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Mauerblümchen

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06.02.2009
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Mauerblümchen

Es sind seltsame Pflanzen, diese Mauerblümchen, aber sie gedeihen am besten an Orten mit vielen anderen Gewächsen, zwischen denen sie sich, meist unbemerkt vom Betrachter, als Bodendecker tarnen. Sie ducken sich unter langen Stielen und großen Blättern schöner Blumen, die erwartungsvoll ihre Blüten in die Sonne halten und aller Welt zurufen: Schaut her! Seht ihr, wie schön ich bin?

Die schönen Blumen werden gepflückt. Und wenn es nicht nur eine einzelne ist, sondern ein ganzer Strauß, dann kommt manchmal das Mauerblümchen zum Vorschein, erschrickt vor dem ungewohnt hellen Sonnenlicht und hat die Wahl: Entweder es reckt die kleinen, unscheinbaren Blüten in das Licht und wächst, oder es versteckt sich woanders.

Zacharias war eins dieser unscheinbaren Geschöpfe. Er lebte in einer Hochhaussiedlung, seit dem Tod seiner Mutter vor elf Jahren alleine in einer kleinen, trostlosen Zwei-Zimmer-Wohnung, in der er kaum etwas verändert hatte, gleich neben dem Eingang zum Keller. Seine Arbeit war sein ganzes Leben. Er war für die Treppenhausreinigung in seinem und fünf weiteren Hochhäusern der Genossenschaft verantwortlich.

Zacharias lebte nach einem festen Plan. Für jedes Detail seines Lebens gab es eine feste Zeit. Er stand jeden Morgen um 5 Uhr auf, bis auf den Sonntag. An diesem Tag erlaubte er sich, bis 7 Uhr zu schlafen. Sein Frühstücksgeschirr stand immer exakt auf demselben Platz, wie man an den ringförmigen Abdruck der Kaffeetasse auf der alten, dezent geblümten Plastikdecke gut erkennen konnte.

Er saß stets mit dem Rücken zum Fenster, das zur Straße zeigte und nur wenige Zentimeter über dem Boden draußen begann, ignorierte den Lärm der vorbeifahrenden Fahrzeuge auf der ortsausführenden Straße, den achtlos hingeworfenen Müll in bunten Plastiktüten, den Sperrmüll dazwischen, die übervollen Müllcontainer, die wenigen Nachbarn, die einer ehrlichen Arbeit nachgingen, das Geschrei und Gegröle der anderen, die oft erst um diese Zeit betrunken und ausgelassen nach Hause kamen. Zacharias konnte den ungeordneten Anblick nicht ertragen.

Er putzte sich die Zähne um 5 Uhr 30, rasierte sich fünf Minuten später, exakt drei Minuten danach kämmte er die langsam spärlicher werdenden dunkelblonden Haare in ihre gewohnte Position und zog sich einen grauen Kittel über die braune Cordhose und das kleinkarierte Hemd. Er verließ seine aufgeräumte Wohnung pünktlich um 7 Uhr.

Montags reinigte er das Treppenhaus in Haus Nummer 287, das Hochhaus, das am weitesten von seiner Wohnung entfernt lag, und arbeitete sich bis Samstag zu seinem eigenen Hochhaus vor. Um 7 Uhr 10 schloss er die Abstellkammer im Keller auf und bereitete sein Arbeitsgerät vor. Um 7 Uhr 20 stand er vor dem Fahrstuhl, der ihn in das 23. Stockwerk brachte. Um 7 Uhr 30 begann Zacharias mit der Arbeit. Um 12 Uhr hatte er sich in den 15. Stock hinuntergearbeitet.

Er wechselte das Wasser nach dem 17., dem 12. und dem 5. Stockwerk, machte seine Mittagspause pünktlich von 12 bis 12 Uhr 30, beendete sie mit der einzigen Zigarette des Tages, und schloss um 17 Uhr mit einem zufriedenen, kleinen Lächeln die Haustür hinter sich.

Auch den Abend verbrachte er mit den üblichen Ritualen, die nur durch die wechselnden Mahlzeiten und das Fernsehprogramm aufgelockert wurden, aber auch dafür gab es Regeln. Pünktlich um 22 Uhr 30 ging er ins Bad, auf die Toilette, putzte sich die Zähne, wusch sich und ging fünfzehn Minuten später ins Bett. Er badete am Sonntagmorgen und am Mittwochabend, kaufte am Montag und Donnerstag ein, wusch seine Wäsche am Dienstag und Freitag und masturbierte am Samstag. Und im November erarbeitete er den Arbeitsplan für das folgende Jahr, dessen regelmäßiger Ablauf von so vielen Feiertagen gestört wurde.

Zacharias brauchte Regeln. Feste Regeln. Ohne Regeln wäre ihm die Trostlosigkeit seines Daseins bewusst geworden, und das hätte Zacharias nicht ertragen.

Ein anderes Mauerblümchen in diesem Garten voller schillernder Blüten lebte im Haus Nummer 293 und versteckte sich im 14. Stockwerk in einer lichten Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung. Es trug den Namen Nadja, hatte vor kurzem seinen 30. Geburtstag alleine in seinem einfach eingerichteten Wohnzimmer verbracht und schlief in dem kleinen Zimmer. Das ursprüngliche Schlafzimmer blieb verschlossen. Dort ließ es niemanden hinein. Dort war seine eigene Welt. Dort verbarg es seine geheimsten Wünsche.

Nadja arbeitete in einem kleinen Büro einer großen Versicherung. Eingestellt wurde sie für die Bearbeitung von Versicherungsschäden, aber meistens erledigte sie die Arbeit, zu der ihre sonnenverwöhnten Kollegen keine Lust hatten. So sammelten sich Ablage und Vernichtungsmaterial, Kopiervorgänge und schmutzige Kaffeetassen regelmäßig auf ihrem Schreibtisch.

Sie wagte nicht, ihren Kopf mit den kleinen, blassblauen Augen hinter den Brillengläsern zu erheben und arbeitete emsig und stillschweigend, machte Überstunden und lebte nach den Regeln der anderen.

Zacharias teilte die Bewohner der Siedlung in drei Gruppen ein. Gruppe 1 stand bedingungslos hinter den unbedingt notwendigen Regeln. Gruppe 2 fügte sich meist widerwillig. Gruppe 3 setzte alles daran, die Regeln zu unterlaufen.

Gruppe 1 war ihm natürlich die liebste. Diese Bewohner stellten nichts vor die Türen, dafür Blumen auf die schmalen Fensterbänke und gossen sie so regelmäßig, wie er das Treppenhaus pflegte.

Mit Gruppe 2 hatte er schon mehr Ärger. Dort standen Schuhe oder Kinderspielzeug, Müllsäcke und manchmal sogar Fahrräder vor den Türen. Diesen Bewohnern fiel es schwer, an diesen einen wichtigen Tag in der Woche zu denken, wenigstens für diesen Tag den gemeinschaftlichen Flur zu räumen. Schuldbewusst lächelten sie ihn an, wenn sie ihn hörten, und räumten hastig ihre Sachen weg.

Gruppe 3 war die schlimmste. Diese Gruppe, die inzwischen zahlenmäßig überlegen war, beschmierte die Wände mit hässlichen und vulgären Worten, ließ den Müll einfach im Treppenhaus stehen, bis Zacharias ihn am Reinigungstag wegräumte, besprühte die Wände des Fahrstuhls mit unflätigen Angeboten und urinierte in die weniger beleuchteten Ecken des Hauses.

Für Nadja waren das Schlimmste an ihrer Arbeit die gutmütig vorgebrachten, aber unterschwellig gehässigen Bemerkungen ihrer Kollegen. Sie war nicht hübsch, das wusste sie selber. Ihr Gesicht war zu schmal, ihre Nase zu lang. Sie war so dünn wie ihr Gesicht und so flach wie ihre Schuhe. Obwohl sie regelmäßig zum Frisör ging, hingen ihre irgendwie braunen Haare nur strähnig herab und ließen sich durch nichts in eine ansprechende Form bringen. Nadja trug unscheinbare Röcke und brave Blusen, band ihre Haare im Nacken und senkte stets den Blick.

Auch Zacharias hielt den Blick gesenkt, richtete ihn auf seine Arbeit. Er verzichtete auf den neumodischen Bodenwischer und feudelte die Treppenstufen so, wie seine Mutter es ihm vor über dreißig Jahren beigebracht hatte. Stufe für Stufe mit einem Feudel. Einmal vorwischen, ausspülen, auswringen, nachwischen. Stufe für Stufe. Dreiundzwanzig Stockwerke hinunter. Auf den Knien, mit der Hand. Und immer schön in die Ecken hinein.

Sie lachten ihn aus, die Bewohner aus der dritten Gruppe, stießen schon mal seinen Eimer um und sprangen lachend über die Pfütze, während Zacharias mit geübtem Griff den Eimer abfing und den Schaden begrenzte. Oder sie rempelten ihn an, beschimpften ihn, ließen ihre Kippen fallen. Dann trat er beiseite und wischte die Stufen noch einmal, die sie gerade beschmutzt hatten. Und es gab die wirklich schlimmen Bewohner, die es darauf anlegten, ihn zu demütigen. Ihnen ging er, wenn er konnte, aus dem Weg.

Er kannte viele der Mieter, auch wenn sie häufig wechselten. Er wusste, hinter welchen Wohnungstüren es anständig zuging und wo die Frau jeden Dienstag von ihrem betrunkenen Ehemann geschlagen wurde. Er hörte das Geschrei der überforderten alleinerziehenden Mutter von hyperaktiven Zwillingen aus Nummer 295, den ständigen Streit um Stoff des drogenabhängigen Pärchens hinter der Wohnungstür im 7. Stock seines Hauses und den überlauten Fernseher des schwerhörigen alten Mannes aus Nummer 287. Er hörte alles, aber er hörte nie hin. Das war nicht seine Welt. Seine Welt waren die Fußböden und die Treppengeländer, die Wände des Fahrstuhls und die Gemeinschaftseinrichtungen. Seine Welt hatte nichts gemein mit der Welt der anderen. Er hätte sie nicht ertragen.

Aber auch Mauerblümchen sind wichtig für den Garten und müssen sich um den Erhalt ihrer Art kümmern. Wer sonst soll die Treppenhäuser wischen, die Ablage ordentlich abheften oder die öffentlichen Toiletten sauber halten? Wie können die edlen Gewächse, zu fein für diese Arbeiten, ihre volle Pracht entfalten, wenn die Bodendecker nicht für den ansprechenden Untergrund sorgen?

Auch Mauerblümchen haben ihre Daseinsberechtigung und ihre Bestimmung. Sie haben ihre Wünsche und Träume und Bedürfnisse wie alle anderen auch. Auch sie suchen die Liebe. Und während die edlen Blumen oft verschwenderisch und nachlässig mit ihr umgehen, halten die Mauerblümchen sie fest und wachsen über sich selbst hinaus, wenn sie sie dann endlich, endlich gefunden haben.

Es war an einem Donnerstag, als sich unsere Mauerblümchen das erste Mal begegneten. Zacharias verließ das Haus mit der Nummer 293 pünktlich um 17 Uhr. Nadja hatte ausnahmsweise pünktlich Feierabend und wollte ins Haus. Weil es sich so gehörte, hielt Zacharias ihr die Tür auf. Sie nickte kurz mit gesenktem Kopf, presste ihre Handtasche fest an sich und eilte an ihm vorbei. Zacharias, gestört in seinem Ablauf und damit verstimmt, wurde versöhnt durch die freundliche Geste des Nickens und schloss die Tür.

Einige Donnerstage später begegneten sie sich im Treppenhaus wieder. Zacharias wischte die Stufen zwischen dem 8. und 9. Stockwerk und hörte hinter sich ein lautes Schniefen und Schnäuzen, aber es interessierte ihn nicht. Nadja, das verschnupfte, fiebrige Gesicht in ein Taschentuch gesteckt, die Papiertüte mit Einkäufen jonglierend zwischen den Unterarmen, sah ihn nicht und stolperte. Die Einkäufe fielen zu Boden, eine Tüte Mehl zerplatzte und hinterließ einen schmutzigweißen, matschigen Fleck auf der soeben gewischten Stufe.

Sie murmelte, hochrot im Gesicht, eine Entschuldigung und sammelte ihre Einkäufe zusammen, stopfte alles, auch die Tüte Mehl, zurück in die Papiertüte, stellte sie weiter unterhalb ab, nahm dem überraschten und plötzlich unsicheren Zacharias den Feudel aus der Hand und wischte, so wie seine Mutter es ihm beigebracht hatte, mit einigen geschickten, schwingenden Bewegungen das Mehl von der Stufe. Sie spülte den Feudel ordentlich im Wischwasser aus, wrang ihn fest aus, schüttelte ihn leicht auf und legte ihn vor Zacharias hin. Dann ergriff sie hastig ihre Tüte und lief an ihm vorbei bis zur Feuertür im 9. Stock.

Zacharias blickte ihr hinterher. Die Tür schlug mit einem lauten Knall zu, weckte ihn aus seinen Gedanken, die sich irgendwie um nichts drehten. Er senkte den Blick und wischte die Stufe nicht noch einmal, sondern nur nach. Doch seine Konzentration war gestört worden, als sie ihm den Feudel aus der Hand nahm und seine Arbeit machte. Er war so verstört von dieser Einmischung in seine Welt, dass er in dieser Woche bereits am Donnerstag masturbierte.

Die dritte Begegnung veränderte ihr Leben. Wieder waren einige Wochen vergangen. Nadja hatte Urlaub und wollte am frühen Nachmittag hinunter in die Waschküche. Mit einem Korb schmutziger Wäsche, von einem Handtuch bedeckt, mied sie den Fahrstuhl, vor dem eine Gruppe Jugendlicher herumlümmelte, und ging durch die Feuertür ins Treppenhaus. Ihr Schritt stockte, als sie auf Höhe des 13. Stockwerkes den Mann erblickte, der immer so gründlich die Stufen wischte, scheinbar verloren in seinen Gedanken, denn er sah nicht auf, als die Tür versehentlich hinter ihr zuschlug.

Sie zögerte, wusste nicht, ob sie etwas sagen, sich noch einmal für den Vorfall neulich entschuldigen sollte. Nervös schob sie die Brille mit dem Zeigefinger hoch aufs Nasenbein. Der Korb rutschte, hastig griff sie wieder mit beiden Händen zu. Sie atmete tief durch, senkte den Blick und ging langsam die Stufen hinunter. Vielleicht verließ er das Treppenhaus, bevor sie unten angekommen war, oder er war bereits im nächsten Stockwerk und sie konnte durch die Feuertür hinaus und mit dem Fahrstuhl weiterfahren.

Zacharias hörte zwar den lauten Knall, aber er blickte nicht auf, abgestumpft durch das ständige Dröhnen der Kellertür neben seiner Wohnung zu jeder Tages- und Nachtzeit. Dafür hörte er die lauten Stimmen unter sich, lachend, doch das Lachen drückte keine Freude aus, nur pure Bosheit. Er rückte weiter ans Geländer heran und zog den Eimer näher zu sich.

Zögernd setzte Nadja einen Fuß vor den anderen und beugte sich vorsichtig über das Geländer, als auch sie die Stimmen vernahm und die Gestalten sah, die Zacharias in die dritte Gruppe einteilte. Junge Leute, die ihr Leben nicht in den Griff bekamen und ihren Frust an Schwächeren ausließen. Disteln, die hoch hinaufschossen und sich mit den Rosen messen wollten und dabei alles unter sich begruben, was ihnen in den Weg kam.

Nadja verwünschte sich für ihre Entscheidung, nicht den Fahrstuhl genommen zu haben, und überlegte einen Moment, hoch in den 15. Stock zu laufen, da blickte Zacharias auf und sah sie an. Ihre Blicke begegneten sich nur für einige Sekunden, doch Nadja konnte seine Furcht, seine Verwirrung, seine Sehnsüchte und seine Gedanken in ihnen lesen. Und auch sie ließ mehr von sich erkennen, als sie ahnte. Sie konnte jetzt nicht mehr umdrehen. Sie musste den Weg weitergehen, den sie beschritten hatte.

Die lärmende Gruppe erreichte Zacharias zuerst. Sie lachten über ihn, pöbelten ihn an, schubsten ihn, stießen mit den Füßen gegen den Eimer, den er, so wie sie neulich ihre Tasche, jetzt schutzsuchend an sich drückte. Schmutziges Wischwasser schwappte über und durchnässte seinen offenen Kittel und seine Hose vom Bauch bis zu den Knien. Jemand stieß ihm die Hand in den Nacken, wollte seinen Kopf in den Eimer drücken, doch er bekam nicht den erwarteten Widerstand, und Zacharias schlug mit der Nase gegen die Kante der übernächsten Stufe.

Blut strömte hervor, das die Angreifer vertrieb. Lärmend zogen sie weiter, provozierend an Nadja vorbei, die sich fest an das Geländer presste, den Korb schutzsuchend an sich drückte und die Meute mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, und verließen im übernächsten Stockwerk das Treppenhaus.

Zacharias starrte auf das Blut, das auf den Boden tropfte, nahm den Feudel und wischte es sorgfältig auf. Doch sofort tropfte neues hinab. Er wischte, bis Nadja bei ihm war, kurz zögerte, sich auf die Stufe darüber setzte, den Korb achtlos über sich abstellte und das Handtuch herauszerrte. Wieder platzte sie in seine Welt, ohne zu fragen, legte ihm die Hand unter das Kinn, drehte sein Gesicht zu sich und tupfte ihm vorsichtig das Blut ab. Er ließ es geschehen, blickte in die blassblauen Augen hinter der unschönen Brille, aber sie erwiderte den Blick nicht.

Nadja versuchte die Blutung zu stoppen, doch unaufhörlich strömte neues Blut nach. „Kommen Sie“, sagte sie schließlich, verärgert über ihre Unfähigkeit, dem Einhalt zu gebieten, drückte ihm das Tuch unter die Nase und zog ihn hoch.

Widerspruchslos ließ er sich von ihr die Treppen hinaufführen, durch die Feuertür, über den Flur zu ihrer Wohnungstür. Und obwohl Zacharias nicht den Blick von ihr nahm und seine Gedanken ebenso nichtssagend waren wie bei ihrer letzten Begegnung, bemerkte er doch, dass dies eine der Wohnungstüren war, vor der nie etwas stand und die Fußmatte stets sauber und gerade auf der Schwelle lag. Ein kleines Namensschild wies auf die Bewohnerin. Nadja las er nur, dann hatte sie ihre Tür aufgeschlossen und drängte ihn sanft hinein.

Sie schloss die Tür, legte die Kette vor und dirigierte ihn ins Bad. Ein kleines Bad ohne Fenster wie seines, registrierte er ebenso wie die Ordnung und Sauberkeit. Wenn auch nicht so akkurat wie bei ihm. Sie drückte ihn auf den geschlossenen Toilettendeckel. Mit raschen Griffen holte sie einen Waschlappen aus dem Regal, hielt ihn unter das kalte Wasser und drückte ihn in seinen Nacken, bog seinen Kopf zurück und säuberte mit einem weiteren Tuch sein Gesicht. Schmerzhaft zuckte Zacharias zusammen, als sie sein Nasenbein berührte.

Nadja fuhr mit dem Zeigefinger prüfend über den Knochen. „Nicht gebrochen. Sie haben Glück gehabt. Aber wir sollten es kühlen.“

Sie wartete, bis kein Blut mehr floss, wich seinem steten Blick aus, der sein Erstaunen deutlich zeigte, und führte ihn in die Küche, drückte ihn auf einen Stuhl. Zacharias blickte aus dem Fenster. Hier sah er gerne hinaus. Der Blick glitt frei über den Wald und die angrenzenden Felder, Spielzeugautos glitten über silberne Bänder, die scheinbar willkürlich über dem Land verstreut lagen. Kein Müll, kein Lärm, keine Menschen, die er nicht sehen wollte. Doch die Aussicht konnte seinen Blick nicht lange fesseln.

Nadja holte eine Kältekompresse aus dem Gefrierfach ihres Kühlschrankes, wickelte sie in ein Geschirrhandtuch, beugte sich über ihn und drückte sie ihm vorsichtig auf das Nasenbein. Dabei lag ihre Hand in seinem Nacken und verhinderte, dass er zurückwich.

Sein Blick glitt tiefer, über die Ränder der Kompresse, verweilte einen Moment auf ihrem Ausschnitt, aber schon der zweite Knopf ihrer Bluse war geschlossen und Zacharias verstand nicht, warum er enttäuscht war. Er verstand überhaupt nichts. Weder warum sie sich um ihn kümmerte, noch warum er hier saß und sich das gefallen ließ. Und es gefiel ihm. Ihre sanften Hände auf seiner Haut gefielen ihm, der leicht geöffnete Mund lockte ihn, ihre Entschlossenheit reizte ihn. Er spürte plötzlich Erregung, seine durchnässte Hose, und ein Schauer lief ihm über den Rücken.

Nadja spürte sein Zittern, blickte auf seine nasse Hose. Sie bemerkte nicht seine Erregung, aber ihre Gedanken, gerade eben noch erfüllt von Wut auf die Meute, die ihm das angetan hatte, schweiften in eine andere Richtung. Sie spürte plötzlich seine Nähe, die Berührung, den Kopf in ihrer Hand, das weiche Haar unter ihren Fingern, das Kribbeln in den Fingerspitzen und der Handfläche, an ihrem anderen Handgelenk seinen warmen Atem, der jetzt unregelmäßig aus seinem Mund kam, unregelmäßig wie ihr eigener.

Sie dachte an ihr Geheimnis, wurde rot, erwiderte endlich den Blick, der einfach nicht von ihr lassen konnte, der sich verdunkelt hatte durch das Wissen um ihre Gefühle, das Verlangen auszubrechen aus den Welten, die sie sich geschaffen hatten. Hastig zog sie die Hand zurück, die die Kompresse hielt, und wich einen Schritt zurück.

Zacharias rührte sich nicht, folgte ihr nur mit dem Blick. Ihr Atem kam stoßweise, ihre Brust hob und senkte sich und drückte gegen die Knöpfe der schmalen Bluse. Nach einem Halt suchend stützte sie sich mit den Händen an der Kante der Arbeitsplatte ab, die Kompresse fiel zu Boden. Jetzt konnte sie den Blick nicht mehr von ihm lösen.

Ohne sie aus den Augen zu lassen, bückte er sich nach der Kompresse. Nadja stöhnte leise, als er ihre Knie dabei fast berührte, zitterte, doch er sah keine Angst in ihrem Blick. Da war etwas Anderes, Verlockendes, aber gleichzeitig auch Bedrohliches. Diesmal drang er in ihre Welt ein, und er war neugierig, was er finden würde, während er sich gleichzeitig darüber wunderte, warum ihn die Welt eines anderen Menschen überhaupt interessierte.

Er beugte sich weiter vor, weil er die Kompresse nicht erreichen konnte, stützte sich mit der anderen Hand auf den sauber gewischten Boden, ihr Atem setzte aus. Irgendwie wusste er, was das bedeutete, auch wenn er nicht verstand, was es war. Er tastete nach der Kompresse, fühlte die Kälte in seiner Hand und auch wieder die nasse Hose, die an ihm klebte, unangenehm an ihm zerrte. Er bewegte kaum bewusst den Po, um sie abzuschütteln, hörte Nadja kurz aufstöhnen, und plötzlich erschien sie ihm größer, sie wuchs über die anderen Mauerblümchen hinaus, streckte sich nach einem verirrten Sonnenstrahl. Er verstand, aber er begriff nicht, setzte die Knie auf den Boden und blickte sie an.

Nadja starrte auf den Mann, der vor ihr auf dem Boden kauerte. Ihre Gedanken verirrten sich wie der Sonnenstrahl. Sie reckte sich danach, richtete sich auf, las die Frage in Zacharias’ Blick, aber ihr fehlten die Worte, um sie zu beantworten. Tief atmete sie durch, schüttelte die Verwirrung ab und trat aus dem Licht an die Spüle, wusch sich die Hände, hielt die pochenden Handgelenke unter den kalten Wasserstrahl.

Zacharias erwachte aus seiner Verwunderung, nahm die Kompresse und stand auf. Er wickelte sie aus dem Handtuch, legte sie zurück zu der Pizza und dem Spinat ins Gefrierfach, faltete ordentlich das Geschirrtuch und legte es auf die Ablage der Spüle. Der Vorgang erinnerte ihn an seinen Feudel, der noch immer auf der Treppe lag, seine Arbeit, die er unterbrochen hatte, seinen Zeitplan, den er nicht mehr einhalten konnte, aber einhalten musste.

„Danke“, murmelte er kaum hörbar, dann stürzte er aus der Wohnung, hinunter in den 13. Stock, auf seinen Feudel und wischte wie besessen die nächsten Stufen.

Auf dem nächsten Treppenabsatz fiel sein Blick auf ihren Wäschekorb. Er konnte dort nicht stehen bleiben, er störte sein Gefühl von Ordnung. Er nahm ihn, brachte ihn zu ihrer Wohnungstür, stellte ihn ab, zögerte, doch dann klingelte er, sie öffnete ihm nicht. Er überlegte, er hatte keine Zeit. Es widerstrebte ihm, den Korb einfach auf der Fußmatte stehen zu lassen, mit ihrer Wäsche, die niemanden etwas anging. Also nahm er ihn mit. Sie würde ihn schon holen.

Aber sie kam nicht. Als er um 18 Uhr 32 die Tür hinter sich zuzog, trug er den Korb unter dem Arm.

Nadja stand vor der Tür des dritten Zimmers. Ihre linke Hand lag auf der Klinke, die rechte steckte den Schlüssel ins Schloss. Sie verharrte, zog den Schlüssel wieder aus dem Schloss und nahm die Hand von der Klinke. Sie konnte das Zimmer nicht betreten, eintreten in ihre geheime Welt. Nicht heute.

Siedendheiß fiel ihr der Wäschekorb ein.

Statt einzukaufen, wie jeden Donnerstag, stand Zacharias im Bad vor ihrem Wäschekorb. Der Anblick der schmutzigen, zerknüllten Wäsche weckte seine Ordnungsliebe. Doch durfte er so ungefragt in ihre Welt eindringen? Seine Hand schien dieser Meinung zu sein, denn ohne seine Zustimmung nahm sie das oberste Kleidungsstück heraus und hielt es hoch. Es war lange her, dass er so etwas in der Hand gehalten hatte.

Er zog den weißen Büstenhalter mit den kleinen Körbchen auseinander und fuhr mit den Fingern über den leichten Spitzenbesatz, bemerkte sein Tun und legte ihn hastig beiseite. Doch er konnte seine Finger nicht aus ihrer Wäsche lassen, zauberte ein Stück nach dem anderen hervor, zierliche, schmucklose Büstenhalter und einfache weiße Slips, wie sie es inzwischen in jedem Supermarkt gab. Er sortierte sie ordentlich auf zwei Stapel.

Als er sich an das Gefühl und den Anblick gewöhnt hatte, fand er noch etwas Anderes, Aufregenderes im Korb. Versteckt unter der weißen Wäsche lag ein rot-schwarzes Etwas, das er erst nach einigem Hin- und Herdrehen als Body erkannte, der im Schritt nicht wirklich geschlossen war und auch wohl nicht ganz über den Busen reichte. Er hatte so etwas schon gesehen. In Werbeprospekten, in Filmen, früher.

Der weichfließende Stoff erinnerte ihn an ihre sanften Hände. Er drückte sein Gesicht in das kühle Material, das nicht für Kleidung gemacht zu sein schien, aber seine Nase war noch geschwollen. Er hätte zu gerne gewusst, wonach sie roch.

Er stand wohl eine Viertelstunde in seinem Bad, mit dem Body in der Hand, und verlor sich in seinen Gedanken. Er vergaß seinen Zeitplan, legte das Kleidungsstück beiseite, räumte den Korb wieder ein und ging in den Waschkeller.

Nadja fand das Treppenhaus leer. Röte schoss ihr ins Gesicht. Irgendwer kannte jetzt ihr Geheimnis. Wer? Er? Hatte er den Korb mitgenommen? Hatte er deshalb geklingelt? Warum hatte er ihn nicht einfach vor die Tür gestellt? Sie war zu feige, zu ihm zu gehen. Sie redete sich heraus, nicht zu wissen, wo er wohnte. Dabei wusste sie es ganz genau. Jeder hier kannte Zacharias. Sein Name und seine Adresse standen in der Hausordnung, die in jedem Hauseingang angeschlagen war.

Es klingelte am Samstagmorgen an ihrer Wohnungstür. Vorsichtig blickte Nadja durch den Spion. Der Paketbote. Mit eingehakter Kette öffnete sie die Tür. Sie bekam nie Pakete. Doch dieses war eindeutig an sie adressiert. Ein großes Paket, das sie kaum durch die Tür bekam. Rasch schloss sie wieder und legte die Kette vor. Wer konnte es geschickt haben? Kein Absender stand auf dem Adressaufkleber.

Sie rang sich durch und öffnete es. Hervor kam ihr Korb, ihre gewaschene und akkurat zusammengelegte Wäsche. Erschrocken schlug sie die Hand auf den Mund. Der Gedanke, dass er all das in der Hand gehabt, gesehen hatte, ihr Geheimnis vermutlich erahnte, ließ ihre Knie zittern. Sie setzte sich auf einen Stuhl und starrte den Karton auf dem Küchentisch an. Sie brauchte lange, bis sie den Inhalt auspacken konnte, stieß dabei auf den rot-schwarzen Body, der genauso ordentlich gefaltet war wie die restliche Wäsche und nur versehentlich hineingeraten war. Was musste er von ihr denken?

Sie kam auf den Grund des Korbes, fand etwas, das ihr nicht gehörte. Eine kleine Schachtel, eingeschlagen in rotes Glanzpapier. Vorsichtig, zögernd riss sie das Papier ab und öffnete die nichtssagende, längliche, schwarze Pappschachtel. Tränen stiegen ihr in die Augen. Mit spitzen, zitternden Fingern nahm sie den Inhalt heraus. Jetzt wusste sie, dass er ihr Geheimnis teilte.

Zacharias verrichtete seine Arbeit nach Plan. Aber während er am Samstag die Stufen des Hochhauses wischte, in dem er wohnte, verschleierten Bilder seinen Blick auf die Stufen. Apathisch wischte er, übersah gelegentlich eine Ecke und war eine Viertelstunde früher fertig als sonst. Doch nicht einmal darüber wunderte er sich.

Er ging in die Badewanne. Und während er im heißen Wasser lag, vergaß, sich gleich zu waschen wie sonst, hielt er die Augen geschlossen und gab sich den Bildern hin, die ihn seit Donnerstag bestürmten. Ob sie das Paket schon bekommen hatte? Ob sie sein Geschenk schon gefunden hatte? Hatte er das Richtige ausgewählt, als er Freitagnacht verschämt in diesen Laden ging, den mitleidigen Blick der aufgetakelten Verkäuferin im Rücken, und eine halbe Stunde unschlüssig und erregt vor den Regalen und Kleiderständern verbrachte? Ob es ihr gefiel? Ob es passte? Ob er es an ihr sehen durfte?

Seine Hand streichelte sich, ohne dass es ihm bewusst wurde. Sanft, wie ihre Hände in seinem Nacken lagen, dann fester, wie ihr Blick, als sie ihm größer erschien. Er nahm die zweite Hand, knetete seine Hoden, die vor Sehnsucht schmerzten. Er fühlte das Verlangen, wie er es nur einmal als junger Mann für eine Frau gefühlt hatte. Aber sie hatte ihn zurückgewiesen. Würde Nadja ihn auch zurückweisen?

Er verstärkte den Druck, ließ die Fantasie treiben, über das normale Maß hinaus, das er sich vor Jahren gesetzt hatte. Verließ seine Welt und tauchte in ihre ein. Er zögerte es hinaus, bis das Wasser kalt wurde. Er wollte diese Fantasie, ihre Welt, nicht wieder verlassen. Er biss sich auf die Lippen, unterdrückte jedes Geräusch, das ihn wecken konnte, kämpfte - und verlor die Fantasie und die Erregung, als es zaghaft an der Wohnungstür klingelte.

Erschrocken, aufgewühlt und zerrissen starrte er zur Tür, sprang hinaus aus der Wanne, wollte nicht gehen, warf sich hastig seinen Bademantel über, vielleicht war sie es, und eilte zur Wohnungstür. Er blickte durch den Spion. Nadja. Sie wollte gerade wieder gehen. Er riss die Tür auf.

Sein Anblick wühlte sie auf und kostete sie ihren Mut. Sie erwartete einen abweisend wirkenden Mann von Ende Dreißig im grauen Kittel zu sehen, doch vor ihr stand ein Zacharias, der jünger wirkte, unordentlich in einen dunkelblauen, zerschlissenen Bademantel gewickelt, mit nassen Haaren und Verwirrung im Blick.

„Ich ... ich wollte nicht stören, entschuldigen Sie“, stammelte sie und blickte verschämt auf den Linoleumboden, in die Pfütze, in der er stand, die so gar nicht zu dem ordentlichen Mann passte.
„Sie stören nicht“, erwiderte Zacharias ebenso verlegen.
Bewegungslos verharrten sie. Sie fühlte seinen Blick, aber sie sah nicht auf.
„Ja, also“, sagte sie nach einer kleinen Ewigkeit. „Ich wollte mich nur bedanken – für ... Sie wissen schon.“
„Gern geschehen“, sagte er heiser und räusperte sich.
Nadja nickte und wandte sich ab, stieg die Stufen zum Erdgeschoss hoch. Nach der dritten versuchte sie es noch einmal und drehte sich zu ihm um. Er sah zu ihr auf wie in ihrer Küche, wissend und staunend. Dieser Blick gab ihr den Mut, doch noch zu fragen.
„Darf ich Sie zum Essen einladen? Morgen? Bei mir? Um zwölf?“
Zacharias fühlte, wie die Erregung zurückkehrte, er nickte hastig, schluckte, bekam die Worte nicht heraus, die ihm auf der trockenen Zunge lagen. Er lächelte, doch er bemerkte es nicht, sah nur die Erwiderung auf ihrem Gesicht.
„Schön“, sagte sie verlegen, „also dann - bis morgen.“

Eilig verließ sie das Haus. Zacharias starrte ihr hinterher, bis die Tür ins Schloss fiel, dann trat er zwei Schritte zurück, blickte auf die Pfütze, lachte, laut, wie er ewig nicht gelacht hatte, und warf die Tür mit Schwung zu, dass der Knall das Haus erschütterte.

Er kam ordentlich in seiner guten Hose und dem weißen Hemd mit einem bunten Strauß Blumen in der Hand. Er aß, was sie gekocht hatte, was ihm schmeckte, doch er hätte schon jetzt nicht mehr sagen können, was es gewesen war. Er suchte ihren Blick, aber sie erwiderte ihn nicht. Er wurde verlegen und starrte auf den leeren Teller. Das Schweigen wurde unangenehm, er wusste nicht, wie er es beenden konnte.

Plötzlich stand sie auf, nahm seine Hand, ohne ihn anzusehen, und zog ihn mit sich. Vor der Tür ihrer geheimen Welt blieb sie stehen, nahm den Schlüssel aus der Rocktasche und drückte ihn in seine Hand. Dann ließ sie ihn stehen und ging in das kleine Zimmer, schloss die Tür, sperrte ihn aus.

Zacharias starrte auf den Schlüssel. Zögernd steckte er ihn ins Schloss und drehte ihn herum. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, die Erwartung erregte ihn. Seine Hände schwitzten plötzlich, sein Mund war ganz trocken und das Ziehen im Unterleib fast schmerzhaft. Er atmete tief ein und öffnete langsam die Tür.

Nadja stand in ihrem Schlafzimmer und lauschte an der Tür. Sie hörte die andere Tür, die geöffnet und geschlossen wurde. Sie horchte auf die Wohnungstür, auf Schritte, aber dann hörte sie diese im Zimmer nebenan. Sie versuchte die Geräusche einzuordnen, konnte es kaum glauben, als sie das vertraute Klirren hörte, und zog sich rasch sein Geschenk an, vor dem sie schon so oft gestanden hatte, das sie aber nie gewagt hatte zu kaufen.

Zacharias stand in einer Welt, die er so nicht erwartet hatte. Dagegen waren die Bilder seiner Fantasie nur Kritzeleien eines Stümpers. Ehrfürchtig blickte er sich in dem Raum um. Der Raum einer Domina. Er fand alles, was er sich wünschte, und noch viel mehr. Er ahnte es, als er vor ihr in der Küche kniete. Er war sich sicher, als er das Kleidungsstück fand. Und jetzt, wo er in diesem Raum stand, gab es keinen Zweifel mehr.

Rasch zog er sich aus, warf seine gute Hose achtlos auf den schwarzen, lederbezogenen Stuhl in der Ecke und stieg in die Kleidung, die für ihn auf der harten Liege bereit lag. Zitternd vor Erregung sank er davor auf die Knie, blickte zur Tür und wartete ungeduldig.

Nadja kam aus ihrem Zimmer, als sie keine Geräusche mehr aus dem Raum nebenan hörte. Kein Mann hatte bisher diesen Raum betreten, niemand wusste von ihrer Welt. Sie ganz allein lebte hier ihre Fantasien aus, war hier die Frau, die sie sein wollte. Kein Mauerblümchen mehr. Hier herrschte sie. Und nur sie. Nur weil sie hier herrschte, konnte sie die Welt draußen ertragen. Hatte sie die richtige Entscheidung getroffen, als sie ihm den Schlüssel zu ihrer Welt gab?

Nadja atmete tief durch und drückte energisch die Klinke herunter. Sie trat über die Schwelle und ließ das Mauerblümchen draußen. Sie reckte sich nach dem Sonnenlicht in diesem dunklen Raum, dessen Fenster geschwärzt waren und kein Tageslicht hereinließen. Sie schob die edlen Gewächse einfach beiseite und wuchs über sich hinaus, breitete sich aus, war die Sonne für den Mann, der erwartungsvoll zitternd vor ihr auf dem Boden kauerte, und umschlang ihn mit ihren Strahlen, riss ihn raus aus dem Schatten, hinein zu sich ins Licht ...

 

Hallo Tyra,

ich habe deine Geschichte mit viel Interesse verfolgt. Sie war insgesamt flüssig geschrieben und ich war gespannt, wie es weitergeht.
Dass das Mauerblümchen Nadja eine verborgene Neigung zu Sadomaso hat, habe ich aber schon nach der Erläuterung des verschlossenen Schlaftzimmers geahnt :).

Gruß
Leia4e

 

Hi Tyra!
Ich möchte dich eigentlich nur auf zwei sprachliche Dinge aufmerksam machen:

Er aß, was sie gekocht hatte, was ihm schmeckte, doch er hätte schon jetzt nicht mehr sagen können, was es gewesen war
Ein bisschen zu viele "was".
als sich unsere Mauerblümchen
klingt ein wenig nach Kindergeschichte, finde ich unpassend für diese Geschichte
Sonnige Grüße
Cathy

 

Salü Tyra,

also weisste, das ist schon wirklich eine Geschichte fürs gelbe, grüne oder rosarote Blättchen, aus dem sich gelangweilte Hausmütterchen ihre 'gewagten' Träume holen oder 'Mauerblümchen' ihren Trost finden. Das ist in meinen Augen einfach ein säuberlich geschriebener aber fürchterlicher Text. Dieser Zacharias mit seinem Stundenplan - na, wenigstens gönnt er sich einmal die Woche ne 'Masturbation'! Diese Huschi-Nadja, der dauernd was aus der Hand fliegt ... Also nee, das hab ich nur diagonal gelesen, mehr wollte ich mir nicht zumuten.

Mit ärgerlichen Grüssen,
Gisanne

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Leia4e!

Vielen Dank für dein Interesse!
Es freut mich sehr, dass du die Geschichte für spannend hältst.

Hallo Catherine!

Okay, da geh ich noch mal ran. Muss ich dir zustimmen.
Danke!

Hallo, Gisanne!

Warum liest du denn eine Geschichte, wenn auch nur quer, wenn sie dich nicht anspricht? Schaust du auch in deiner Umwelt nur quer? Es gibt diese Menschen, sicher auch ganz in deiner Nähe. Nur - wer macht sich denn schon die Mühe und schaut mal genauer hin? Klar, es sind keine strahlenden Helden. Über diese Art Menschen gibt es Geschichten genug. Ich schaue halt gerne bei den weniger "erfolgreichen" Menschen hin. Dies ist mein Blickwinkel, meine Ambition. Auch diese Menschen verdienen ein Publikum. (Übrigens - ohne angeben zu wollen - mit dieser Geschichte habe ich letztes Jahr erst einen Drehbuchwettbewerb gewonnen. So "schlecht" kann sie also nicht sein.)

Es tut mir Leid, dass du dich so darüber geärgert hast. Nur frage ich mich, was genau dich denn ärgern konnte? Eine Geschichte, die deinen Geschmack nicht trifft? Oder die Vorstellung, es gibt tatsächlich Menschen, die so sind, wie die Zwei in meiner Geschichte?

Liebe Grüße und Danke euch allen für euer Feedback!

Tyra

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Tyra,

mir hat Deine Geschichte auch nicht sonderlich gefallen - dass sie einen Preis gewonnen hat, ist für mich kein Qualitätskriterium, allzumal Kurzgeschichten, die für sich stehen sollen, anders funktionieren als solche, die als Vorlage für ein Drehbuch dienen sollen.

Aber erst mal, um die Kritik ins rechte Licht zusetzen, vorweg: Du schreibst gut, flüssig zu lesen, solide. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich eine andere Geschichte aus Deiner Feder zu schätzen wüsste.

Nun zu meinen Kritikpunkten:
Erst einmal der Erzähler, der sich penetrant oberlehrerhaft nach vorn drängt, und dem Leser keinenhalbwegs logischen Gedankenschluss zutzutruwen scheint.
Wie sonst soll ich Sätze wie diesen interpretieren?

Zacharias brauchte Regeln. Feste Regeln. Ohne Regeln wäre ihm die Trostlosigkeit seines Daseins bewusst geworden, und das hätte Zacharias nicht ertragen.
Du breitest Zacharias' Lebensregeln derart exzessiv aus, dass diese Schlussfolgerung dem demonstrativen Vorrechnen des kleinen Einmaleins am Rechenschieber gleicht - diesem alten mit den Holzkügelchen.

An anderen Stellen reitest Du ebenso auf gewissen Bildern und Symbolen herum, wie zuvor auf Zacharias' Lebensweise: der Sonnenstrahl, nach dem die Mauerblümchen sich ausstrecken, etc. Hier wäre weniger mehr.

Was mich aber bis zur Weißglut ärgert, sind die Prots. Es ist ein ausgenudeltes Klischee, dass Mauerblümchen Psychopathen, Sadomasochisten, oder sonst wie extrem drauf sind, und Deine Geschichte tut nichts anderes, als dieses Klischee bis zum Exzess zu demonstrieren.
Die Charaktere bekommen über genannte zwei Eigenschaften hinaus keine Tiefe; Du brichst das Klischee an keiner Stelle auf, Du ironisierst nicht, Du lieferst keine Gründe.
Die Personen werden auf Stereotypen: Überpünktlichkeit, Verhuschtheit, extreme sexuelle Neigung reduziert. Mehr kommt nicht.

Es ärgert mich deswegen so sehr, weil ich beim Lesen das Gefühl habe, dass Du es besser könntest; dass Du vom Stand Deiner literarischen Fähigkeiten her in der Lage dazu wärst, mir als Leser mehr anzubieten, als langatmig ausgebreitete Plattheiten.

Nix für ungut, und auch wenn es sich nicht so liest, ich bin gespannt auf Dein nächstes Werk :).

Pardus

 

Hallo, Pardus!

Hm ... auch mal ne Sichtweise. Denke ich drüber nach, denn so war die Geschichte absolut nicht gemeint und sollte auch nicht so verstanden werden.

Sicher, die Protas sind absichtlich überspitzt, aber das ist in meinen Augen und meiner Erfahrung nach auch ein absolut legitimes Mittel.

Und erst kam die Geschichte, später ganz spontan das Drehbuch.

Danke, dass du mir mehr zutraust. Ich muss dazu sagen, dass alle Geschichten, die ich bisher hier veröffentlicht habe, mindestens 3 Jahre alt sind. Da ich inzwischen fast nur auf dem Drehbuchsektor gearbeitet habe, kam ich gar nicht dazu, etwas Neues zu schreiben. Nun ist meine literarische Schreibe vielleicht ein wenig eingerostet, aber meine Sichtweise hat sich in vielen Dingen erweitert. Bleibt mir wohl nichts anderes übrig, mich mal inspirieren zu lassen, und etwas Neues zu schreiben, um dich (und andere) nicht wieder zu enttäuschen. ;-)

Eines aber ist mir hier auf KG.de inzwischen aufgefallen: Alle, mit denen ich bisher Kontakt hatte, legen sehr viel Wert auf absolut realistische Geschichten und wollen die vielen anderen künstlerischen Möglichkeiten nicht sehen, geschweige denn lesen. Nun, ich selbst stehe in diesen Bereichen auch noch am Anfang, aber wenn ich realistischen Alltag haben will, dann schaue ich mich in meiner Nachbarschaft um. Dafür muss ich keine Kurzgeschichten lesen. Lesen ist doch auch eine Art von Flucht aus dem Alltag - aus dem realen Leben. Warum soll ich lesen, was täglich um mich herum passiert?

Liebe und nachdenkliche Grüße
Tyra

 

Hallo Tyra!

Ein kleines Namensschild wies auf die Bewohnerin.
hin
Da war etwas Anderes,
anderes
Als er sich an das Gefühl und den Anblick gewöhnt hatte, fand er noch etwas Anderes,
Dito.
stieß dabei auf den rot-schwarzen Body, der genauso ordentlich gefaltet war wie die restliche Wäsche und nur versehentlich hineingeraten war.
Wenn dieser Body "nur so versehentlich" da reingeraten ist, wieso weiß sie dann gleich, als sie am Tag davor den Wäschekorb vermisst, dass derjenige, der den Korb gefunden hat, ihr Geheimnis kennt?
als es zaghaft an der Wohnungstür klingelte.
Man kann nur kurz oder lange klingeln, auf das Wesen des Geräuschs hat man keinen Einfluss, würd ich meinen.
doch er hätte schon jetzt nicht mehr sagen können, was es gewesen war.
Hm, "schon jetzt" klingt seltsam wenn du im Präteritum schreibst.

Naja, so begeistert hat mich die Geschichte auch nicht, aber ich musste mich jetzt nicht über die Protagonisten aufregen, höchstens mal den Kopf schütteln oder so. ;) Es stimmt schon, ich fands sehr effekthascherisch, Nadja gerade ne Domina sein zu lassen. So als würde der Erzähler nach den bedeutungsvollen drei Punkten am Ende mit den Fäusten in der Hüfte dastehen und sagen: Kannst du mal sehen! Sowas geht auch! Nenn mich prüde, aber ich hätte eine abgeschwächtere Variante besser gefunden, und vor allem glaubwürdiger. Stichwort Glaubwürdigkeit: Für mich entscheidet nicht, ob etwas realistisch ist, nur ob es plausibel rübergebracht wird. Ich finde das Stilmittel Klischee auch durchaus legitim, solange es nicht überstrapaziert wird. Bezüglich Zacharias' Regelwütigkeit war es schon ein bisschen nervtötend, immer wieder unter die Nase gerieben zu bekommen, wie er denn drauf ist. Ich denk mir dann nach ein paar Sätzen, ja doch, ich habs verstanden. Würde ich dringend kürzen. Und natürlich das SM-Ende war auch eher najaaaaa.
Geschichten, die den blanken Alltag schildern, sind tatsächlich langweilig. Aber nur weil man bei den Figuren Plausibilität und Tiefgründigkeit vermisst, will man ja nicht Alltägliches lesen. Versteh mich nicht falsch, ich fand es schon okay so bis auf die genannten Punkte. Die Klischees sind für mich eindeutig als Stilmittel zu erkennen und erfüllen auch irgendwie ihren Zweck, Überspitzung und so weiter, auch wenn ich eine Geschichte mit tiefgehenderen Charakteren, mit denen ich mich in irgendeiner Weise identifizieren kann, lieber lese. Und das hat nix mit Alltag zu tun. ;)

Liebe Grüße,
strudel

 

Hi Tyra,

mal vorweg: Was hast du zuerst geschrieben; das Drehbuch oder die Kurzgeschichte?

Mir hat das Drehbuch erlicherweise besser gefallen, aus folgenden zwei Gründen:

Erstens nimmst du dem Leser während des Lesens Gedanken vorweg. Es gibt einfach Phrasen, die man sich sowieso denkt, die du also nicht noch einmal erwehnen brauchst. Vielleicht ist das auch so eine Stilsache, aber im Endeffekt spulst du rückwärts und vorwärts gehts danach auch wieder langsamer, sprich, stockend. Der Rest ist flüssig geschrieben, vorallem das Ende hat mir sehr gut gefallen. Die erotisch angehauchten Momente waren sehr detailiert und sinnlich beschrieben, schöne, bildhafte Sprache verwand.

Der Anfang geht ein wenig schleppend, auch wenn mir die Idee, die wiederum auch nicht besonders neu ist, Aussenseiterrollen mit Mauerblümchen zu verbinden, gefallen hat. Kommt doch recht gut an.

Zweitens beschrenkt sich das Drehbuch auf das wesentliche und macht eine Geschichte für mich immer insofern interessant, als dass es schnörkelhafte und im Grunde unnütze Dinge eliminiert. Kennt man also das Drehbuch zu dieser Geschichte, geht man in einer anderen Perspektive an sie heran und sieht die Figuren und ihre Zusammenstellung in einem eigeneren Bild, was in erster Linie paradox klingt, da literarische Texte dem Leser meistens einen größeren Interpretationsraum lassen, als Filme. Hier eben umgekehrt, dadurch, dass du vieles miterzählst, was du dem Leser selbst überlassen könntest. Manche nennen es Reiz, manche Spannung, wie auch immer, das hat mir an der Geschichte insgesamt ein wenig gefehlt.

Formal alles eindwandfrei, natürlich. ;)

Das nächste mal ein wenig verstrickter, und die Katze fühlt sich mit dem Knäuel pudelwohl.

Liebe Grüße,

J.

 

Hallo, Apfelstrudel, hallo, Jonni!

Vielen Dank euch Zwei!

Tja, es macht meiner Meinung nach keinen großen Sinn mehr, an diesen alten Geschichten herumzubasteln. Ihr seid euch ja alle so ziemlich einig, das stimmt mich im positiven Sinne nachdenklich. Denn aus genau diesem Grund bin ich ja hier. Ich will weiterkommen.

Ich werde euch also nicht weiter mit meinen alten Geschichten "quälen", sondern demnächst mal etwas Neues schreiben, sobald ich Zeit habe.

Liebe Grüße und nochmal Danke an alle!

Tyra

 

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