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Mordshaus

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03.11.2007
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Mordshaus

Das alte Haus am Kirchplatz hatte Dennis Schwarzkopf schon immer fasziniert. Wie ein bedauerlicher Betriebsunfall inmitten des sonst eher gutbürgerlichen Stadtviertels mit den vielen renovierten Gründerzeitbauten stand es seit vielen Jahren unbeirrt an seinem Platz. Der Putz bröckelte von der Fassade des relativ kleinen Zweigeschossers und gab den Blick auf das darunterliegende Mauerwerk frei, der Schornstein ragte schief in die Höhe und auf dem Dach hatte sich längst beachtlicher Pflanzenbewuchs seinen Weg gebahnt. Zuweilen sah man Tauben aus den halboffenen Dachgeschossfenstern flattern, während der verwilderte Hinterhof mit seinem vielen Grün an einen Urwald erinnerte. Vorbeilaufende Passanten, die einen Blick durch das völlig verrostete Gittertor riskierten, konnten nur bei genauerem Hinsehen den alten Schuppen auf dem Hof und die verblichenen Schriftzüge eines einstigen Handwerksbetriebes erahnen, der auf längst vergangene Glanzzeiten des Geländes hinwies. Jetzt ratterten Tag für Tag die Straßenbahnen auf der Hauptstraße vorbei, und im kleinen Ladenraum des Erdgeschosses hatte das beschauliche Lebensmittelgeschäft vom alten Willy Haußner seinen Sitz. Dennis Schwarzkopf allerdings gehörte zu denjenigen, die auch um die dunkle Vergangenheit des Hauses wussten.

Dennis Schwarzkopf war jetzt 28 Jahre alt und lebte nicht weit entfernt im selben Stadtteil. Nach Abschluss seines Journalistenstudiums hatte er sich lange mit wenig lukrativen Nebenjobs durchgeschlagen, und nur alte Kontakte und eine gehörige Portion Glück verhalfen ihm vor der kompletten Frustration zu einer Stellung, die es ihm mittlerweile gestattete, als Freischaffender von selbst verfassten Reportagen und Beiträgen relativ entspannt zu leben. Nicht zuletzt seine Ausdauer, Beharrlichkeit und enorme Willensstärke, die sich in der Qualität der Arbeit niederschlugen, hatten inzwischen schon manch einem Chefredakteur Respekt abgenötigt, auch wenn das ein oder andere Lächeln angesichts seines ungestümen Übereifers nicht immer ausblieb. Doch eben der hatte ihn bei Recherchen im Polizeiarchiv vor einigen Wochen zufällig auf die Spur der alten Akte geführt.

Der grausame Sachverhalt ließ sich in wenigen Worten zusammenfassen. An einem Sommertag vor 39 Jahren hatte man die damalige Hausbesitzerin Dorothea Klein erstochen in ihrer Wohnung im Obergeschoss des Hauses aufgefunden. Der ganze Tatort war in Blut getränkt und einige Polizisten hatten die Räume mehrfach wegen Übelkeitsanfällen vorübergehend verlassen. Von der neunzehnjährigen Tochter Maria fehlte jede Spur, doch diverse Indizien ließen die Ermittler auch bei ihr das Schlimmste annehmen. Manche Optionen wie etwa Raubmord konnte die Kripo zwar ausschließen, doch ein Täter wurde nie gefasst und die Hintergründe blieben finster. Wegen fehlender Erben ging die Immobilie in städtischen Besitz über, ohne je den Weg auf irgendeine Sanierungsliste zu finden. Nur die Räume im Erdgeschoss blieben an Gewerbetreibende vermietet. Wie ein trotziges Relikt vergangener Tage prangte auf der einen Seite immer noch das Schild „Emilias Blumen“ über dem von Werbeplakaten zugeklebten und mit Spinnweben besetzten Eingang, denn die allseits geschätzte Inhaberin Emilia Schade hatte an einem stürmischen Herbstabend vor Jahren, obgleich noch nicht übermäßig betagt, vor ihrem Tresen einen Herzanfall erlitten und starb auf der Stelle. Bloß Willy Haußner hielt jetzt noch die Stellung, doch abends, wenn der alte Mann sein Geschäft zusperrte und den Heimweg antrat, versank das Haus wie in einen tiefen Schlummer und aus den Fenstern starrte nur düstere Finsternis zurück. Jedenfalls bis vor kurzem. Mit einigem Erstaunen hatte Dennis in der Eckwohnung über Haußners Laden plötzlich Licht brennen sehen. Von der Straße aus ließ sich ein von der Decke hängender Kronleuchter ausmachen und zuweilen huschte ein mysteriöser Schatten hinter den Gardinen. Konnte man vielleicht noch mehr herausfinden? Dieser alte Kriminalfall versprach eine gute Story. Daraus ließe sich was machen.

„Ihr Kaffee ist fertig.“ Die milde Septembersonne schickte ihre späten Nachmittagsstrahlen durch die Fensterscheibe des Ladens. Dennis ging öfter mal zum alten Willy, wie man ihn zu nennen pflegte. Er mochte den freundlichen älteren Mann, dessen winziges Geschäft bisher trotzig aller Konkurrenz durch die Supermarktketten standgehalten hatte. Man schätzte die persönliche Atmosphäre, die Möglichkeit zu einem kurzen Plausch und das Angebot an warmen Würsten oder Frikadellen, das auch die Angestellten eines nahen Bürokomplexes in ihrer Mittagspause häufig hierher trieb. Willy Haußner gehörte im Viertel eben zum Inventar. Er konnte mit seinem Stock nicht mehr allzu flink laufen und zeigte die für einen frühen Siebziger üblichen Verfallserscheinungen, arbeitete dafür jedoch mit bemerkenswerter Energie und hatte noch nie vom Aufhören gesprochen. Ein Original. Ein Idealist. „Sagen Sie mal,“ stieß Dennis zwischen zwei Schlucken heißem Kaffee hervor, die ihm fast die Zunge verbrannten, „wissen Sie, wer hier über dem Laden wohnt?“ Willy war gerade mit dem Aufwickeln von neuem Papier für seine Registrierkasse beschäftigt und blickte auf. „Nein. Warum interessiert Sie das denn?“ „Naja, mir fiel bloß auf, dass oben offenbar wieder jemand eingezogen ist. Stand ja seit Ewigkeiten leer.“ Willy schaute erstaunt über die Ränder seiner Brille, dann nickte er. „Ja kein Wunder, nach dem was mal hier passiert ist. Diese schreckliche Mordgeschichte. Hab bloß durch Zufall davon erfahren, als ich damals den Laden aufgemacht habe.“ Eine Pause entstand. Willy schüttelte den Kopf. „Wer sowas macht, muss irre sein. Erschießen, sag' ich da nur. Ohne Gnade.“ Dann entsann sich der Alte der ursprünglichen Frage. „Aber nein, ich kann Ihnen nicht sagen, wer hier drüber lebt. Und es interessiert mich auch nicht sonderlich.“ Damit ließ er es bewenden und wandte sich einem Kunden zu, der gerade hereingekommen war. In Dennis Schwarzkopf nahm schon ein Plan Gestalt an, bevor der Kaffeebecher leer war. Wenn der alte Willy Haußner nichts wusste, wer dann? Er musste der Sache selbst auf den Grund gehen. Besondere Furcht hatte er noch nie. Was sollte schon passieren? Schlimmstenfalls hatte die Sache doch nicht soviel Potenzial wie erhofft oder er würde auf Mauern stoßen. Doch das Gefühl einer vergebenen Chance wäre tausendmal schmerzlicher. Außerdem gab gerade die Unberechenbarkeit seinen Nachforschungen immer wieder den besonderen Kick. Er wusste nie so genau, was ihn erwartete. Das innere Kribbeln nahm zu. Dennis liebte seine Arbeit.

Mit Einbruch der violetten Dämmerung verschwand die hektische Geschäftigkeit des Tages und machte einer abendlichen Ruhe Platz, die nur von gelegentlich vorbeifahrenden Autos, den quietschenden Straßenbahnen und den Schlägen der Kirchturmuhr unterbrochen wurde. In den umliegenden Häusern brannte Licht. Ein junges Paar lief laut lachend vorüber, bis sich sein Johlen allmählich in der Ferne verlor, und auf der anderen Seite führte eine Frau ihren Hund aus. Dennis Schwarzkopf stand vor der verwitterten Haustür des so geheimnisumrankten Gebäudes. Willys Eckladen lag einsam und verlassen, das beleuchtete Aushängeschild flackerte leicht. Doch vom Fenster drüber fiel ein deutlicher Lichtschein auf den Fußweg. Dem aggressiven Rost zum Opfer gefallene Namensschilder auf der Klingelplatte erinnerten an die Mieter, die hier mal gelebt hatten. Dennis erkannte Fritzsche, König, Sewald... doch kein Schriftzug sah besonders neu aus. Mit leichtem Druck öffnete er die Tür, die zu seiner Überraschung laut knarzend nachgab. Jeder konnte herein, da sich offenbar niemand die Mühe zum Abschließen machte und eine Sprechanlage besaß der archaische Bau nicht. Ein modrig-kellerartiger Geruch stieg mit extremer Aufdringlichkeit sofort in die Nase. Krachend fiel die Tür hinter Dennis zu. Es herrschte Grabesstille. Dennis tastete sich langsam an der Wand entlang, fand aber keinen Lichtschalter. Allerdings war die Dunkelheit noch nicht so groß, dass nichts zu erkennen gewesen wäre. Am Treppenaufgang blickte er nach oben und der Schreck traf ihn wie eine Faust in den Magen. Gegen die Dämmerung zeichneten sich die Silhouetten einer Gestalt am Fenster ab, das zum Hinterhof zeigte. Einige Sekunden vergingen, ohne dass der junge Journalist es wagte, auch nur einem Atemzug zu tun. Die Konturen am Fenster rührten sich nicht. Irgendetwas machte stutzig. Der Kopf wirkte seltsam unförmig. Fast nicht wie ein Mensch. Noch bevor er den knarrenden, ersten Treppenabsatz überwunden hatte, wusste er, dass ihn eine lebensgroße Puppe zum Narren hielt. Die überaus hässliche Fratze grinste ihn hämisch an. „Verdammt!“ Dennis stieß einen leisen Fluch aus und erinnerte sich unwillig an seine Kindheit, wo ihm ein Produkt von ähnlich fragwürdiger Ästhetik immer Angst bereitet hatte. Grummelnd schüttelte er die Gedanken ab und stieg die nächste Treppe hoch. Er stand vor einer Wohnungstür. Hier musste es sein. Mit einem geübten Auge nahm man ein schwaches Licht hinter der Verglasung wahr. Ein Messingschild wies den phantomhaften Wohnungsinhaber als M. Stüber aus. Dennis drückte auf den Knopf. Einem scharfen Messer gleich schnitt sich das laute Surren der Klingel durch die dunkle Stille.

Der Knall beim Zuschlagen der Haustür wäre keinem Taubstummen entgangen, dachte er verächtlich. Kein Wunder, hellhörig wie es hier war. Er wusste, die alten Treppen taten zuverlässigen Dienst und verrieten mit ihrem markanten Knarren auch den geübtesten Schleicher. Obwohl man ihn hier lange nicht mehr gestört hatte in seinem Reich, das ihm ganz allein gehörte. Aber er hatte ihn längst im Auge gehabt, ihn kommen sehen. Und jetzt klingelte es auch noch. Er musste reagieren. Er überlegte.

Nichts geschah. Sekunden verstrichen ohne jede Reaktion. Doch es musste jemand da sein! Er spürte es. Dennis zögerte, dann betätigte er den Knopf noch einmal. Irgendwo aus der Ferne drang Hundegebell an sein Ohr. Von drinnen rumpelte es plötzlich und das Geräusch einer sich öffnenden Tür war zu vernehmen. Er hielt inne. Schlurfende Schritte näherten sich und die Tür ging mit leisem Qietschen ganz langsam auf. Sein Herz pochte. Er war nicht mehr allein. Die Tür stand jetzt halboffen und das Licht im Flur der Wohnung sprang unvermittelt an. „Guten Abend. Kann ich Ihnen helfen?“ Der Herr, der Dennis freundlich anlächelte, mochte Mitte bis Ende sechzig sein. Sein dunkles Haar war akkurat gekämmt. Eine glänzende, goldene Armbanduhr, die feine Stoffhose und ein Markenpullover legten die Vermutung nahe, es hier nicht mit einem besonders armen Mann zu tun zu haben. Seine sehr gepflegte Erscheinung, die angenehm weiche Stimme und ein einnehmendes Lächeln ließ die Anspannung der letzten Minuten bei Dennis langsam setzen. „Guten Abend. Ich heiße Dennis Schwarzkopf und bin Journalist. Ich recherchiere derzeit etwas über die Geschichte dieses Hauses. Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?“ Das Lächeln verschwand nicht und erlaubte keine Aussage, inwiefern er vom Ansinnen seines Gegenübers erstaunt war. „Natürlich. Besprechen wir es doch drinnen.“ Der Mann reichte Dennis die Hand. „Michael Stüber.“ „Angenehm.“ Stüber nickte freundlich und bedeutete ihm, hereinzukommen. Die Wohnungstür glitt ins Schloss zurück. Dennis fiel gleich der altertümliche Duft im Korridor auf, der ihn an die Wohnung seiner verstorbenen Oma erinnerte. Von einigen Ölgemälden an der Wand starrten ihn geradewegs Porträts mit bohrendem Blick an. Die dunkle, verzierte Kommode schien aus keinem billigen Ramschladen zu stammen und gab der unaufdringlich grusligen Atmosphäre nochmal einen Anstrich. „Gehen Sie nur schon rein. Links ist das Wohnzimmer. Ich komme gleich.“ In Stübers Stimme schwang ein fordernder Unterton, den Dennis' geübtes Gehör sofort wahrnahm. Sein Instinkt mahnte ihn zur Wachsamkeit. Auch die Stube war von einer archaischen Eleganz geprägt. Bücher mit vergilbten Seiten in den Regalen, diverse Büsten und Porzellanfiguren, weitere Bilder an der alten Tapete, flankiert von imposanten Hirschgeweihen – all dies gab dem Raum seine etwas unheimliche Ausstrahlung. Der Kronleuchter war ausgeschaltet und nur ein kleines Ecklämpchen tauchte das Zimmer in beklemmendes Halbdunkel. Dennis vermochte keinen Fernseher oder ähnliche Zugeständnisse an die moderne Zeit zu entdecken. Langsamen Schrittes ging er zum Fenster. Da schaute er nun auf die Straße herab, von der aus er sich so oft gefragt hatte, wer hier wohl eingezogen sein mochte. Eine Straßenbahn fuhr unten langsam vorbei. Dennis hatte nicht bemerkt, wie Stüber von hinten den Raum betrat. Erschrocken drehte er sich um. Stüber lächelte.

Der Typ war nun in der Wohnung. Er würde ihn niemals entkommen lassen. Das konnte er sich nicht leisten. Er war in Alarmbereitschaft. In seinem Hirn reifte ein Plan heran. Dieser Aushilfsschnüffler saß längst in der Falle. Wenn der wüsste. Bald wäre es vorbei. Er grinste in sich hinein. Ja, bald wäre es vorbei!

„Im Obergeschoss über Ihnen fand man die Hausbesitzerin, Frau Klein, damals ermordet auf. Im Juli 1970. Und ihre Tochter, sie war neunzehn, war wie vom Erdboden verschluckt. Sie wurde nie wieder gesehen. Die Polizei hat die Sache bis heute nicht klären können.“ Sie hatten auf dem Sofa Platz genommen. „Naja, ich hatte mir vorgestellt, eventuell eine Serie über ungelöste lokale Mordfälle oder sowas zu schreiben und dachte, sie wüssten vielleicht näheres.“ Stüber verzog keine Miene. „Ich erinnere mich an die Sache,“ sagte er mit bedächtigem Nicken. „Sie müssen wissen, dies ist meine Heimatstadt und ich habe damals nicht weit entfernt gewohnt. Soweit ich mich entsinne, war ein Messer im Spiel. Die Frau wurde von mehreren Stichen getroffen, von denen jeder für sich schon tödlich gewesen wäre.“ Dennis wurde mit einem Schlag aufmerksam. „Woher wissen Sie das denn?“ „Das stand doch in der Zeitung,“ erwiderte Stüber mit entschuldigender Geste. Dennis runzelte die Stirn. Er war sich sicher, dass die Kripo keine solchen Details an die Öffentlichkeit gegeben hatte. Zumindest ging diese Information aus keinem der spärlichen Artikel vom Sommer 1970 hervor, die er gelesen hatte. Das unruhige Flackern in Michael Stübers Augen entging Dennis nicht. Er schien zu ahnen, welch unbedachte Äußerung er gerade getätigt hatte. „Es kann auch einfach der Buschfunk gewesen sein. Das hatte ja im Viertel ziemliche Wellen geschlagen und die wildesten Gerüchte gingen um,“ brach Stüber das sekundenlange, donnernde Schweigen. Zum ersten Mal nahm Dennis eine Spur Unsicherheit im weichen Tonfluss Stübers wahr, die er nicht ganz kaschieren konnte. Sein mulmiges Gefühl in der Magengegend verstärkte sich. Es galt, sich das bloß nicht anmerken zu lassen und abzuwarten. Ein eleganter Themenwechsel könnte jetzt verhindern, dass das Gespräch kippte. Stüber schien sein Selbstbewusstsein zurückgewonnen zu haben. „Und wieso sind Sie jetzt hier eingezogen?“ Der Mann lächelte breit. „Ich habe beschlossen, mich nach Jahren im Ausland wieder in meiner geliebten Heimat niederzulassen. Ich werde dieses Haus kaufen und die Wohnungen nach der Sanierung neu vermieten.“ Beschwichtigend hob er die Arme. „Ich ahne, was Sie denken. Aber den Mörder von damals kriegen die doch sowieso nicht mehr. Und es muss ja auch mal wieder weitergehen, nicht?“ Stüber grinste vielsagend. Dennis schwieg. „Entschuldigen Sie mich kurz, Herr Schwarzkopf, ich bin gleich wieder da.“

Wieder und wieder war er den Plan im Kopf durchgegangen. Er spürte die normale Aufregung, wie er sie schon so oft erlebt hatte, aber keine übermäßige Nervosität. Es wäre ein Leichtes für ihn. Dieser Kerl hatte sich etwas zu weit vorgewagt und musste jetzt eben die Konsequenzen tragen. Er griff nach dem Messer. Zeit, sich langsam aus der Deckung zu wagen.

Dennis blieb allein auf dem Sofa. Sein Kopf versuchte die Informationen noch zu ordnen. Irgendwas stimmte mit diesem Stüber ganz und gar nicht. Sein Blick blieb bei einigen Papieren haften, die offen auf dem Schrank zu seiner Rechten lagen. Nichts Bedeutendes. Einige Rechnungen, Unterlagen und... Dennis gefror das Blut in den Adern. Ein gelblicher Zeitungsausschnitt vom Juli 1970. Er kannte ihn nur zu gut: Grausiger Mord am Kirchplatz – Polizei vor Rätsel. Das Adrenalin schoss durch seinen Körper. Dennis hatte genug. Er musste hier weg, schnellstmöglich. Gerade als er aufstand, betrat Stüber den Raum. „Wollen Sie schon gehen?“ Die Klinge in seiner Hand blitzte im Schein des Lämpchens auf. „Was haben Sie vor?“ Dennis merkte, dass er geschrien hatte. „Ich wollte Ihnen noch ein Stück Kuchen anbieten, habe ihn gerade in der Küche angeschnitten und... ach, wie dumm von mir, ich habe ja noch das Messer in der Hand. Da reden wir von Mord und Totschlag und ich komme mit dem Ding auf Sie zu!“ Stüber lachte laut. „Ich wollte Ihnen keinen Schreck einjagen. Kommen Sie doch. Ich weiß, eine etwas ungewöhnliche Zeit für Kuchen, aber ich backe doch so gern und...“ „Ich gehe jetzt!“ erwiderte Dennis Schwarzkopf mit Nachdruck. Noch ehe Stüber reagieren konnte, war Dennis schon im Korridor und rüttelte hastig an der Wohnungstür. Sinnlos. Stüber hatte sie abgeschlossen. Nackte Panik stieg in ihm auf, als Stüber vom Wohnzimmer her langsam auf ihn zukam. Sein Blick wirkte starr, glasig. Dennis schwitzte unter seiner Lederjacke. „Bitte, wenn Sie gehen wollen. Ich habe nur so eine Angst vor Einbrechern, deswegen habe ich...“ „Machen Sie auf!“ Dennis brüllte. Stüber klapperte mit dem Schlüssel. „Es tut mir leid, dass es jetzt so unglücklich gelaufen ist. Hören Sie, wenn Sie wieder etwas wissen wollen, dann...“ Dennis riss die Tür auf und brachte den älteren Herrn fast zu Fall. Er rannte die Treppen hinunter. Gerade noch einmal gutgegangen. Was für ein Psychopath! Am besten jetzt gleich würde er aufs Polizeirevier fahren. Dennis hetzte wie ein gejagtes Tier auf den Hauseingang zu. Er zerrte vergeblich an der Klinke. Jemand hatte zugesperrt. Der Schock war schlimmer als alles, was er bisher erlebt hatte. Völlig irrational bot er aller Sinnlosigkeit zum Trotz sein ganzes Kräftepotenzial auf, ohne die Tür öffnen zu können, und verlegte sich dann auf verzweifeltes Hämmern. „Hört mich jemand? Hilfe!“ Sein Puls raste. Er saß in der Falle.

Jetzt schrie dieser Idiot um Hilfe. Als ob ihm das was bringen würde. Obwohl, sein eigenes Ende würde er damit schon beschleunigen. Sonst bestand ernsthafte Gefahr, dass trotz fortgeschrittener Abendstunde noch jemand aufmerksam werden und die Polizei rufen würde. Keine Zeit mehr zu verlieren. Von einer Ausnahme abgesehen, hatte er sich stets an das Prinzip der Risikominimierung gehalten. Er schritt zur Tat.

Dennis sah die Aussichtslosigkeit des Unterfangens ein. Er zwang sich, ruhig durchzuatmen. Es blieb nur die Suche nach einem Hinterausgang. Trippelnde Schritte hinter ihm setzten diesen Gedankengängen ein jähes Ende. Der Schlag krachte ihm direkt in die Schläfen. Er sackte zusammen und spürte es nicht mehr, als das scharfe Messer Sekunden darauf seine Kehle durchtrennte.

Sauberer Schnitt! Der Typ bewegte sich nicht mehr. Wenn er etwas konnte, dann war es das. Töten ohne großes Blutvergießen. Man steckte seine Nase eben nicht in anderer Leute Angelegenheiten, so simpel war das. Am Ende hätte dieser Spinner noch die Wahrheit herausgefunden. Dass Dorothea Klein damals im Streit ihre Allianz mit ihm aufgekündigt hatte und drohte, sein Tun zu verraten. Es war das einzige Mal, dass sein kühler, berechnender Kopf die Nerven verloren und er im Affekt zugestochen hatte. Der zarten, süßen Maria hatte er nicht widerstehen können, abgesehen davon, dass sie auch zuviel wusste. Ihre sterbliche Hülle war längst von dieser Welt verschwunden. Ja, vielleicht wäre der Schnüffler sogar dahintergekommen, dass auch die Blumenhändlerin Emilia Schade keineswegs zufällig gestorben war. Ein freundlicher Smalltalk vor Ladenschluss, heimlich etwas Gift in den Tee und die Sache war erledigt. Ein Herzinfarkt zum Feierabend. Tragisch, nicht? Er gluckste maliziös. Er konnte sie eh nie leiden, auch wenn er immer höflich gewesen war. Sie wuselte im Haus rum, nervte penetrant, wollte alles wissen, fragte zuviel. Da musste sie halt weg. Und jetzt er. Man würde ihn irgendwann vermissen. Sie würden ermitteln, da war er sich sicher, aber keine Spur finden. Denn er konnte bedeutend mehr, als ihm seine Umwelt zutraute, das galt körperlich und mental. Er war in bemerkenswerter Form, und solange man im allgemeinen was anderes von ihm annahm, bedeutete es die perfekte Tarnung. Er liebte dieses Versteckspiel. Im Schauspielern, Tricksen, Täuschen, sich anpassen und harmlos geben machte ihm keiner etwas vor. Er war niemals der, für den ihn alle hielten. Er würde die Leiche in seinem Versteck deponieren, die Säure würde ihr Werk leisten und dann wäre er weg, wie so viele andere vor ihm. Nie würden sie ihn zu fassen kriegen! Er trug den toten Dennis Schwarzkopf die Treppen hinunter, zurück zum unterirdischen Bunker im Bereich des Schuppens mit direkter Verbindung zu Keller und Laden - Geheimwege, die nur er auf dieser Welt kannte, wo allein er regierte, wo Sachen zu finden waren, von denen die man wenige Meter nebenan nichts ahnte. Und so würde es bleiben. Der nächste stand schon auf der Abschussliste. Dieser seltsame, verschrobene, spinnerte Stüber da oben, der sich hier eingenistet und allen Ernstes ins Hirn gesetzt hatte, die Bruchbude zu renovieren. Auch er gehörte demnächst beseitigt, sonst würde er sein Geheimnis vielleicht aufdecken. Willy Haußner lachte angesichts des Gedankens, dass sich selbst der schlaueste Kriminalist am spurlosen Verschwinden des jungen Reporters Dennis Schwarzkopf vergebens die Zähne ausbeißen würde.

 
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Hallo,

Wie ein bedauerlicher Betriebsunfall inmitten des sonst eher gutbürgerlichen Stadtviertels mit den vielen renovierten Gründerzeitbauten stand es seit vielen Jahren unbeirrt an seinem Platz. Der Putz bröckelte von der Fassade des relativ kleinen Zweigeschossers und gab den Blick auf das darunterliegende Mauerwerk frei, der Schornstein ragte schief in die Höhe und auf dem Dach hatte sich längst beachtlicher Pflanzenbewuchs seinen Weg gebahnt. Zuweilen sah man Tauben aus den halboffenen Dachgeschossfenstern flattern, während der verwilderte Hinterhof mit seinem vielen Grün an einen Urwald erinnerte.
Du präzisierst schon präzise Substantive durch allgemeine Adjektive und die relativierst du noch mal mit Partikeln in dem Absatz.
Das ist so als würdest du Stützräder an die Stützräder von Fahrrädern montieren, die absolut okay sind.

Ein „bedauerlicher“ Betriebsunfall – wann wäre ein Betriebsunfall je zu bejubeln gewesen?
„des relativ kleinen Zweigeschossers“ – da sagst du uns, wie groß das Haus ist (2 Geschosse), dann sagst du uns, dass das klein ist (aha), und zwar in Relation zum Rest
„das darunterliegende Mauerwerk“ – Wenn Putz von der Fassade bröckelt, gibt das den Blick auf Mauerwerk frei – darunterliegende sind sechs Silben und jede einzelne von denen ist unnötig.

Du hast Vielsilber in dem Abschnitt ohne Ende. Es gibt einen Stilratschlag: "Vielmaster kappen" - damit gemeint ist: Alles was vier Silben oder mehr hat, ist schon stark verdächtig. Soweit würde ich nicht gehen. Aber wenn sie so gehäuft vorkommen ... das ist wie beim Schiffe versenken, da hat man auch nur wenige von den richtig langen.

Inmitten der renovierten Gründerzeitbauten stand es wie ein Betriebsunfall an seinem Platz. Der Putz bröckelte von der Fassade des Zweigeschossers, der Schornstein ragte verkrüppelt in die Höhe und auf dem Dach wuchsen (spezifische Plafanzennamen). Zuweilen sah man Tauben aus den Dachgeschossfenstern flattern, während der Hinterhof an einen Urwald erinnerte.

Nach Abschluss seines Journalistenstudiums hatte er sich lange mit wenig lukrativen Nebenjobs durchgeschlagen, und nur alte Kontakte und eine gehörige Portion Glück verhalfen ihm vor der kompletten Frustration zu einer Stellung, die es ihm mittlerweile gestattete, als Freischaffender von selbst verfassten Reportagen und Beiträgen relativ entspannt zu leben.
„Journalistenstudium“ – das gibt es in der Form … nicht so richtig. Das müsste, wenn man es verwendet, dann ausgeführt werden. Es gibt einige Elite-Schulen für Journalisten, die gezielt an große Blätter angeschlossen sind. Und es gibt das Studienfach „Journalistik“ an einigen Hochschulen, aber das ist kein Studium wie Jura oder Medizin.
Ansonsten ist das hier ein bisschen seltsam: „Es verhalf ihn in eine Stellung“ – aber er ist doch Freiberufler? Da verheddern sich die beiden Bedeutungsmöglichkeiten von Stellung: Anstellung und Lage.

Nicht zuletzt seine Ausdauer, Beharrlichkeit und enorme Willensstärke, die sich in der Qualität der Arbeit niederschlugen, hatten inzwischen schon manch einem Chefredakteur Respekt abgenötigt, auch wenn das ein oder andere Lächeln angesichts seines ungestümen Übereifers nicht immer ausblieb.
Ich finde das ist furchtbares Deutsch. Es ist aufgeblasen, man sieht nichts, es ist bürokratisch, wenn man da mal näher sieht „wenn das ein oder andere Lächeln angesichts seines ungestümen Übereifers nicht immer ausblieb.“
Doppelte Negation an so einer banalen Stelle. „ungestümer Übereifer“ – das ist der gefühlte achte Pleonasmus in dem Text.
Ich frag mich: Für wen hast du denn das geschrieben? Willst du den Leser beeindrucken mit solchen Sätzen? Mich beeindruckst du damit nicht. Das sind ja Sätze mit Worthülen und Luftblasen hier, das lädt dazu ein, überall mal die Luft rauszulassen.
„Ausdauer, Beharrlichkeit und enorme Willensstärke“ – das ist dreimal dasselbe Wort, wie Nudeln mit dreierlei Käse.

Der grausame Sachverhalt ließ sich in wenigen Worten zusammenfassen.
Da musste ich schon lächeln. Das scheint dem Text kaum zuzutrauen zu sein.

Also … ich kann mit dem Stil wirklich nichts anfangen, vielleicht kann dir jemand, der Texte mag, die so wortreich geschrieben sind, da ein Lob aussprechen, ich bin da auf keinen Fall die Zielgruppe. Wenn man lange Sätze baut und VIelsilber verwendet, dann muss man die Sätze intern zusammenhalten mit Konstruktionen, mit Motiven, aber es muss dann auch einen Grund haben. Einfach zu zeigen, dass man drei Wörter für ein und dieselbe Sache kennt, das ist kein Grund, alle drei zu schreiben. Oder etwas "über" zu erklären, nur damit der Leser sich genau das Bild vorstellen kann, was der Autor im Kopf hat – das ist nicht gut. Lieber den Leser dazu animieren, selbst das Bild zu malen, als ihm bürokratisch Anweisungen zu geben und ihm noch das Denken abzunehmen.

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Quinn

 

Dass eine Kurzgeschichte eher leichte Kost sein sollte, wäre mir neu, Scanharry.

Also nach drei Viertel der Geschichte habe ich abgebrochen, da mir der Stil einfach zu geschwätzig ist. Unzählige Redundazen, die mir zudem teilweise ein wenig schief erscheinen (violette Dämmerung)
, umständliche Wortkonstruktionen wie "Dachgeschossfenster" (Gaube, oder Dachfenster) oder gleich in der Nachbarschaft "Zweigeschosser". Das klingt nach Zahnschmerzen, finde ich.

Mein Hauptproblem neben den eben benannten ist aber, dass ich Dir diese betuliche Beschreibung nicht abnehme, Auf mich wirkt das künstlich, aber nicht, weil die Straße in der die Geschichte spielt von scheinheiligen und Superspießern strotzt, oder von Neureichen Schnöseln entseelt (gentrifiziert) worden ist, sondern weil alles nur so trieft vor lauter Kitsch.

Ich bin bei Leibe nicht die Korifähe, aber mir war das zuviel des äh, also ... dessen.

Georg

 

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