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Missbraucht?!
‚Nein, bitte geh nicht tiefer…was soll ich bloß tun? Ich liebe ihn…’ wie in einer Filmszene sah sich Nadja von oben. Wie in einem Film, und ihre Gedanken waren die Texte, die durch den unteren Bildrand liefen.
Dabei war alles so perfekt. Sie war jetzt 3 Monate mit Patrick zusammen.
Die Zärtlichkeiten wurden mit der Zeit immer intensiver. Aber auch immer intimer. Seine Berührungen waren wie eine weiche Feder auf doch so rauer Haut. Wenn er ihren Hals küsste, ihren Rücken streichelte... Das ließ sie für eine kurze Zeit lang vergessen, was ihr Kopf sonst ohne Unterbrechung immer wieder in sie hineinpochte. Wie gern hätte sie einfach nur nackt neben ihm gelegen und seine Hand gehalten, ohne dieses unangenehme Gefühl im Bauch.
Jetzt wäre dieser Moment. Jetzt könnte sie alles wahr machen, alles was sie sich bis jetzt mit ihm erträumte. Seine Eltern waren nicht da, sie durfte bei ihm übernachten und sie lagen jetzt nebeneinander auf seinem großen Bett. Er hatte angefangen zu erzählen, wie sehr er ihren Bauch mochte und wie süß ihre Küsse doch schmeckten. Doch für sie waren seine Worte wie aus einem Radio ohne Empfang. Ein Rauschen in einem Kopf voller Gedanken. Ihre Gedanken und seine Worte klangen zusammen nicht wie ein Lied sondern wie eben dieses unharmonische Rauschen.
Alles drehte sich, das Bild verschwamm und sie spürte, wie er sie berührte. Mechanisch setzte sie sich auf und genehmigte ihm somit, ihr Shirt über den Kopf zu streifen. Er fühlte sich so gut an. Sie schmiegte sich an seinen nackten Oberkörper und versuchte zu vergessen was gewesen war.
Seine Hände wanderten nach unten, streichelten erst ihren Po und begannen dann den Knopf ihrer Jeans zu öffnen. Durch einen Schauer ausgelöst versteifte sich ihr ganzer Körper. Sie fühlte sich, als pressten sich ihre Gedärme gegen alles, was sich in ihr befand.
„Stopp!“ Sie hörte sich fast hysterisch schreien. Wieso konnte sie nicht ruhig sein. Was zum Teufel sollte sie ihm nur sagen? Lieber hätte sie sich gequält als jetzt dieses eine und doch viel entscheidende Wort zu sagen.
„W-Was….Hab ich was falsch gemacht? Es tut mir leid, es ging dir zu schnell oder? Es war nur….“
Er war verwirrt. Aus seinen Augen las sie, wie unangenehm ihm diese Situation war.
„Nein….es ist nur…“ Wie sollte sie jetzt die richtigen Worte finden? Am liebsten hätte sie gesagt ‚Ich fühle mich so missbraucht’ aber ‚Ich glaube ich bin missbraucht worden’ war sicher nicht das, was ihre Situation am besten darstellen würde. Auf jeden Fall wollte sie Patrick nicht enttäuschen, sie brauchte ihn doch und sie brauchte auch seine Nähe.
„Ich, ich habe schlechte Erfahrungen gemacht, und weißt du ich…“Sie sah in Patricks Augen und sie spürte die negative Überraschung, der auch zu ihr über trat. Sie dachte darüber nach, was sie nun zu tun hatte. Wohl oder Übel, sie erzählte ihm die ganze Geschichte. Sie fühlte sich nun wie losgelassen und von allen Ketten die sich um ihr Herz schnürten befreit. Es war schön, wie er ihr einfach nur zuhörte, sie dabei in den Arm nahm und ihr durch seine pure Anwesenheit den Halt gab, den sie jahrelang nicht gehabt hatte.
Nun erzählte sie ihm also von Peter und wie er ihre Trunkenheit eiskalt ausgenutzt hatte. Damals war sie verliebt in ihn gewesen, mehr war es wohl nicht, denn sie kannte ihn nach einem Monat weder wirklich intensiv, noch war die Vertrauensbasis zwischen beiden so ausgebaut, wie es in einer länger andauernden Beziehung der Fall sein sollte.
Sie hatten an dem besagten Abend, der ihr immer wieder ins Gedächtnis fiel, eine tolle Feier hinter sich. Er hatte Geburtstag und sie trank viel Alkohol – zum ersten Mal.
Irgendwann waren dann alle Hemmschwellen gebrochen und er brauchte nicht viel Mühe sie zu überreden, um mit ihr vor den anderen im Zelt zu verschwinden. Wie im Traum, ließ sie alles Geschehen. Als wäre sie gar nicht da, als könnte sie dieser Situation nicht Herr werden und ihn einfach damit aufhören lassen. Selbst als seine Hand in ihrem Schlafsack verschwand wollte sie nichts dagegen tun. Sie tat nichts anderes als sich nun auch an seiner Hose zu schaffen zu machen, ob ihr nun wohl dabei war oder nicht. Ohne es zu planen, ohne darüber gesprochen zu haben und ohne überhaupt so weit zu sein, hatten sie zwar keinen Sex, aber sie fühlte sich verbraucht und sie konnte die Situation auch am nächsten Morgen nicht verarbeiten. Tausende von Gedanken schwirrten durch ihren Kopf. Warum es überhaupt soweit gekommen war, wie sie sich dabei gefühlt hatte und was Peter nun von ihr erwartete. Ohne sich von ihm zu verabschieden packte sie früh morgens ihre Sachen und fuhr allein nach Hause. Dort wünschte sie sich, dass sie einfach vergessen könnte was passiert war. Wieso erinnerte sie sich überhaupt daran? Wie kann man so betrunken sein, um nicht zu realisieren was man tut, aber trotzdem am nächsten Tag sogar kleinste Details wissen?!
Nun fühlte sie, dass in ihrem Inneren alles durcheinander war. Wie schön hatte sie sich im Gedanken die gemeinsamen Zärtlichkeiten mit Peter ausgemalt. Und an einem Abend war alles hin.
Dann diese Angst, die tief in ihr drin saß. Sie hatten nicht darauf geachtet, dass die Berührungen Folgen haben könnten. Beim Gedanken vielleicht schwanger zu sein entwickelte sich ein riesiger Kloß in ihrem Hals, der ihr fast die Luft zum Atmen nahm. Wie kann ein Abend ein ganzes junges Leben zerstören?! Doch genau das würde es für sie bedeuten.
Aber auf etwas anderes, in diesem Moment für sie anscheinend Wichtigeres hatte sie umso mehr geachtet. Früher hatte sich doch gesagt, sie wollte Peter immer soviel geben wie er ihr gab, gestern hatte sie anscheinend versagt. Und nun war das Tüpfelchen auf dem ‚i’ gewesen, dass er zwar versuchte, sie zu führen, damit sie ihn besser berühren konnte, doch dass er irgendwann ihre Hand wegstieß. Sie fühlte sich nicht nur selbst mies, sondern auch mies gegenüber Peter. Aus Scham, wäre sie ihm am liebsten nie wieder begegnet und im Gedanken an gestern schlug ihr Herz immer noch wie wild.
All diese Gedanken waren so verwirrend. Wörter und Wortgruppen schwirrten durch ihre Gedankenwelt. Versager…. Kind…. Warum... Wille… Sie überschlugen sich. Sie fühlte sich leer. Allein zu Hause drehte sie letztlich fast durch, rannte nur ziellos durch die Räume, ohne Hunger- oder Zeitgefühl.
Nach ein paar Stunden kam der erlösende Anruf. Einige Freunde von ihr fuhren zum See und sie sollte mitfahren. Diese Gelegenheit packte sie am Schopf. Ihr war es ganz recht, dass Peter nicht mitkam. Sie wollte erst ihre Gefühle ein wenig ordnen. War er schuld? War sie schuld? Gab es in diesem Falle wirklich so etwas wie Schuld?! Auch andere wahnwitzige Gedanken stiegen ihr in den Kopf. Würde Peter ein guter Vater sein? Würde er Verständnis für sie haben? Würde er sie vielleicht verlassen, weil alles nicht so abgelaufen ist, wie er es sich vorstellte? Sie versuchte diese Gedanken zu verdrängen, doch auch beim Ausflug mit ihrer Clique drängten sie sich immer wieder in den Vordergrund.
Ungestört von ihrer lärmenden Clique und per SMS teilte sie ihm mit, was sie fühlte. Niemals könnte sie jetzt mit ihm reden. Auch in diesem Moment drückten ihre Eingeweide vor Aufregung und Hoffnung darauf, dass er alles genauso sehen würde gegen ihre Lungen, so dass es ihr fast die Luft zum Atmen nahm. Sie war wahrscheinlich nicht ansprechbar in dieser Phase, aber ihre Freunde tollten glücklicherweise im See.
Sie schrieb ihm, dass ihr alles zu schnell ging und als er sie später anrief, entschuldigte er sich für alles, was falsch gelaufen ist. Er nahm alle Schuld auf sich und wahrscheinlich war es auch richtig so. In diesem Moment war sie erleichtert.
Nun als ihr das über die Lippen ging, hoffte sie, dass auch Patrick mit Verständnis reagieren würde. Vom Erzählen heraus fiel sie zurück in die Realität und schaut in Patricks wunderschöne Augen. Gott, ihr fiel es diese Geschichte vor ihm zu erzählen. Eine Träne kullerte über ihre Wange. Patrick küsste sie einfach weg. Damit küsste er auch ihre negativen Gefühle weg und nachdem sie sich wieder gefangen hatte erzählte sie weiter.
Geholfen hatte ihr dieses Gespräch mit Peter damals nicht. Für den ersten Moment war sie erleichtert und den Freudentränen nahe, denn als diese riesige Belastung nicht mehr auf ihrer Seele lastete, war sie erstmals wieder sie selbst.
Das Vertrauen zu Peter und auch das Vertrauen zu sich selbst waren dennoch zerstört und nach einem Monat beendete sie die Beziehung. Die Gefühle waren mit der Zeit abgeklungen, da sie sich auch nicht mehr nach seiner nähe sehnte. Davon hatte sie wohl an einem Abend zu viel gehabt. Und das war das Problem, dass trotzdem auf ihren Schultern lastete. Der Schlussstrich, symbolisiert durch die beendete Beziehung half ihr nicht darüber hinweg, dass sie Angst vor der Nähe zu anderen Jungen hatte.
Einige Wochen später und nachdem sie alles Revue passieren gelassen hatte, war sie bereit eine neue Beziehung aufzunehmen. Sie konnte sich wieder verlieben, oh ja, wie sehr sie damals sogar verliebt war… und sie konnte wieder glücklich sein und die Zärtlichkeit des Neuen genießen. Ihre Gefühle zu ihm waren stärker als die zu Peter und sie zeigte ihm das auch.
Die Beziehung zwischen den Beiden hielt nun mehrere Monate, nahezu ein Jahr. Trotzdem wusste er nicht, was sie bedrückte und sie wollte es ihn auch nicht wissen lassen. Sie wollte allein damit fertig werden – und sie scheiterte. Sie konnte ihm einfach nicht näher kommen. Der Sex mit ihm war zwar schön aber mechanisch. Sie wollte ich nicht anrühren, sie dachte jedes Mal an seine Erwartungen und wenn sie einfach nur Sex hatten wusste sie, dass es ihm gefiel. Sie brauchte ihn nicht anderweitig glücklich machen im Bett.
Wahrscheinlich war er ihre erste große Liebe aber wie sie im Nachhinein feststellte wohl doch nicht so bedeutend, denn vertraut hatte sie ihm nie so, wie sie Patrick schon jetzt vertraute.
„, Er hat mir nichts angemerkt. Trotzdem fühle ich mich jetzt immer noch irgendwie…verstört. Ich kann mit dieser Situation nicht umgehen, ich will nie wieder unter diesem Druck stehen müssen.“ Sie fand dass verstört das richtige Wort war. All ihre Gefühle gingen nämlich in genau diese Richtung. Wieder dachte sie an das rauschende Radio von vorhin.
„Also als erstes meine Süße, du bist nicht verstört. Auf keinen Fall, und es braucht dir auch nichts peinlich zu sein. Ich bin total froh, dass du mir das erzählt hast und es freut mich, dass du soviel Vertrauen aufbringen konntest. Und zweitens will ich dich auf gar keinen Fall unter Druck setzen. Was du nicht willst, willst du nicht. Wenn du aber auf dieser Ebene neue anfangen willst, dann lass uns zusammen neu anfangen. Ich bin sicherlich fast genauso unsicher wie du. Und zusammen fällt es uns sicher beiden nicht mehr so schwer.“
So erleichtert wie noch nie schmiegt sich Nadja in Patricks Arme. Seine Reaktion so voller Verständnis war das, was sie sich immer gewünscht hatte.
[ 03.07.2002, 15:21: Beitrag editiert von: ['instin(c)t] ]