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Menschenjagd

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20.09.2006
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Menschenjagd

Die verrosteten, bronzenen Gitterstäbe, welche unnachgiebig seinem Druck widerstanden, scheuerten seinen nackten Körper auf. Schmerzend vernahm er das unaufhörliche Pochen seiner Beine, die geradezu nach einer Ruhepause schrien – doch konnte er nur die Schmerzen wahrnehmen und machtlos resignieren. Er würde nicht sitzen können, er würde nicht den Schmerzen Einhalt gebieten können, nein, er war eingesperrt.
Trostlos empfand er die hunderte Menschen um sich herum, die allesamt das gleiche Schicksal mit ihm teilten. Unaufhörlich klagend, jammernd und heulend, schienen sie ihr Leid unbedingt jedem mitteilen zu wollen, blind gegenüber der Tatsache, dass es nicht nur sie selbst betraf. Sie waren nicht die einzigen die litten.
Doch es schien sich hier eine Abwechslung sichtbar zu machen. Ein paar von ihnen waren still. Den Leidesgesängen Anderer im Kopfe widerhallend, nicht darauf bedacht, vom Lärm toll zu werden – sie waren eins mit ihrem Schicksal.
Sarkastisch kam einigen von ihnen in den Sinn, dass das die Zukunft, die viele Menschen sich erhofft hatten, sei. Der Fortschritt der Menschheit - und umso bitterer erschien es vielen, wenn ihre Gedankengänge im Gegenteil endeten.
In der Monotonie, die einzig und allein aus Selbstmitleid, der Nahrungsaufnahme und dem Warten bestand, kam es dennoch zu Abwechslungen. Meist des Nachts, während die meisten von ihnen schliefen - den Rücken den Zellgittern zu gewandt, die Beine kaum mehr belastend ausgestreckt - wurden einige abgeholt. Pervertiere Laute von Jubeln waren zu hören und auch das kalte Lachen von Hinterbliebenen; denn alle wollten sie abgeholt werden, und keiner gönnte seinem Nächsten nur ansatzweise die Abholung. Nur ahnend, was sie erwarten würde; ein schönes Leben, vielleicht mit freiem Ausgang in einen Garten – doch keiner konnte es mit Sicherheit sagen. Skeptiker – jene Menschen von ihnen, die keinerlei Hoffnungsschimmer mehr im Auge erkennen ließen – glaubten nicht an ein größeres Gehege, vielmehr glaubten sie an den Tod. Wenn sie abgeholt wurden jubelten sie nicht. Ihr Gesicht war starr, einer Maske gleichend.
Trotz alldem hielten es alle aus, erstaunt über die eigene Anpassungsfähigkeit. Sich selbst verblendend und trügerisch einen Sinn in ihrer Existenz zusprechend; dadurch den Fortbestand der Übermenschen zu sichern – der Rasse, die die Götter berührten, denn sie waren die Krönung – ihnen musste man dienen, sei es auch mit dem eigenen Fleisch und Blut. Längst wurden die Tiere vergessen, der Sagen nach Geschöpfe, ohne jeglichen Verstand, deren einziger Sinn im Leben dazu bestand dem Menschen zu dienen. Es waren wunderbare Geschöpfe, den Übermenschen als Diener nur tauglich, dem Menschen unterlegen und vor allem auch sprachlos. Man sagte sich, sie seien sehr wertvoll, denn sie verspürten kein Leid und auch keine Gefühle, wie es der Mensch tat, sie waren still; Schmerzensschreie nicht mehr als nur ein Instinkt. Doch alle sind verendet.
Er sah noch klar vor seinen Augen, wie die Priester in den Städten missionierten, den Wert der Übermenschen predigten und die göttliche Aufgabe schildernd, die ein jeder Mensch – auch Untermensch genannt – zu tun hatte. Die Reden gefielen ihm damals. Sie waren mit wunderschönen Worten gespickt, die jeglichen Zweifler überzeugten – überzeugen mussten, sofern sie sich nicht den Tod wünschten.
Es war nicht an ihnen zu denken, nein, sie mussten annehmen und überzeugt sein. Er war immer ein guter Mensch – fraglos und gehorsam.
Sein Bruder war jedoch ein Zweifler - er starb früh.
Er beklagte sich nicht. Nahezu fanatisch, hielt er an seinen Überzeugungen fest. Immer wiederholte er sich die Leitsätze in seinen Gedanken. Der Übermensch ist von den Göttern berührt, der Untermensch muss ihm dienen. Der Übermensch braucht Fleisch, die Untermenschen dienen durch ihr Fleisch.
Seine Gedankenwebereien gingen aber von verschiedenem Fleisch aus – vielleicht der Züchtung der Untermenschen, für die er sich bereit erklärt hatte. Einige wurden hier her verschleppt, vielleicht die meisten. Denn die Untermenschen wurden zur Jagd freigegeben und er hatte das Glück in einer der freien Städte zu wohnen und selbst zu entscheiden.
Trotzdem merkte er die Verzweiflung, die in den engen, nahe anliegenden Zellen herrschte. Teilweise durch die Nahrung bedingt, die ein Gemisch aus Arznei und Kartoffeln zu sein schien – wenig nahrhaft - teilweise durch das verdreckte Wasser, das ihnen gegeben wurde, indem so manch Lebewesen schwamm, bedingt. In Trogen ausgeliefert – die Gitterstäbe soweit gebogen, dass sie ihren Kopf rausstrecken konnten – durch Maschinen gefüllt. Sie stürzten sich nahezu alle mit hungrigem Eifer auf die Nahrung, dass es ihn häufig erschreckte. Nicht darauf bedacht, was es für ein Bild abgab, so etwas zählte nicht mehr.
Einer jedoch aß nicht. Ein alter Mann, neben seiner Zelle, er widerstand der Verlockung vom Essbaren und auch dem Trieb eines hungrigen Magens – das scheinbar eine Willenskraft und Disziplin benötigte, die keiner von ihnen aufbrachte. Sein Gesicht ließ bloß Verachtung erkennen. Häufig versuchte der alte Mann das Gespräch mit ihm aufzunehmen. Immer wieder jedoch sah er die Gottlosigkeit in den alten, schmalen Augen und schrak zurück. Unberührt von seinen Kommentaren, die nichts als reinen Zynismus erkennen ließen.
Man sprach nicht mit den anderen in den Zellen. Reden war den Übermenschen vorbehalten und er wollte auf keinen Fall sich nur anmaßen wie ein Übermensch zu wirken – er wollte nie in seinem Leben Blasphemie betreiben. Nein, er war zu stolz dafür.
Vielen von ihnen schadete die Nahrung. Ihre Kiefer zitterten, Speichel floss unbekümmert von ihrem Munde heraus, um als einziges Ziel den von Exkrementen verschmierten Boden zu finden.
Und einmal sagte der alte Mann, dass sie alle Wesen auf der Erde waren, weder Unter- noch Übermensch, einfach nur Wesen. Mit solch einer Überzeugungskraft, die eindringlich und nachdenklich zugleich waren.
Als er darüber nachdachte, sah er es als sinnlos an, weiterhin an der Unfehlbarkeit der Übermenschen festzuhalten und nur eine Dienlichkeit derer zu sein. Der Gedanken erschrak ihn und er verweigerte die Nahrungsaufnahme. Ein verspürte Mitleid – nicht viel – doch es reichte für ihn. Und als einziges Ziel, dem zu entkommen, wo er jetzt war, seinem ganzen Leben, das er nur auf Gehorsam aufbaute, war der Tod.
Und so traurig es ihm auch erschien, so sah er ein, dass der alte Mann Recht hatte. Die Übermenschen, die er in Erinnerung hatte, atmeten und sahen aus wie er. Seine Erkenntnis wollte er sofort dem alten Mann mitteilen und schrie nach ihm. Der alte Mann jedoch war tot.
So sehr er sich auch dagegen wehrte, nochmals irgendjemanden zu folgen, so war dieser alte Mann eine Ausnahme.
Er folgte ihm.

 

Hallo Philaerius,

spricht aus diesen Zeilen der gute alte Orwell, den du gerade liesst? Die Geschichte steht wohl unter Philosophie, weil es um das Verhältnis Übermensch zu Untermensch geht. Wobei du allerdings nicht endeutig klarmachst, wie diese Trennung zustande kommt. Rassische Motive? Was passiert eigentlich mit den Untermenschen? Werden sie gegessen? Der Untermensch als Ersatz für Vieh. Deshalb auch die Sprachlosigkeit. Gefüttert werden sie mit Kartoffeln und Antibiotika, auch das kennen wir.

Leider bleibt deine Miniatur Antworten auf einige wesentliche Fragen schuldig. Die "Rassentrennung" in Untermensch und Übermensch zum Vorteil der Menschheit? Aber nach welchen Kriterien. Warum der Jubel der Abgeholten? An dieser Stelle passt etwas nicht zusammen ... Und dann der Held. Was will er anfangs? Ausbrechen. Und zum Schluss: Sterben. Warum? Um sich dem System zu widersetzen? Warum findet er den alten Mitgefangenen gottlos? Warum gibt es keine Solidarität der Gefangenen? Das ganze System wurde ja auch anscheinend nicht nur durch Gewalt etabliert.

Wieder eine Reihe von ungelösten Fragen ... Ich glaube, das ist das Hauptproblem an deinem Opus: Dass du bedeutungsschwer an einer Reihe von Punkten kratzt, aber dabei mehr Fässer aufmachst, als ein Leser aussaufen kann. Vielleicht ist der konstruktiveste Ratschlag einer Aussenstehenden: Weniger Fragen, mehr Antworten.

LG,

N


Textkram:


Menschenjagd

Die Titelwiederholung an dieser Stelle bitte entfernen.


die geradezu nach einer Ruhepause schrieen

müsste glaube ich schrien heissen


bestund

aber von verschiedenen Fleisch aus

verschiedenem

verdreckte Wasser, dass ihnen

Wasser, das

bestand

 

Hallo Nicole Berg,

Nicole Berg schrieb:
spricht aus diesen Zeilen der gute alte Orwell, den du gerade liesst?

Mit eingeflossen sicherlich, wenn auch unbewusst. Schließlich ist der gute alte Orwell ein Meister im Inspirieren.

Die Geschichte steht wohl unter Philosophie, weil es um das Verhältnis Übermensch zu Untermensch geht. Wobei du allerdings nicht endeutig klarmachst, wie diese Trennung zustande kommt. Rassische Motive? Was passiert eigentlich mit den Untermenschen? Werden sie gegessen? Der Untermensch als Ersatz für Vieh. Deshalb auch die Sprachlosigkeit. Gefüttert werden sie mit Kartoffeln und Antibiotika, auch das kennen wir.

Ja. Die Trennung ist misslungen, sehe ich. Eigentlich fällt mir jetzt erst auf, dass ich keine Trennung beschrieben habe. Schade, dass so etwas immer erst im Nachhinein oder durch andere Personen, einem auffällt. Danke für den Hinweis.

Leider bleibt deine Miniatur Antworten auf einige wesentliche Fragen schuldig. Die "Rassentrennung" in Untermensch und Übermensch zum Vorteil der Menschheit? Aber nach welchen Kriterien. Warum der Jubel der Abgeholten? An dieser Stelle passt etwas nicht zusammen ... Und dann der Held. Was will er anfangs? Ausbrechen. Und zum Schluss: Sterben. Warum? Um sich dem System zu widersetzen? Warum findet er den alten Mitgefangenen gottlos? Warum gibt es keine Solidarität der Gefangenen? Das ganze System wurde ja auch anscheinend nicht nur durch Gewalt etabliert.

Seine eigene Geschichte erklären zu müssen ist wohl ein Zeichen des Versagens - und leider ist es hier wohl der Fall. Ich sehe, dass ich mich selbst durch die Fülle der Thematik überfordert habe; jeder sollte klein anfangen, denke ich.

Wieder eine Reihe von ungelösten Fragen ... Ich glaube, das ist das Hauptproblem an deinem Opus: Dass du bedeutungsschwer an einer Reihe von Punkten kratzt, aber dabei mehr Fässer aufmachst, als ein Leser aussaufen kann. Vielleicht ist der konstruktiveste Ratschlag einer Aussenstehenden: Weniger Fragen, mehr Antworten.

Ja. Das werde ich mir zu Herzen nehmen. Danke für diese sehr konstruktive Kritik, sie hat mir die Augen geöffnet - aber nicht entmutigt. Gezielt bist du auf die Schwachstellen dieser Kurzgeschichte eingegangen und ich denke, ich kann mit einem guten Gewissen sagen, dass das eine sehr konstruktive und gute Kritik war. Danke!

Mfg,
philaerius

 

Hallo Philaerius,

Menschen züchten also andere Menschen, um sie zu essen. Ginge das nicht leichter mit Schweinen, Enten oder Karpfen? Schon bei H. G. Wells ist mir das nicht sehr plausibel vorgekommen.

Das Verhalten von Menschen in der Gefangenschaft von Mördern die ihre Würde nicht achten ist ein weites Feld und gibt eine Menge her. Ich denke da zum Beispiel an Viktor Frankl oder an den Helden in "Soweit die Füße tragen". Dem alten Mann fehlt etwas, um ihn bewundern zu können oder sympathisch zu machen. Er ist nur eben anders und stirbt am Ende - und das war's auch schon. Da wäre noch mehr drinnen!

Freundliche Grüße,

Fritz

 

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