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Morgens

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23.10.2006
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Morgens

Als B zur Arbeit ging rumorte es in seinem Kopf. Er wollte dort nicht hin, aber das lag nicht mehr in seiner Hand, seit seine Freundin ihm erzählt hatte, dass sie schwanger war. Jetzt ging es nicht mehr nur um ihn. B hatte jetzt verantwortungsbewusst zu handeln und zu tun, was sie alle taten. Es spielte keine Rolle mehr, ob der Job ihm den letzten Funken Verstand zerbröselte. Er hatte froh zu sein, dass er die Arbeit machen durfte und zum Monatsende dankbar zum Bankautomaten zu krauchen um sich einen kurzen Augenblick an den Scheinchen zu erfreuen, die er dann pflichtbewusst zuhause abzugeben hatte.

Schließlich wollten Frau und Kind versorgt sein. „Einem Mann mit Familie gehört nicht viel mehr als das, was er am Leibe trägt.“, hatte sein toter Vater einst gesagt. B nutzte jede Gelegenheit um irgendwo stehen zu bleiben und sich eine Zigarette anzustecken, einfach zur Ruhe zu kommen, die Welt vorüberziehen zu lassen und ihr friedlichen, blauen Qualm hinterher zu blasen. Das war sein kleines Paradies, das krebserregende Paradies aus der Pappschachtel. Wenn sie auch alles von ihm nahmen, wenn seine Familie ihn an die Tretmühle verkaufte und die Tretmühle ihn abends ausgelutscht zur Wiederherstellung zurück schickte, wenn sie ihn auch wie einen Maulesel mit Füßen traten und vor ihre Karren spannten, das konnten sie ihm nicht nehmen. Das Recht sich zu Schanden zu rauchen hatte er sich erhalten und er machte lebhaften Gebrauch davon.

Wie sie vorbeiwackelten, all die schmalen und breiten und straffen und wabbelnden Ärsche. Es lag so viel Pflichtbewusstsein und Freudlosigkeit in ihrem Geschlenker. Jeder dieser Arschträger tat, was er tun musste. Wer tat überhaupt noch, was er tun wollte?

„Menschen tun, was sie tun möchten, bis man von ihnen verlangt, dass sie sich „verantwortungsbewusst“ verhalten. Wenn sie anfangen sich zu verbiegen und anzupassen und sich den Zielen anderer unterordnen, wenn sie aufhören für sich zu leben, beginnen ihre Züge langsam aber sicher zu versteinern. Anfangs kämpfen sie noch dagegen an und gewinnen diesem oder jenem noch ein leises Lächeln ab. Früher oder später aber versinkt alles in einheitlichem, pflichtbewusstem grau.
Sicher gibt es auch viele, die das nicht hinnehmen wollen. Sie kämpfen dagegen an und werden kirre im Kopf um sich dann den Rest ihres Lebens von drallen Pflegerinnen mit ausdruckslosen Gesichtern durch die Gegend schieben zu lassen. Oder sie kapitulieren und sparen sich die Mühe. In diesem Fall landen sie früher oder später mutterseelenallein unter Brücken und in Kanälen und lassen sich von kleinen Jungs angaffen, die in den schicken Schlitten ihrer pflichtbewussten Eltern vorbeifahren, die Türknöpfe heruntergedrückt und mit Bleifuss.“, er blies eine blaue Wolke in die kalte Morgenluft.

„Haste mal ne Fluppe“ eine graue, abgewrackte Gestalt stand plötzlich vor ihm. Ein paar struppige Fäden Haar wehten unter seinem löchrigen Hut hervor, an der Jacke fehlten die Ärmel und das Flanellhemd hatte er sich offensichtlich in fetteren Zeiten zugelegt. Wortlos griff B in seine Tasche, zog sein geschachteltes Paradies hervor und schnippte dem Penner eine raus. Ein angenehmer Zeitgenosse, verstand sofort, dass Gesülze hier nicht erwünscht war, hielt den Mund, nahm sich die Zigarette und wandte sich zum gehen. B überlegte noch, ob er ihn in ein kurzes Gespräch verwickeln sollte. Nicht aus Anstand oder Höflichkeit, sondern aus Neugier. Vielleicht erhoffte er sich auch nur etwas zusätzliche Motivation, ein weiteres Argument zur Arbeit zu gehen.

„Die meisten von uns sehen sich gern Penner an, sie machen, daß wir uns besser fühlen. Die warme Heizung zuhause wirkt noch etwas wärmer, die Couch bequemer, die Frau schöner und die Suppe genießbarer. Es schläft sich einfach besser, wenn man weiß, dass die Penner draußen frieren, dafür ein Dankeschön an euch Vagabunden und gestrandete.“, am letzten Zug verbrannte er sich ein wenig die Lippen.

Er trat seine Kippe aus und ging zurück in den U-Bahnhof. Die Uhr zeigte die selbe Zeit wie jeden Morgen, der Zeitungsverkäufer stand mit dem selben Grinsen am selben Fleck wie jeden Morgen und er glaubte sogar, die selben Menschen vorübergehen zu sehen, wie jeden Morgen. Diese Trostlosigkeit, diese elende Monotonie. Er schlenderte hinunter zur Bahn und alles in ihm sträubte sich gegen dieses Leben. Er ging immer bis zum letzen Wagen, weil der um diese Zeit meistens leer fuhr. Nicht an diesem Morgen. „Los Kinder, wir gehen ganz nach hinten“, zwitscherte eine rosige Dame und ein fiependes, gackerndes Meer von kleinen Wollmützen, Kapuzen und Schirmkappen schwappte schnurstracks in seinen Waggon, seine Oase der Ruhe vor dem Sturm, vor dem Terror des Angestelltendaseins. Sie hatten keine Ahnung mit all ihrem Grinsen und Kichern und Strahlen. Wenn sie wüssten welch ein Sumpf sie erwartet, sie wären genauso still und verstockt und würden genau so irre dreinblickend in der Ecke stehen wie die, die das Leben bereits eingeholt hat, wie er.

„Es sind ja nur 2 Stationen“, dachte er sich und fummelte sich den dicken Schal vors Gesicht. Am liebsten hätte er ihn sich bis über die Augen geschoben. „Augen sind ein Fluch, dieses ewige sehen und gesehen werden. Blicke sind Gift, Säure, die sie in deine Richtung spritzen.“, hämmerte es in seinem Kopf und ständig dieses: „Wozu das alles? Wofür tu ich mir das an? Wird es je besser? Wird es je anders werden, lebenswerter, bunter oder fröhlicher?“ Alles widerte ihn an. Der wohlwollende, triefige Gesichtsausdruck der rosigen Dame, das lebensfrohe Getue der Kinder und die ganze Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens Leben.

„Nächster Halt: Kurfürstenstraße“, es war zehn Minuten nach acht und wie jeden Morgen hatte er noch eine Station zu fahren. Wie jeden Morgen würde er dort über die Treppen an die Oberfläche steigen, sich eine letzte Zigarette anstecken und gegen den Drang kämpfen es aufzugeben und einfach allem den Rücken zu kehren. So verlockend der Gedanke, sie mit all ihren Pflichten und Überwindungen und ihrer Vernunft im Stich zu lassen. Er wünschte sich, die Bahn würde irgendeinen armen Teufel überrollen und dann Stunden im Tunnel feststecken. Bange Stunden, eingesperrt mit einer Horde Kinder. Der Gedanke schien ihm geradezu paradiesisch im Vergleich zu diesem Höllenvorhof, diesem Arbeitsplatz, dieser Küche.

Es fand sich niemand zum Überrollen und auch sonst wollte sich keine Verzögerung der Fahrt einstellen. Gleich würde er dort sein, das Denken abschalten und wie jeden Morgen funktionieren. Funktionieren, um Frau und Kind durchzubringen, um verantwortungsbewusst zu handeln, um zu tun, was sie alle überall auf der Welt tun. Er stemmte sich aus seiner Ecke und ging zur Tür. „Netter Hintern, und wie er damit schlenkert“, sagte die rosige Dame zu ihrer Kollegin.

„Nächster Halt: Uhlandstraße“

 
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Hallo Fossey,

wo fange ich an?
Also sparchlich finde ich hast du was drauf! Da sind ne Menge guter Sätze drin.
Ich stelle mir einen jungen Mann vor, der unbeabsichtigt und viel zu jung zum Vater gemacht wurde. Sehr gute Idee für eine Story! Denn man liest immer nur von den jungen Mädchen, die in Mutter-Kind-Heimen unterkommen, die verurteilt werden weil sie ihr Neugeborenes abgeben oder schlimmer noch umbringen (gerade aktueller Fall in Köln, wo eine junge Frau ein Baby in einem Cafe zur Welt bringt, abhaut, Kind tot, wird verurteilt, reisserische Berichterstattung im hiesigen Boulevardblatt, wohlgemerkt nur über die Mutter, über Vater kein einziges Wort!) Wo sind die Väter? Wie geht es den Vätern? Ja für mich richtig interessantes Thema, denn es interessiert mich, wie geht es den Vätern, die sich in der Pflicht fühlen?
Und da kommt von dir Gejammere sich in der Pflicht fühlen müssen wegen Frau und Kind. Klar Job ist Tretmühle, selbst für die, die sich bewußt für Familie entscheiden und älter sind. Aber ich dachte echt, ich erfahre was über die Gefühlswelt dieser jungen Väter.
Nee, statt dessen Heulen weil man arbeiten muß! Hallo, das muß man auch, wenn man keine Familie hat, wenn man für sich selbst verantwortlich ist!

Rauchen erzeugt Krebs und bumsen Kinder.

Das weiß wohl mittlerweile jedes Kind! Es scheint versäumt worden zu sein, darüber aufzuklären, dass man für sein Handeln auch Konsequenzen tragen muß!
Und da kommst du mit deiner Geschichte und beschwerst dich genau über diese Tatsache.
Sowas regt mich auf!
Das Leben besteht eben nicht nur aus Discobesuchen und Handyverträgen.

Funktionieren, um Frau und Kind durchzubringen, um verantwortungsbewusst zu handeln, um zu tun, was sie alle überall auf der Welt tun.
was tun sie denn deiner Meinung nach überall auf der Welt? Verantwortung tragen?

Und der Schluß, was soll er mir sagen?

Tut mir leid, deine Story, die echt was hätte sagen können, sagt mir nichts anderes als das wir uns weiter zur Spaßgesellschaft entwickeln sollen und wer sich dahingehend nicht mehr entwickeln kann, ist ein armes Schwein..weil er hat ja so was Überflüssiges wie Frau und Kind....

Katinka

 

hmmjoa

hi Katinka,

ich bin noch recht unerfahren wenn es darum geht Geschichten wirklich gezielt zu entwickeln. Ich denk dabei nicht an irgendeine Botschaft und verfolge auch selten ein bestimmtes Ziel. Ich schreibe einfach drauflos und freu mich, wenn am Ende was lesbares dabei herauskommt.

Das "Gejammere" hat sich wahrscheinlich eingeschlichen, weil ich bis vor kurzem einen Job hatte, der mich heillos überforderte und vor allem psychisch sehr mitgenommen hat. Am Ende hatte ich einen Panikanfall am Arbeitsplatz und war gezwungen zu kündigen. Diese Einstellung zur Arbeit, die da mitschwingt, rührt aus dieser Zeit, als ich morgens wirklich in nackter Angst zur Arbeit fuhr. Allerdings kann ein unbeteiligter Leser das nicht ahnen, also geb ich dir Recht, was das Gejammere angeht.

Ein anderer Gedanke im Hintergrund ist, daß ich nicht akzeptieren will, daß Arbeit gleich Qual und Zwang und bloße Monotonie und stumpfe Pflichterfüllung ist. Ich möchte meine Arbeit gern tun. Sie sollte meinen Stärken und Interessen entsprechen und keine Last sein.

Was hier klingt wie: "ich hab keinen Bock zu arbeiten, muss es aber wegen Frau und Kind", heißt in meiner Wirklichkeit: "Ich habe Angst davor, Jobs machen zu müssen, die mich innerlich töten und verbrennen, Jobs, die mir so sehr widersprechen, daß es weh tut, damit meine Familie zu essen hat."

Ich glaube, daß viele Väter sich in dieses Schicksal fügen und Arbeiten verrichten, die Teile von ihnen über die Zeit komplett ausradieren. Was sie dort verlieren, bekommen sie nie mehr wieder, aber sie schalten ihr Schmerzempfinden diesbezüglich ab und funktionieren, weil sie es müssen, weil sie als Familienväter in der Pflicht stehen. Diese Fähigkeit das Denken und die zermürbenden Zweifel "abzuschalten", die ich auch meinem Protagonisten zugestanden habe, fehlt mir in der Realität. Daher meine Ängste, denn auch ich stehe als Vater in der Pflicht.

Der Schluss bezieht sich auf etwas, das ich weiter oben geschrieben habe. Es ging um Ärsche und das Pflichtbewusstsein, das in ihrem Schlenkern lag. Am Ende stellt der Protagonist das Denken ein und wird selbst zu einem dieser "pflichtbewussten Schlenkerer". Er selbst bemerkt es nicht, hat ja das Denken eingestellt, aber außenstehende (hier repräsentiert durch die rosige Dame) erkennen es ebenso deutlich wie er, als er rauchend vorm U-Bahnhof stand.

Was Aussagekraft und Struktur einer Geschichte angeht, muss ich noch sehr viel lernen. Aber Kritik wie deine hilft mir dabei. Vielen Dank dafür :-)

Gruß

ben

 

Hi Fossey,

Am Ende hatte ich einen Panikanfall am Arbeitsplatz und war gezwungen zu kündigen.

genau das ist erzählenswert.

Allerdings kann ein unbeteiligter Leser das nicht ahnen, also geb ich dir Recht, was das Gejammere angeht.
das eben ist die Kunst, unsere Gedanken, Erfahrungen in Geschichten zu verpacken, die der Leser versteht ohne etwas zu wissen

Ich habe Angst davor, Jobs machen zu müssen, die mich innerlich töten und verbrennen, Jobs, die mir so sehr widersprechen, daß es weh tut, damit meine Familie zu essen hat."

das ist genau das Gegenteil von dem, was ich aus deinem Text herausgelesen habe und dieser Satz : "das es weh tut, damit meine Familie zu essen hat" ist richtig schön, da ist Gefühl drin, das macht nachdenklich. Erzähl es!
Du hast völlig recht, dass viele Menschen aus Pflichtbewußtsein einen Job machen, der sie krank und unglücklich macht. Das ist aber erst nur mal eine Tatsache, die wir kennen, das macht noch keine Geschichte. Ich hoffe, du verstehst was ich meine.

Sprachlich hat deine Geschichte was, du weißt mit Worten umzugehen, darum denke ich, du solltest weiter machen.
Außerdem hast du bewiesen, dass du sehr gut mit Kritik umgehen kannst und meine war ja nun wirklich hart.

Freue mich auf deine nächste Geschichte!

LG
Katinka

 

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