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Nachtlicht

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07.03.2013
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Nachtlicht

"Nacht, Liebling." Lucys Mutter küsste sie auf die Stirn.
"Mommy?"
"Ja?"
"Lässt du das Nachtlicht an?"
Lucy zog sich rasch die Decke bis unter die Augen.
"Natürlich, Schatz." Lucys Mutter nickte verständnisvoll, steckte die kleine Plastiklampe in die Steckdose neben der Tür und schaltete sie ein. Sogleich wurde das Kinderzimmer in grünes Licht gehüllt.
"Wir hätten wirklich eine andere Farbe aussuchen sollen, findest du nicht?", fragte Lucys Mutter während ihre Blicke skeptisch durch das Zimmer wanderten.
"Nein, ich mag' s. Es sieht aus wie die Wälder in meinen Büchern." Lucy grinste und ließ langsam die Decke auf ihre Brust zurücksinken.
"Wie du meinst, aber falls du wieder Albträume bekommst, huscht du in Mommys und Daddys Bett, okay?"
"Ja, mach ich."
"Gut. Nun schlaf schön, Liebling. Hab dich lieb."
"Ich hab dich auch lieb", murmelte Lucy.
Lucys Mom schloss die Tür und schlich über den Korridor in ihr Schlafzimmer. Lucy kam es wie eine halbe Ewigkeit vor. Mommys und Daddys Zimmer war echt weit weg. Wie diese gruseligen Gänge in den Büchern. Lucy zupfte ihre Decke zurecht und schnappte sich ihre Kuscheltier-Ente, Mrs. D, die sie vor ein paar Monaten zu ihrem fünften Geburtstag bekommen hatte. Dann parkte sie sie samt der Sammlung von Kissen vor ihrem Gesicht; gerade so, dass sie noch einen Spalt frei hatte, um ihr Zimmer im Blick behalten zu können.
"Zeit zu schlafen, Mrs. D", flüsterte sie und schloss die Augen...

Und öffnete sie. Nichts.
Und schloss sie. Schwärze.
Und öffnete sie. Grüne Wände, grüner Schrank, grüne Schatten. Stille.
Und schloss sie. Schwärze. Schwere, fesselnde Schwärze.

Lucy musste eingeschlafen sein, denn als sie die Augen öffnete, lag Mrs. D auf dem Boden und ihre Kissen waren auf dem Bett verteilt.
"Mrs. D?", fragte sie und rieb sich die Augen. "Hab ich dich runter geworfen?"
Lucy befreite sich von ihrer Decke und beugte sich zum Boden hinunter. Sie griff Mrs. D am Bein... und erstarrte.
Beine. Dürre schwarze Beine. Wie tote Äste. Im Schatten. Neben dem Schrank.
Lucy riss sich aufs Bett zurück und gierte nach Luft. Nichts. Keine Beine. Lediglich ihr Kleiderständer ruhte unschuldig neben dem Schrank. Lucy presste Mrs. D fest an sich und starrte in den Schatten neben dem Schrank. Doch es passierte nichts. Sie beruhigte sich und schlüpfte wieder unter ihre Decke. Das grüne Licht erschien ihr nun heller als noch vor ein paar Stunden.
"Mommy sagt, die Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit", murmelte sie in Mrs. D's Ohr, um sich zu beruhigen. Lucy starrte noch ein paar Minuten in die Schatten ihres Zimmers, bis sie das Knarren der Bodendielen und das Wispern des Windes in den Schlaf wiegten. Sie hatte normalerweise fürchterliche Angst vor diesen Geräuschen, doch die Müdigkeit übermannte sie von Sekunde zu Sekunde mehr. Lucy schlief ein.
Ein langer Korridor. Beengt. Staub kratzt in meiner Nase. Wände hoch wie Bäume. Schwarzer Samt klebt in Falten an ihnen wie alte Haut. Blutrote Wurzeln in den Löchern der Decke. Sie pulsieren. Jemand steht dort- am Ende des Korridors. Er winkt mir zu. Finger. Lange rote Finger. Nein- Krallen. Krallen so lang wie seine Beine. Diese Beine. Schwarz und dürre. Er atmet- schwach und krächzend. Brodelnd und stinkend. Es stinkt bis hier. Wie faule Eier. Was bist du? Es verrenkt den Kopf. Es kommt auf mich zu. Langsam, unnatürlich, schneller. Es rennt. Es kommt näher. Gleich ist es bei mir. Ich kann mich nicht bewegen.
Es ist weg.

Lucy schreckte hoch. Sie war schweißgebadet. Ihre Haare hingen zu Strähnen im Gesicht; die Kissen waren übersät mit Flecken.
"Mrs. D! Mrs. D!", hauchte sie aufgeregt. Lucy fand die Ente am Fußende des Bettes. Sie kroch langsam zu ihr, immer wieder vorsichtig durch das Zimmer blickend. Sie griff Mrs. D's Bein und zog sie in ihr Gesicht.
"Nein, wir gehen nicht zu Mommy und Daddy. Wir haben keine Angst, okay, Mrs. D?" Lucy starrte in die Augen ihres Kuscheltieres, als erwartete sie eine Antwort. Doch es schwieg.
Lucy rümpfte die Nase, als sie plötzlich einen beißenden Geruch wahrnahm. Ihre Nackenhaare stellten sich auf.
Faule Eier.
Etwas atmete hinter hier. Schwach und krächzend. Brodelnd und stinkend. Lucy wimmerte und krallte die Finger in Mrs. D. Dann fuhr sie herum.
Nichts. Der Geruch war verschwunden, das Atmen erstorben.
Da ist nichts, du Dummerchen. Du bist groß. Du hast keine Angst. Mrs. D ist bei dir. Jetzt schlaf endlich.
Lucy streichelte sanft der Ente über den Kopf. "Jetzt schließen wir die Augen und egal was wir hören oder riechen, wir öffnen sie nicht wieder, okay?", stammelte sie. Wieder blickte Lucy in die glasigen Augen der Ente und erneut antwortete sie nicht. Doch etwas anderes war da. Es spiegelte sich in ihren Augen. Etwas an der Decke. Im schwachen grünen Licht.
Das Windspiel. Schön wie es sich bewegt. Das Fenster ist geschlossen. Wieso bewegt es sich? Sind das Krallen?
Lucy drehte sich um. An der Decke hing das Wesen aus ihrem Traum. Die Beine schwarz, dürr und lang. Knorrige rote Krallen bohrten sich in die Decke. Geifer rann in Bächen aus dem aufstehenden Maul und tropfte auf das Bett.
Mommy! Daddy!
Die Kreatur kroch die Decke entlang, die Wand herunter und auf das Bett. Sie verharrte wenige Zentimeter vor Lucys Gesicht.
Dieser Gestank. Diese Augen.
Lucy krallte sich noch fester in Mrs. D. Sie wollte ihre Augen schließen, doch es gelang ihr nicht. Das Wesen hob seine Krallen und strich Lucy durchs Haar. Ein breites falsches Grinsen wucherte im Gesicht der Kreatur.
"Was willst du?", stammelte Lucy. Mehr ein Hauchen als ein Flüstern. Das Untier erstarrte. Blickte sie aus tiefschwarzen Augen heraus an. Ihr Kopf knackte abartig und ihr Maul öffnete sich- weiter, immer weiter.
"DICH!", schrie es.
Lucy erwachte. Sie wand sich und weinte.
Halb vor Angst, halb vor Erleichterung.
Ein Traum. Ein Traum. Ein Traum.
Sie schnappte sich Mrs. D und riss ihre Zimmertür auf. Mit flinken Schritten tapste sie den Flur entlang. Sie klopfte nicht erst, sondern öffnete direkt die Schlafzimmertür und sprang ohne Umwege in das Bett zu ihren Eltern.
"Alles okay, Schätzchen?", fragte ihre Mutter verschlafen.
"Ein Albtraum, Mommy."
"Das Tut mir leid, Süße. Du kannst hier schlafen, okay?"
"Ja... Mommy? Ich will doch eine andere Lampe."
"Mhm, okay. Ich hab's dir ja gesagt. Gruselige kleine Lampe. Genau wie die alte Dame, die sie uns verkauft hat. "Sie dürfen Sie für den halben Preis Ihr eigen nennen. Und ich verspreche Ihnen, dass all Ihre alten Ängste nie wieder von Bedeutung sein werden."
Nun schlaf schön, mein Engel." Lucys Mutter nuschelte noch etwas und schlief dann sofort wieder ein.
Lucy kuschelte sich zwischen ihre Eltern und zog die Decke über ihre Nase. Nervös schaute sie zur Tür heraus, die sie in der Eile vergessen hatte zu schließen. Schwarz lag der Korridor vor ihr. Nur das grüne Licht ihres Zimmers kroch in der Ferne durch einen Spaltbreit über den Flur. Lucy war todmüde. Sie versuchte sich zu beruhigen, indem sie Mrs. D dichter an sich heranzog und die Augen schloss...

Und wieder öffnete. Nichts.
Und wieder schloss. Schwere, fesselnde Schwärze.
Und wieder öffnete. Die Kinderzimmertür war verschlossen, der Flur schwarz. Der Geruch fauler Eier schwängerte die Luft. Und aus den Bäuchen der Eltern durchbrach ein Geflecht rot glühender Wurzeln die Endlosigkeit der Finsternis.

 

Hallo Karl Daunen,

mir gefällt deine Geschichte sehr gut, ich mag, dass es so eine Situation ist, die jeder kennt.

Ich verstehe nur den letzen Absatz nicht:

Ihre Zimmertür war verschlossen, der Flur schwarz. Das Schlafzimmer glomm grün. Der Geruch fauler Eier biss ihr in die Nase.
Sie ist doch im Schlafzimmer der Eltern zum Schluss, mit offener Tür? Warum leuchtet das Schlafzimmer grün? Da bräucht ich vielleicht ne kurze Erklärung ;)

Lediglich ihr Kleiderständer ruhte unverschuldet neben dem Schrank.
Irgendwie eine komische Formulierung dieses 'unverschuldet'. Ich denke du meinst eher sowas wie unschuldig oder?

Grüße
Dex

 

Hallo Karl,

ich habe das Ende nicht kapiert. Ansonsten eine gute, klassische Gruselgeschichte.
Erinnert an Stephen King`s "Das Nachtgespenst".

 

Hallo, ihr Lieben!
Verzeiht mir, wenn ich mich kurzfasse, aber mit diesen verteufelten smartphones ist nicht gut Kirschen essen. Ich habe mal, so gut es ging, versucht, eure Tipps (vielen Dank nebenbei) zu beherzigen. Falls ihr noch Fehler oder Anmerkungen findet/habt, so teilt sie mir bitte mit. Ich freute und freue mich über eure Kritik und eventuell weitere anfallende Bemerkungen. Habt Dank!
Liebe Grüße,
Karl.

 

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