin

Die Geschichte gefällt mir wirklich. Es sind schöne Gedanken dabei, die zum selber - bzw. nachdenken anregen.

Was hattest du im Kopf, als du den Schluss geschrieben hast?

Gruß
Schreibärling

 

Hallo Schreibärling

>Was hattest du im Kopf, als du den Schluss geschrieben hast?<

Deine Frage ist genial! :D
Ich hoffe, sie fragt nicht wirklich das, was sie implizieren könnte ... :messer: My brain hurts

Das, was da in meinem Kopf an der Geschichte arbeitete, weigerte sich - als es bemerkte, wohin das führte - unbewußt, die pessimistische Grundtendenz konsequent zu Ende zu bringen. Es kam zu einer Übersprungshandlung :rolleyes:
Kann aber auch anders gewesen sein ... in jedem Fall hat es keinen tieferen Sinn. Glaube ich.

Grüße Martin

 

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