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- 15.02.2019
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Maus
Da sitzt du, still und heimlich und schaust mich an. Dir ist nicht bewusst, dass ich dich schon längst entdeckt habe. Ich beobachte dich. Auf unsicheren Beinen kommst du einen Schritt vor, ja du wagst noch einen zweiten, bleibst aber im sicheren Schatten versteckt. „Bloß nicht erwischen lassen“, denkst du dir. Du rümpfst dein Näschen und erblickst nicht weit von dir, neben dem schwarzen Stuhlbein, einen Krümel. Deine dunklen Augen strahlen auf vor Begeisterung, Du sehnst dich den ganzen langen Tag nach etwas Essbaren. Laut war es wieder gewesen, und voll. Lachen, Schnattern und Quasseln, Stöhnen, Gähnen und Grunzen, vom fleißigen Enkel prahlen und über die kuriosen Übermieter lästern. Klirrendes Besteck, schallende Becher und knallende Teller, die übereinander gestapelt und verräumt, um dann nur wieder einzeln, nacheinander ausgeräumt zu werden. Du schüttelst abrupt dein Köpfchen. All das ist nicht mehr wichtig. Du willst diesen Krümel. Hunger plagt dich. Das Wasser läuft dir im Mund zusammen und du kannst dir schon ausmalen, wie gut dir der Krümel schmecken wird. Und du weißt, da wo Einer ist, wird auch ein Zweiter sein. Du willst diesen Krümel. Jetzt. Deine Gedanken rasen, die Innenflächen deiner winzigen Pfoten sind schwitzig, du spürst den Puls schon bis zu deinem Hals. Doch Halt. Noch bevor du dich in Bewegung gesetzt hast, konntest du deinen in Trance verfallenen Verstand zurückgewinnen. „Bloß nicht erwischen lassen“, erinnerst du dich selbst. Da sitzt du, still und heimlich und schaust mich an. Dir ist bewusst, dass ich dich schon längst entdeckt habe.