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Nationalsozialismus

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08.01.2006
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Nationalsozialismus

Deborah George

Der Mann, den sie fürchten

Der eisige Nordwind peitschte ihm in das blasse, mit Sommersprossen übersäte Gesicht. Was mochten sie wohl fühle? Kälte. Schmerz. Kaum einer von ihnen trug Schuhe, sie standen barfuß auf dem schlammigen, kargen Boden. Er fror, trotz der dekorierten Uniform und den gut gefütterten Winterstiefeln. Er war neu hier, als er den Befehl „Buchenwald“ erhielt, erschrak er, immer schon war er gegen die wachsende braune Macht, die für ihn das Reich an den Rand des Abgrundes drängte. Nun also sollte auch er in den Vernichtungsapparat eingebunden werden, sollte hilflose Menschen missbrauchen und quälen. Wehren. - Zwecklos. Alle mal würde man ihn an die Wand stellen und dafür, dachte er, war sein Leben zu kostbar. Vorsichtig, fast schüchtern blickte er auf die Häftlinge, vom Buben bis zum Greis, hier waren sie alle gleich – nutzloses Gesindel, von dem das Land gereinigt werden musste. Tief in seinen Herzen wollte er ihnen helfen, heimlich etwas zu Essen zustecken, ja sie sogar hinausschleusen. Plötzlich stieg der Hass in seiner Seele wieder auf, jener Hass sich selbst gegenüber, nicht genug Mut zu haben, den Mund aufzutun um seine Meinung kundzugeben. Wem schadeten diese Menschen? Wie sollten diese jungen Burschen, oft nicht älter als 15 Jahre Unheil übers Land bringen? Doch er allein konnte die Situation nicht ändern. Seine müden Augen erblickten einen jungen Mann der eilig etwas unter den zerfetzten Lumpen zu verstecken suchte, da war es auch schon passiert. Von links und rechts eilten zwei SS-Männer heran, packten den Jungen bei den Armen und schleiften ihn vom Platz. Er konnte ihn schreien hören, doch er verstand ihn nicht. Zwanghaft versuchte er es zu überhören, aber es half nichts, seine Klagerufe waren so eindringlich wie ein Starkstromschlag durch seinen Leib. Eine Hand legte sich auf seine Schulter, „ Mitkommen!“. Mit gestellter Ehrfurcht marschierte er hinter dem Lagerkommandanten in den Bunker. Was ihm sich dort darbot, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Da war er, der Junge mit dem gestohlenen Brot, die Nase bereits blutig geschlagen auf dem kalten Betonboden kauernd. „Nimm den Stock und zeig dem Judenschwein was es heißt zu stehlen!“ Eine Schar SS-Männer stand hinter ihm und erwartete nun, dass er gelehrig den Stock in die Hand nahm und solange auf den Häftling einprügelte, bis dieser leblos in seiner eigenen Blutlache verendete. Mit zittrigen Händen ergriff der den Holzstab, betrachtete ihn ängstlich. Wieder fiel sein Blick auf den Menschen zu seinen Füßen, wie alt mochte er wohl sein? Wahrscheinlich nicht älter als 16 Jahre. Woher kam er? Wo war seine Familie? Sein Kopf drohte zu platzen, sein Atem wurde immer flacher. Was sollte er tun? Der flehende Blick des Häftlings trieb ihm die Tränen in die eisblauen Augen, Tränen voller Hass. Er biss die Zähne zusammen, niemand sollte mitbekommen, was tief in ihm vor sich ging. Die Stimmen der SS-Männer halten durch den Raum: „Nun mach schon, dieses Pack muss ausgerottet werden!“ Seine Knie wurden plötzlich so weich, dass er drohte in sich zusammen zu brechen. Er konnte es nicht, er konnte diesen Menschen nicht prügeln. Der Stock fiel aus seiner Hand auf den Boden vor seine Füße. Nun konnte er die Tränen nicht länger zurückhalten, sie rannen ihm über die glühenden Wangen. „Verräter!“ Er hörte ein Klicken hinter seinem Rücken, er wusste was passieren würde. Schnell schloss er die Augen, hielt den Atem an und plötzlich hatte er keine Angst mehr.
„Mörder!“

9. Dezember. 2005

 

Hallo Pearl, und herzlich willkommen auf kg.de! :)

Also der Ansatz, das Gewissen eines Soldaten zu zeigen, der nicht mit dem System einverstanden ist, aber trotzdem zum Mitspielen gezwungen werden soll, gefällt mir schon sehr. Dass er bei seiner Meinung und seinem Gefühl geblieben ist, finde ich stark, bei dem Druck, dem er ausgesetzt war; ob es allerdings taktisch besonders klug war, ist eine andere Frage, denn so konnte er niemandem mehr helfen und der Junge ist sicher trotzdem verprügelt worden...

Als Geschichte finde ich die Umsetzung noch ein bisschen mager – aber nicht schlecht. Du erzählst zwar alles, was notwendig erscheint, aber wenn ich noch mehr vom Protagonisten erfahren hätte, wäre ich nicht böse gewesen. Zum Beispiel: Wenn er so denkt, warum ist er dann überhaupt dabei und nicht im aktiven Widerstand? Warum haben sie ihn für den Job ausgesucht? Warum ist er gegen den Nationalsozialismus? Für den normalen Bürger war es ja nicht sofort ersichtlich, wohin sich das alles entwickelt. Was hat er gesehen oder gehört, das ihn zu seiner Meinung brachte? - Die Beantwortung dieser Fragen im Text würde einem den Protagonisten noch ein Stück näher bringen, aber Du mußt natürlich nicht, sollte nur eine Anregung sein. ;)

Was ich inhaltlich aber auf jeden Fall ändern würde, ist die Aussage der SS-Männer:

„Nun mach schon, dieses Pack muss ausgerottet werden!“
Da würde ich schreiben: »Nun mach schon, es ist nur ein Judenkind!« Das wäre realistischer, diese Aussage hab ich auch in Tatsachenberichten gelesen. Vom Ausrotten haben sie eher nicht so offen gesprochen.

Den Titel finde ich nicht besonders toll, er ist zugleich nichtssagend und Reißer. Also vielleicht verhilft er Dir dazu, daß mehr Leute die Geschichte anklicken, aber die Geschichte ist ja nicht über den Nationalsozialismus an sich, sondern sie beschreibt nur ein Detail dieses Systems. Da würde ich einen treffenderen Titel suchen.


Ein paar Kleinigkeiten noch:

»Was mochten sie wohl fühle?«
– fühlen

»Alle mal würde man ihn an die Wand stellen«
– zusammen: Allemal

»Tief in seinen Herzen wollte er ihnen helfen, ja sie sogar hinausschleusen.«
– in seinem Herzen
– ja, sie

»den Mund aufzutun um seine Meinung kundzugeben.«
– aufzutun, um

»Wie sollten diese jungen Burschen, oft nicht älter als 15 Jahre Unheil übers Land bringen?«
– Zahlen möglichst ausschreiben, solange sie keine Buchstabenwurst ergeben: fünfzehn
– Jahre, Unheil

»Was ihm sich dort darbot,«
– Was sich ihm dort darbot

»Die Stimmen der SS-Männer halten durch den Raum:«
– hallten

»in sich zusammen zu brechen.«
– zusammen: zusammenzubrechen


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Friedvolle Grüße

Wie schon meine Vorschreiber finde auch ich den Text nur bedingt gelungen, wenn auch aus etwas anderen Gründen.

Du beschreibst eine Situation aus der Nazizeit, was der Titel der Geschichte schon andeutet, stellst diese Zeit dann aber falsch dar. Die Judenvernichtung war eine Geheimoperation, an der nur linientreue Nazis beteiligt waren. Selbst der Koch der Lagerkaserne in Buchenwald war einer, der sich mit Leib und Seele der braunen Sache verschrieben hatte. Einfache Wehrdienstleistende wurden an der Front verheizt, aber nicht im KZ eingesetzt. Zu groß war die Gefahr, das etwas darüber in den Nachrichten verbreitet werden konnte. Darum wurde auch die Wannsee-Konferenz absolut geheim abgehalten. Das deutsche Volk nahm die Deportation der Juden als notwendiges Übel an, gegen das man kaum etwas tun konnte (musste?), bei einem Bekanntwerden der industriemäßigen Vernichtung hätte man aber einen Volksaufstand riskiert. Die Nazis wußten schon, das sie da eine Grenze überschritten haben.

Die Geschichte selber ist zwar gut geschrieben, lässt inhaltlich aber einiges zu Wünschen übrig. Wie ist der Protagonist zu seiner Einstellung gekommen? Warum geht er lieber selber in den Tod, als zu morden? Etwas mehr Tiefe wäre hier absolut angebracht.

@Häferl: Er war nicht im aktiven Widerstand, weil es DEN aktiven Widerstand wie in den besetzten Gebieten in Deutschland und Österreich nicht gab. Nur einige Widerstandszellen existierten, und die waren ineffektiv. Die Naziregierung repräsentierte das Volk, und das Volk stand, da Krieg herrschte, hinter der Regierung (Propaganda macht es möglich). Wer sich also gegen die Nazis wandte, wandte sich gegen das Volk und war somit Landesverräter. Die wenigen Widerständler, die es gab, und welche die Nazizeit überlebten, mußten mit diesem Makel leben.

Kane

 

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