Nach zwanzig Jahren Eheglück...
Nach zwanzig Jahren Eheglück...
Manche Dinge verfolgen einen ein Leben lang...
„Paul...“
Da kann man gar nichts dagegen machen...
„Paul...?“
So sehr man sich auch anstrengt...
„Paul??? HERRGOTT PAUL WAS IST DENN ABER MIT DIR LOS?“
Bilder. Es sind Bilder, die einen verfolgen... B-i-l-d-e-r...
„Ähm – ja?“
„Wo warst du denn aber? Mensch! Es ist gefährlich hinterm Steuer eines Autos zu schlafen! Verdammt gefährlich sogar!“
„Tut mir leid, Liebes.“
„Jajajaja – es tut dir leid! Es tut dir leid!“
Und während sie noch so weiter gluckste, überlegte er, wo er war.
Bilder. Ach ja – Bilder, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen... Sie sind... –
„Du gefährdest nicht nur mich und dich selbst, sondern auch das Kind hinter dir. Deinen vier Jahre alten Sohn! Schon mal dran gedacht?“
Sie wird keine Ruhe geben... Manchmal ist es besser, die Dinge einfach hinter sich zu lassen... Besser... Manchmal... Dinge... Bilder...
„Herrije, ich sagte doch, es tut mir leid!“
„Damit allein ist es nicht getan! Wenn doch was passiert wäre... wenn du in einen Baum gefahren wärst... oder...“
Er hörte nicht mehr zu.
Er fuhr an den Straßenrand dieser Ödnis hier. Sie mußten ja auch unbedingt den Highway nehmen – sie mußten ja auch unbedingt durch Texas reisen... sie mußten ja...
Er brachte den Wagen zum Stehen.
„Was soll der Scheiß? Paul, was soll dieser gottverdammte Bockmist! Gib gefälligst Gas! Ich hab keine Lust, hier zu verrecken, in dieser bescheuerten Wüste!“
Wer wollte denn hier herkommen, Schatz – du oder ich?
Und da waren dann noch diese Bilder der Vergangenheit, die ihn anzogen.
„Ingrid...“, flüsterte er.
„Was?! Bist du jetzt total übergeschnappt? Fahr! Fahr! Fahr!“
„Ingrid...“
Bilder. Hochzeitsbilder waren das. Zwanzig Jahre. Zwanzig Jahre war es schon her.
Er sah ihr kurz in die großen, blauen, alten und herrschsüchtigen Augen.
Speichel sprühte von ihren Lippen, wenn sie sprach – direkt auf sein Gesicht.
Hochzeitsbilder. Tata tata tata --- Willst du, Paul Benetti Ingrid Holler zu deiner Frau nehmen?
Ja, ich will.
Jetzt aber – wollte er nicht mehr.
Sie saß neben ihm im Wagen und tobte. Dann fing auch noch der Sohnemann an zu heulen, zu kreiiiiischhen – ein gelungener Tag.
„Halt die Klappe“, hauchte er und ballte die Hand zur Faust.
„Was hast du gesagt? Hey, komm‘ mir nicht so! Komm‘ mir ja nicht so! Du blöder Sack, du, du...“
Ihre Lippen bebten und als er ihr einen Blick zuwarf, stieg er entschlossen aus dem Auto aus.
Es war heiß. Die Sonne brannte ihm fast ein Loch ins Hirn.
--- Bilder... Es sind Bilder, nicht wahr? ---
Er ging um den Wagen herum, machte die Beifahrertür auf und warf seine Frau, seine Geliebte, seine Freundin und seine kostenlose Hausangestellte - einfach auf die Straße.
Sie saß auf dem staubigen Boden und starrte ihn an.
„Was soll das? BIST DU DENN TOTAL VERRÜCKT GEWORDEN! DU ALTES KAMEL! DU BESCHISSENER KASANOVA! DU SCHEISSE DU SCHEISSE DU SCHEISSE!!!“
Sie machte wieder Anstalt aufzustehen - aber er war schneller.
--- hehehehehehe ---
Er setzte sich gelassen auf den Fahrersitz und warf den Motor an.
Der (schon etwas gestörte, vierjährige) Sohnemann kreischte und gluckste: „Mama... Mama... Mama...“
„Halt die Klappe“, sagte Paul ruhig.
Bilder in meinem Kopf. Total bekloppt... Verrückt geworden.
Manche Dinge verfolgen einen ein Leben lang...
Als Ingrid merkte, was Paul vorhatte, war sie mir-nichts-dir-nichts auf den Beinen und wollte die Beifahrertür aufmachen. Sie kreischte, fluchte, schrie – sie tat all das, was sie schon immer getan hatte.
Paul hielt die Beifahrertür zu, drückte das Knöpfchen herunter und sah ihr grinsend ins Gesicht. Durch die verschmierten Fensterscheiben hindurch, so fand Ingrid, wirkte er irgendwie... wahnsinnig.
„Bye bye, Schätzchen. Tschüß mein Schatzimausi. Tschüß mein Herzchen!“
Und dann gab er Gas. Sah sie im Rückspiegel immer kleiner werden. Sein Grinsen verwandelte sich in hysterisches Gelächter.
Mitten in dieser Ödnis – ha ha. Mitten in der Wüste!
„Jjjiiiippeeeyyyyy!“, kreischte er.
Ingrid (weit hinter ihm) hüpfte auf und ab, schrie und schrie und schrie.
Sie hatte kein Wasser bei sich – es würde nicht lange dauern. Immer vorausgesetzt, es kam keiner vorbei, klopfte an ihren ausgetrockneten Schädel (POCKPOCK) und sagte „Hallo“.
„Willst du, Paul Bennetti Ingrid Holler zu deiner Frau nehmen?“, sagte er laut diesen verfälschten Satz seiner verherrenden Hochzeit.
Seine Stimme ging wieder in ein Lachen über.
Das Auto schwankte – aber das war Paul egal.
„NEEEEIIIINNNN WILL ICH NICHT!!! NICHT DIESE DRECKSHURE VON EINER PROSTITUTIERTEN!!!! NEEEEIINNNN NIEMALS NIEMALS NIEMALS!!!!!“
Er hatte das zwar zwanzig Jahre zu spät gesagt, aber was machte das schon – besser spät als nie.
Er drückte das Gaspedal voll durch und überlegte sich, wie er den Sohnemann entwenden konnte, wenn er ihm auch mal auf den Geist ging.
27. Sep. 2001