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Neerayh

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22.09.2001
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Neerayh

Er hatte sich etwas zu schnell eine blutige Nase geholt. Sich mit Neerah anzulegen war ein fataler Fehler gewesen. Eine Weganische Navigatorin im Exil auf der Erde. Leeroy hatte bisher jeden Neuling auf der Flottenakademie auf seine persönliche Art willkommen geheißen. Sie nackt in die Männerdusche zu schicken war für ihn nun zu einer sehr traumatischen Erfahrung geworden. Wäre sie bereits entblößt gewesen, so wie jetzt, hätte er es mit Sicherheit bleiben lassen. Er hatte keine Ahnung auf was er sich einläßt. Die Informationen über ihren Heimatplaneten waren nur sehr spärlich. Sie saß nun auf seinem Brustkorb, was ihn sehr im Atmen einschränkte.
„Dort wo ich herkomme haben wir Frauen die Hosen an.“
Leeroy wollte etwas sagen.
„Überlege genau was du sagst.“
Er ließ es lieber bleiben.
„Gut so. Dann werde ich dir auch nicht weiter weh tun.“
Sie stand von ihm auf und ging in den Duschraum für Frauen. Er blieb schnaufend auf dem harten Boden des Umkleideraumes zurück.

Sie trat in eine Kabine und ließ das heiße Wasser ihren Körper hinablaufen. Ihre natürlichen blauen Haare waren im nu dunkel und sie schwenkte ihren Kopf, damit sie auf den Rücken fielen. Das hatte sie in den letzten Tagen vermißt. Das Schiff welches sie benutzt hatte war nicht für einen langen Flug gebaut worden. Die offiziellen Flugrouten zur Erde wurden seit Kriegsende immer noch von den Grey’s überwacht. Bis die endlich abzögen würden noch Monate vergehen. Sie hätte sonst einen anderen Planeten anfliegen müssen, wenn sie nicht durch das Tobar-Minenfeld geflogen wäre.
Sie war so in Gedanken versunken, daß sie gar nicht merkte, daß die Mädels gegenüber sie beobachteten. Sie kam erst aus ihren Gedanken hervor als eine der Damen sie direkt anschaute. Eine Dunkelhaarige junge Frau schlanker Figur und einer Tätowierung auf dem rechten Arm.
„Was ist?“ forschte Neerayh nach.
„Haben alle Frauen bei Euch solche Muskeln?“
„Viele. Wieso?“
„Bei uns kommen dann meistens die weiblichen Rundungen zu kurz.“
„Meinst Du die hier?“ Sie faßt sich an die Brüste und hob sie etwas an. Die anderen verließen den Duschraum.
„Yepp. Hat Leeroy Dir deswegen schon eine Überraschung bereitet?“
„Ja, aber seine Freude wurde vom darauf folgenden Schmerz wohl überschattet.“
„Wie meinst du das?“
„Ich habe seiner Nase mal meine Faust gezeigt.“
„Dann hat er ja endlich mal eine Abreibung gekriegt.“
„Macht der so etwas öfter?“
„Ja, bisher mit jedem Neuling.“
„In Zukunft wird er sich es wohl überlegen.“ Sie stellte die Dusche ab.
„Wie heißt du?“
„Tanja, und du?“
„Neerayh.“
„Ich kann dir nach dem Mittag ja ein wenig die Station zeigen. Ich lebe hier schon länger. Warst du schon mal auf der Erde?“
„Nein bisher noch nicht.“
„Ist schön dort, gehen wir danach noch runter?“
„Sicher, nichts dagegen.“

Tanja und Neerayh betraten die Kantine. Ein äußerst großzügiger Speisesaal. Er war sehr Geschmackvoll eingerichtet und im Stil des Antiken Griechenland gehalten.
„Setz dich am besten dort drüben hin, ich hole das Essen!“
„Was gibt es denn?“
„Keine Angst, es wird dir schmecken.“
Neerayh ging quer durch den Saal an einen Zweiertisch. Er war direkt an einem der großen Panoramafenster mit Blick auf die Erde plaziert. Unter ihr erstreckte sich die Tag- und Nachtgrenze und davor die Kontinente, welche einen neuen Tag heranbrechen sahen. Die Sonne wurde so geschickt durch das Fenster gefiltert, daß sie ihren Augen nicht weh tat. So hatte sie ihre Heimat verlassen. 23 Lichtjahre entfernt. Ein kleiner Anfall von Heimweh überkam sie.
„Hey, schon Heimweh?“
„Ein wenig.“
„Das geht schon vorüber, wenn du dich ersteinmal eingelebt hast.“
Neerayh schaute argwöhnisch auf die Teller.
„Was ist denn das? Sag bloß ihr eßt Röhrenwürmer.“
„Nein, das sind Spaghetti. Habt ihr keinen Nudeln?“
„Das sind also Nudeln.“ Sie lacht auf. „Zu hause habe ich keine Information gefunden was Nudeln sind. Aus was sind die Gemacht?“
„Aus Weizen und noch ein paar Zutaten. Das Rote darauf nennt man Bolgnese. Grob gesagt ist das Hackfleisch in Tomatensoße.“
„Hört sich interessant an.“
„Na das schmeckt auch. Warte, ich zeigt dir wie es geht.“
Tanja steckte die Gabel in die Mitte ihres Haufens und drehte sie ein paar mal. Neerayh tat es ihr gleich.
„Na dann wollen wir mal.“
Vorsichtig kostete Neerayh das Knäuel, welches an ihrer Gabel hing und schon dann gierig den Rest nach.
„Anscheinend schmeckt es wohl.“
„Das kann man sagen.“
„Sag, was hat dich zu uns verschlagen.“
„Der hohe Rat hat es nicht erlaubt, daß ich die Kaste wechsele. Krieger zu sein war ganz schön anstrengend. Ich zog es vor meinem eigenen Kopf zu folgen. Eure Spezies ähnelt der unsrigen dann noch am meisten. Was ist mit dir? Warum lebst du hier oben?“
„Ich kann mich am Sternenmeer und der Aussicht einfach nicht Satt sehen. Vor der Revolution war ich übrigens auch Soldat, wie fast jeder andere. Ich schule jetzt um auf Navigatorin.“
„Da haben wir ja viel gemeinsam. Ich bin bereits Navigatorin. Das Flottenkommando bestand allerdings darauf, daß ich den Kurs in Astro-Navigation voll belege. Naja, irgendwo sehe ich es auch ein. Eure Technik ist so verschieden von der unsrigen.“
„Dann wird die Theorie doch ein Kinderspiel für dich.“
„Sicherlich, aber man kann überall noch was dazulernen.“
„Wir werden hier in zwei Jahren fertig sein. In Fünf Jahren müssen wir dann nochmal die Schulbank drücken.“
„Weshalb?“
„Da ist geplant sämtliche vorhandenen Schiffstypen durch neue zu ersetzen. Das Regime vor der Revolution hatte alle Ressourcen für das Militär verbraucht. Es gibt hier Schiffe, die sind über 70 Jahre alt.“
„Euer Volk ist mutiger als ich dachte, wenn ihr euch in solchen Schiffen in den freien Raum traut.“
„Die meisten haben ihre Überlichtzulassung bereits verloren. Die SCSA war das einzige unabhängige Unternehmen.“
„SCSA?“
„Spacecraft Security Association ... Mir fällt gerade ein, daß ich die Getränke vergessen habe.“
„Ich hol sie.“
„Für mich einen Orangensaft.“
„Gut, ich bin gleich wieder da.“
Neerayh ging zu Theke und schaute die Getränkeliste durch. Was es da nicht alles gab. Bier, Kola, Wasser, Wein, Orangensaft und anderes.
„Einen Orangensaft und ein Wasser, bitte.“
Hmm, mit Wasser konnte sie erstmal nichts falsch machen. Sie nahm die Gläser in die Hände und drehte sich um. Sie stieß aus versehen mit Leeroy zusammen. Dieser hatte nun ein großes Pflaster auf der Nase. Neerayh grinste ihn an.
„Na, geht’s besser?“
„Abgesehen von meiner gebrochenen Nase ganz gut.“
„Und?“
„Hänge es bitte nicht an die große Glocke.“
„Was bitte?“
„Daß ich das Andenken von Dir habe.“
„Nun, dann bist du offensichtlich auf der Seife ausgerutscht.“
„Danke.“
Neerayh ging wieder zu Tisch.
„Das Pflaster sieht man ja noch hier hinten Leuchten. Hat ganz schön was abgekriegt.“
„Sieht doch gut aus. Versprich mir, daß du niemandem sagst, daß er das von mir hat. Ich hab es ihm versprochen als er mich gerade darum gebeten hat.“
„Du tust ihm den Gefallen?!“
„Natürlich, mit dem Schlag war die Sache für mich vergessen.“
„Ich bin jetzt ehrlich gesagt erstaunt.“
„Differenzen sind dazu da, sie beizulegen.“
„Hmm.“
„Wann geht der nächste Shuttle?“
„Kommt darauf an. Wohin willst du?“
„Da wo am wenigsten los ist und man die Natur erleben kann.“
„Skandinavien, Sibirien oder Canada.“
„Dann sage ich, mal überlegen, Skandinavien. Das klingt nicht schlecht.“
„Dann müssen wir uns beeilen. Dort ist gerade Tag und der nächste Flug geht in 20 Minuten.“
„Wollten wir uns nicht erst die Station anschauen?“
„Die Station hat Zeit.“
Die beiden standen auf und stürmten den Ausgang.
„Gut daß das Wochenende zum eingewöhnen ist. Da können wir etwas länger bleiben. In Stockholm können wir dich auch noch modisch einkleiden. Mit der Uniform willst du doch nicht immer herumlaufen?“
Tanja zeigte einen Gang runter.
„Hier geht’s lang. Der Außenlift des Docks wird dir gefallen.“
„Das glaube ich.“
„Wenn wir Glück haben, läuft gerade ein Schiff ein.“

Die beiden hatten den Lift erreicht und betraten ihn. Der Großraumlift war unbesetzt. Nun, Freitag um die Mittagszeit nicht weiter verwunderlich. Er fuhr an und führte sie in die oberen Decks. Der Anblick durch die Panoramafenster war gigantisch. Das geschäftige treiben eines Raumdocks. Im Hintergrund wurde ein Großkampfschiff zerlegt. Mehrere Shuttles und Arbeitsfahrzeuge schwirrten wie ein Mückenschwarm umher. An ihnen vorbei lief gerade ein Erztransporter in das Dock. Das erste Schiff des Wagenzuges trug den Namen Spacetiger, war Gelb-Schwarz gestrichen und am Bug prangte ein fauchendes Tigergesicht. Die erste Reaktorlüftung war total verschmiert.
„Das ist eines der neueren Modelle. Ein EN-67.“
„Wie kam es zu dieser Farbgebung.“
„Im Krieg war die Farbe für Zivile Fahrzeuge knapp. Weiß gab es kaum. Andere Farben dafür in Massen.“
Die erste Reaktorlüftung ließ eine tief schwarze Dunstschwade aus Wasserdampf und Öl ab.
„Nicht mehr im besten Zustand, oder?“
„Das täuscht. So ein Schiff ist äußerst robust.“
Der Lift hielt.
„Shuttledeck. Zugang zum Dock.“
„Wir sind da.“
Die Lifttüren öffneten sich und vor ihnen erstreckte sich eine lange Halle, in der viele Menschen standen, liefen, rannten und schleppten.
„Letzter Aufruf für die Passagiere des Fluges 10-60 nach München. Ihr Shuttle legt in zwei Minuten ab.“
Einige begannen zu rennen.
„Erster Aufruf für die Passagier des Fluges 33-4 nach Stockholm.“
„Wir sind gemeint.“
Zuvor mussten Tanja und Neerayh an einen Schalter zum einchecken. Ein freundlicher Herr begrüßte sie.
„Mahlzeit die Damen, wohin soll es denn gehen?“
„Nach Stockholm mit dem nächsten Shuttle.“
„Ihre Ausweise bitte.“
Tanja und Neerayh zeigen die Ausweise vor. Der Beamte schaute etwas erstaunt.
„Bayn Wolosch“
Neerayh war Sichtlich beeindruckt in ihrer Sprache begrüßt zu werden.
„Warden.“
„Auch ihnen eine gute Reise.“
„Dankeschön.“
„An Zugang 6 liegt der Shuttle bereit.“
Er gab ihnen ihre Ausweise zurück und dann die Bordkarten. Tanja ging voran. Neerayh folgte ihr mit kurzer Verzögerung.
„Komm, die Schwerelosigkeit ist toll.“
„Schwerelosigkeit? Davon wird mir immer schlecht.“
„Der Flug dauert doch nicht lange, und ein bißchen Nostalgie muß doch sein. Der Shuttle sieht aus wie zum Beginn der Raumfahrt.“
Eine Stewardeß stand an Zugang 6 bereit.
„Guten Tag, ihre Bordkarten bitte.“
Sie zeigten ihre Bordkarten vor.
„Danke sehr, einen angenehmen Flug.“
„Danke, einen schönen Tag.“
Aus den Lautsprechern ertönte wieder diese Monotone Stimme.
„Aufruf für Flug 33-4 nach Stockholm. Ihr Shuttle legt in fünf Minuten ab.“
Nach ein paar Metern zum Shuttle prangte ein Schild in Kopfhöhe. ACHTUNG! Beginn der Schwerelosigkeit. Tanja sprang in den Tunnel. Sie tat dies offensichtlich öfter. Neerayh hielt sich an der Halterung fest und folgte ihr wesentlich langsamer. Eine so lebenslustige Person war ihr noch nicht begegnet.
„Tanja, warte.“
„Nee, beeile dich.“
In der Passagierkabine waren nur wenige Plätze besetzt. Die Reisewelle begann Erfahrungsgemäß erst um zwei Uhr, wenn alle von Arbeit kommen, d.h. etwa ein einhalb Stunden später als es jetzt war. Da würden dann auch größere Shuttles mit Bordgravitation eingesetzt. Tanja und Neerayh fanden einen Fensterplatz in der nähe des Bugs.
„Wir müßten jeden Moment ablegen. Wie geht’s dir?“
„Doch, doch, ganz gut.“
Ein Ping erschallte im Shuttle.
„Bitte kontrollieren sie ihre Sicherheitsgurte. Wir legen in wenigen Sekunden ab.“
Man hörte verschiedentlich noch das typische Klicken eines Gurtschnappers. Mit einem kleinen Rütteln ließen die Dockklammern das Shuttle frei. Die Passagiere wurden tief in ihre Polster gedrückt als der Shuttle seine Triebwerke zündete um Abstand von der Station zu gewinnen.
„Ich begrüße sie an Bord der „Atlantic City“ auf dem Flug 33-4 nach Stockholm. Ich bin Captain Stubbs und hoffe sie haben in den folgenden 30 Minuten einen angenehmen Flug. Es sind derzeit sehr gute Wetterbedingungen vor Ort. Wir werden uns nun mit dem Heck in Fluglage drehen um abzubremsen. Anschließend drehen wir die Nase wieder in den Wind und werden über Paris und Hamburg zu unserem Zielhafen gleiten.“
Der Shuttle bremste nun und der Abstieg begann.

7(ü-arb.12)/2001 Stefan Junghanns

 

Ich denke, der Text wäre ein guter Einstieg für einen Roman oder eine Erzählung oder für irgendwas anderes Längeres. Für eine Kurzgeschichte fehlt mir die ACTION :eek: !! In Deinem Text werden ja quasi die Hauptfiguren eingeführt. Und dann erwarte ich eigentlich, das was passiert...

Gruß,
Britta
(hofft, dass jetzt nicht wieder eine Diskussion zur Definition der Kurzgeschichte losgeht ;) )

 

Stimmt, ein bißchen Action wär schon schön. Dort wo's welche gab, wurde sie nicht beschrieben. Die Geschichte spiegelt richtig den Alltag in der Zukunft wieder. Und sie ist auch so, wie der Alltag: langweilig.

Je nach Intention, gelungen oder mißlungen.

 

Und sie ist auch so, wie der Alltag: langweilig.

Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Je nach Intention

Die Intention war vermutlich der Versuch, uns die Einleitung zu einer Fortsetzungsgeschichte unterzujubeln.

Klaus

 

Für die, die es noch nicht bemerkt haben, die Episodenhafte Fortsetzungsgeschichte ist eigentlich schon im vollen Gange :D

Wie jetzt? Lest aufmerksam meine anderen Sci-Fi-Geschichten. ...

 

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