Was ist neu

Neubeginn für die Liebe

Mitglied
Beitritt
29.07.2008
Beiträge
4

Neubeginn für die Liebe

Neubeginn für die Liebe


Simon betrachtete die Frau und den Jungen nachdenklich. Man sah ihnen an, dass sie eine schwere Zeit hinter sich hatten. Und noch schwierige Stunden vor sich.
„Berit, Tim“ begann er und setze sich hinter seinen Schreibtisch „ lasst mich noch einmal sagen, wie leid es mir tut, das Magnus so plötzlich gestorben ist.“ Tim zuckte leicht zusammen und legte seiner Mutter eine Hand auf den Arm. Berit legte ihre für einen Moment darüber, sah Tim kurz aufmunternd an und wandte sich dann an Simon.
„Danke. Es war in der Tat unerwartet.“ Sie stoppte kurz, suchte nach Worten, schluckte.
Simon sah ihre Reaktion und sprang ein. „Tim, warum bringst du nicht schon deine Sachen auf dein Zimmer, 2. Stock, du teilst diesmal mit Moritz, ich hoffe, das ist ok.“
Tim nickte. Zwar wollte er seine Mutter nicht allein lassen, aber noch viel lieber wollte er raus hier. Er schämte sich ein bisschen, weil er sich freute, zurück im Internat zu sein, mit Moritz das Zimmer zu teilen. Es war ungewöhnlich, dass die Schule zwei deutsche Schüler zusammen tat, aber er nahm an, Mr. Torrington wollte ihm damit helfen. „Ist das ok, Mama?“ Berit lächelte ihn an. „Klar doch, geh nur. Ich bin sicher Moritz wartet schon. Wenn ich fertig bin, gehen wir noch zusammen essen, du kannst Moritz einladen, wenn du willst.“ Tim nickte und eilte hinaus.
Seufzend sah Berit ihm nach. Er war erwachsen geworden in den letzten Wochen. Der plötzliche und zu frühe Tod seines Vaters hatte dafür gesorgt. Es war die letzte Woche vor Tims Sommerferien gewesen. Ein Herzinfarkt, vollkommen unvorhersehbar für einen gesunden und sportlichen 56 jährigen. Tim hatte gerade sein erstes Jahr in einem englischen Internat beendet, hatte sich dort hervorragend eingelebt, Freunde gefunden und zum ersten Mal Spaß am Lernen. Die Überlegung, ihn nun nach Magnus Tod wieder in Hamburg zur Schule zu schicken, hatte sie nur kurz erwogen. Es wäre eine sehr egoistische Entscheidung ihrerseits gewesen.
„Es ist nicht leicht für Sie, ihn hier zu lassen.“ Es war weniger eine Frage, als eine Feststellung. Berit nickte. „Bisher gab es soviel zu tun. Die ganzen Formalitäten, Papierkram, die Beerdigung. Es vergeht kaum ein Tag, wo nicht Freunde oder Familie anrufen. Aber es ist selbstverständlich schon weniger geworden und es wird noch mehr nachlassen.“ Berit sah ihn an, sah Verständnis und Mitgefühl in seinen Augen. Sie zuckte die Achseln. Eine Geste, die für Simon etwas Abschließendes hatte. „Das Leben geht eben weiter. Es klingt zwar abgedroschen, aber es ist die Wahrheit.“
Berit versuchte es mit einem Lächeln, blinzelte um ein paar Tränen zu unterdrücken. Nichts hasste sie mehr, wie vor anderen zu weinen. Das hatte Zeit, bis sie allein war.
Simon stand auf, ging um den Schreibtisch herum und setzte sich auf Tims freigewordenen Stuhl. Er beugte sich leicht vor, hätte am liebsten ihre Hand genommen, war sich aber nicht sicher, ob ihr das Recht war. Sie strahlte soviel Distanz aus. So ganz anders als die Frau, die vor anderthalb Jahren zusammen mit ihrem Mann und ihrem Sohn die Schule besichtigt hatten. Damals war ihm der Kontrast zwischen ihr und ihrem Mann als erstes aufgefallen. Und das auffallendste waren nicht die fast 15 Jahre Altersunterschied. Magnus Schneider war ein großer, durchtrainierter Mann. Seine blonden Haare zeigten zwar erste graue Strähnen, waren aber immer noch voll und seine tiefblauen Augen waren klar und scharf. Auf seine ruhige, gelassene Art, sah er alles und nahm alles war. Und obwohl er offensichtlich gut abwägte, was er wann sagte, ließen seine Aussagen einen hellwachen und lebendigen Geist erkennen. Alles an ihm strahlte eine ruhige aber zielgerichtete Energie aus. Äußerlich war Tim sein ganzes Ebenbild. Mit 16 bereits hochgewachsen und man sah ihm an, dass er sich lieber auf dem Sportplatz, als im Klassenraum aufhielt.
Berit dagegen war ständig in Bewegung. Wenn nicht mit dem ganzen Körper, dann mit den Händen. Ihr Geist war mindestens so lebendig, wie der ihres Mannes, aber sie hielt nichts von Zurückhaltung. Sie kommentierte alles mit Esprit und Charme. Neben ihrem hünenhaften Mann und ihrem schlaksigen Sohn wirkte sie zierlich, dabei war sie nicht viel kleiner als Simon. Das brünette Haar trug sie in einem frechen Kurzhaarschnitt, der sie noch jünger aussehen ließ. Ihre grün-blauen Augen, gesprenkelt mit braunen Lichtern, sprühten vor Humor und Lebensfreude.
Simon hatte eine Familie kennengelernt, die sich sehr nah war und dies auch wusste und sich selbst und anderen zu erkennen gab.
Er hatte das damals bewundert und beneidet. Nur wenige Wochen zuvor war seine Frau mit den Kindern ausgezogen und zurück nach Manchester gegangen. Cornwall hatte ihr nicht gelegen. Sie vermisste die Stadt, ihre Freunde und ihre Arbeit.
Er hatte angeboten, mit zurück zu ziehen, alles, um die Ehe zu retten, aber es wurde schnell klar in ihren nächtelangen Gesprächen, das die Geographie letztendlich keine Rolle spielte. Sie hatten sich auseinander gelebt, nicht erst seit den paar Monaten, in denen er die Position des Direktors des St. Clare Internates in Penzance angenommen hatte, schon in Manchester hatte es Risse gegeben.
Schließlich ließ Simon sie ziehen. Da die beiden Jungs aus ihrer ersten Ehe waren, waren sie selbstverständlich mit Ruth gegangen. Aber er hatte sich gut mit den beiden verstanden und vermisste sie mindestens genauso wie seine Frau. Die Trennung war noch zu frisch, das Gefühl des Versagens noch zu nah, als das er die enge Beziehung und die Liebe, die er zwischen den Schneiders sah, nicht beneidet hätte. Und er hatte sich gefragt, wie diese beiden Menschen, die so unterschiedlich waren, es schafften, eine Einheit zu bilden.
Doch die Frau, die ihm nun gegenüber saß, war nur noch ein Abbild seiner Erinnerung. Er hätte sie gerne getröstet, war sich aber seiner Gefühle, die ihn in ihrer plötzlichen Intensität erschreckten, nicht sicher und wollte die ihm mit Sicherheit entgegengebrachte Ablehnung nicht riskieren.
„Was machen Sie nun Berit?“ fragte er stattdessen. Berit zuckte erneut die Schultern. „Ich weiß noch nicht. Ein wenig fürchte ich mich vor dem leeren Haus in Hamburg. Das ist wohl auch der Grund, warum ich noch einige Tage hierbleiben werde.“ Sie sah Verständnis in seinen Augen. Und noch etwas mehr, was sie aber nicht zu deuten wusste. Seine Nähe war angenehm, aber genau dieses Gefühl beunruhigte sie, deshalb stand sie auf, ging zum Fenster, von dem aus man das Meer und sogar ein Stück von St. Michaels Mount sehen konnte. Simon fühlte, dass sie die Distanz wollte und zwang sich, sitzen zu bleiben. „Ich werde heute mit Tim und Moritz essen gehen und vielleicht noch einmal, bevor ich abreise.“ Fuhr sie fort. „Aber ansonsten soll er sich einleben, ohne Rücksicht auf mich.“ „ Um Tim brauchen Sie sich nicht sorgen.“ Simon war wieder hinter seinen Schreibtisch getreten, vergrößerte den Abstand ganz bewusst. „Ich werde ein Auge auf ihn haben.“ „Danke, ich weiß er ist hier gut aufgehoben.“ Sie zögerte. „Er wird hier sicherlich leichter mit allem fertig, wie zu hause. Das war einer der Gründe, warum ich ihn nicht in Hamburg behalten habe.“ „Das ist eine sehr selbstlose Entscheidung.“ Sie nickte, wirkte auf einmal so schrecklich einsam und allein. Es waren ihre Augen, erkannte Simon. Sie strahlten nicht mehr, waren dunkel, traurig.
„Mir graut es ein wenig, alleine zurück zu kehren. Alles wird so anders sein, neu und ungewohnt.“ Sie lachte nervös, brach ab und drehte sich wieder zum Fenster, um erneut die Tränen, die dieser Tage so schnell und oftmals ohne wirklichen Grund auftauchten, zu unterdrücken. Mit wenigen Schritten stand Simon hinter hier, reichte ihr sein Taschentuch und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
„Sie sollten das nicht unterdrücken. Besser, es ist raus.“ Berit nahm das Taschentuch, schüttelte aber den Kopf. „Glauben sie mir, Simon, keiner will ständig eine Heulsuse um sich herum haben.“ Ihre Schultern strafften sich, ernst sah sie ihn an. „Es tut weh, aber ich werde es schon schaffen. Ich bin nicht die erste Witwe und werde nicht die letzte sein.“ Ihr Kinn schoss vor und zum ersten Mal, seit sie sein Büro betreten hatte, sah Simon so etwas wie ein Blitzen in ihren Augen. Er konnte ein Lächeln nicht unterdrücken „Ich bin überzeugt, sie werden es schaffen.“ Er drehte sich zum Schreibtisch um und öffnete seinen Kalender. „Ich habe jetzt leider noch einen Termin, aber warum trinken wir nicht morgen oder übermorgen einen Kaffee oder Tee? Bis dahin sehen wir ein wenig besser, wie Tim mit der Situation klar kommt.“ Das ist eine faule Ausrede, gestand er sich ein. Er wollte sie einfach noch mal wiedersehen. Berit schien dies nicht zu merken, nickte stattdessen. „Ich glaube, das würde mich beruhigen, obwohl es wahrscheinlich unnötig ist.“
„Also abgemacht.“ Simon kam auf sie zu, nahm ihre Hand in seine. „Sie schaffen es Berit. Ich rufe sie morgen an und wir vereinbaren eine Zeit. OK. Bis dahin genießen sie ein wenig die kornische Luft und Landschaft. September ist eine der schönsten Zeiten hier. Lassen sie es sich einfach ein wenig gut gehen.“

Berit konnte dieser Aussage nur zustimmen. Und sie hatte das gute Wetter genutzt, sich ein wenig mit Penzance und Umgebung bekannt zu machen. Das Abendessen mit Tim und Moritz war gut verlaufen. Tim war schon wieder ganz eingespannt in die Geschehnisse der Schule und seiner Mitschüler, wesentlich mehr besorgt über die Anforderungen seiner Lehrer, als die Lücke, die der Tod seines Vaters gerissen hatte. Berit wusste, dass er Magnus vermissen würde, aber für einen 17 Jährigen gab es so viele andere Dinge, an die er zu denken hatte, die ihn ablenkten von seinem Verlust.
Berit beneidete ihren Sohn ein wenig. Für sie war es noch überhaupt nicht klar, was sie nach ihrer Rückkehr nach Hamburg mit sich anfangen sollte. Schon ohne Tim war ihr das Haus, ein großer Bungalow unweit der Alster, leer vorgekommen, jetzt war sie dort ganz allein. Aber so lange sie nicht wusste, was Tim nach der Schule tun würde, wollte sie sich nicht davon trennen. Außerdem wäre ihr das feige vorgekommen.
Sie schob die Gedanken erst einmal beiseite. Zum Glück musste sie sich keine Sorgen um die Finanzen machen – Magnus hatte dafür gesorgt. Aber sie wusste bereits, dass sie eine Beschäftigung brauchte. Doch darüber würde sie sich in der Tat später Gedanken machen. Nun wollte sie ein paar Tage Cornwall genießen, die Landschaft, das Wetter und dann vielleicht langsam, mit etlichen Pausen, in denen sie sich noch mehr von England ansehen würde, wieder nach hause fahren.
Langsam ging sie die Straße entlang, ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie bereits 5 Minuten zu spät war, zu ihrem Treffen mit Simon. Sie hatten sich in einem Cafe an der Promenade verabredet. Berit hatte mit sich gehadert, ob sie gehen sollte. Plötzlich kam es ihr doch sehr informell vor, sich mit ihm zu treffen. Nötig war es sicher nicht, denn das Abendessen mit Tim hatte ihr gezeigt, dass sie sich um ihn nicht sorgen mußte.
Aber sie freute sich gleichzeitig darauf, Simon wieder zu sehen. Sie hatte ihn von Anfang an gemocht, seine bestimmte, aber freundliche Art, mit Eltern und Schülern gleichermaßen umzugehen. Während sie langsam auf das Cafe zuschlenderte, sah sie ihn dort bereits auf der Terrasse sitzen. Sie ließ sich Zeit, ihn zu betrachten, wie er dort vollkommen entspannt saß und mit geschlossenen Augen die Sonne genoss.
Er hatte gut gewählt, das Cafe lag schon etwas außerhalb der Ortschaft, zwar an der Promenade und hatte daher einen exzellenten Ausblick, aber nur wenige verirrten sich hierher. Außer ihm saßen noch zwei ältere Damen an einem der fünf Tische. Er hatte die Ärmel seines blauen Hemdes hochgekrempelt. Seine Arme waren muskulös, übersäht mit blonden Haaren und endeten in schlanken, langfingrigen Händen. Im Gegensatz zu den Armen war sein Haupthaar mehr braun, mit einigen, von der Sonne erhellten Strähnen. Er trug es kurzgeschnitten und aus dem Gesicht zurückgekämmt. Seine Nase war nicht ganz gerade, vielleicht einmal gebrochen, überlegte Berit, während sie immer näher kam. „Was ist das? Am helllichten Tag träumen? “ fragte sie, als sie direkt vor ihm stand „Was haben Lehrer doch für ein gutes Leben“. Seine Augen schossen auf und der Blick aus hellen, blau-grauen Augen überraschte sie mit seiner Intensität. Doch dann lächelte er, stand auf und schob ihr einen Stuhl zu Recht. „Erwischt! Nun muss ich nachsitzen“ sagte er. Berit lächelte ebenfalls. „Dann hoffe ich wenigstens, dass sich das Träumen gelohnt hat.“ Einen Augenblick sah es so aus, als wollte er etwas darauf antworten, sein Blick hatte wieder diese Intensität angenommen, die sie nun schon ein paar Mal bemerkt hatte. Doch in diesem Moment kam die Serviererin vorbei und nahm ihre Bestellung auf. Simon ließ den die Bemerkung unkommentiert. Was hätte er auch sagen sollen. Das er von ihr geträumt hatte. Er schalt sich selber einen Thor. Mütter von Schülern waren unantastbar, insbesondere solche, die gerade ihren Ehemann verloren hatten. Aber die letzten beiden Tage hatte er sich immer wieder erwischt, dass er an sie gedacht hatte. Hatte sich gewünscht, sie berühren zu können, sie wieder lächeln zu sehen, sie zum Lächeln zu bringen. Alle weitergehenden Vorstellungen hatte er schnellstens verdrängt. Die Tatsache, dass er seit seiner Trennung von Ruth mit keiner Frau mehr geschlafen hatte, machte sich langsam bemerkbar. Aber es war nicht seine Neigung, irgendwo schnellen Sex zu suchen und zu mehr hatte er keine Zeit gefunden und auch nicht die Bereitschaft gezeigt. Vielleicht war er eben auch einfach keiner Frau begegnet, die ihn interessierte. Mit Berit war das anders. Zu ihr fühlte er sich auf eine Art hingezogen, die er nicht in Worte fassen konnte oder wollte. Denn die Worte, die er für diese Regung fand, gingen ihm zu weit. Das wollte er nicht fühlen. Er hatte sogar überlegt, die Verabredung abzusagen, aber dann hatte er sie vor sich gesehen, alleine und immer noch traurig über den Verlust ihres Mannes und konnte es nicht.
Bis der Tee und Kuchen kam unterhielten sie sich über Penzance und die Umgebung. Simon wollte wissen, ob sie schon auf St.-Michaels-Mount gewesen war. Sie verneinte. „Ich habe mehr den Ort bisher erkundschaftet und einen Tag am Strand verbracht.“ „Das hat Ihnen gut getan. Sie sehen schon viel besser aus.“ Simon trank seinen Tee, sah sie über den Rand der Tasse an. Sie aß mit Genuss ihre Scones, englisches Gebäck, mit Erdbeermarmelade und Sahne bestrichen. Sie leckte sich die Lippen, eine Bewegung, die ihn erregte. Er schaute schnell weg, überlegte krampfhaft was er sagen könnte, um das zu vergessen, was er gerne gesagt hätte.
„Wie geht es Tim“ kam sie ihm zuvor. Simon räusperte sich, „Gut. Es geht ihm gut. Er hat sich sofort wieder eingelebt.“ „Ich wollte Ihnen noch danken, dass sie ihn mit Moritz auf ein Zimmer getan haben.“ Berit sah ihn an. „Das hilft sicher auch. Ich weiß, das es nicht die normale Vorgehensweise ist.“ „Dies ist eine besondere Situation.“ Erwiderte Simon. „Wenn es Tim hilft, dann ist es richtig. Nur das zählt.“ Er zögerte ein wenig. „Was ist, “ Berit klang sofort besorgt „stimmt etwas nicht mit Tim?“ Simon schüttelte den Kopf. „Nein. Er ist in Ordnung. Er vermisst sicher seinen Vater und es wird Situationen geben, wo er es besonders merkt, aber er hat genug Ablenkung.“ Wieder war da ein kleines Zögern. „Ich mache mir Gedanken um sie. Was werden sie tun? Wie kommen Sie damit klar?“ Er sah, wie sie sich zurück zog, verfluchte sich, dass er diese Fragen überhaupt gestellt hatte. Aber es lag nicht in seiner Natur, zu schnell aufzugeben. Also wagte er einen weiteren Schritt nach vorne. „Berit, ich will nicht zu unverschämt erscheinen, aber… ich sorge mich ein wenig um sie.“
Berit atmete tief durch. Wie sollte sie nur reagieren. Am besten mit Ehrlichkeit. So wie sie es früher auch getan hätte. Gerade heraus, ohne Umschweife. Er sah, wie sie sich innerlich aufrichtete, als sie ihn ansah, war da wieder ein wenig von dem Strahlen in Ihren Augen, das er so bewundert hatte. ‚Nun bekomme ich meine Abreibung’ dache er sich ergeben. „Simon, ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll.“ Er sah sie erstaunt an. „Nicht mit meiner Trauer, sondern mit ihrer Sorge.“ Sie seufzte leicht auf. „Ich trauere um meinem Mann, mit dem ich eine wunderbare Ehe hatte, fast 20 Jahre …“ Er hörte mit angehaltenem Atem zu. „….aber ich habe das Gefühl, das ihre Anteilnahme tiefer geht. Und darauf kann ich mich zurzeit nicht wirklich einlassen.“ Sie lachte nervös auf. „Wenn ich jetzt falsch liege, habe ich fürchterlich ins Fettnäpfchen getreten und entschuldige mich schon mal.“ Simon nahm ihr Hand in seine, strich leicht über ihre Finger und genoss für einen Moment das Gefühl, sie berühren zu können. „Du liegst nicht falsch und es gibt keinen Grund, dass du dich entschuldigen musst. Eher ich.“ Er suchte nach Worten. Wenn sie registriert hatte, dass er sie jetzt duzte, dann ließ sie es sich nicht anmerken. „Ich weiß nicht, wie und ob ich es erklären kann, aber ich mag dich und als du vorgestern bei mir im Büro saßest, da habe ich eine Verbindung gespürt….“ Er stoppte. „Es tut mir leid. Ich hätte meinen Empfindungen nie folgen sollen. Es ist in jeder Beziehung falsch, du bist die Mutter eines Schülers, aber in dieser besonderen Situation war es doppelt falsch.“ Es dauerte einen Moment, bis er merkte, dass sie seine Hand, die er wegziehen wollte, festhielt. „Simon, egal was richtig oder falsch ist, Danke! Auch wenn ich noch nicht weiß, wie ich damit umgehen soll, es tut gut.“ Sie lächelte ihn an. Ihre Augen verengten sich leicht und wurden dunkel, als er ihre Hand an seine Lippen führte und sie leicht küsste. „Wenn du möchtest, lasse ich dich jetzt allein, aber ich möchte bleiben und dich noch ein wenig besser kennenlernen.“ Er konnte sie überlegen sehen, die Pro und Contra abwägen. Dann nickte sie, entzog ihm aber ihre Hand. „Ich würde gerne ein wenig spazieren gehen. Dabei lässt sich auch gut reden.“ Simon nickte, erleichtert, dass er noch mehr Zeit mit ihr verbringen konnte. „Wie wäre es mit einem Spaziergang zum Michaels-Mount.“

Es war ein Spaziergang, an den Berit sich noch lange zurückerinnern würde. Die Sonne, die dem Meer kleine Lichter aufsetzte, ein leichter Wind der in ihren Haaren spielte. Sie waren erst an der Promenade, dann barfuss am Strand entlang gegangen. Hatten über alles Mögliche gesprochen, ihre Vorlieben in Büchern und Filmen, Simons Zeit an der Universität in Oxford, Berits Kindheit in einem kleinen Ort an der Nordseeküste und ihre ewige Liebe zum Meer. Wie auf Vereinbarung, sprachen sie nicht über ihre Gefühle. Später brachte Simon sie bis zum Hotel und verabschiedete sich vor der Tür von ihr, jeder Versuchung widerstehend, sie noch einmal zu berühren oder gar einen Schritt weiter zu gehen. Berit wusste nicht, ob sie froh sein sollte oder nicht. Als sie nachts im Bett lag, dachte sie noch lange an Simon. An die Berührung seiner Hände und wünsche sich, seine Arme um sich zu spüren. Ihre Gedanken gingen sogar weiter, aber dann stoppte sie diese rigoros. Verschämt und mit schlechtem Gewissen gegenüber Magnus, der erst so kurz nicht mehr bei ihr war, schob sie all diese Träume beiseite. Es war ja fast so, als würde sie ihren Mann betrügen. Sie fragte sich, ob dieses Gefühl wohl jemals nachlassen oder ganz verschwinden würde.
Die nächsten Tage hörte sie nichts von Simon. Mit Tim sprach sie nur einmal kurz. Aber er war bereits so in seinen Unterricht und den Ablauf des Schulalltages vertieft, dass er wenig Zeit für sie hatte. „Mama, ich weiß du sorgst dich, aber es ist nicht nötig.“ Er stoppte kurz, bevor er schnell weiter sprach. „Wir vermissen Papa beide, aber er würde nicht wollen, dass wir nur traurig sind. Du weißt wie er war, immer nach vorne gucken, das hat er immer gesagt. Wir werden ihm nicht vergessen, aber ich will nicht ständig traurig sein, wenn ich an ihn denke. Sondern fröhlich, es gibt so viele schöne Erinnerungen.“ Berit war baff. Soviel Einsicht hatte sie von ihrem 17jährigen Teenager nicht erwartet. Aber er hatte Recht. Magnus war stets ein Mensch, der vorwärts geblickt hatte. Aus Vergangenem lernen, aber nicht dort verweilen, war einer seiner Leitsprüche gewesen.
Berit überlegte, ob es Zeit war, endlich abzureisen. Doch sich einfach davon zu schleichen war nicht ihre Art und deshalb rief sie bei Simon an, um sich zu verabschieden. Simon hatte allen Willen zusammen nehmen müssen, um sich nicht mehr bei ihr zu melden. Er schwankte zwischen dem Wunsch dass sie endlich abreiste und der Hoffnung, sie würde bleiben. Er hatte erwartet, von Tim zu hören, dass sie abgereist sei und war doch betroffen, als sie es ihm nun selber mitteilte.
„Ich glaube, meine Zeit hier ist vorbei. Tim fühlt sich ok und ich muss ebenfalls anfangen mein Leben neu einzurichten. Ich kann es nicht ewig aufschieben.“ „Wann willst du fahren?“ fragte er. „Morgen, ich werde Morgen abreisen.“ Berit wusste nicht, was sie erwartet hatte, doch seine Sachlichkeit entmutigte sie. „Lass uns heute Abend essen gehen“ Simon hatte die Einladung ausgesprochen ohne nachzudenken. „Simon, ich weiß nicht…“ „Ein Abendessen, nichts weiter!“ er klang brüsk. „Ich hole dich um 7 ab.“ Damit legte er auf, aus Angst sie könnte noch absagen oder er würde den Mut verlieren. ‚Was versprichst du dir davon’ fragte er sein Spiegelbild, als er sich am Abend zu Recht machte. Er hatte keine Antwort parat.
Sie wartete bereits in der Hotellobby auf ihn. Die Tage alleine hatten ihr gut getan. Simon konnte die Veränderung sehen.
„Wo fahren wir hin?“ fragte sie, als er ihr die Autotür aufhielt. „Ein kleines Restaurant etwas außerhalb. Lass dich überraschen.“ Es war denn mehr ein Pub, als ein Restaurant, ca. 40 Minuten von Penzance entfernt. Doch offensichtlich war die Küche gut, denn jeder Tisch war besetzt. Simon hatte bewusst diesen Ort gewählt, unter vielen Menschen zu sein erschien im sicherer. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, wie viel Disziplin es ihm abverlangen würde, alleine mit ihr im Auto zu sitzen.
„Du siehst gut aus. Erholt, gefestigt.“ Berit konnte seine Anspannung merken, irgendwie machte sie das ruhiger. „Die Zeit hier hat mir gut getan. Ich bin nun sicher, dass es richtig war, Tim wieder hierher zu schicken. Er wird mir fehlen, aber gleichzeitig kann ich mich nun auf mich konzentrieren. Ich werde wieder eine Möglichkeit finden müssen, alleine zu leben.“ „Ich glaube nicht, dass du lange allein sein wirst.“ Simon fiel es schwer, die Worte zu denken und auszusprechen.
„Ich weiß nicht. Magnus und ich waren fast 20 Jahre verheiratet. Ich war noch sehr jung damals. Vielleicht brauche ich endlich mal Zeit, mit mir selber klar zu kommen.“
„Wirst du wieder hierher kommen?“ Er musste es fragen. Sie nickte. „Spätestens nächstes Jahr, wenn Tim fertig ist.“ Sie sah seinen Augen die Enttäuschung an, auch wenn er ansonsten keine Miene verzog. „Vielleicht auch früher.“ Und lächelte ihn an. Simon lächelte zurück, aber am liebsten hätte er geflucht. Vielleicht war nicht gut genug, nächstes Jahr viel zu spät. „Ich würde mich freuen.“ War alles, was er herausbrachte.
Das Essen verlief schleppend. Der baldige Abschied hing wie eine dunkle Wolke über ihnen, genauso wie die ungesagten Worte und Wünsche. Als sie das Restaurant endlich verließen, kam ihnen die kühle Sommernacht wie eine Erfrischung vor.
Berit fröstelte leicht und Simon legte instinktiv seinen Arm um ihre Schultern. Sofort spürte er ihre Anspannung. Schon wollte er seinen Arm zurückziehen, doch dann drehte sie, leicht fluchend, zu sich um. „Ich will verdammt sein, wenn ich dich nicht mal berühren kann, ohne dass du zusammen zuckst. Dir ist kalt und ich wollte dich wärmen, nicht mehr.“ Er hielt sie an den Schultern fest, seine Hände verströmten in der Tat eine Wärme und Geborgenheit, das Berit ohne weiter nachzudenken einen Schritt auf ihn zu machte und sich an ihn lehnte. „Halt mich fest, bitte. Nur festhalten, einmal.“ Simon schloss die Augen und drückte sie an sich. Es passte, sie passte zu ihm. Langsam strich er ihr über den Rücken. Berit umarmte ihn ebenfalls, genoss das Gefühl seiner Arme um sie herum. Genauso hatte sie es sich vorgestellt. Sie fühlte sich intuitiv geborgen. „Danach habe ich mich seit Tagen gesehnt.“ Er drehte sein Gesicht in ihr Haar, sog ihren Duft ein. Langsam verteilte sein Mund Küsse auf ihrem Hals, entlang ihrem Kinn und fand endlich ihren Mund. Zögernd strich er mit seinen Lippen über ihren Mund, forderte sie heraus. Doch dazu bedurfte es nicht viel. Sie nahm nicht nur, sie gab auch zurück. Ihre Hände schreichelten über seinen Rücken, seine Schultern, fühlten die Muskeln dort, während er sie fester an sich drückte, so als wolle er sie ganz in sich aufnehmen. Nur langsam drangen wieder andere Geräusche zu ihnen durch. Ein anfeuernder Pfiff, lautes Gelächter und einige eindeutige Bemerkungen. Simon wurde bewusst, dass sie sich auf dem Parkplatz befanden und den anderen Gästen, die den Pub verließen, ein interessantes Bild geboten hatten. Er zog Berit zum Auto. „Tut mir leid, ich habe total vergessen, wo wir sind.“ Sie grinste nur „Ob sie wohl Noten vergeben haben. Einer hat glaube ich sogar applaudiert.“ Simon war froh, dass sie es so locker nahm. „Solange sie keine Bilder auf Youtube einstellen. Mein Image wäre in der Schule unten durch.“ Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, hätte er sich verfluchen können. Es war, als wäre ein Gitter vor Berit heruntergeschlagen. „Scheiße. Das habe ich nicht so gemeint. Berit…“ Sie brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Ich weiß, was du sagen wolltest. Wirklich!“ Simon atmete durch. „Das macht es aber nicht besser, “ fuhr sie fort „du hast ein Amt, was dich besonders unter Beobachtung stellt. Und ich bin seit 8 Wochen Witwe. Egal, was wir fühlen, wir sind nicht unser eigener Herr hier, können nicht tun was wir wollen. Unser Gewissen schiebt dem einen Riegel vor.“ Simon konnte dem nichts hinzufügen. Sie hatte Recht. Das zuzugeben kostete ihn. Die Rückfahrt verlief in tiefem Schweigen.
Berit wollte nur noch in ihr Hotel, alleine sein, darüber nachdenken, was dieser Kuss und diese Umarmung bei ihr ausgelöst hatten. So sehr Simons Bemerkung auch die Atmosphäre zerstört hatte, sie war froh, dadurch wieder zu Vernunft gekommen zu sein. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte nach mehr verlangt.
Vor dem Hotel drehte sie sich zu ihm um, reichte ihm die Hand und sagte „Steig nicht mit aus. Wir verabschieden uns hier.“ Er nahm ihre Hand, seine Augen bohrten sich in ihre „Ich entschuldige mich nicht für vorhin. Dazu habe ich es zu sehr genossen. Und ich will mehr.“ Berit schüttelte den Kopf. „Ich weiß. Aber es wäre falsch zum jetzigen Zeitpunkt auf alle Fälle.“ Sie legte ihm die Hand auf den Mund und stoppte ihn so „Sag nichts mehr. Danke für alles und ich verspreche wieder zu kommen.“ Damit öffnete sie die Tür und war ohne sich noch einmal umzudrehen, im Hotel verschwunden.
Simon ließ den Kopf aufs Lenkrad sinken. Sein Körper schmerzte vor Verlangen. Sie hatte versprochen wieder zu kommen. Aber wann. Nie zuvor hatte er sich so nach einer Frau gesehnt. ‚Nimm dich zusammen’ rief er sich selber zu Ordnung. Er wusste, sie hatte die richtige Entscheidung getroffen.

Berit schloss langsam ihre Zimmertüre auf. Die Erkenntnis, das einzig Richtige getan zu haben, tröstete sie nicht über diese große Leere, die sie fühlte, hinweg. Sie sah sich um. Ihr halbgepackter Koffer erinnerte sie daran, dass sie nur sehr halbherzig diese Aufgabe erledigt hatte. An Schlafen war nicht zu denken, da konnte sie auch weiter einpacken. Sie war noch nicht weit gekommen, als es klopfte. In Gedanken mit den Ereignissen des Abends beschäftigt öffnete sie die Tür.
„Ich kann dich so nicht gehen lassen“ Simon wartete nicht auf eine, Einladung sondern schob sich an ihr vorbei ins Zimmer. Leise schloss sie die Tür.
Sie blieb dort stehen, sah, wie er zum anderen Ende des Zimmers ging, zumindest eine räumliche Distanz zwischen sie legte. Sie setzte an, etwas zu sagen, doch eine Handbewegung von ihm ließ sie schweigen. „Bitte – lass mich etwas sagen, dann kannst du mich immer noch rausschmeißen.“ Simon konnte nicht ruhig stehen bleiben. Seine Anspannung war so deutlich zu spüren, das Berit glaubte, sie zu hören. „Ich weiß nicht was richtig ist, Berit, ich weiß nur, dass ich in den wenigen Tagen Gefühle für dich entwickelt habe, die ich noch nicht genau benennen kann. Mein Verstand sagt mir, es wäre besser diese zu ignorieren und dich ohne weiteren Verzug gehen zu lassen. Aber eine andere Stimme sagt mir, dass ich dann vielleicht eine große Chance verpassen würde.“ Berit war auf ihn zugegangen, nahm seine Hände, und sah ihn offen an. „Das ist ein großes Kompliment für mich.“ Simon wollte etwas sagen, aber sie sprach schnell weiter. „Nein, jetzt lass mich ausreden. Es ist ein Kompliment und ich genieße es. Du bist nicht alleine mit deinen Gefühlen, aber zum jetzigen Zeitpunkt, glaube ich, wäre es ein Fehler ihnen nachzugeben. Magnus Erinnerung ist noch zu frisch – ich käme mir wie eine Ehebrecherin vor und das würde am Ende mehr zerstören.“ Obwohl dies nicht ganz das war, was Simon gerne gehört hätte, fühlte er sich erleichtert. „Das kann ich akzeptieren.“ Er drückte ihre Hände, führte sie zu seinen Lippen und hauchte auf jeden einen Kuss. „Versprich mir, dich in Hamburg nicht in einen anderen teutonischen Riesen zu verlieben. Gib mir ne Chance.“ Er sagte es so ernst, und doch musste Berit lachen. „Du stehst ganz oben auf der Liste.“ Sie folgte einem Impuls und küsste ihn auf den Mund. Seine Arme umfassten sie automatisch, aber sanft und locker, so dass sie sich jederzeit zurückziehen konnte. Aber sie blieb in seiner Umarmung, legte ihre Hände auf seine Brust, spürte das Spiel seiner Muskeln dort. Sie legte den Kopf zurück, und sah ihn an. „Gib uns Zeit. Die letzten Tage waren sehr intensiv für mich. Früher wäre ich diesem Impuls vielleicht gefolgt und wir würden jetzt nicht hier stehen, sondern von diesem exzellenten Bett Gebrauch machen.“ Simon stöhnte leicht auf. „Musstest du dieses Bild heraufbeschwören? Seit Tagen versuche ich es zu verdrängen.“ Er sah sie prüfend an. „Obwohl, wenn du deinem Impuls folgen möchtest... ich stehe zur Verfügung.“ Berit sah, dass er es ernst meinte, wusste aber, er würde sie nicht drängen und war unendlich dankbar, dass er das respektierte. „Ich bin froh, dass du noch einmal gekommen bist, aber das wäre glaube ich wirklich ein Fehler. Ich brauche Zeit und vielleicht ist es sogar gut, dass wir eine räumliche Distanz zwischen uns legen.“ „Wann kommst du wieder?“ „Ich weiß es noch nicht. Bis jetzt habe ich nichts geplant. Ein bisschen muss ich auch an Tim denken. Ich weiß nicht, wie er reagieren wird.“ Simon nickte. Was immer auch zwischen ihnen passierte. Solange Tim Schüler in St. Clare war, mussten sie diskret sein. „Wir finden eine Lösung. Aber ich will, das wir in Kontakt bleiben, egal wie – Telefon, E-Mail, Internet.“ Berit nickte. „Das will ich auch – ich hoffe, du weißt wie MSN funktioniert, ansonsten kann ich dich an deine Schüler verweisen, die wissen da alle Bescheid.“ „Danke für den Tipp,“ bemerkte er trocken, „aber da kenne ich mich zum Glück auch aus.“ Er drückte sie noch einmal an sich, ließ sie nur widerwillig los. „Ich gehe nicht gerne, ich vermisse dich schon jetzt.“ Sie erwiderte seinen Kuss, doch bevor er zu intensiv wurde, machte sie sich frei. „Ich melde mich bei dir, so wie ich wieder zu hause bin. Dann sehen wir weiter.“ Er nickte nur, fühlte sich unendlich alleine und wusste doch, dass er nur dann eine Chance hatte, wenn er jetzt losließ. „Pass auf dich auf. Und vergiss mich nicht.“

Selbst wenn sie gewollt hätte, wäre es Berit nicht möglich gewesen, Simon oder die Tage in Penzance zu vergessen. Zuerst kam ihr das Haus in Hamburg leer und feindselig vor. In jeder Ecke lauerten Erinnerungen, gute zumeist, aber das stimmte sie doppelt traurig. Sie nahm Kontakt zu Freunden auf, besuchte ihre Familie, alles, um möglichst nicht alleine dort zu sein. Und dann, eines Morgens wachte sie auf und wusste dass sich nur etwas ändern würde, wenn sie selbst die Initiative ergriff. Sie begann, sich einen eigenen Freundeskreis aufzubauen – nahm wieder Kontakt zu alten Schulfreundinnen auf, ging mit Ihnen ins Theater, ins Kino, zum Italiener essen und genoss die Gesellschaft der anderen Frauen. Zwar war sie in ihrer Ehe nie unzufrieden gewesen, aber in so vielem hatte sie sich doch nach Magnus gerichtet, der vielleicht schon wegen des Altersunterschiedes oftmals die Führung übernommen hatte. Das war auch einer der Gründe, warum sie anfing die Wohnung zu renovieren. Es gab ihr etwas zu tun und sie machte sie sich gleichzeitig zu Eigen. Lediglich Tim’s Zimmer und Magnus Arbeitszimmer, das gleichzeitig als Gästezimmer diente, ließ sie aus. Tatkräftig unterstützt wurde sie bei all dem von ihrer besten Freundin Cassandra, die froh war, das Berit aus ihrem Loch wieder herausgekrochen war. „Ich hatte schon Angst, du kleidest dich nur noch in schwarz und vergräbst dich hier.“ Berit lachte. „Du übertreibst mal wieder maßlos. Nur weil du das Ende jeder Beziehung in einer Sektorgie feierst, muss das ja nicht jeder tun.“ Simone verzog das Gesicht. „Meine Liebe, der Vergleich hinkt. Nichts desto trotz gefällst du mir viel besser, seit du aus Cornwall zurück bist.“ Sie machte eine kleine Pause. „Was hat eigentlich deinen Stimmungswechsel veranlasst?“ Berit seufzte auf. „Du bist so subtil wie ein Elefant im Porzellanladen. Diese Frage, in verschiedenen Varianten hast du nun schon ein paar Mal gestellt. Und meine Antwort ist immer die gleiche.“ „Ja, aber ist es auch die Wahrheit?“ Cassandra kannte Berit lange genug. Irgendwann würde sie damit herausrücken, was in Cornwall vorgefallen war, und das dort etwas mit ihrer Freundin passiert war, dafür gab es in Cassandras Augen keinen Zweifel.
Berit überlegte. Auf der einen Seite war sie sich gar nicht im Klaren, ob sie mit jemandem über Simon sprechen wollte. Sie hatte nach wie vor ein schlechtes Gewissen, dass sie so bald nach Magnus Tod überhaupt Interesse an einem anderen Mann haben konnte, andererseits war sie sich sicher, dass Cassandra die einzige war, die sie nicht sofort verurteilen würde. Cassandra sah förmlich, wie die Gedanken bei ihrer Freundin durchliefen. Sie hatte gewusst, dass ihr ständiges Bohren zu einem Ergebnis führen würde.
Berit sah sie an, holte Luft und sagte „Passiert ist nichts, aber da ist dieser Mann…“
„Ich wusste es“ triumphierend ließ sie sich auf das Sofa fallen. „Erzähl mir alles. Und vergiss dabei nicht den Wein nachzufüllen.“ Berit lachte, füllte ihre Weingläser auf und meinte nur „Also, dann las mich mal loslegen.“
Stunden später, als ihre Freundin endlich nach Hause gegangen war, räumte Berit die Weingläser weg und fühlte sich unendlich erleichtert. Cassandra war eine gute Zuhörerin. Nicht nur hatte sie Berit nicht für ihre Gefühle verurteilt, sondern eher noch ermutigt. „Berit“, hatte sie gesagt „das Leben ist viel zu kurz, um stets alle Vor- und Nachteile abzuwägen. Das hast du früher nie getan. Erinnere dich – du kanntest Magnus noch keine 3 Monate und hast zugestimmt, ihn zu heiraten.“ „Damals war ich wesentlich jünger. Und ich hatte nicht an Tim zu denken.“ Cassandra überlegte kurz. „Das mit Tim stimmt, hier wirst du etwas vorsichtig sein müssen. Aber wenn dieser Simon so ist, wie du ihn beschreibst, glaube ich nicht, dass Tim sich gegen ihn stemmt. Vielleicht solltest du ihm in der Tat noch etwas Zeit geben.“ „Wann immer ich an Simon denke, habe ich das Gefühl, Magnus zu betrügen. Unsere Ehe, das was wir gemeinsam hatten.“ Cassandra schüttelte heftig den Kopf. „Was für ein Blödsinn. Magnus ist nicht mehr da. Und ich habe ihn gut genug gekannt um mit Sicherheit zu sagen, dass er nicht von dir erwartet hätte, alleine zu bleiben. Das was ihr zusammen hattet war gut und du wirst es immer in Erinnerung behalten, das heißt nicht, dass du nur noch in Erinnerungen leben sollst. Du solltest nicht die Chance auf ein bisschen Glück wegen irgendwelcher Konventionen verpassen.“ Berit hatte darüber lange nachgedacht. Es kam ziemlich nah an das heran, was auch Magnus immer gesagt hatte. In der Vergangenheit und in Erinnerungen zu leben versperrte einem die Sicht auf das Heute und Morgen.
Nachdem sie weggeräumt hatte, sah sie auf die Uhr, kurz nach 23.oo Uhr. Wie gerne hätte sie Simon jetzt noch angerufen, aber er befand sich auf einer internationalen Lehrerkonferenz. Eine ziemlich große Angelegenheit, so wie es sich angehört hatte.
Sie fand in Berlin statt und sie hatte überlegt dorthin zu fahren und ihn zu treffen. Aber sie hatte nicht den Mut gefunden, es vorzuschlagen und er schien so auf die dort anstehenden Themen fixiert zu sein, dass sie befürchtete, ihm lästig zu fallen.
Den nächsten Tag verbrachte sie damit, Pläne für das anstehende Weihnachtsfest zu machen. Zwar waren es noch gut 5 Wochen bis dahin, aber es war das erste ohne Magnus und sie hatte die gesamte Familie eingeladen – seine Mutter, ihre Eltern, ihre Schwester mit Familie. Auf diese Weise würden sie nicht viel Zeit zum Nachdenken haben. Ein wenig graute ihr davor, dass Magnus Mutter fast eine Woche bei ihr wohnen würde. Sie hatte nie eine warme Beziehung zu ihrer Schwiegermutter aufbauen können, aber bisher war stets Magnus dabei gewesen und hatte die Defizite aufgefangen und Prellbock gespielt.
Aber Berit musste sich nur in Erinnerung rufen, dass die alte Frau ihren einzigen Sohn, ihr einziges Kind, verloren hatte und nun nur noch sie und Tim hatte. Und Tim war ihr ganzer Stolz.

Die Gedanken an Weihnacht schob sie auf, als ein alter Freund und Arbeitskollege sie kurzfristig zu einer Vernissage einlud. Obwohl sie nicht mehr wie in den ersten Wochen das Alleinsein fürchtete, war sie doch froh für jede Ablenkung. Sie war ein wenig überrascht gewesen, als Stefan Sommer kurz nach ihrer Rückkehr aus Cornwall das erste Mal bei ihr anrief und sie in die Oper einlud. Sie kannten sich nun auch schon seit fast 20 Jahren, waren Arbeitskollegen gewesen und er und seine Frau gehörten zu ihrem und Magnus erweitertem Bekanntenkreis. Seit seiner Scheidung hatte er die Einladung stets mit einer anderen neuen Bekannten besucht. Berit amüsierte sich insgeheim ein wenig, dass er nun offensichtlich sie als neue Begleitung auserwählt hatte. Aber er war ein Kunstliebhaber, besuchte regelmäßig Theater und Oper und war ein angenehmer kultivierter Begleiter. Er weckte keinerlei der Emotionen, die Simon in nur wenigen Tagen bei ihr aufgerührt hatte, aber sie sah nicht ein, warum sie deshalb auf seine Begleitung verzichten sollte. Gleich zu Anfang hatte sie ihm klargemacht, dass ihre Bekanntschaft nie über eine Freundschaft hinausgehen könnte. Er hatte dies gutmütig akzeptiert. Das er trotzdem immer wieder einmal anrief und sie einlud, führte Berit darauf zurück, dass er hin- und wieder froh war, eine unkomplizierte Begleitung zu haben, ohne Gefahr zu laufen, das diese mehr wollte. Wenig war ihr klar, dass Stephan lediglich auf Zeit spielte, und damit rechnete, dass sie irgendwann doch zu mehr bereit war. In der Zwischenzeit genoss er die Treffen mit ihr und die Tatsache, dass er für alle anderen leiblichen Begierden, genügend Adressen in seinem Computer hatte. Er musste auf nichts verzichten und konnte sich gleichzeitig als großzügiger Freund zeigen.
Sie verbrachten einen angenehmen Nachmittag auf der Vernissage, ausnahmsweise einmal ein Künstler, dessen Werke man verstehen und mögen konnte. Berit ließ sich sogar verleiten, eines der Bilder, eine Strandszene in hellen, kräftigen Farben, das sie an Cornwall erinnerte, zu kaufen.
Als Stefan sie nach Hause brachte, war es bereits dunkel. Der Novemberabend war kalt und ungemütlich, versprach die ersten Vorboten des kommenden Winters. Stefan parkte direkt vor ihrem Haus, überlegte, ob es vielleicht Zeit war, langsam einen Schritt weiter zu gehen und ob er sie dazu bringen konnte, ihm einen Kaffee anzubieten. Bevor er jedoch dazu ansetzen konnte, sahen sie, dass das bewegungsabhängige Aussenlicht anging, und eine Gestalt auf sie zukam. Stefan wollte sie schon fragen, wer das war, als Berit die Autotüre aufriss, ausstieg und freudig ausrief „Simon, was für eine Überraschung. Was machst du hier? Wartest du schon lange. Du musst durchgefroren sein, du Armer. Warum hast du mich nicht angerufen.“ Das alles sprudelte aus ihr heraus, während sie mit großen Schritten und ausgestreckten Armen auf ihn zuging. Simon nahm die Gelegenheit wahr, mit einem Blick zu dem anderen Mann, der aus dem Auto ausgestiegen war, ergriff er nicht ihre Hände, sondern nutzte ihre Offenheit und umarmte sie. Wie automatisch umfasste sie ihn, küsste ihn auf die Wangen und ging dann jedoch einen Schritt zurück. Bevor sie sich ganz zurück ziehen konnte, hielt Simon sie an den Ellbogen fest. „Ich wollte dich überraschen. Ich hätte damit rechnen sollen, dass du nicht nur zu hause rumsitzt.“ Das erinnerte Berit an Stefan. Schnell drehte sie sich herum. „Ich war auf einer Vernissage mit einem alten, lieben Bekannte.“ Stefan war über den „alten, lieben Bekannten“ nicht so erfreut. Der andere Mann kam ihm sehr besitzergreifend vor. „Alt, für langjährig, und lieb für besonders gut“ verbesserte er, und ging auf die beiden zu. „Stefan Sommer, Simon Torrington“ stellte Berit vor und amüsierte sich ein wenig über die Anspannung der beiden Männer. ‚Wie zwei Hunde, die sich abschätzen müssen“ kam es ihr in den Sinn. ‚Mit mir als Knochen’ war ihr nächster Gedanke und wusste nicht, ob sie lachen oder stöhnen sollte. Stefan fiel auf, dass sie ihre Bekanntschaft zu Simon nicht näher erläuterte, genauso, wie er sich wunderte, woher Berit jemanden aus England so gut kannte, dass er derart Besitz ergreifend mit Berit umging. Ein weitere Sache, die ihm schnell klar wurde, war, dass er hier Konkurrenz um die Gunst der jungen Witwe hatte.
Dann bemerkte er plötzlich die Reisetasche, die im Hauseingang stand. „Sie bleiben länger in Hamburg?“ wandte er sich an Simon. „Haben sie schon eine Unterkunft?“ Berit hörte den missbilligenden Unterton wohl und sah, das Simon peinlich berührt war. „Blödsinn, Unterkunft. Simon, du bist selbstverständlich mein Gast.“ Sie blinkte Simon kurz zu, der den anderen Mann innerlich verfluchte. Sein Besuch bei Berit war ein Spontanentschluss gewesen. Fast hätte er zwei Mal den Mut verloren, wollte schon wieder umkehren. Dass der Andere nun ausgerechnet mit einer solchen Bemerkung noch einmal darauf hin wies, dass er sich Berit aufbürdete, war unglücklich. Er war froh, dass sie spontan so positiv reagiert hatte. Das gefiel diesem Stephan zwar nicht, aber es hatte ihn zumindest für den Moment mundtot gemacht. Mit sichtlich wachsendem Vergnügen sah Simon zu, wie geschickt Berit ihn nun verabschiedete. Mit einem losen Versprechen, man solle doch nächste Woche mal telefonieren, schickte sie ihn nach Hause. Und dieser ließ es sich, zwar nicht erfreut, aber ohne etwas dagegen tun zu können, gefallen.
Berit winkte dem wegfahrenden Auto noch zu, drehte sich dann zu Simon um und sah ihn einen Moment lang ernst an. „Und was mache ich jetzt mit dir?“ „Du könntest mich ins Haus bitten, mir etwas zu essen und trinken anbieten.“ Simon zögerte kurz, fasste Mut und fügte hinzu „Und dann könnten wir über eine mögliche Unterkunft für mich verhandeln.“ Berit lachte, hakte sich bei ihm unter und führte ihn ins Haus. „Dann hereinspaziert und herzlich willkommen.“

Während sie ihre Mäntel ablegten und dann in die Küche gingen, wo Berit sich dran machte, einen Kaffee zu kochen, wiederholte sie ihre Frage von vorher, wieso er so plötzlich nach Hamburg gekommen war. „Ich habe hin und her überlegt, ob ich kommen soll oder nicht, ob ich dir vorher Bescheid sagen soll oder nicht. Ich wusste nicht einmal genau, ob ich mich überhaupt von dieser Konferenz wegstehlen konnte. Aber dann war das plötzlich möglich und ich fand mich am Bahnhof wieder und saß im Zug. Zwei Mal wäre ich bald umgekehrt, aber ich wollte dich halt gerne wiedersehen und die Gelegenheit war einfach zu gut, um sie vorbeiziehen zu lassen.“ Berit sah ihn an. „Ich bin froh, dass du gekommen bist. Ich habe dich vermisst.“ In Simon breitete sich eine Wärme aus, die er lange nicht gespürt hatte. Zum ersten Mal hatte er so etwas wie Hoffnung, dass zwischen ihm und Berit eine Beziehung wachsen könnte. „Du hast dich verändert.“ Sagte er. „Ich erkenne nun langsam die Frau wieder, die ich vor fast 2 Jahren kennengelernt habe.“ Berit nickte. „Ich finde auch langsam wieder zu mir zurück.“ Sie beschäftigte sich mit dem Kaffee, um Zeit zu gewinnen und zu überlegen, was sie als nächstes tun sollte. Der Blick in Simons Augen war eindeutig. Sie war sicher, dass er nichts tun würde, was sie nicht wollte, aber sie war sich plötzlich überhaupt nicht mehr sicher, ob sie nicht selber auch mehr wollte, als nur Freundschaft. Simon merkte, dass sie einen Moment brauchte, um sich zu sammeln. Er sah sich um, und ihm gefiel, was er sah. Die Küche war geräumig, mit großen Fenstern und einer Tür zum Garten hin, den man in der Dunkelheit nun nicht erkennen konnte. Die Wände waren in einem freundlichen, warmen Gelbton gestrichen, die Kücheneinheiten und Elektrogeräte modern und mit viel Chrom. Aber daneben gab es eine alte Küchenanrichte, in einer Ecke, unter einem der weiten Fenster, eine gemütliche Sitzecke und viel Schnickschnack, der dem Raum die richtige Atmosphäre von Gemütlichkeit gab. Man sah, dass hier gelebt wurde. Beim Hereinkommen hatte Simon andere Räume flüchtig gesehen. Ein großes Wohn- Esszimmer. Ebenfalls modern eingerichtet, aber auch dort hatte es diese persönlichen Tupfer gegeben, einen antiken Schreibtisch, eine große Anzahl bunter Kissen auf den hellen Sitzmöbeln, Blumen, einfach und in kräftigen Farben, auf verschiedene Vasen verteilt.
Er mochte, was er sah. Dies war keine Wohnung aus „Schöner Wohnen“, hier wurde gelebt.
„Ich mag dein Haus – es strahlt viel Persönlichkeit aus, ohne kalt und abweisend zu wirken.“ Er war aufgestanden und ging in der Küche herum, blieb vor einer Wand stehen, an der Kinderbilder aus unterschiedlichen Zeitphasen hingen. Von ganz einfachen Buntstiftzeichnungen eines Kleinkindes, bis hin zu einer gerahmten Bleistiftzeichnung von Berit und Magnus. „Sind die alle von Tim?“ „Ja, er hat es schon immer geliebt, zu zeichnen. Und er ist richtig gut. Ich habe eine Aquarellzeichnung von ihm von St.Michaels Mount. Er hat sie mir letzte Weihnachen geschenkt. Sie ist sehr gut.“ „Ich glaube, die kenne ich sogar. Und sie ist tatsächlich gut. Er sollte etwas aus seinem Talent machen.“ Er kam zum Tisch, als sie die Kaffeetassen dort abstellte.
Er nahm einen Schluck. Die Wärme tat gut. „Wie geht es dir?“ fragte er, um den Moment des Schweigens zu überbrücken. „Es geht mir gut. Ich kehre langsam ins Leben zurück.“ Sie nahm ebenfalls einen Schluck Kaffee. „Nie hätte ich gedacht, dass mich Magnus Tod in ein derartiges Vaccuum werfen könnte. Eines Morgens bin ich aufgewacht und wusste, es war Zeit mit dem Trauern aufzuhören, es würde nichts ändern. Ich wusste, ich muss nun mein Leben aufbauen, neu kreieren.“ Sie lachte auf, als sie an jenen Tag zurück dachte. „Ich bin aufgestanden, habe mir meine ältesten Klamotten angezogen und angefangen, das Haus auf den Kopf zu stellen. Dann bin ich in den Baumarkt gefahren und habe Farbe, Farbrollen und Pinsel gekauft. 3 Wochen lang habe ich geräumt, gestrichen und dann neue Möbel gekauft.“ Sie atmete durch. „Nun ist es mein Haus. So wie ich es mir vorstelle.“ Er sah sie prüfend an. Ja, da war wieder ihr altes Feuer, dieses Strahlen in ihren Augen, die Impulsivität und Begeisterung. „Natürlich habe ich Dinge aus unserer Ehe behalten, Magnus wird immer ein Teil meines Lebens sein.“ Sie sagte es fast entschuldigend. Er verstand. „Du kannst nicht 20 Jahre mit einem Menschen verbringen, glückliche Jahre, und ihn dann einfach vergessen. Diese Jahre sind ein Teil von dir, haben dich geformt. Ich würde nie erwarten, dass du das vergisst oder unterdrückst.“ Sie atmete erleichtert auf. Wagte zum ersten Mal, seit er gekommen war, ihn richtig anzusehen, suchte seine Augen, die so hell leuchteten. Es war ihr fast so, als könne er in sie hinein sehen. Es war Zeit, die Initiative zu ergreifen. Vor lauter Rücksicht, würde er wahrscheinlich nie den ersten Schritt wagen. Er sah, wie sie sich sammelte. Was kommt jetzt, fragte er sich insgeheim, doch dann traf ihn ihr neckisches Grinsen wie ein Blitz und die Wärme, die ihn durchflutete, kam nicht nur vom Kaffee. „Weißt du, welchen Raum ich als erstes rundum erneuert habe?“ Er schüttelte den Kopf, wagte kaum zu atmen, soviel Hoffnung machte sich plötzlich in ihm breit. „Mein Schlafzimmer. Alles neu“ ihre Stimme klang stolz und zufrieden, fast schon selbstzufrieden. „Ganz besonders mag ich mein neues Bett.“ Sie stand auf, nahm seine Hand. „Willst du es mal sehen?“ Er stand mit auf, stoppte sie aber, indem er sie zu sich herumdrehte und ihr die Hände auf die Schultern legte. Langsam fuhr er ihre Arme auf und ab, fühlte, wie sie erschauerte. „Berit, ich will es nicht nur sehen! Bist du ganz sicher, das du das willst?“ Er sah sie leicht zögern. Sein Herz fiel ihm in die Knie. Wenn sie es sich nun anders überlegte. Sie sah seine Unsicherheit, sah aber auch sein Verlangen und wusste, hier gab es keinen Schritt zurück, nicht das sie das wollte. „Komm, Simon. Ich habe lange genug allein in diesem Bett gelegen. Ich will dich und jetzt ist genau die richtige Zeit.“
Bevor sie noch einen Schritt gemacht hatte, hatte er sich an sich gedrückt, nahm ihr einen Moment den Atem, bevor er ihren Mund mit seinem umschloss. Der Kuss vertiefte sich, sie fühlte, wie ihr ganzer Körper sich entspannte und sie in seiner Umarmung versank. Nach einiger Zeit mussten sie beide nach Luft schnappen, aber er ließ sie nicht los. Mit einem Schwung hatte er sie auf die Arme genommen, ging mit festen Schritten in die Richtung, in der er die Schlafzimmer vermutete. Berit lachte, „Simon, ich bin zu schwer für dich.“ „Leicht wie eine Feder. Ich lass dich so schnell nicht wieder los, welche Tür?“ „Die 2. rechts“ gab sie an. Er machte sich nicht die Mühe, das Licht anzumachen, der Schein der Dielenbeleuchtung reichte ihm vollkommen, um das Bett zu finden. Sanft ließ er sie darauf nieder, umfasste ihr Gesicht, küsste sie lange und tief. „Letzte Chance Nein zu sagen.“ Sie schlang die Arme um seinen Hals, erwiderte den Kuss und sagte. „Du redest zuviel, Simon!“

Zum Reden waren sie dann erst sehr viel später wieder gekommen. Zu ausgehungert nach körperlicher Nähe und Liebe, hatten sie sich beim ersten Mal nicht allzu viel Zeit gelassen. Beide voller Sehnsucht nach dem anderen. Kleidungsstücke wurden in Hast und ohne Zeremonie abgelegt. Simon warf sich hinterher vor, nicht genug Finesse an den Tag gelegt zu haben, sich und ihr nicht genug Zeit gegeben zu haben, aber sie war bereit genug gewesen, um ihn aufzunehmen, hatte mit der gleichen Heftigkeit nach ihm verlangt, wie er nach ihr. Als sie erschöpft und erfüllt wieder zu Luft kamen, zog er sie eng zu sich heran, streichelte sanft über ihren Rücken. „Ich glaube, eine Entschuldigung ist angebracht“, fing er an, aber sie unterbrach ihn sofort. „Keine Entschuldigungen.“ „Gut, dann eine Erklärung.“ Er brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen, als sie ansetzte, ihm zu widersprechen. Das führte dazu, dass auch er eine Weile nichts mehr sagte. „Lass mich erklären, bitte.“ Er drehte sich auf die Seite, sah sie ernst an. „Ich hätte uns mehr Zeit lassen sollen, aber ich wollte dich so sehr, habe mir alle die Wochen vorgestellt, wie es mit uns sein könnte, dass ich ein wenig die Kontrolle verloren habe. Ich hätte sanfter sein sollen.“ Sie sah, dass es ihm ernst war. Lächelnd strich sie ihm eine Haarsträhne aus der Stirn, fuhr mit den Fingern seine Gesichtskonturen nach, endete bei seinen Lippen. „Ich bin nicht zerbrechlich, Simon, und auch keine unerfahrene Jungfrau. Ich wollte dich genauso sehr und glaube mir, sollte mir mal etwas nicht gefallen, werde ich es laut und deutlich sagen.“ Sie hob den Kopf und küsste ihn fest auf den Mund. „Außerdem“, fügte sie hinzu, „für sanft und langsam, bleibt uns noch die ganze Nacht.“ Simon lachte, drückte sie erneut an sich. „Wie Madam befehlen.“ Mit leichten Küssen arbeitete er sich von ihrem Mund, den Hals entlang zu ihren Brüsten. Berit seufzte auf, als sie seinen Atem leicht auf ihren Brustwarzen spürte. „Dann lass die Nacht beginnen.“
Berit konnte sich später nicht mehr erinnern, ob sie überhaupt einmal geschlafen hatte. Wenn sie sich nicht liebten, hatten sie sich Dinge aus ihrem Leben erzählt und dabei auch nicht seine gescheiterte Ehe oder ihr Leben mit Magnus ausgeschlossen. Sie waren sich in dieser Nacht so unendlich nahe gekommen. Und gelacht hatten sie gemeinsam. Über sich, über andere, über Dinge, die sie erlebt hatten. Unbeschwert waren diese Stunden gewesen. Als sie endlich eingeschlafen waren, wurde es bereits langsam hell. Daher war auch das erste Gefühl, das Simon verspürte, Durst und Hunger. Er war alleine im Bett. Ein Blick auf die Uhr neben dem Bett zeigte, das es bereits 14.oo Uhr war. Gott sei Dank hatte der Wecker auch eine Tagesanzeige, und so konnte er sehen, dass es doch noch Sonntag war. Noch 24 Stunden, dann musste er wieder zurück, nach England, und sie würde hierbleiben. Falls er geglaubt hatte, dass eine Nacht mit ihr seine Sehnsucht stillen würde, dann hatte er sich gewaltig geirrt. Die Erinnerung an sie, ihr Duft, das Gefühl ihrer Hände und ihrer Lippen auf ihm, seine Hände die über ihren Körper strichen, das alles war nun in ihm eingebrannt. Er hatte stets gewusst, dass Berit keine kurze Affäre sein würde, aber nun musste er sich eingestehen, dass er viel, viel mehr wollte. Die Frage war nur, was wollte sie. Und wie konnte er sein Ziel erreichen. Er fragte sich, wo Berit war, doch da wurde ihm klar, was seine Sinne schon länger erkannt hatten. Es roch nach Kaffee und Essen. Simon stand auf. Eines seiner Grundbedürfnisse konnte er leicht befriedigen, er musste nur seiner Nase folgen.
In der Tat fand er Berit in der Küche, wo sie ähnlichen Gedanken nachhing, wie er. Berit war erschrocken über die Gefühle, die in ihr wallten. Es geht zu schnell, sagte eine Stimme in ihr. Warum Zeit verschwenden, sagte eine andere. Wären da nicht so viele Fragen gewesen, Berit hätte der zweiten Stimme nachgegeben. Sie hatte die Nacht genossen. Innerlich musste sie sogar über ihr Verhalten lächeln. Wie jungverliebte hatten sie sich benommen, gestand sie sich leicht verschämt ein. Verliebt. Dies war der Punkt. War sie wirklich verliebt, oder genoss sie einfach nur die Aufmerksamkeiten eines Mannes, der sie begehrte. War sie – nach 20 Jahren Ehe – nicht in der Lage allein zu sein und floh deshalb schon in die nächste Beziehung. Sie konnte es nicht beantworten, bereute gleichzeitig, dass sie sich darum brachte, die Zeit mit Simon wirklich zu genießen, so kurz wie sie war. Auf einmal bemerkte sie, dass sie beobachtet wurde und sah auf. Da stand er im Türrahmen, ganz lässige Männlichkeit. Er hatte sich Jeans und ein Hemd übergezogen, dieses aber nicht zugeknöpft, so dass sie seinen durchtrainierten Oberkörper, mit dem Flaum hellblonder Haare bewundern konnte. Sie merkte, wie sich ihr Unterleib zusammenzog und sie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr. Simon grinste keck, als er ihre Reaktion bemerkte. „Schon wieder Hunger?“ fragte er zweideutig und kam langsam auf sie zu. Wie eine Raubkatze, die sich anschleicht, schoss es Berit durch den Kopf. Sie ließ ihn ganz nahe herankommen, bevor sie ihn mit dem Kochlöffel auf Abstand hielt. „Hunger ja, aber erst mal was gibt es etwas Substanzielles, dann können wir weiter sehen.“ Simon lachte, raubte sich dann aber doch einen schnellen Kuss. Ihm gefiel, dass Berit genauso gut austeilen wie einstecken konnte. Und das keine Verlegenheit zwischen ihnen herrschte. Sie ging mit ihrer Sexualität, ihrem Körper und auch dem seinen, ganz natürlich um, ohne Verschämtheit. „Ich bin in der Tat kurz vorm Verhungern. Kaffe habe ich schon gerochen, und was gibt es hier?“ Neugierig schaute er in den Topf. „Gleich fertig,“ sagte sie. „Chili Concarne, mit viel Fleisch. Eine meiner Spezialitäten. Ich war der Meinung wir könnten beide was gut Füllendes brauchen.“ Sie wurde vom Klingeln an der Haustüre unterbrochen. Runzelte die Stirn und verfluchte die Störung. „Nimm dir schon mal Kaffee, ich schau schnell nach wer das ist und verscheuche ihn.“ Simon sah ihr nach, sie wirkte so jung, barfuss, lediglich mit T-Shirt und Jogginghose bekleidet, die Haare noch vom Schlafen und seinen Händen verstrubbelt. Er hatte die Befürchtung, dass dieser Typ von gestern vielleicht vor der Tür stand. Simon wollte nicht darauf wetten, dass dieser auch weiterhin versuchen würde, bei Berit zu landen. Doch es war nicht eine männliche, sondern eine weibliche Stimme, die mit Stakkatogeschwindigkeit etwas sagte, was Simon nicht verstand und die immer näher kam. Simon überlegte kurz, ob er sich verstecken sollte, aber dann kam ihm die Lächerlichkeit dieser Überlegung in den Sinn und er blieb einfach am Herd stehen, eine Tasse Kaffee in der Hand. So fand ihn Cassandra vor, als sie, ohne groß auf Berits nervöse Versuche, sie im Eingang aufzuhalten zu achten, in die Wohnung stürmte. In dem Moment, wo Berit die Türe geöffnet und Cassandra davor stehen sah, fiel ihr ein, dass sie beide eine Verabredung gehabt hatten. Alles was Cassandra sah, war eine nachlässig gekleidete, ungekämmte, ungeschminkte Berit, die offensichtlich ihre Verabredung zum Kino vollkommen vergessen hatte. Während sie – auf ihre gewohnte Art ohne Punkt und Komma – Berit ausschalt und aufforderte sich endlich fertig zu machen, schritt sie zur Küche, aus der auch sie den köstlichen Geruch von Berits Chili Concarne wahrnahm. Zum Halten kam sie erst, als sie Simon, mit offenem Hemd, barfuss und offensichtlich unrasiert, mit einer Tasse Kaffe in der Hand am Herd lehnen sah. Ein erneuter und diesmal genauerer Blick auf ihre Freundin verschlug ihr die Sprache, allerdings nur kurz. Ihre Augen verengten sich leicht, Simon sah, wie sie ihn abschätze und überlegte, dann kam sie langsam auf ihn zu, streckte die Hand aus und sagte „Ich schätze mal, sie sind Simon.“ Er nahm ihre Hand, gab den festen Handdruck zurück und nickte nur. „Ich bin Cassandra, Berits beste Freundin.“ Und Beschützerin. Sie hatte es zwar nicht laut gesagt, aber Simon konnte es hören. „Ich habe schon von dir gehört.“ Sagte er schlicht. Berit war neben ihn getreten, legte ihm einen Arm um die Taille, wie um ihm zu versichern, dass er den prüfenden Blicken ihrer Freundin nicht alleine ausgesetzt war. Cassandra entging diese Geste nicht, genauso wenig wie der Arm von Simon, der sich nicht weniger schützend um Berits Schultern legte.
„Nun, “ sagte Cassandra „ich kann jetzt ja verstehen, warum du unsere Verabredung vergessen hast. Zur Entschädigung kannst du mich zum essen einladen.“ Dabei legte sie ihren Mantel ab, setzte sich an den Tisch und schaute an Berit vorbei Simon mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Du hast zwar schon offensichtlich von mir gehört, aber glaube mir, ich habe noch lange nicht genug von dir gehört.“ Berit verdrehte die Augen, schob Simon Richtung Tisch und machte sich daran, Cassandra noch einen Teller zu holen. „Sandra, lass den Mann in Ruhe. Du kannst mit essen, aber wenn du ihn zu sehr grillst, werfe ich dich hinaus, beste Freundin oder nicht.“ Cassandra grinste Simon an. „Leere Drohungen. Man wird mich nicht so leicht los. Aber gut, essen wir erst mal was.“ „Und danach dann die Inquisition?“ fragte Simon und grinste zurück. „Zumindest kann ich es versuchen.“ Doch Cassandra musste eingestehen, dass Simon eine harte Nuss war. Nicht umsonst, wusste er sehr wohl, wie man Fragen ausweichen und selber doch jede Menge aus anderen Leuten herausholen konnte. „Deine Schüler tun mir leid. Wahrscheinlich können sie gar nichts vor dir verbergen.“ „Nicht viel. Aber ich lasse ihnen ab und zu die Illusion.“ Ein Handy klingelte, Simon entschuldigte sich. „Wahrscheinlich die Schule. Bin gleich wieder da.“
Kaum war er aus dem Raum, als Cassandra sich zu Berit wandte. „Wir haben jetzt nicht viel Zeit, aber wenn er wieder abgereist ist, erwarte ich einen vollen, ausführlichen und wahrheitsgetreuen Bericht. Nichts wird ausgelassen.“ Berit lachte. „Da muss ich wohl bei Simon noch ein wenig lernen, wie man Fragen geschickt umgeht.“ „Ich mag ihn. Und er scheint dir gut zu tun.“ Berit seufzte ein wenig. „Ja, das tut er. Obwohl ich noch nicht so genau weiß, wo hier die Reise hingeht.“ Sie überlegte. „Ich weiß vor allem nicht, was ich will.“ „Genieß es einfach. Alles andere findet sich wahrscheinlich von selbst.“ Als Simon wieder in die Küche kam, stand sie auf. „So, ich gehe jetzt. Will euch nicht länger stören.“ Simon half ihr in den Mantel. Doch statt seine Hand zu nehmen, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und drückte ihm rechts und links einen Kuss auf die Wangen. „War nett dich kennenzulernen. Ich hoffe, das war nicht das letzte Mal.“ Simon sah sie einen kurzen Moment ernst an. „Das hoffe ich auch. Und dito, was das Kennenlernen angeht.“
Als hinter Cassandra die Türe zufiel, umarmte Berit ihn, legte ihren Kopf an seine Schulter. „Tut mir leid, dass sie so versucht hat dich auszufragen. Aber du hast gut pariert.“ „Ich habe schlimmeres überlebt. Hast du jemals vor einem Gremium von Schul-Schirmherren gesessen und dich um einen Direktorenposten beworben?“ Er küsste sie sanft auf die Stirn, folgte ihren Gesichtskonturen und landete schließlich bei ihrem Mund. Davon konnte er einfach nicht genug bekommen. „ Wir haben noch knapp 24 Stunden, bevor ich wieder weg muss. Lass sie uns nutzen. Ich möchte noch so viel von dir kennenlernen.“ Berits Verlangen war sofort entfacht. „Was willst du wissen?“ hauchte sie zwischen seinen Küssen, konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen.
„Komm mit ins Schlafzimmer und ich zeige es dir.“

Die Zeit mit ihm war viel zu schnell vergangen. Als Berit vom Flughafen wegfuhr, nachdem sie noch gewartet hatte, bis seine Maschine abgeflogen war, fühlte sie bereits die Lücke, die er hinterlassen hatte. Wieder würde sie in ein leeres Haus kommen, das diesmal mit ganz anderen Erinnerungen gefüllt war. Und sie würden sich so lange nicht sehen können. Weihnachen war unmöglich. Zum einen war ihre Schwiegermutter da, die nicht nur kein Verständnis haben würde, sondern auch absolut gegen eine neue Beziehung ihrer Schwiegertochter sein würde. Außerdem war da noch Tim. Wahrscheinlich wäre er nicht dagegen, aber die Situation war schwierig, mit Simon als Direktor. Aber Simon hatte zusätzlich eingewendet, dass dies das erste Weihnachten ohne Magnus war. Eine schwierige Zeit in jedem Fall. Es war unnötig und unter Umständen sogar schmerzhaft, sie noch zusätzlich durch einen neuen Mann in Berits Leben zu komplizieren. Sie würden also wieder telefonieren, mehr und länger vielleicht, wie bisher.
Es war auch ganz offen geblieben, wie es mit ihnen weitergehen würde. Beide hatten von ihrem Verlangen gesprochen, aber nicht von Liebe. Berit war froh darüber. Immer noch fühlte sie sich gegenüber Magnus schuldig, obwohl ihr Verstand etwas anderes sagte. Simon hatte das instinktiv verstanden, verstanden, dass er sie nicht drängen durfte. Als er nach Hamburg gefahren war, hatte er sich nicht träumen lassen, dass sie ihn überhaupt mit derart offenen Armen empfangen würde. Die 2 Tage mit ihr waren unvergesslich schön. Die Erinnerung musste für eine lange Zeit reichen, obwohl er bereits darüber nachdachte, wie ein nächstes Treffen arrangiert werden konnte. Aber genau wie Berit, war auch er sich nicht sicher, wohin diese Beziehung führen würde. Zwar war er kein Mann für oberflächliche Affären, aber sein gescheiterter Eheversuch lastete auf ihm. Er wollte nicht noch einmal Schiffbruch erleiden.
Die nächsten Wochen telefonierten sie fast täglich mit einander, meist spät abends, wenn Ruhe in der Schule eingekehrt war und Simon sicher sein konnte, das kein Schüler oder Kollege ihn mehr störte. Berit hatte manchmal den Eindruck, dass sie sich durch diese Gespräche besser kennenlernten, als es möglich gewesen wäre, hätten sie sich täglich gesehen.
Weihnachten kam und die Freude auf Tim und die Zeit mit ihrer Familie, verdrängte das Unbehagen, ihre Schwiegermutter, die stets sehr kritisch und eigenbrötlerisch war, bei sich zu beherbergen. In der Tat verliefen diese Tage rechts harmonisch, was zum großen Teil Tim zu verdanken war, der sich sehr selbstlos um seine Großmutter kümmerte, wusste er doch, wie angespannt das Verhältnis zwischen ihr und seiner Mutter war. Berit entspannte sich zusehends. Um so überraschender kam es für sie, das am letzten Tag, als Tim ein paar Stunden mit Freunden verbrachte, ihre Schwiegermutter mit vorwurfsvoller Stimme und anschuldigen Blick, äußerte, dies wäre das letzte Mal, wo sie unter diesem Dach wohnen würde. Berit wusste einen Moment nicht, was sie äußern sollte. Aber offensichtlich war die alte Frau auch noch nicht fertig. „Ich sehe wohl, dass du auf dem besten Weg bist, meinen Sohn endgültig aus deinem Leben zu verdrängen. Es würde mich nicht wundern, wenn da auch schon eine anderer Mann wäre.“ Berit konnte nur hoffen, dass sie nicht errötete. Um ein wenig Zeit und Fassung zu gewinnen, stand sie auf und ging im Zimmer auf und ab. „Ich weiß nicht, was du meinst, Karla. Magnus ist immer noch sehr lebhaft in meinen Gedanken und Erinnerungen. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an ihn denke.“ Sie merkte, wie sie wütend wurde auf diese selbstgefällige, alte Frau. Diese schaute sie nur aus dunklen Augen missbilligend ansah. „Du machst mir nichts vor. Schau dich doch um, “ mit dem Arm zirkelte sie durch den Raum. „Alles neu, als wolltest du ganz bewusst alles war Magnus hier geschaffen hat ausmerzen.“ Ihr Blick war nun nicht mehr nur missbilligend, er war voller Hass und Schmerz. „Ein neues Schlafzimmer. Neue Kleider. Dein ganzes Benehmen. Da ist keine Trauer, kein Schmerz, kein Verlust, den du spürst.“ Berit nahm sich zusammen. Sie rief sich in Erinnerung, wie einsam sich Karla fühlen musste, versuchte ruhig zu bleiben. Doch bevor sie noch etwas erwidern konnte, holte diese zum Todesstoss aus. „Nicht Liebe lässt dich an Magnus denken, es ist dein schlechtes Gewissen, weil du ihn schon derart aus deinem Leben verdrängt hast.“ Berit verschlug es die Sprache. Diese Vorwürfe kamen so nah an ihre eigenen Vorhaltungen heran, dass sie nicht wusste, was sie antworten sollte. „Ha, ich wusste es. Habe es immer gewusst. Ich habe Magnus damals gewarnt, aber er wollte ja nicht hören, war verblendet, weil ein so junges Mädchen angeblich in ihn verliebt war. Schlampe.“ Dieses letzte Wort, mit soviel Hass und Verachtung gesprochen, weckte Berit aus ihrer Starre. Es war, als würde all die aufgesparte Wut in ihr, angesammelt über die ewigen kleinen Sticheleien, mit einem Mal ein Ventil finden. Innerlich kochend, war sie nach außen ganz kalt. Sie ging langsam auf ihre Schwiegermutter zu, setze sich vor diese auf den Couchtisch, war auf einer Höhe mit ihr und sah ihr einen langen Moment in die Augen. Offensichtlich merkte die alte Dame nun, dass sie zu weit gegangen war. Aber statt zurück zu weichen, straffte sie die Schultern, wie um sich gegen einen Schlag zu stemmen. Berits Stimme klang kalt und klar. „Karla, du hast deine Rechte als Magnus Mutter und Tims Oma bei weitem überschritten. 20 Jahre habe ich deine kleinen Sticheleien und Beleidigungen ertragen und geschluckt. Schluss damit. Du hast Recht, ich bin in der Tat dabei, mir ein eigenes, neues Leben aufzubauen. Nicht aus eigenem Wunsch heraus, sondern weil dein Sohn nicht mehr bei mir ist. Ich war ihm immer treu und habe ihn geliebt – und das weißt du, wenn du einmal deinen Egoismus eine Minute zurückstellst.“ Sie atmete tief durch. „Ich bin 42, ich habe hoffentlich noch ein langes Leben vor mir und werde mich nicht mit Erinnerungen, unerfüllten Wünschen und verschütteten Gefühlen in einem Mausoleum vergraben. Ich werde versuchen, mein Leben zu leben, wie ich es für richtig halte, gegebenenfalls auch mit einem neuen Mann. Und wenn es dir nicht passt, Pech!“ Sie stand auf, ging zum Esstisch um sich ein Glas Wein einzuschenken. Bei Gott, das brauchte sie nun. Als sie sich wieder herumdrehte, hatte Magnus Mutter sich nicht gerührt, starrte nur geradeaus. „Ich werde nicht mehr hierher kommen. Du bist nicht mehr meine Schwiegertochter.“ Sie drehte den Kopf und sah Berit aus immer noch unerbittlichen Augen an. „Ich werde Tim von unserer Unterredung unterrichten. Der Junge soll wissen, was für eine Frau seine Mutter ist.“ „Das ist nicht nötig, das weiß ich bereits.“ Berit und Karla wendeten sich gleichzeitig zur Tür, völlig überrascht, Tim dort stehen zu sehen. So sehr waren sie in ihren Streit vertieft gewesen, dass sie ihn bisher nicht gemerkt hatten. Tim ging zu seiner Mutter, legte ihr einen Arm um die Schultern. Vor Erleichterung lehnte Berit sich einen Moment an ihn. Einen Augenblick lang, hatte sie befürchtet, er könnte sich von den Worten seiner Großmutter beeinflussen lassen. „Du glaubst wahrscheinlich, du müsstest zu deiner Mutter halten, aber dein Vater hat ihr Verhalten nicht verdient. Du bist alt genug, um einzusehen, wie oberflächlich und berechnet deine Mutter ist.“ Karla gab nicht auf, dachte Berit. Sie merkte, wie Tim sich verspannte, legte im beruhigend eine Hand auf den Rücken. „Großmutter, es tut mir sehr leid, wenn du dich hier so unwohl fühlst. Wenn du möchtest, fahr ich dich gleich morgen nach Hause. Aber du hörst auf, meine Mutter zu beleidigen, oder du siehst auch mich nie wieder.“ Nicht nur der alten Frau verschlug es die Sprache. Tim hatte ganz ruhig gesprochen, aber gerade das ließ ihn so erwachsen erscheinen und machte ihr klar, dass er es absolut ernst meinte. Karla überlegte nur einen Moment, dann stand sie langsam auf. Steif und stolz, aber in ihren Augen standen Tränen. „Ich habe gesagt, was ich für richtig halte, dazu stehe ich. Das du deine Mutter verteidigst, ehrt dich, obwohl ich glaube, dass du einen Fehler machst, aber ich will nicht auch noch meinen Enkel verlieren.“ Sie ging zur Türe, drehte sich noch einmal halb herum, sah aber nur Tim an. „Dein Angebot, mich nach Hause zu fahren nehme ich. Ansonsten bleibe ich dabei, ich werde nicht mehr hierher kommen und verzichte auf deine Einladungen oder Besuche, Berit.“ Damit drehte sie sich um und verließ den Raum. Berit holte tief Luft. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie vollkommen erschöpft war. Kurz drückte sie Tim an sich, dann ließ sie sich in einen Sessel fallen und verbarg das Gesicht in ihren Händen. Wie gerne hätte sie jetzt Simon angerufen, nein, wie viel mehr wünschte sie sich, er wäre jetzt hier und würde sie in die Arme nehmen und trösten. Doch zuerst mussten ihre Gedanken nun Tim gelten. Was er da miterlebt hatte, war nicht schön gewesen, wie er sich verhalten hatte, machte es ihr warm ums Herz. Sie war so stolz auf ihren Sohn. „Sie sah hoch, sah, dass er sich in den Sessel ihr gegenüber gesetzt hatte, und sie ruhig ansah. „Danke, Tim.“ Sagte sie schlicht. „Du hast mich sehr stolz gemacht, auch wenn ich sehr bedauere, dass du dieses Gespräch mit anhören musstest.“ „Sie hatte nicht das Recht, all diese Dinge zu sagen.“ Seine Stimme zitterte nun leicht. Er sah sich um, sah die Veränderungen, die seine Großmutter wahr genommen hatte, nicht nur an der Wohnung, sondern auch an seiner Mutter. Er war lediglich glücklich gewesen, dass sie sich gefangen hatte, nicht mehr nur traurig war und wieder Spaß am Leben hatte. Weitere Hintergedanken, hatte er nicht gehegt. Aber nun musste er es wissen. “Stimmt es, was sie gesagt hat?“ „Was von all dem?“ fragte Berit bitter. Doch dann riss sie sich zusammen. Nach der Szene vorhin hatte Tim ein Recht auf diese Frage und auf ihre Antworten. „Es stimmt nicht, dass ich deinen Vater oder die Zeit mit ihm vergessen habe, oder vergessen will. Es waren wunderbare Jahre, die wir alle zusammen hatten, ich hätte gerne mehr gehabt. Aber er ist nicht mehr da. Ich kann jetzt noch 20 Jahre in Sack und Asche herumlaufen, aber davon kommt er auch nicht zurück und weder dein Leben, noch meins wird dadurch besser. Oder wolltest du das?“ „Nein, ganz bestimmt nicht. Ich habe schon bemerkt, dass du wieder fröhlicher bist, wieder wie früher und fand das schön.“ Berit nickte ihrem Sohn zu. „Ja. So wie früher wird es nie mehr, aber deshalb muss ich doch weiterleben.“ Tim zögerte einen Moment, aber er wusste, er musste die Frage stellen. „Hast du einen neuen Freund?“ Berit seufzte. „Ja und nein. Da ist jemand, den ich sehr, sehr mag und ich glaube, er mag mich ebenfalls…“ „Aber?“ fragte er nach „er ist nicht verheiratet?“ „Nein!“ Sie lächelte. „Geschieden bzw. kurz davor. Aber er ist nicht aus Hamburg, wir können uns nicht oft sehen. Ich weiß nicht, wohin das führen wird und ich habe manchmal ein schlechtes Gewissen.“ „Nicht aus Hamburg! Das ist gut.“ „Wieso? Was meinst du damit?“ Tim schaute sie ein wenig verlegen an. „Einen Augenblick hatte ich Angst, es wäre Stephan Sommer. Den fände ich schrecklich für dich.“ Berit musste nun trotz allem lachen, stellte sich Simons Gesicht vor, wenn sie ihm das erzählte und fragte sich insgeheim, wie Tim auf seinen Direktor als Freund seiner Mutter reagieren würde. „ Es ist definitiv nicht Stephan. Aber solange ich nicht sicher bin, ob aus dieser Freundschaft mehr wird, möchte ich nicht weiter ins Detail gehen. Ist das ok?“ Tim nickte, stand auf und umarmte seine Mutter. „Ist ok. Das kann ich gut verstehen. Aber wenn du es weißt, dann sag es mir bitte. Ich versuche, auch nicht zu meckern.“ „Stört es dich, das ich mich wieder auf eine Beziehung einlasse?“ fragte Berit. Tim merkte, dass seine Antwort für seine Mutter sehr wichtig war. Deshalb überlegte er einen Augenblick. „Nicht wirklich. Weil es ist noch nicht wirklich greifbar ist. Ich glaube auch nicht, dass es mich im Prinzip stört, aber ich wünsche mir schon, dass es jemand ist, den ich mag.“ „Das ist mir auch wichtig.“ Sie umarmten sich und Berit dankte ihrem Schicksal und Magnus, dass sie es geschafft hatten, Tim zu so einem offenen und gradlinigem Menschen zu erziehen.

Die Zeit bis zu Tims Abreise nach Cornwall verging viel zu schnell. Berits Sehnsucht nach Simon wurde immer größer und konnte durch ihre Telefonat und Briefe nicht gestillt werden. Simon ging es genau so. Immer wieder suchten sie nach Wegen, sich zu sehen, aber mit Prüfungen und Examen, die in fast allen Jahrgangsstufen anstanden, war es ihm nicht möglich, ein paar Tage frei zu machen. Und aus Rücksicht gegenüber Tim, konnte Berit nicht nach Cornwall fahren. Die Gefahr, dass sie sich in dem kleinen Ort über den Weg liefen oder irgendjemand Berit sah, war einfach zu groß. Beide hassten diese Heimlichkeiten, wussten aber, dass es bis zum Sommer, keinen andern Weg gab.
Doch als Berit schon fast die Hoffnung aufgegeben hatte, kam ihr der Zufall zu Hilfe. Nur eine Woche vor seinen Halfterm-Holidays rief Tim an und bat um Erlaubnis, mit Moritz zum Skilaufen fahren zu können. Einen Moment war Berit enttäuscht, ihn nicht zu sehen, aber dann stimmte sie zu. Zum einen, weil sie merkte, wie gerne er mit seinem Freund etwas unternehmen wollte, zum anderen war hier eine Chance, Simon zu sehen. Sie wusste bereits, dass er wegen Prüfungsvorbereitungen und organisatorischen Dingen nicht aus Cornwall weg konnte. Nachdem sie Tim viel Spaß beim Skifahren gewünscht hatte, buchte sie einen Flug nach Newquay, packte ihren Koffer und meldete sich bei Cassandra ab. Kurz überlegte sie, ob sie Simon von ihrer Ankunft erzählen sollte, aber dann entschied sie sich, ihn zu überraschen. Es war in den letzten Tagen schwierig gewesen, ihn ans Telefon zu bekommen und die ganzen Abiturvorbereitungen lenkten ihn ab.
Die Reise verlief völlig ereignislos, dauerte Berit aber viel zu lange. Sie fieberte nun danach, Simon wiederzusehen. In Newquay mietete sie sich ein Auto, fuhr so schnell, wie es möglich war durch die wunderschöne Landschaft Cornwalls. Es dämmerte bereits leicht, als sie in Penzance ankam. Simons Haus lag nicht weit entfernt von der Schule, sie fuhr direkt dorthin, um unnötiges Aufsehen zu vermeiden. Hinter mehreren Fenstern brannte Licht, sie hatte Glück, er war bereits zu Hause. Ihre Reisetasche ließ sie im Auto, ging zielstrebig auf den Eingang zu, stellte sich Simons überraschten Gesichtsausdruck vor, als sie schellte. Es dauerte nicht lange, bis die Tür aufgerissen wurde, doch das Lachen erstarb auf ihrem Gesicht. Nicht Simon stand im Türrahmen, sondern eine blonde Frau, in Leggins und Flipflops, ein kurzärmeliges T-Shirt, fiel ihr bis zur Mitte der Oberschenkel. Berit erkannte es als eins von Simons Sport-T-Shirts, die Frau als Ruth, Simons Ex. Diese sah sie fragend an, bevor sich so etwas wie Erkennen und dann Berechnung in ihren Blick schlich. Fragend zog sie die Augenbrauen hoch. „Kann ich ihnen helfen?“ Berit sammelte sich. Sicher gab es eine logische Erklärung für Ruths Anwesenheit. „Ich möchte zu Simon Torrington.“ Sagte sie fest. „Mein Mann ist noch nicht da.“ „Ihr Mann…ich dachte, er ist geschieden?“ Berit konnte sich die Frage nicht verkneifen. „Wir sind wieder zusammen. Die Trennung war ein Fehler.“ Sie zuckte die Achseln. „Wollen sie reinkommen? Sie können ja auf ihn warten.“ Das klang fast herausfordernd. Berit überlegte einen Moment, ob sie tatsächlich auf Simon im Haus warten sollte. „Sie sind Berit, nicht war? Simon hat mir von ihnen erzählt.“ Ruths stimme klang ein wenig triumphierend. „Sie beide haben sich gegenseitig getröstet. Er hätte ihnen sagen sollen, dass wir wieder zusammen sind. Typisch Mann, feige.“ Berit konnte den mitleidigen Unterton nicht ertragen. Ohne weiteres Wort drehte sie sich um, stieg ins Auto und fuhr fort. ‚Nur nicht weinen, nur nicht weinen. Erst weg von hier.’ Waren die einzigen Gedanken, die sie zuließ. Sie schaffte es aus dem Ort heraus, bis zu einem Rastplatz. Dort hielt sie an, saß regungslos da und schaute durch die Windschutzscheibe, ohne irgendetwas zu sehen. Nun verstand sie Simons Geistesabwesenheit in den letzten Tagen. Einmal war er richtig kurz angebunden gewesen. Er hatte nicht die Worte gefunden es ihr zu sagen. Berit ließ den Kopf aufs Lenkrad sinken, aber sie wollte nicht weinen. Nicht schon wieder über einen Verlust trauern. Lieber wütend sein. Wütend auf Simon, der sie belogen hatte. Erst hatte er ihre Widerstände gebrochen und nun ihr Herz. Mistkerl. Sie würde nicht trauern, keine Träne war er wert. Und so etwas würde ihr nicht noch einmal passieren, schwor sie sich. Sie stieg aus, sog gierig die kalte, feuchte Luft ein, fühlte sich besser, als sie den Zorn in sich spürte. Auf Simon, aber auch auf sich selbst, weil sie zugelassen hatte, das ein Mann wieder so viel Raum in ihrem Leben einnahm. Weil sie ihm in gutem Glauben so leicht ihre Zuneigung geschenkt hatte. Nie wieder. Berit stieg ein, startete das Auto und fuhr Richtung Newquay. Sie würde nach hause zurückkehren und dort ihr Leben noch einmal neu gestalten, und diesmal ausschließlich für sich und nach ihren Wünschen und Bedürfnissen.
Zu dem Zeitpunkt, da Berit an seiner Haustür klingelte, verließ Simon, tief in Gedanken, sein Büro. Er würde es ihr heute sagen müssen, dessen war er sich bewusst. Die letzten 10 Tage waren nicht einfach gewesen. Plötzlich hatte Ruth in seinem Büro gestanden, um einen Neuanfang gebeten, ihm gestanden, was es für ein Fehler gewesen war, alleine nach Manchester zurück zu gehen. Sie erzählte ihm, wie sehr sie und auch die Jungs ihn vermissten. Die Scheidung hatte immer sehr auf Simon gelastet, er hatte versagt, wo er doch hatte erfolgreich sein wollen. Mehr noch, als im Beruf, war ihm seine Ehe wichtig gewesen, seine Familie. Zu jedem anderen Zeitpunkt, hätte Simon nicht eine Minute überlegt, aber nun war da noch Berit, also hatte er gezögert. Doch Ruth hatte argumentiert, verzweifelt, überzeugend, hatte ihn an die guten Zeiten erinnert und war einfach wieder bei ihm eingezogen, hatte bereits wieder etliche ihrer Sachen in seinem Haus verteilt, sprach davon, die Jungs in den Ferien nach zu holen. Simon fühlte sich unfähig, sie zurückzuweisen. Was ihn jedoch richtig unglücklich machte, war die Tatsache, dass er nicht mit Berit darüber sprechen konnte. Am Telefon wollte er es ihr nicht erzählen, aber nichts zu sagen, nagte an ihm. 10 Tage lebte er mit Ruth nun wieder in einem Haus – mehr nicht. Zwar hatte sie ihm klar signalisiert, dass sie auch wieder in sein Schlafzimmer ziehen wollte, aber hier hatte Simon sich Zeit ausgebeten. Dadurch hatte sie letztendlich auch von Berit erfahren. Überhaupt nicht erfreut war sie darüber, aber Vorwürfe konnte sie ihm auch nicht machen. Und er ließ sich nicht unter Druck setzen. Aber seine Arbeit litt darunter und heute hatte er den ganzen Nachmittag nichts weiter getan, als das Für und Wider abzuwiegen. Schließlich hatte er sich dabei ertappt, dass er eigentlich immer nur an das eine dachte, oder besser die Eine, Berit. Sie war sein erster Gedanke am Morgen und der letzte bevor er einschlief. Mit ihr wollte er sein Leben verbringen und sein Haus teilen. Er dache so heftig an sie, dass er auf dem Heimweg fast glaubte, sie in einem vorbeifahrenden Auto zu sehen. Er schüttelte den Kopf, was das Gehirn einem doch für Tricks vorschaukelte. Zum ersten Mal seit Stunden nahm er seine Umgebung war, atmete die kühle Februarluft ein. Es war nun bereits dunkel. In vielen Häusern brannten einladend Lichter. Familien bereiteten sich aufs Abendessen und einen gemütlichen Abend vor dem Fernseher oder mit einem Buch vor. Auch in seinem Haus brannte Licht. Einen Moment blieb er vor der Türe stehen. Es würde kein angenehmer Abend werden für ihn, als erstes musste er Ruth sagen, dass es für sie kein Zurück gab. Das war schwierig genug. Und dann musste er Berit anrufen, ihr alles erzählen. Er hoffte, sie würde Verständnis zeigen, war sich dessen sogar sicher, aber trotzdem freute er sich nicht auf diese Aufgabe. Er fand Ruth in der Küche, kochend am Herd. Es roch gut, aber Appetit hatte er nun wirklich nicht. Sie drehte sich zur Begrüßung um, wollte ihm einen Kuss geben. Doch er wich ihr aus, schenkte sich aber ein Glas Wein ein, trank einen tiefen Schluck. Dann drehte er sich zu ihr um, sie sah die Entschlossenheit in seinem Blick und ahnte, was nun kam. Nun, sie würde kämpfen, so leicht gab sie das Feld nicht frei. Und von dem Besuch dieser Deutschen würde sie schon gar nichts erzählen. Wer weiß, wenn sie ihre Karten geschickt spielte, dann war diese Beziehung zu Ende und sie konnte vielleicht doch wieder zurück zu Simon. Nur ruhig bleiben ermahnte sie sich – bei Simon kam man nur mit Sachlichkeit weiter.
Stunden später, schleppte Simon sich in sein Schlafzimmer. Er hatte gewusst, dass dieses Gespräch nicht einfach sein würde, aber er hatte nicht mit soviel Widerstand bei Ruth gerechnet. Noch konnte er nachvollziehen, warum sie, die letztendlich die Ehe 2 Jahre vorher beendet hatte, nun so sehr um einen Neuanfang kämpfte. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es für einen Anruf in Deutschland zu spät war – morgen würde er Berit alles erzählen. Im Moment wünschte er sich nichts mehr, als bei ihr zu sein, ihr von Angesicht zu Angesicht zu erklären, warum er die letzten 2 Wochen so abgelenkt und unzugänglich war. Er musste Zeit finden, sie zu sehen – er vermisste sie schmerzlich, sehnte sich nach ihrer Berührung, ihrem Duft, ihrem Lachen. Leise stöhnte er auf, vergrub das Gesicht in den Händen. Verdammt sollte er sein, diese Gefühle waren so viel mehr als verliebt sein. Das war ernst. Und eine Situation, über die er keine Kontrolle hatte. Er hatte keine Ahnung, wie stark Berit gefühlsmäßig involviert war. Es bestand immer noch die Gefahr, dass diese Beziehung sie über ihren Verlust hinwegtröstete. Hinzu kam die räumliche Trennung, ihre Familie, so viele Faktoren, die Einfluss hatten.
Es gab Simon eine schlaflose Nacht und jede Menge Stoff zum Nachdenken. Zusätzlich machte er sich Gedanken, weil er Berit nicht erreichen konnte. Sie hatte nichts darüber gesagt, ob sie mit Tim während der Halfterm-Ferien wegfahren würde. Aber sie meldete sich auch selber nicht. Er war kurz davor, Cassandras Telefonnummer herauszufinden und dort anzurufen, als er sie 5 Tage nach seinem Gespräch mit Ruth endlich erreichte.
Berit hatte sich vor diesem unausweichlichen Gespräch so lange wie möglich gedrückt. Obwohl sie mit dem nächsten Flug Newquay verlassen hatte, war sie nicht sofort nach Hause zurückgekehrt, sondern hatte erst noch ihre Familie besucht und dann 2 Tage bei Cassandra verbracht, der sie natürlich alles erzählt hatte. Diese war, erwartungsgemäß empört, hatte Simon beschimpft, Berit so gut wie es ging getröstet und dann hatten sie bei etlichen Flaschen Wein sich die schönsten Racheszenarien ausgemalt. Doch irgendwann musste sie nach Hause zurück und sich diesem Telefonat stellen. Als das Telefon dann endlich klingelte und sie Simons Nummer im Display erkannte, schlug ihr das Herz bis zum Halse. Seine Stimme zu hören, ließ die Tränen aufkommen, doch dann zwang sie sich, an Ruth zu denken, wie diese ihr triumphierend vom Neuanfang erzählt hatte und daran, dass Simon ihr Wochenlang nichts davon gesagt hatte und die Trauer verwandelte sich in Zorn.
„Berit, ich habe schon seit Tagen versucht dich zu erreichen.“ „Ich war ein paar Tage bei meinen Eltern“ gab sie zurück „kurzfristig.“ Sie atmete tief durch. Offensichtlich merkte er, dass etwas nicht stimmte, stockte kurz. „Ich muss dir etwas wichtiges erzählen“, setzte er an, stockte wieder kurz. Es war schwieriger, als er gedacht hatte. „Weißt du, Ruth, meine Ex-Frau…sie ist vor knapp 3 Wochen hier aufgetaucht. Sie wollte einen Neuanfang.“ Berit unterbrach ihn schnell, eine Idee formte sich, sie würde ihm keine Chance für Mitleid geben. „Das ist ja fantastisch.“ Simon stutze, dies war nicht die Reaktion, die er erwartet hatte. „Simon, ich bin so erleichtert, ich habe schon die ganze Zeit überlegt, wie ich es dir sagen soll…“ Sie hoffte, dass ihr Lachen nur in ihren Ohren so falsch und künstlich klang. „Siehst du, ich habe da diesen Bekannten wieder getroffen. Ich kenne ihn seit Jahren, aber nun hat es mich wie vom Blitz getroffen. Ich wusste nur nicht, wie ich es dir sagen sollte. Aber manchmal ergeben sich solche Dinge einfach.“ Sie sprach viel zu schnell, aber sie wollte das Gespräch so schnell wie möglich beenden, bevor sie zusammenbrach. Ein wenig Stolz wollte sie behalten. „Du hast jemand Neues?“ war alles, was Simon herausbrachte. Es war, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. „Ja. Aber du hast deine Frau wieder und deshalb brauchen wir nun beide kein schlechtes Gewissen zu haben.“ Berit fragte sich, wie lange sie noch in der Lage war, diesen pseudoglücklichen Ton aufrecht zu erhalten. „Ende gut, alles gut.“ „Ja.“ Es klang flach, irgendwie geschockt. „Ich wünsche dir alles Gute, Simon. Viel Glück.“ Simon legte einfach auf. Er konnte es nicht mehr ertragen ihre Stimme zu hören, so glücklich. Er saß eine ganze Weile an seinem Schreibtisch, blickte einfach auf die Wand gegenüber, ohne irgendetwas zu sehen oder wahrzunehmen. Er konnte es noch nicht glauben. Sie hatte jemand anderes, er war in der Tat nur gut genug gewesen, um sie über den Tod ihres Mannes und ihre Einsamkeit hinweg zu trösten. Und nun war sie erleichtert, weil sie glaubte, er wäre wieder mit Ruth zusammen. Er fragte sich, wann sie ihm wohl von dieser neuen Beziehung erzählt hätte, wenn er nicht über Ruth gesprochen hätte. War er zu abgelenkt gewesen die letzten Wochen, zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um die Anzeichen zu merken. Er fluchte, der Locher war in seiner Hand und flog mit aller Wucht gegen die gegenüberliegende Wand, wo er beim Aufprall ein Stück Putz heraus brach bevor er auf dem Boden in mehrere Einzelteile zerfiel. Der Krach brachte ihn zur Besinnung. Er musste raus hier, bevor er weitere Beschädigungen verursachte. Musste nachdenken, verarbeiten was er gehört hatte, seinen Kummer vergraben, sein Herz, dass ihm in tausend Stücke gebrochen schien, wieder kitten und abhärten. Nie wieder wollte er diesen Schmerz fühlen, sich derart einsam und verlassen fühlen. Er fühlte weder den Wind noch den Regen, der ihm entgegenpeitschte und ihn innerhalb weniger Minuten komplett durchnässte. Der Gedanke, dass Berit nun vielleicht bei einem anderen Mann war, in dessen Armen, ließ ihn fast sprichwörtlich schwarz sehen.
Berit ging es nicht viel besser, doch statt Wut fühlte sie nur völlige Verzweiflung. Sie hatte kaum den Hörer aufgelegt, als die Tränen kamen. Sie sank auf den Boden, rollte sich zusammen und lies ihnen freien Lauf. Schon wieder Verlust, schon wieder allein. Das hatte sie nun davon, weil sie sich viel zu schnell auf eine neue Beziehung eingelassen hatte, statt erst einmal mit sich selber klar zu kommen, sich auf sich selber zu verlassen. Aber nie wieder, schwor sie sich. Nie wieder seine Hände auf sich fühlen, schoss es ihr durch den Kopf und sie verfluchte sich dafür. Nein, nie wieder würde sie sich von Gefühlen abhängig machen. Sie würde sich beweisen, dass sie niemanden brauchte, nur sich selbst. Doch der Gedanke, dass Simon nun mit Ruth zusammen sein würde, ließ einen Schwall neuer Tränen in ihr aufsteigen. Ihr war klar, dass bei aller Resolution, ohne Mann auszukommen, sie Simon und ihre Gefühle für ihn, nicht so schnell würde vergessen können.

Die nächsten Wochen vergrub Simon sich in Arbeit. Mit den anstehenden Abiturprüfungen gab es genug zu tun. Außerdem wuchs die Schule ständig, es gab neue Schüler mit ihren Eltern zu begrüßen und durch die Schule zu führen, neue Lehrer mussten eingestellt werden und neben allen anderen organisatorischen Arbeiten, entschied er kurzfristig, sein Haus zu verkaufen. Seit seinem Umzug nach Penzance hatte er den Traum gehabt, sich ein Haus direkt am Meer zu kaufen. Vor Monaten hatte er im Fenster eines Immobilienmaklers gefunden, wonach er schon so lange gesucht hatte. Es war relativ klein, aber es stand auf den Klippen, mit einem freien Blick auf die See. Über einen schmalen, ausgetretenen Pfad kam man zu einer kleinen Bucht, die lediglich bei Ebbe über genügend Strand verfügte, um ein Handtuch dort auszubreiten. Das Haus war in keinem sehr guten Zustand, der kleine Garten war total verwahrlost, aber es hatte Charme, lag etwas abseits der üblichen Touristenorte und es herzurichten würde eine Aufgabe sein, die ihm alles abverlangen würde. Es war ideal. Es würde ihn beschäftigen, erschöpfen, körperlich und geistig und damit von den Gedanken an Berit ablenken. Simon hatte einen Blick auf das Haus geworfen und es gekauft. Sein Haus war fast genauso schnell verkauft und er hatte die langen und leeren Abende damit verbracht, seine Sachen in Kisten zu packen in das neue Haus zu fahren. Vieles war auch auf dem Müll gelandet, einen Teil der Möbel hatte er einer Wohltätigkeitsorganisation geschenkt. Nur das wichtigste hatte behalten wollen. Es sollte ein Neuanfang werden. Die Osterferien verbrachte er damit, das Bad und eines der Schlafzimmer für sich herzurichten. Alles andere wollte er nach und nach und in Ruhe machen. Doch die erste Nacht, die er in seinem neuen Zuhause verbrachte, lag er noch lange wach und dachte an Berit und fragte sich, ob ihr das Haus gefallen würde. Er verfluchte sich für diese Schwäche, aber die Gedanken ließen sich nicht unterdrücken. Seufzend fragte er sich, wie lange, wenn überhaupt, es noch dauern würde, bis er nicht mehr an sie dachte oder von ihr träumte. Obwohl er immer wieder an Berit denken musste, tat Simon die Arbeit in seinem Haus gut. Und er entdeckte erneut, wie viel Spaß ihm körperliche Arbeit machte, nicht nur das Planen und ausmessen neuer Möbel, das Aussuchen der passenden Farben, sondern Hand anlegen, streichen, tischlern und sogar die Beseitigung des Wildwuchses im Garten. Es gab ihm eine ungeheure Befriedigung zu sehen, wie er selber seinen neuen Lebensraum kreierte und schuf.
Zwischen seiner Arbeit in der Schule und im neuen Haus, hatte er wenig Zeit gefunden, sich um die Schüler der Abiturklasse zu kümmern, hatte es eine Zeitlang sogar bewusst vermieden, um Tim aus dem Weg zu gehen. Doch nun musste er sich auch hier vermehrt um die Organisation der Abiturprüfungen kümmern, übernahm auch selber 2 vorbereitende Kurse. Ihm fiel schnell auf, dassTim offensichtlich nicht ganz konzentriert war, sich sorgte. Ein Blick in Tims bisherige Bewertungen und nach einem Gespräch mit seinen Lehrern, war sich Simon sicher, dass es nicht an den schulischen Leistungen lag. Er haderte noch mit sich, ob er den Jungen ansprechen sollte, als er eines Nachmittags zufällig ein Telefonat überhörte, das Tim augenscheinlich mit seiner Mutter führte. Zwar konnte er den Inhalt nicht verstehen, aber er hörte am Ton von Tims Stimme, dass er aufgeregt und besorgt war. Als der Junge merkte, dass Simon in der Nähe stand, wurde er rot und beendete das Gespräch abrupt. Telefonieren mit dem Handy war während der Schulzeit nicht erlaubt. „Tut mir leid, Mr Torrington“, stammelte Tim, „aber es war wichtig.“ „Das sagen sie alle.“ Erwiderte Simon. „Gibt es Probleme, Tim? Mir ist aufgefallen, dass du ziemlich unkonzentriert und abgelenkt wirkst.“ Tim zögerte kurz. Mr Torrington war immer fair, hatte sich insbesondere nach dem Tod seines Vaters sehr um ihn gekümmert. Mit einem musste er einmal sprechen, selbst wenn Mr Torrington nicht wirklich würde helfen können, es würde gut tun, sich mal mit jemandem zu unterhalten. Simon sah, wie Tim mit sich kämpfte, abwog, was richtig war. „Ich mache mir Sorgen um meine Mutter.“ Sagte er endlich. Sofort war Simon alarmiert. „Ist sie krank?“ „Nein, ich glaube zumindest nicht. Aber sie ist so anders.“ Ein paar Schüler gingen an ihnen vorbei, schauten neugierig und verlangsamten ihre Schritte. Gegen sein besseres Wissen, öffnete Simon seine Bürotür. „Komm herein. Hier können wir uns ungestört unterhalten.“ Er sollte sich nicht einmischen, besser nicht wissen, was für Probleme Berit hatte, es war nicht sein Platz, aber er konnte nicht anders. „Setzt dich Tim. Erzähl was dich bedrückt.“ Tim suchte nach Worten. Wie sollte er erklären, was er nicht verstand. „Sie ist so traurig. Unglücklich irgendwie…“ „Sie vermisst sicher deinen Vater.“ Simon konnte sich eines kleinen Triumphgefühls nicht erwehren. Neue Liebe und unglücklich? „Das ist es nicht. Sie vermisst ihn, ja, aber sie war schon wieder viel besser drauf Weihnachten. Lebensfroher. Hat ne Menge im Haus gemacht. Sie konnte über Papa sprechen und sich an die guten Dinge erinnern ohne traurig zu sein.“ „Und jetzt?“ fragte Simon. „Jetzt ist sie ganz komisch. Einmal voller Energie, dann sitzt sie stundenlang da und sagt gar nichts. Ist oft müde, hat keine Lust was zu unternehmen. Weihnachten erzählte sie von jemandem, den sie kennengelernt hat, aber als ich sie danach fragte, sagte sie nur, es wäre nichts gewesen, eine Verblendung.“ Simon stutze. Weihnachten, da musste sie von ihm gesprochen haben. Da war noch alles in Ordnung gewesen, da war er sich sicher. „Hat sie dir nicht gesagt, wer der Mann ist“ fragte er vorsichtig. Tim schüttelte den Kopf. „Nein, sie sagte, es wäre alles noch zu neu. Aber er wohnte auch nicht in Hamburg. Erst dachte ich, sie würde ihn vielleicht während der Halfterm-Ferien besuchen. Vielleicht hat sie das auch getan, denn seitdem ist sie so komisch.“ Irgendwo in Simons Hirn machte es klick. „Was meinst du damit, sie wollte ihn besuchen. Da warst du doch zu hause.“ „Nein, ich war Skifahren mit Moritz. Wollte ich schon lange mal und dann war es kurzfristig möglich. Ich hatte ein wenig ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht nach Hause bin, aber Mama war ganz cool. Sie schien es sogar zu begrüßen. Deshalb dachte ich eben, dass sie ihren neuen Freund besuchen wollte.“ „Aber du weißt nicht, ob sie es getan hat?“ Wenn Tim sich über die Fragen wunderte, so zeigte er es nicht. „Nicht 100pro, aber ich bin mir fast sicher. Mamas Freundin hat sich fast verplappert. Aber ich konnte nicht nachhaken.“ Erwartungsvoll sah Tim seinen Lehrer an. Es hatte tatsächlich gut getan, einmal mit jemandem darüber zu sprechen und Mr Torrington schien sich ernsthaft Gedanken zu machen. „Meinen Sie, ich mache mir unnötig Sorgen?“ fragte er hoffnungsvoll. „Ich weiß nicht, Tim. Vielleicht geht sie nur durch eine Phase des Trauerns. Ihre Freundin Cassandra kümmert sich doch sicher um sie, oder?“ „Ja, auf alle Fälle. Die beiden stecken ständig zusammen.“ „Gut. Ich denke, dann brauchst du dir nicht allzu viele Gedanken machen.“ „Meinen Sie wirklich?“ „Ja, wirklich. Ruf sie weiterhin an, erzähl ihr von dir. Das hilft ihr sicherlich auch. Und bald bist du eh wieder zu hause. Noch ca. 6 Wochen. Bis dahin musst du dich auch auf dein Abi konzentrieren.“ „Ja, mach ich auch. Danke fürs Zuhören.“ „Gerne Tim. Und scheue dich nicht, zu mir zu kommen.“ Simon konnte kaum erwarten, dass Tim den Raum verließ. Er musste nachdenken. Nachdem, was er gehört hatte, hatte Berit keine neue Beziehung. Warum hatte sie das dann ihm gegenüber behauptet. Etwas, was Tim gesagt hatte, hatte eine Erinnerung bei ihm geweckt. Tim war überzeugt, seine Mutter hatte während der Ferien diesen Freund besuchen wollen. Was, überlegte er, wenn sie nach Cornwall gekommen wäre. Ohne es ihm zu sagen, um ihn zu überraschen und dann hatte sie Ruth getroffen. Er zwang sich, ruhig zu bleiben. War das möglich. Er dachte an jenen Tag zurück, als er Ruth gesagt hatte, dass es keine Erneuerung ihrer Ehe geben würde. Sie hatte sich geweigert das zu akzeptieren, sogar als er ihr von seinen Gefühlen gegenüber Berit erzählt hatte, war sie überzeugt gewesen, es könnte noch funktionieren. Hatte ihn gefragt, ob er sich der Zuneigung dieser Frau so sicher war. Er ließ das Gespräch in Gedanken Revue passieren und etwas anderes fiel ihm ein. Er hatte auf dem Heimweg, in Gedanken an Berit versunken, geglaubt, sie in einem Auto sitzen und an ihm vorbeifahren zu sehen. Damals hatte er dies als Tagträumerei abgetan. Aber wenn es nun kein Einbildung gewesen wäre? Der Wagen war aus Richtung seines Hauses gekommen. Simon stand auf, lief im Zimmer umher. War das alles Wunschdenken, oder doch Realität. Es würde so viel erklären. Er musste es herausfinden. Und wusste auch schon wie. Das Telefonat mit Ruth war kurz und heftig. Zwar hatte sie versucht, Unwissen vorzutäuschen, aber sie hatte Simon nicht täuschen können. Ihre Gegenfrage, wie er denn auf die Idee käme und ein leichter Versprecher hatten sie verraten. Nachdem Simon ihr auf den Kopf zugesagt hatte, dass sie log, hatte sie schließlich jeden Täuschungsversuch aufgegeben und mit Genugtuung in der Stimme von Berits Überraschungsbesuch erzählt. Simon wusste nicht, ob er wütend sein sollte, weil sie soviel Probleme verursacht hatte oder glücklich, weil er nun endlich wusste, warum Berit ihm den Laufpass gegeben hatte. Er legte einfach auf. All dieser Schmerz für nichts. Und offensichtlich litt sie ebenfalls. Er überlegte nicht lange, wählte ihre Nummer, zählte die die Klingeltöne mit. „Ja bitte.“ „Berit, Simon hier, ich muss mit dir reden.“ „Ist etwas mit Tim.“ „Nein, Tim ist in Ordnung, aber ich habe etwas wirklich wichtiges, was ich dir sagen muss…“ Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, da hörte er, wie der Hörer aufgelegt wurde. Fluchend drückte er auf Wahlwiederholung, doch sie hob nicht mehr ab. Im Abstand von 10 Minuten wiederholte er den Vorgang, bis ihm einfiel, dass sie seine Nummer wahrscheinlich erkennen konnte und deshalb nicht dran ging. Was nun – er dachte an Email, einen Brief, aber er befürchtete, dass sie diese nicht lesen würde. Auf dem Nachhauseweg kam er an einer öffentlichen Telefonzelle vorbei, hier wurde keine Nummer angezeigt, aber diesmal meldete sich nur der Anrufbeantworter und als er begann, eine Nachricht zu hinterlassen, wurde er abgestellt. Offensichtlich saß sie daneben. So kam er nicht weiter. Je mehr er über die Situation nachdachte, wurde ihm klar, dass er mit Berit persönlich sprechen musste, aber er konnte zum derzeitigen Zeitpunkt unmöglich nach Hamburg fliegen. Also musste er sie nach Cornwall locken. Wenn er nun Tim als Ausrede benutzte, aber nein, das konnte er nicht tun, er wollte sie keinesfalls unnötig in Sorge bringen. Außerdem war er sich ziemlich sicher, dass es seiner Sache nicht dienlich war, sie zu verärgern. Er wälzte das Problem mehrere Tage lang, fasste Pläne, verwarf sie wieder und war mehr als einmal versucht, alle Grundsätze über Bord zu werfen und zu ihr zu fahren. Doch langsam meldete sich auch sein Stolz wieder – warum musste sie so bockig sein, gab ihm nicht einmal eine Chance mit ihr zu sprechen, strich ihn so komplett aus ihrem Leben. Mit ihrer Lüge über einen neuen Mann in ihrem Leben hatte sie auch ihn verletzt. Er musste mit ihr sprechen, wollte ihr alles erklären, aber am liebsten hier in Cornwall, da hätte er wenigstens einen kleinen Heimvorteil. Am Ende der Abiturprüfungen stand der Abi-Ball, zu dem normaler weise auch die Eltern der Schüler kamen. Er fragte sich, ob Berit wohl kommen würde und suchte nach einer Gelegenheit, Tim danach zu fragen. Diese ergab sich, als Simon eines Nachmittags mehrere Kartons mit Unterlagen in sein Büro tragen wollte. Tim kann vorbei, sah, das sein Direktor Schwierigkeiten hatte, die Kartons zu tragen und gleichzeitig alle Türen zu öffnen und bot seine Hilfe an. „Danke, Tim, du kommst gerade rechtzeitig“ Simon gab Tim die Kartons und öffnete die Türen für ihn. „Stell die Sachen dort auf dem Tisch ab.“ „Kein Problem, Mr Torrington. Haben sie noch mehr?“ „Nein, das war es Gott sei Dank.“ Simon zögerte nur kurz. „Hast du etwas Neues von deiner Mutter gehört?“ „Sie ist zu meinen Großeltern gefahren, will dort eine Weile bleiben. Ich glaube, dass wird sie ablenken.“ „Gut“, Simon nickte, „das freut mich.“ Geflohen ist sie, schoss es ihm durch den Kopf, damit ich sie nicht anrufen kann. „Kommt deine Mutter eigentlich zum Abi-Ball?“ „Ich weiß nicht. Wahrscheinlich nicht.“ Der Junge klang enttäuscht. „Letztes Jahr, als wir darüber gesprochen haben, war sie Feuer und Flamme, aber Ostern meinte sie, sie käme wohl nicht.“ Simons Stimmung sank ebenfalls. Das war nicht gut. „Das ist aber schade. Kannst du sie nicht überreden?“ Tim zuckte die Achseln „Glaube nicht.“ Er setzte sich, seine Schultern sackten zusammen. „Irgendwie verstehe ich sie nicht. Ich hatte mich so gefreut, das sie kommt.“ Simon ging zu der kleinen Kücheneinheit, stellte den Wasserkocher an. „Wie wäre es mit einem Tee?“ „Ja gerne. Ich will sie aber nicht zu texten.“ „Tust du nicht.“ Simon nahm zwei große Tassen aus dem Schrank, Milch und langte nach einem Paket Schokoladenkekse. Ein gutes Mittel gegen Sorgen. „Ich freue mich, dass du mit mir redest, wenn ich mir natürlich wünschte, es wäre ein fröhlicheres Thema.“ Er brachte die Tassen und Kekse an seinen Schreibtisch, setzte sich aber nicht dahinter, sondern neben Tim. „Hier, beste Schoko-Kekse. Die sind normalerweise nicht für Schüler bestimmt.“ Tim grinste, griff nach den Keksen und hielt inne. Er ließ die Hand kurz sinken. „Was ist, Tim, nicht dein Geschmack?“ Dann folgte er dem Blick des Jungen, sah, dass dieser mit starrem Blick auf die Teetasse in Simons Händen blickte. „Die Tasse…“ sagte er, mit belegter Stimme. „Woher haben sie diese Tasse?“ Er blicke zu Simon auf, wich dessen Blick nicht aus. Die Stunde der Wahrheit, schoss es Simon durch den Kopf, das letzte was er wollte, war passiert, er musste Tim in diese Angelegenheit hineinziehen. Ihm war allerdings klar, dass dieser sich offensichtlich schon einiges zusammenreimen konnte. Simon stellte die Tasse vorsichtig hin. „Sie ist ein Geschenk. Warum?“ „Ich kenne diese Art von Tassen. Eine Bekannte meiner Mutter stellt sie her.“ Tim drehte sie hin und her. „Alles Einzelstücke, Auftragsarbeiten. Man erzählt ihr etwas über den Menschen, der sie erhalten soll, und sie gestaltet das Dekor entsprechend, malt die Dinge auf. Wahrzeichen aus der Stadt, in der er lebt. Stationen seines Lebens. So wie auf ihrer Tasse. Da ist St. Michaels Mount, das Schulemblem, ein Surfbrett.“ Tim sah ihn ernst an. „Meine Mutter hat ihnen diese Tasse geschenkt.“ Es war keine Frage, eine Feststellung. Simon nickte, nahm einen Schluck Tee. „Ja, sie hat sie mir zu Weihnachten geschenkt.“ „Meine Mutter verschenkt so etwas nur an Leute, die ihr wichtig sind.“ Er dachte nach. „Sie kennen den Namen ihrer besten Freundin. Ich habe ihn nie erwähnt.“ Simon konnte sehen, wie bei ihm der Groschen fiel, erwartete den Ausbruch, konnte sehen, wie die Nachdenklichkeit in Tims Blick Zorn wich. „Sie sind dieser Mann, den meine Mutter kennengelernt hat. Sie haben sie abgeschoben.“ Er sprang auf, hatte die Hände zu Fäusten geballt. Simon stand ebenfalls auf, langsam ruhig, behielt Tim im Auge. Sein Blick war standhaft, fast kalt. „Ich akzeptiere deine Aufregung, hoffe aber doch, dein Verstand hält dich davon ab, deine Fäuste zu gebrauchen.“ Er warf einen kurzen Blick auf Tims Fäuste. Der eisige Ton zeigte Wirkung. Tim atmete durch, entspannte seine Hände. Aber seine Wut war immer noch sichtbar. „Wie konnten sie ihr das antun? Wie konnten sie überhaupt etwas mit ihr anfangen?“ Simon ging um den Schreibtisch herum, schuf ganz bewusst Distanz zwischen sich und Tim. „Wenn du dich setzt, erkläre ich dir, was passiert ist. Danach kannst du selber urteilen.“ Es kostete Tim Mühe und Überwindung, sich hinzusetzen. Viel lieber wäre er davongelaufen. Oder hätte diesem Mann, den er bis jetzt so geschätzt hatte, und der daran schuld war, dass seine Mutter unglücklich war, angeschrien, ihm Vorwürfe gemacht. Noch nie hatte er soviel Wut und Aggression in sich gespürt. Es erschreckte ihn. Aber er setzte sich doch, wollte hören, was der andere zu sagen hatte, auch wenn er sicher war, dass er den nun kommenden Entschuldigungen keinen Glauben schenken würde.
Simon überlegte. Wie sollte er dem Jungen alles erklären, wie viel sollte er ihm sagen, wie viel konnte er ihm zumuten. Die Wahrheit, das bist du ihm schuldig. „Ich liebe deine Mutter.“ Simon war selber überrascht, sich diese Worte sprechen zu hören. „Blödsinn. Man verletzt keinen Menschen, den man liebt.“ „Gerade die, verletzt man besonders. Hör zu Tim, ich will nicht ins Detail gehen, aber glaub mir, die Situation war auch nicht so einfach für deine Mutter oder für mich. Normalerweise hätte ich sie wirklich in Ruhe lassen müssen, aber sie ist eine fantastische Frau und ich habe mich einfach in sie verliebt. Ich konnte mit ihr Reden und Lachen. Es hat uns beiden gut getan, wieder einen anderen Menschen zu finden, mit dem man so viele Dinge gemeinsam hat.“ Tim schwieg. „Mit deiner Mutter in Hamburg und mir hier, haben wir erst nur viel telefoniert, dann habe ich sie in Hamburg besucht. Es war eine schöne Zeit, ich habe da auch Cassandra kennengelernt, ihre Freundin. Dann konnten wir wieder nur telefonieren, aber trotzdem waren wir uns sehr nah, haben uns durch die vielen Gespräche besser kennengelernt, als wenn wir immer zusammen gewesen wären.“ „Wenn das so ist, warum ist sie dann unglücklich?“ fragte Tim ungeduldig. „Weil es ein ganz dummes Missverständnis gegeben hat.“ Simon erzählte Tim nun von Ruth, ihrem Versuch, die Ehe wieder zu beleben, seinem Fehler, Berit nichts davon zu erzählen, ihrem Überraschungsbesuch in Cornwall und das Zusammentreffen der beiden Frauen. „Ich nehme an, es war Stolz, der sie veranlasst hat, mir zu sagen, sie hätte einen anderen. So waren wir beide verletzt und glaubten beide, der jeweils andere hätte uns betrogen. Als ich vor einigen Tagen, als mir das alles klar wurde, versuchte sie anzurufen, hat sie sofort aufgelegt und ist später nicht mehr ans Telefon gegangen. Und nun ist sie zu deinen Großeltern gefahren. Sie meidet mich.“ Tim sagte lange Zeit gar nichts. Die Gedanken überschlugen sich. Zu allem kam hinzu, dass er sich nicht wirklich klar war, wie er dazu stand, dass Mr Torrington und seine Mutter ein Liebespaar waren. Er gönnte seiner Mutter eine neue Beziehung, stand zu dem, was er Weihnachten seiner Großmutter gesagt hatte. Trotzdem war es ein merkwürdiges Gefühl, nun da es Realität war. Bei all diesem Wirrwarr seiner Gefühle und Gedanken, merkte er jedoch, dass er Mr Torrington glaubte. Es passte einfach alles zusammen. Und ihm fiel ein, wie glücklich seine Mutter an Weihnachten gewirkt hatte. Dies war das Resultat ihrer Beziehung mit Mr Torrington. Und nur, weil sie nicht miteinander sprachen, oder sie nicht mit ihm sprechen wollte, waren beide unglücklich. „Lieben sie meine Mutter wirklich?“ wollte er schließlich wissen. Eigentlich hätte diese Frage komisch klingen müssen, aber Simon empfand es nicht so. „Ja. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich sie liebe.“ Tim zögerte, ihm war plötzlich bewusst, wer hier vor ihm saß, dass seine Fragen sehr persönlich, ja intimer Art waren. Aber er sorgte sich um seine Mutter und deshalb nahm er seinen Mut zusammen, fragte, was ihn am meisten beschäftigte. „Wollen sie sie heiraten? Wie stellen sie sich das vor?“ Simon konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, versuchte allerdings es zu verbergen, ohne viel Erfolg. Tim runzelte die Stirn „Sie müssen nicht antworten, aber ich finde, ich habe schon ein Recht, das zu fragen.“ Sagte er trotzig. „Ich habe kein Problem mit deinen Fragen, aber ein wenig komisch ist es schon, wie du mich hier in die Zange nimmst.“ Nun grinste Tim auch. „Tim, ich weiß nicht genau, wie es weitergeht. Deine Mutter muss meine Gefühle ja auch erwidern. Ich weiß nur, ich möchte die Chance haben, es ihr zu sagen. Ich habe den Wunsch, mit ihr zu leben, wenn sie will, sie zu heiraten. Aber das ist schon Zukunftsmusik.“ Er machte eine kleine Pause. „Wo wir schon dabei sind, mit den persönlichen Fragen, wie empfindest du das?“ „Ich weiß nicht genau. Ich kann sie gut leiden.“ Innerlich atmete Simon auf. „Aber seltsam ist es schon ein bisschen.“ „Ich kann es mir vorstellen. Tim, ich werde nie deinen Vater ersetzten können oder ihn verdrängen wollen. Glaub mir das bitte.“ Tim sah erstaunt auf. „Die Gedanken hatte ich nicht. Ich weiß, dass die beiden sich sehr geliebt haben. Aber mein Vater war ein sehr pragmatischer und lebensnaher Mensch. Er hätte von meiner Mutter nicht erwartet, alleine zu bleiben. Genauso wenig, wie er alleine geblieben wäre. Nein, dass ist es nicht. Aber ich bin schon froh, dass meine Schulzeit jetzt zu Ende ist.“ Er grinste Simon an. Der fühlte eine unendliche Erleichterung. Doch es gab noch eine Hürde zu nehmen, die wichtigste und schwierigste. „Wie bekommen wir nun deine Mutter nach Cornwall. Und nicht nur nach Cornwall, sondern zu mir, damit ich ihr alles erklären kann. Ich ziehe dich ungern in die Sache hinein, aber jede Idee ist willkommen.“ Tims Grinsen verbreiterte sich. „Das ist nun ganz easy.“ „Ich will deine Mutter nicht irgendwie aufregen, also komm nicht auf die Idee, sie mit irgendeiner Krankheits- oder Unfallgeschichte hierher zu locken.“ Tim schüttelte den Kopf. „Viel zu kompliziert. Das geht wesentlich einfacher. Ich muss nur ein Telefonat führen.“ Simon sah ihn erstaunt und ungläubig an. „Ein Telefonat? Wen willst du denn anrufen?“ „Ich sage nur: Cassandra. Jede Wette, meine Mutter ist zum Abi-Ball hier. Und dann müssen sie sie nur noch überzeugen.“ „Du fährst starke Geschütze auf.“ Simon schob Tim das Telefon entgegen. „Ich bin mir sicher, dass deine Strategie aufgeht. Aber tu mir einen Gefallen, bitte Cassandra, mich ebenfalls erst anzuhören, bevor sie mich in Stücke reißt. Ich bin sicher, sie ist nicht gut auf mich zu sprechen.“ Tim zog eine Grimasse. „Da könnten sie Recht haben, aber ich ebne ihnen das Feld. Überzeugen müssen sie sie dann.“
Später war Simon froh, dass Tim bei seiner Patentante einen so dicken Stein im Brett hatte. Ihm klangen immer noch die Ohren von Cassandras Vorwürfen, obwohl sie ihm schließlich zugestand, dass es nicht ausschließlich seine Schuld war, dass Berit glaubte, er habe sie betrogen. „Das ist auch der einzige Grund, warum ich bereit bin, dir zu helfen.“ Sagte sie „Das, und weil ich wirklich glaube, dass du der Richtige für Berit bist. Sonst würde sie nicht so leiden.“ „Es tut mir wirklich leid. Ich würde alles tun, um sie nicht leiden zu sehen, aber als sie mir sagte, sie hätte sich in jemand anderen verliebt, habe ich einfach die Hoffnung verloren. Du musst sie bewegen, hierher zu kommen.“ „Überlass es mir, sie wird kommen“ sagte Cassandra mit Bestimmtheit. „Aber dann bist du dran, du hast nur die eine Chance.“ „Bring sie her, ich kümmere mich um den Rest.“ Auch Simon war nun absolut zuversichtlich. Er hatte bereits einen Plan, denn Tims Fragen hatten ihm klargemacht, dass es nicht darum ging, Berit seine Liebe zu gestehen, sondern dafür zu sorgen, dass sie beide eine gemeinsame Zukunft hatten. Er war dem Jungen dankbar, dass er mit seinen bohrenden Fragen dafür gesorgt hatte, dass zumindest er nun wusste, was er wollte. Er konnte nur hoffen, dass Berit ebenfalls bereit war, diesen Riesenschritt zu machen. 4 Wochen hatte er noch Zeit, die galt es, neben dem enormen Arbeitspensum, das vor ihm lag, bestmöglich zu nutzen. Da machte es sich bezahlt, dass er in den vergangen Wochen bereits so viele Stunden in der Schule verbracht hatte. Was als Ablenkung gedacht war, zeigte sich nun als Segen. Er war gut vorbereitet und organisiert. Jede freie Minute verbrachte er nun in seinem neuen Haus, renovierte, erneuerte und reparierte. Um Zeit zu sparen, ließ er den Garten von einer Gärtnerei zumindest schon einmal entrümpeln und umgraben. Die Freude, ihn selber zu gestalten und anzulegen, wollte er sich nicht nehmen lassen. Es war noch nicht fertig, aber zumindest war alles vorzeigbar. Die Basis war geschaffen und er hoffte, die Feinheiten mit Berit gemeinsam gestalten zu können. Er hatte von Tim gehört, dass sie nach längerem Zögern, schließlich auf sein Bitten und Cassandras Drängen zugestimmt hatte, zum Abi-Ball nach Penzance zu kommen. Aber nur, nachdem Cassandra versprochen hatte, sie zu begleiten. Sie wollte auch nur den einen Tag und eine Nacht in Penzance verbringen, am Nächsten bereits wieder abreisen. Cassandra hatte dem zugestimmt, heimlich jedoch einen längeren Aufenthalt eingeplant. Wäre Berit erst einmal in Cornwall, würden sie und Tim schon alle Mittel einsetzen, um sie zum Bleiben zu überreden. Simon hätte gerne bereits vor dem Abi-Ball mit ihr gesprochen, doch das schien nun nicht möglich. Aber solche Schwierigkeiten galt es zu überwinden, und er hatte auch bereits ein zwei Ideen, wie er an sein Ziel kommen würde.
Er spielte diese und andere Vorstellungen durch, während er seine Haustür in einem leuchtendem rot strich, so in seine Gedanken vertieft, dass er erst hörte, wie jemand seinen Namen rief, als dieser schon neben ihm stand. „Tim“ er war mehr als überrascht, „ich habe dich nicht gehört. Was machst du hier? Ist was mit deiner Mutter?“ „Nein“ Tim wehrte lachend ab. „Sie kommt immer noch. Tut mir leid, ich wollte sie nicht erschrecken.“ Interessiert sah er sich um. „Klasse Platz hier. Eine Super-Aussicht.“ Tims Begeisterung löste eine ungeahnte Freude bei Simon aus. „Wie wäre es mit einer kleinen Tour. Noch ist alles ziemlich einfach, aber ich gestehe, ich wollte bis nächste Woche zumindest allen Bauschutt hier raus haben. Er ertappte sich dabei, wie wichtig ihm Tims Reaktion war, als er ihm die einzelnen Räume zeigte. „Es gefällt mir gut“, sagte der, nachdem er alles gesehen hatte und sie auf der Terrasse standen, die zum Meer hinaus ging. Dann grinste er ein wenig spitzbübisch und meinte „Es wird ihr auch gefallen, alleine der Blick wird sie umhauen.“ Simon grinste zurück, erwischte sich dabei, dass er den Wunsch verspürte, Tim den Arm um die Schulter zu legen und unterdrückte den Impuls schnell. Noch waren sie Schüler und Lehrer, noch war das aufkeimende Vertrauen zwischen ihnen zu frisch und noch hing zuviel von der Reaktion seiner Mutter ab. „Danke. Es beruhigt mich ein wenig, dass du das sagst. Überhaupt bin ich sehr froh, dass du diese Situation so gelassen und … ja, erwachsen betrachtest.“ „Ich will, dass es meiner Mutter gut geht. Es wäre egoistisch, ihr nicht eine neue Beziehung zu gönnen, und es könnte schließlich schlimmer kommen.“ Tim sah ihn von unten an, „Sie hätte sich in Stephan Sommer verlieben können, und das hätte mir gar nicht gepasst.“ Für einen Moment war Simon sprachlos, dann sah er das schelmische Funkeln in Tims Augen und grinste zurück. Er verpasste ihm einen leichten Schlag auf die Schulter. „Sei nicht so frech – mehr Respekt deinem Lehrer gegenüber“ aber er sagte es mit einem ironischen Unterton. „Nicht mehr lange.“ Konterte Tim. Er war nun froh, dass er sich spontan zu diesem Besuch entschlossen hatte. „Warum bist du gekommen?“ fragte Simon ihn. Er zuckte die Schultern. „So genau weiß ich es eigentlich nicht. Ich glaube, am besten kann ich es damit beschreiben, dass ich Sie näher kennen lernen wollte, außerhalb der Schule.“ „Ich bin froh, dass du gekommen bist.“ „Ich auch,“ erwiderte Tim.
Der Rest der Woche verging wie im Fluge, und nicht nur der Abi-Ball rückte näher, sondern auch Berit. Am Tag ihrer Ankunft war Simon unruhig und unkonzentriert. Stellte sich wieder und wieder vor sie zu sehen, mit ihr zu reden, sie zu berühren. Er konnte es kaum aushalten. Die Party würde in einem Hotel in der Stadt stattfinden, erst ein Empfang, dann Dinner und Tanz, ab 23.oo Uhr Disco für die Schüler und alle, die jung genug geblieben waren oder sich dafür hielten. Aber die Erfahrung hatte gezeigt, dass die meisten Eltern sich dann diskret zurück zogen und den Jugendlichen das Feld überließen. Um sich eine unnötige Fahrt zu sparen, hatte Simon seine Abendgarderobe zur Schule mitgebracht, würde sich hier umziehen. Gegen 4 Uhr nachmittags wünschte er, er hätte es nicht getan, die Fahrt hin und her hätte ihm etwas zu tun gegeben, besser als diese Warterei.
Es wäre ihm sicherlich besser gegangen, hätte er gewusst, wie aufgeregt Berit war. Über ihre Freude, Tim wieder zu sehen, hatte sie das baldige Treffen mit Simon kurzzeitig vergessen. Während der Reise wäre sie mehrmals am liebsten umgekehrt, hätte sich feige zu hause verkrochen und leise, unbeobachtet gelitten. Cassandra hatte durchaus gemerkt, was für ein Nervenbündel ihre Freundin war, aber sie wusste auch genau, was sie sagen musste, um sie bei der Stange zu halten. Genauso wie sie gewusst hatte, welche Register sie ziehen musste, um sie zu überzeugen, nach Cornwall zu fahren. Ihr Sohn war Berits schwache Stelle, darüber stellte sie alles, auch ihren Unwillen, Simon jeweils wiederzusehen.
„Cassandra, du musst mir absolut versprechen, mich nicht alleine zu lassen heute Abend. Der Gedanke, Simon und seiner Frau zu begegnen ist mir so was von unangenehm.“ „Beruhig dich. Ich habe es dir jetzt schon mindestens 300-mal versprochen“ und werde es trotzdem nicht halten, dachte sie insgeheim. Sie betrachtete sich im Spiegel. ‚Nicht schlecht. Wer weiß ob sie nicht den ein oder anderen netten jungen Lehrer traf.’ „Du heckst doch was aus!“ Berit betrachtete sie misstrauisch. „Ich kenne dich!“ Cassandra lachte. „Sei doch kein Spielverderber. Ich werde nur das Feld sichten. So ein knackiger Sportlehrer, vorzugsweise unverheiratet…“ „So lange du die Finger von den Schülern lässt.“ Berit konnte sich nun ein Lächeln doch nicht verkneifen, ihre Freundin war einfach unverbesserlich. „Ich mag sie jung, aber doch nicht so jung.“ Cassandra schaute Berit an. „Du siehst fantastisch aus – ein wenig blass, aber das macht dich interessant.“ „Blödsinn“ wehrte diese ab, warf aber dann doch einen Blick in den Spiegel. Sie war wirklich etwas blass, hatte dies durch ihr Make-up eher noch unterstrichen, die Augen mit blau-grauem Kajal und silbrigem Lidschatten betont. Die Lippen glänzten matt in altrosa. Der schwarze Abendoverall hatte breite Träger, einen viereckigen Ausschnitt und weitfallende Hosenbeine. Die Taille wurde von einem breiten silbernen Gürtel betont, silberne Stickereien an den Trägern und am Saum setzten die richtigen Akzente und als Schmuck trug sie lediglich silberne Ohrgehänge. Sie drehte sich noch einmal, gewann tatsächlich einiges Selbstvertrauen aus der Tatsache, dass ihr gefiel, was sie im Spiegel sah. „Ich werde den heutigen Abend meistern“ sagte sie mit fester Stimme. „Bravo. Das ist die richtige Einstellung.“ Cassandra applaudierte. „Sehe ich gut aus?“ fragte sie mit verstellter Kleinmädchenstimme? Berit lachte „Du siehst fantastisch aus, viel zu gut. Du wirst alle Augen auf dich ziehen.“ Cassandra warf lachend den Kopf zurück. „Dann habe ich mein Ziel ja erreicht. Komm, lass uns gehen. Auf in den Kampf.“
Tim erwartete die beiden vor dem Hotel, mindestens genauso aufgeregt wie seine Mutter und Mr Torrington. Ihm schien, dass lediglich Cassandra ganz gelassen war, ja der schien die ganze Sache Spaß zu machen. „Ihr seht beide super aus“, begrüßte er die beiden Frauen. „Kommt, es sind schon ganz viele da. Ich habe uns einen guten Platz reserviert. Zusammen mit Moritz und seinen Eltern.“ Er hakte sich bei den beiden ein, auf dem Weg in den Saal, nahm sich jeder ein Glas Sekt. Berit war froh, das sie etwas in den Händen halten konnte. Dort am Eingang stand er. Sie holte tief Luft, spürte wie Cassandra ihr den Rücken tätschelte. „Nur Mut. Du bist stark, du bist souverän!“ Berit murmelte es leise vor sich hin, als sie hinter anderen Eltern in der Schlange standen und immer näher kamen. Dann stand sie vor ihm, sah seine klaren, grau-blauen Augen, sein Lächeln, und wusste, dass sie noch lange nicht über ihn hinweg war. Cassandra gab ihr einen Stoß und sie riss sich zusammen, nahm seine ausgestreckte Hand. Doch die Berührung ging wie ein Stromstoss durch sie durch. „Berit, ich freue mich dich zu sehen.“ Sie murmelte irgendetwas, merkte, wie er ihre Hand los ließ, sich Cassandra zuwendete und diese ebenfalls mit ein paar Floskeln begrüßte. Irgendjemand schob sie weiter in den Raum hinein und irgendwann erinnerte sie sich daran, wieder zu atmen. In Panik sah sie Cassandra an „Ich kann das nicht, ich muss hier raus.“ „Du bleibst, du Memme.“ Cassandra Stimme klang bestimmt, fast kalt. „Du hast die Begrüßung geschafft, der Rest ist ein Kinderspiel. Reiß dich zusammen, da kommt Tim mit Moritz und dessen Eltern.“ Berit konzentrierte sich, sah auf ihren Sohn und schwor sich, das Fest bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu verlassen. Doch der Abend wurde noch ganz lustig. Moritz und seine Eltern stammten aus Bayern, sehr bodenständige aber humorvolle Leute. Vor allem seine Mutter konnte wunderbar Anekdoten erzählen. Das Essen verging wie im Fluge, der Tanz begann und Tim forderte sie, wenn auch etwas linkisch auf. „Das musst du nicht, aber es ist nett, dass du mit deiner alten Mutter hier das Tanzbein schwingst.“ „Alt – du bist nicht alt und ich mache das sogar richtig gerne.“ Berit entspannte sich ein wenig. Sie hatte Simon den ganzen Abend über nicht mehr gesehen, seine Frau schon gar nicht und hatte sich gezwungen, nicht nach ihm Ausschau zu halten. Der Tanz endete, die Kapelle stimmte den nächsten an und Berit fand es an der Zeit, Tim aus seiner Verpflichtung zu entlassen. Aber er hielt sie fest, erstaunt sah sie ihn an. „Hier möchte jemand mit dir tanzen.“ Da sah sie, dass Simon hinter ihm stand. Sie wollte schon protestieren, als Tim ihre Hand drückte und leise „Bitte.“ sagte. Bevor sie etwas tun konnte, hatte Simon ihre Hand genommen, den anderen Arm um sie gelegt und führte sie über die Tanzfläche. „Sei ihm nicht böse, aber ich habe gedroht ihn durchs Abi fallen zu lassen, wenn er mir nicht hilft.“ Einen Moment glaubte sie, falsch gehört zu haben. Empörung machte sich in ihr breit, doch dann sah sie sein Gesicht, das Lächeln in seinen Augen und ihr war klar, das er versuchte, die Situation zu entschärfen. Trotzdem war sie wütend. „Ich kann es nicht begrüßen, dass du meinen Sohn benutzt, um an mich heran zu kommen.“ Sie hielt sich stocksteif, er konnte ihre Anspannung spüren. Sie so im Arm zu halten gab ihm fast den Rest, ließ ihn beinahe seine Pläne über Bord werfen. Aber er kannte sie nun gut genug, um zu wissen, dass er Geduld brauchte. „Du hast mir kaum eine andere Wahl gelassen. Ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen. Da du mir ständig ausgewichen bist, sah ich keine andere Möglichkeit.“ „Wir haben nichts zu besprechen. Ich glaube kaum, dass deine Frau das begrüßen würde.“ „Dann ist es ja gut, dass ich keine Frau habe.“ Konterte Simon. Der Tanz ging zu Ende. Sie sah ihn erstaunt an, aber er ging nicht darauf ein, führte sie zu ihrem Tisch zurück. „Morgen früh, 11.oo Uhr. Tim weiß, wo ihr hinmüsst. Dann erklär ich dir alles.“ Er drehte sich um, ließ sie stehen. Zu erst wollte sie ihm nach, aber er stand schon wieder mit anderen Eltern zusammen. Sie brachte es nicht über sich, hier eine Szene zu machen. Stattdessen drehte sie sich zu ihrem Sohn um. „Was meint er damit? Was weißt du?“ Tim schluckte, das war der schwierigste Part, seine Mutter im Dunkeln zu lassen. „Wirst du alles morgen erfahren. Mehr kann ich dir jetzt auch nicht sagen.“ In diesem Moment rettete ihn Cassandra, die ebenfalls von der Tanzfläche wieder kam. „Na, schön getanzt?“ fragte sie herausfordernd. Berit drehte sich zu ihr um. „Du steckst ebenfalls in dieser Geschichte drin!“ „Auf meinem Mist gewachsen. Einer muss sich ja um dich kümmern.“ „Dann klär mich doch mal auf.“ „Nein, diesen Part überlasse ich dem Mann. Du kannst jetzt mal ein wenig schmoren.“ Sie zwinkerte Tim zu. „Ich habe gehört, das es jetzt Zeit ist, dass wir Alten euch das Spielfeld überlassen.“ Sie nahm Berit beim Arm. „Hier ist jetzt leider nur noch Jugend gefragt. Komm, wir gehen.“ Berit wusste sich keinen Reim auf das Verhalten ihres Sohnes und ihrer Freundin zu machen. „Warum sagst du mir nicht, was hier gespielt wird?“ „Weil das nicht meine Aufgabe ist.“ „Simon hat gesagt, er hätte keine Frau, was hat das zu bedeuten.“ Cassandra seufzte. Es fiel ihr schwer, nicht mit der ganzen Geschichte heraus zu platzen. „Morgen wirst du alles erfahren, von ihm, so wie es richtig ist. Und wenn du es nicht für dich tust, dann für mich, aber hör ihm bitte zu.“ „Was hat das mit dir zu tun?“ „Ganz einfach. Wenn du ihm zuhörst, muss ich dich nicht mehr leiden sehen. Also tu mir den Gefallen oder noch besser, tu ihn dir selber.“ Mehr war aus Cassandra nicht mehr herauszubekommen. Berit lag noch lange wach, grübelte, hoffte und als sie endlich in den Schlaf kam, träumte sie davon, in Simons Armen zu tanzen.
Der wenige Schlaf und die Ungewissheit, was auf sie zukam machten sie launisch und gereizt. Nachdem Cassandra mehrmals eine Art Knurren als Antwort erhalten hatte, verschanzte sie sich schmunzelnd hinter einer Zeitung und verbrachte in heimlicher Vorfreude die Zeit bis Tim sie abholen würde. Berit war erstaunt, als dieser sie zu einem Auto führte. „Das hat mir Simon geliehen“ erklärte er auf ihre Frage. „Simon. Du duzt ihn?“ Sie war perplex. „Ja, seit gestern Abend, oder besser seit gestern Nacht. Ich bin kein Schüler mehr.“ Berit schwieg. Hier ging etwas vor, von dem sie nicht wusste, wie sie das einschätzen sollte. Hinter ihrem Rücken, hatten sich die drei verschworen. Gegen sie? Sie konnte es nicht sagen. Die Fahrt dauerte nicht lange. Aber sie war so in Gedanken vertieft, das sie nicht auf die Landschaft oder Umgebung achtete oder auf das, was Tim Cassandra erklärte. Sie wurde erst wieder aufmerksam, als Tim vor einem kleinen Haus hielt. Als erstes fiel ihr die knallrote Eingangstür auf. Sie schien frisch gestrichen zu sein. Der Türklopfer glänzte. Auch die Fensterrahmen strahlten in frischem Weiß. Das Haus lag in einem Garten, der danach aussah, dass er noch viel Arbeit brauchte. Hohe Bäume standen drum herum, aber an einer Stelle konnte man das Meer sehen. Sie stieg aus. „Kommt ihr nicht mit?“ fragte sie, als die beiden anderen sitzen blieben. „Nein. Ich zeige Cassandra ein wenig von der Gegend.“ Cassandra beugte sich aus dem Fenster. „Geh schon. Ich habe mein Handy dabei, im Notfall bin ich direkt wieder hier.“ „Es gibt keinen Notfall.“ Schalt Tim sie. „Wir kommen später wieder. Geh ums Haus herum, er ist im Garten.“ Damit fuhr er los. Einen Augenblick zögerte sie noch, aber dann gewann die Neugier. Nach all den Andeutungen und der Geheimnistuerei wollte sie endlich wissen, was los war. Sie ging einen Weg aus ungleichmäßig großen Platten, alle in Form von Blättern, ums Haus herum. Als sie die Ecke umrundete blieb sie vor Staunen stehen. Man hatte einen fantastischen Blick über das Meer. Endlos streckte es sich vor einem aus, in der Ferne konnte sie sogar St. Michaels Mount sehen. „Es ist wunderschön, nicht wahr.“ Sie hatte Simon nicht bemerkt. Er saß in einem Gartenstuhl, fast wie damals, als sie sich im Cafe getroffen hatten, das erste Mal. Das blaue Hemd hob seine Bräune hervor und die Farbe seiner Augen, die sie jetzt in einer Mischung aus Bangen, Verlangen und Hoffnung ansahen. Berit schluckte, instinktiv legte sie eine Hand auf ihren Bauch, in dem sich alles zusammenzog. Nicht nur vor Aufregung, sondern auch vor Verlangen. Sie hatte ihn so vermisst. „Es ist traumhaft.“ Sagte sie schließlich. „Dies scheint ein schönes Haus zu sein. Deins?“ Simon merkte, dass sie mindestens so nervös war wie er und irgendwie beruhigte ihn das. „Ja. Meins. Möchtest du es sehen?“ Sie nickte, ging auf die Terrassentür zu. Sie war nicht auf den Schock gefasst, als er aufstand und ihre Hand nahm. Sie wollte sich losmachen, aber er hielt sie fest, tat so, als wäre nichts passiert und führte sie ins Wohnzimmer. Es war ein großer Raum, der fast die gesamte Grundfläche des Hauses einnahm. Wohn- und Essraum, mit einer, durch eine Theke abgetrennte Küche. Alles war hell und freundlich, die Küche modern. Aber es hingen noch keine Bilder an den Wänden und auch sonst fehlten noch all die kleinen Dinge, die ein Haus gemütlich machten. „Hier unten sind noch eine Toilette und ein Hauswirtschaftsraum und da drüben geht es hoch. Eine Holztreppe führte in den ersten Stock. Hier gab es 2 weitere Räume und ein Bad, und dann das Hauptschlafzimmer mit einem weiteren Bad. Alles war frisch renoviert und mit dem notwendigsten eingerichtet, aber ohne Blumen, Bilder oder dem Schnickschnack, den Berit so liebte. „Wie gefällt es dir?“ „Es ist ein schönes Haus. Der Blick von hier aus ist genial.“ Berit war ans Fenster getreten. Es war riesig und gab den Blick aufs Meer frei. Sie sah sich um und stellte sich vor, morgens beim Wachwerden schon diesen Blick zu sehen. Schnell wendete sie sich wieder ab. „Hast du selber Hand angelegt?“ fragte sie mit belegter Stimme. „Ja. Ich habe ziemlich viel selber gemacht, bis auf die reinen Bautätigkeiten. Das habe ich lieber den Fachleuten überlassen. Aber gestrichen habe ich selber, Türen eingehängt, Möbel aufgebaut.“ Er sah sich um. „Es ist alles noch sehr einfach. Ich hatte noch keine Zeit für die Bilder.“ Berit nickte. „Das braucht Zeit. Aber es gefällt mir gut.“ Plötzlich fühlte sie sich eingeengt und beklemmt. „Ich glaube, ich brauche noch mal frische Luft.“ Schnell verließ sie den Raum, die Treppe hinunter in den Garten. Simon folgte ihr langsam. Sie stand im Garten, sah auf das Meer hinaus. Sie sah ihn nicht hinter sich treten, aber sie fühlte ihn. „Warum wolltest du mir das Haus zeigen? Wieso ist Ruth nicht hier? Was hat das alles zu bedeuten?“ Sie drehte sich um, sah ihm in die Augen. Er konnte die kleinen goldenen Flecken darin erkennen. Sah die Unsicherheit und die Fragen darin und noch etwas anderes. Hoffnung, Liebe. Er wusste es nicht, aber plötzlich konnte er sich nicht mehr beherrschen. Mit einer raschen Bewegung hatte er die Arme um sie gelegt, neigte den Kopf zu ihr, wartete, zögerte noch einen Augenblick, gab ihr Gelegenheit sich zurückzuziehen, ihn abzuweisen. Aber ihre Augen wurden groß vor Überraschung und dann sah er Verlangen darin, spürte wie ihre Arme ihn umfassten. Leise sagte er ihren Namen, dann presste er seinen Lippen auf ihren Mund, erst leicht, dann immer verlangender. Ihre Reaktion kam augenblicklich. Sie erwiderte den Kuss mit der gleichen Intensität. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor und gleichzeitig war er viel zu kurz. Irgendwann wurde Berit klar, was sie hier tat. War sie wahnsinnig. Soweit sie wusste, küsste sie gerade einen verheirateten Mann. Er hatte noch nichts erklärt, keine ihrer Fragen beantwortet. Er merkte ihren innerlichen Rückzug sofort. Mit Bedauern beendete er den Kuss, zögerte es noch einmal hinaus, indem er hier sanft über die Lippen strich. „Darauf habe viel zu lange verzichtet“, flüsterte er leise. Berit seufzte. „Ich glaube, jetzt wäre eine gute Zeit für Erklärungen.“ Sie wollte sich lösen, aber Simon hielt sie fest. „Nein bitte, las mich dich festhalten. Oder noch besser, setzt dich zu mir.“ Er ließ sich ins Gras fallen, zog sie mit sich, hielt aber ihre Hände fest. In Gedanken versunken strich er über ihre Finger. „Du warst im Februar hier, nicht war?“ fragte er sie. Sie nickte „Ich wollte dich überraschen, aber es war wohl keine gute Idee.“ Da schwang Bitterkeit in ihrer Stimme mit. „Doch, die Idee war gut. Aber du hättest nicht weglaufen sollen. Dann wäre uns viel Kummer erspart geblieben.“ „Deine Frau war da. Sie sagte mir, ihr würdet einen neuen Versuch machen. Was sollte ich da tun. Im Wohnzimmer Tee trinken bist zu kommst und ihre Geschichte bestätigst“. Sie entzog ihm ihre Hände, verschränkte sie vor der Brust. „Wenn du das getan hättest, dann hättest du gehört, dass ich ihre Geschichte nicht bestätige. Berit, sieh mich an.“ Er drehte ihr Gesicht zu sich. „Ruth hat gelogen. Sie wollte wieder zurück. Hat sich einfach 14 Tage bei mir eingenistet, gekocht, Hausfrau gespielt. Mein Fehler war, sie nicht direkt wieder rauszuschmeißen. Und dir nichts davon zu erzählen.“ Berit sah ihn an, fragend, suchte in seinem Gesicht nach Zeichen, das er die Wahrheit sagt. „Warum hast du mir nicht von ihr erzählt? Ich habe am Telefon gemerkt, das dich etwas beschäftigt, dachte aber es wäre die Schule. Aber du hast überlegt, wieder mit ihr zusammen zu leben.“ Er nickte, es fiel ihm schwer, das zuzugeben. „Ja. Aber nur für einen kurzen Moment.“ Sie drehte sich um, stand auf und ging ein paar Schritte umher. „Berit, es ist nichts passiert zwischen ihr und mir. Bitte versteh das. Aber das meine Ehe nicht funktioniert hat, hat schon an mir geknabbert. Ja, ich habe kurz mit dem Gedanken gespielt, zu ihr zurück zu gehen, aber ich konnte nicht. Da warst immer nur du. So wie ich die Augen schloss, habe ich dich gesehen. Und auch, wenn ich die Augen nicht schloss.“ Verzweifelt fuhr er sich mit den Händen durchs Haar. Berit sah zu ihm hinüber. Sah seine Anspannung. Sie kniete sich vor ihn, nahm sein Gesicht in ihre Hände. Wie hatte sie ihn vermisst und alles wegen einem dummen Missverständnis und weil sie nicht miteinander geredet hatte. „Das darf uns nie wieder passieren“ Sie küsste ihn langsam, zart. Zuerst erwiderte er den Kuss genau so, wurde dann fordernder. „Nie wieder“ sagte er dazwischen. „Das ist mein erstes Versprechen.“ „Und welche machst du mir noch?“ „Später – das sage ich dir später.“
Es war schon mitten in der Nacht, als Berit sich wieder an diese Worte erinnerte. Er hielt sie umschlungen, ihr Kopf lag auf seiner Schulter, genau an der Stelle, die wie dafür geschaffen schien. Es hatte sich einmal mehr gezeigt, wie sehr ihr Liebesspiel zusammenpasste, wie sie sich ergänzten, geben und nehmen konnten und sich gegenseitig in einer Art und Weise befriedigten, die sie beide so nie gekannt hatten. „Was meintest du mit weiteren Versprechen?“ fragte sie, während sie es genoss, dass er ihr sanft über den Rücken strich. „Dafür muss ich dir etwas zeigen.“ Sagte er und löste sich von ihr. „Warte hier.“ Er brauchte nicht lange. Als er wieder ins Schlafzimmer kam, trug er eine Flasche Champagner und zwei Gläser und hatte sich einen Morgenmantel angezogen. „Champagner, gibt es etwas zu feiern?“ „Das du hier bist, in meinem Bett, ist eigentlich genug, aber ich dachte, wie könnten damit meine Versprechen begießen, besiegeln sozusagen.“ Berit hatte plötzlich ein flaues Gefühl. „Das klingt furchtbar ominös. Nun leg schon los.“ Doch er ließ sich Zeit, öffnete die Flasche, goss den Champagner ein und reichte ihr ein Glas. „Erst einmal stoßen wir an. Auf uns.“ Berit trank einen kleinen Schluck. Dann nahm er ihr das Glas wieder ab und stellte es auf den Nachttisch, er nahm ihr Hand, hauchte einen Kuss auf ihre Finger. „Ich verspreche, dich immer zu lieben.“ Berit atmete tief ein, doch bevor sie etwas sagen konnte, hatte er ihr einen Ring auf den Finger gezogen. „Ich bitte dich, mich zu heiraten.“ Berit war geschockt, das ging viel zu schnell. Aber sie wäre nicht Frau gewesen, hätte sie den Ring nicht intensiv angeschaut. Es war ein schlichter Goldreif, der Stein, ein heller Smaragd modern gefasst. Er hatte genau ihren Geschmack getroffen. „Der Ring ist wunderschön, Simon.“ „Ich höre ein „Aber“.“ Er sah sie stocken. „Sag jetzt bloß nicht, das kommt aber plötzlich.“ Sie konnte ein Lachen nicht unterdrücken, hatte er doch klar ihre Gedanken ausgesprochen. „Eigentlich schon. Wir haben doch erst so wenig Zeit miteinander verbracht, kennen uns nicht im Alltagsleben.“ „Hast du Angst, ich lasse die Zahnpasta offen liegen oder klappe den Klodeckel nicht zu? Und du erträgst das dann nicht?“ Er legte ihr die Hand unter das Kinn, zwang sie so, ihn anzusehen. „Ich liebe dich, wie ich noch nie jemanden geliebt habe. Wenn du nicht da bist, fühle ich mich unvollständig. Ich möchte bei dir sein, dich bei mir haben. Am liebsten für den Rest meines Lebens. Wenn du noch Zeit brauchst, die bekommst du, aber dieser Ring ist mein Versprechen, dass ich dir gehöre, das da niemand anders mehr ist.“ Berit warf ihm die Arme um den Hals, drückte ihn an sich. Er hatte so buchstäblich ihre Gefühle ausgedrückt, es war fast unheimlich. „Ich liebe dich auch, so sehr. Als ich glaubte, du wärst wieder mit Ruth zusammen, habe ich mir eingeredet, es würde nachlassen, aber das ist nicht passiert. Wie ich dich gestern auf dem Abi-Ball gesehen habe und du mir die Hand gegeben hast, wusste ich, dass ich dich nie vergessen kann, meine Gefühle für dich immer da sein werden.“ Simon atmete erleichtert auf. Sie liebte ihn, erwiderte seine Gefühle. Damit war die größte Hürde genommen, der Rest war einfach. „Du hast Bedenken? Welche?“ „Bedenken…? Da sind so viele Fragen offen, zum Beispiel Tim, oder wo wir leben werden. Du kannst nicht hier weg, aber ich weiß nicht, ob ich in Cornwall leben kann, Hamburg war so lange meine Heimat.“ Sie blickte ihn sorgenvoll an, sah ihn lächeln. „Ich mache Probleme, wo gar keine sind, nicht wahr. Cassandra würde mich jetzt eine Idiotin nennen.“ „Wenn es hilft, kann ich das gerne übernehmen. Aber wie wäre es, wenn ich dir Lösungen für deine Probleme nenne.“ „Du hast alles schon durchdacht, nicht war!“ „Mein Job. Wenn du ständig mit pubertierenden Teenagern und kleinen, verwöhnten Kindern zu tun hast, dann lernst du, immer 3 Schritte voraus zu sein.“ Sie lachte nun auch. „Danke für den Vergleich.“ Sie sah so schön aus, so glücklich, dass Simon sie einfach küssen musste. „Das einer der Gründe, warum wir heiraten müssen, ich will immer die Gelegenheit haben, dich zu küssen. Du glaubst gar nicht, wie sehr ich dich all die Monate vermisst habe.“ „Du hast nicht alleine gelitten.“ „Gut, wir wollen beide das gleiche, nun zu deinen Fragen. Kennen wir uns gut genug? Ich sage ja, wir haben uns nicht oft gesehen, aber wir konnten immer reden, uns ging nie der Gesprächsstoff aus am Telefon. Das ist das beste Zeichen, dass wir kompatibel sind. Der Sex ist superb.“ „Ganz schön eingebildet“, warf Berit dazwischen und lachte über seinen gequälten Gesichtsausdruck. „Ich habe dich nicht klagen gehört und ich war sehr zufrieden.“ „Ich weiß nicht“, Berit tat als müsste sie überlegen. „Es ist schon so lange her, vielleicht musst du mich noch einmal erinnern.“ Und dabei verteilte sie Küsse auf seiner Brust, ließ ihre Hand langsam über seinen Bauch nach unten wandern, fand, dass er durchaus bereit war, ihre Erinnerungen aufzufrischen. „Ich hoffe nur, du merkst dir, wo wir in unserer Unterhaltung stehengeblieben sind.“ Sagte Simon, bevor er sich daran machte, ihrem Wunsch nachzukommen.
Berit war schon lange nicht mehr so entspannt und locker aufgewacht. Erstaunlich, was guter Sex so alles bewirkte. Sie hatten in der Nacht nicht mehr über Berits Bedenken gesprochen, waren schließlich irgendwann erschöpft und erfüllt eingeschlafen. Doch jetzt war sie allein. Die Sonne schien ins Zimmer und Berit sah, dass sie mit ihrer Vermutung, dass man auch vom Bett aus einen fantastischen Blick aufs Meer hatte, richtig lag. Sie stand auf, ging einen Moment ans Fenster und sah hinaus. Könnte sie ihr leben? Jeden Morgen aufs Meer sehen, ihren Kaffee auf der Terrasse trinken oder zur Bucht hinunter gehen, schwimmen. Was würde sie sonst tun. Den ganzen Tag auf Simon warten? Sicher nicht. Aber schließlich könnte sie sich auch hier eine Arbeit suchen, ihr Englisch war gut genug und letztendlich brauchte sie mehr eine Beschäftigung, keinen Karrierejob. In Hamburg wäre das auch nicht anders gewesen. Sie straffte die Schultern. Simon hatte Recht, es gab für alles eine Lösung. Sie nahm sich den Morgenmantel, den er einfach auf den Boden hatte fallen lassen, er war ein wenig groß, aber gemütlich, und machte sich auf die Suche nach ihm. Diese dauerte nicht lange, denn als sie die Treppe nach unten ging, hörte sie ihn in der Küche klappern. Und tatsächlich, war er dabei, Frühstück zu bereiten. „Mmh, Orangensaft“, sagte sie und nahm sich ein Glas, trank durstig. „Ich bin vollkommen ausgetrocknet.“ „Gut geschlafen?“ „Ja bestens, und du?“ „Auch gut.“ Sie betrachtete ihn. Die Haare waren ein wenig lang, berührten fast den Kragen seines Sporthemdes, aber dadurch lockten sie sich. Sie liebte es, ihm durch die Haare zu gehen, konnte auch jetzt der Verlockung kaum wieder stehen. Wie er so lässig dastand, verspürte sie schon wieder Lust. Er sah ihren Blick, lächelte bedächtig und kam auf sie zu, beugte sich langsam vor und küsste sie leicht auf den Mund. Sie reagierte sofort, seufzte leicht und schloss die Augen, lehnte sich gegen ihn. Doch er unterbrach den Kuss, fasste sie an den Schultern. „Erst gibt es was zu essen, sonst falle ich vom Fleisch. Ich muss meinen Energiespiegel auffüllen.“ Berit öffnete die Augen, nur leicht enttäuscht, denn die Erwähnung von Essen, erinnerte sie an ihren ebenfalls leeren Magen. „Gut, aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Was gibt es?“ „Eier, Schinken, Tomaten, Toast, Bohnen. Pfannkuchen, wenn dir eher nach Süßem ist. Steht alles schon draußen.“ Sie stürzten sich beide auf das Essen, lauschten dabei dem Rauschen der Wellen, die gegen die Felsen schlugen. Nachdem der erste Hunger gestillt war, nahm Simon das Gespräch der letzten Nacht wieder auf. „Berit, für deine Bedenken, gibt es Lösungen. Nein, lass mich zu Ende sprechen, “ bat er, als sie etwas einwerfen wollte. „Natürlich würde ich gerne hier bleiben, ich liebe Cornwall und meine Arbeit. Aber wenn du in Hamburg bleiben willst, dann komme ich auch mit. Auch in Deutschland gibt es internationale Schulen, die Lehrer wie mich suchen.“ Sie sah ihm an, dass er es ernst meinte. Er würde mit ihr gehen, aufgeben was er liebte, um mit ihr zusammen zu sein. „Aber du liebst deinen Job hier so sehr. Das könnte ich nicht verlangen.“ Er schüttelte den Kopf. „Alles Geographie. Ich will mit dir zusammen sein. Eine Zeitlang ginge es ja vielleicht noch mit der räumlichen Trennung, aber ich will das nicht. Ich vermisse dich zu sehr.“ Sie ergriff seine Hand, stand auf und setzte sich auf seinen Schoß, hatte das Bedürfnis, ihm ganz nah zu sein.
„Wir machen uns zu viele Gedanken“, sagte sie. „Ich ziehe zu dir, erst mal. Das Haus in Hamburg behalten wir, wenn ich mich hier absolut nicht wohlfühle, oder aber du zu viele schlechte Angewohnheiten entwickelst…“ Er kniff sie in die Seite. „Ich habe keine schlechten Angewohnheiten.“ „Egal. Wir versuchen es so.“ „Du meinst es wirklich ernst, du wirst zu mir ziehen.“ „Ja, allerdings gibt es noch zwei Bedingungen.“ „Ich höre.“ „Tim muss damit einverstanden sein und er muss immer hier ein Zuhause haben.“ „Ich kann dich beruhigen“, sagte Simon „und nicht nur was ihn angeht. Auch deine Freundin Cassandra hat mir ihren Segen gegeben, mit der gleichzeitigen Androhung fürchterlicher Qualen, sollte ich dich nicht glücklich machen. Du siehst, meine Motivation ist sehr groß.“ Berit lachte, „Cassandra ist in der Tat zum Fürchten. Aber was hat Tim gesagt? Wo sind die zwei überhaupt?“ „Tim hat mir die Erlaubnis gegeben, um deine Hand anzuhalten und er hat selbstverständlich immer ein Zuhause bei uns.“ Berit versuchte sich vorzustellen, wie Simon bei Tim um ihre Hand angehalten hatte. Es war irrational, aber auch sehr süß. „Was das überaus angenehme und zeitlich passende Verschwinden der beiden angeht, “ fuhr er fort „so ist das natürlich abgesprochen. Allerdings habe ich mit den beiden telefoniert, sie werden heute Nachmittag wieder auftauchen. Clever, nicht wahr. Ich glaube, als Belohnung habe ich noch einen Kuss verdient. Berit war gerne bereit, diese Belohnung auszuteilen. „Du hast aber von zwei Bedingungen gesprochen“ erinnerte Simon sie. „Ich darf dein Haus dekorieren. Es ist soweit ja ganz schön, aber es fehlt ein bisschen der persönliche Touch.“ „Ich bin froh, dass du das ansprichst. Es sieht absichtlich so nackt aus. Und du brauchst keine Erlaubnis dafür. Ich habe gehofft, dass du unser Haus zum Heim machst.“ Berit wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wurde von Liebe zu ihm überwältigt. Sie sah ihm in die Augen, sah dort, wie in einem Spiegel, die gleichen Gefühle. „Ich liebe dich.“ Sagte sie einfach. „Ich freue mich auf ein Leben mit dir.“ Simon wusste, es bedurfte keiner Antwort. Er stand auf, nahm sie auf die Arme und trug sie Richtung Haus. „Bis Tim und Simone kommen, haben wir noch einige Stunden Zeit. Ich habe eine gute Idee, wie wir die herumschlagen können.“

Ende

 

Hallo Alijo!

Willkommen auf kg.de.

Auch ohne deinen Text bisher gelesen zu haben, empfehle ich dir, zusätzliche Zeilenumbrüche einzubauen, z.B. in Dialogen, immer wenn der Sprecher/die handelnde Person wechselt. Denn solche langenTextblöcke sind am PC echt schwer zu lesen.

Grüße
Chris

 

Hallo Chris,

vielen Dank für den Tipp! Frage: kann ich das hier im Forum machen oder muß ich das in meinem Text in Word machen und dann alles neu rüberschieben?
Ich hatte nämlich den Eindruck, dass sich der Text bei der Übertragung verändert hat.

Viele Grüße
Alice

 

Nochmals hallo Alijo!

Ändern kannst du durch den Bearbeiten-Button unter deinem Text.

Aber, nebenbei bemerkt ist ein Text mit fast 24.000 Wörtern keine Kurzgeschichte und damit bist du hier doch etwas falsch.

Dennoch habe ich den Text angelesen und mir ist sofort aufgefallen, dass du zwar eine automatische RS-Prüfung benutzt, aber den Text ansonsten nicht ordentlich Korrektur gelesen hast. Die Regeln zur Zeichensetzung (besonders bei Dialogen) solltest du studieren.

Ansonsten: Auch wenn ich niemals etwas von Rosamunde Pilcher gelesen habe, hatte ich schnell den Eindruck, ich wäre in einem ihrer Texte gelandet. Wenn es das ist, was du schreiben willst, dann herzlichen Glückwunsch. Ich kann damit allerdings nicht viel anfangen, sorry.

Falls du mal eine Kurzgeschichte hier reinstellst, sag Bescheid, dann bekommst du auch einen ausführlichen Kommentar von mir.

Grüße
Chris

 

Hallo Chris,

nochmals danke für die Infos - werde die Zeichensetzung nochmals überprüfen. Was die Länge des Textes angeht, hatte ich vorher angefragt, was noch erlaubt ist und die Antwort war, dass es keine Begrenzung gibt bzw. auch Texte mit bis zu 60 Seiten hier auf der Seite sind. Mein Text ist lt. Word 48 Seiten lang.
Ich hatte befürchtet, dass es vielleicht zu lang ist, aber die Seite hier gefällt mir gut und da ich nach fast 20 Jahren wieder mit dem Schreiben angefangen habe, war mir wichtig, ein ehrliches Feedback zu bekommen - heißt ich möchte durchaus auf meine Fehler aufmerksam gemacht werden, aber halt fair und konstruktiv und das ist leider nicht überall so.
Ich bin aber dankbar für deine Hinweise und werde den Text in den nächsten Tagen noch überarbeiten.

Viele Grüße

Alice

 

Hallo Alice!

Deine Geschichte hat mir ausnehmend gut gefallen. Fand die Länge auch durchaus in Ordnung. Nur die fehlenden Absätze haben das Lesevergnügen etwas getrübt.

Hoffe auf weitere Storys von dir auf KG.de!


LG Draculana

 

Danke für Deinen Kommentar. Ich hatte fest vor, die Absätze einzufügen, aber einige Ereignisse in meinem Leben haben mich davon abgehalten. Vielleicht war Dein Kommentar genau der richtige Anschub.
viele Grüße
Alice

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Alice,

da unsere Moderatoren (von "mäßigen, steuern, lenken", im Kernkraftwerk sind die Moderatoren die Bremser) Deine Geschichte bisher hier zugelassen haben, habe ich mir mal die Mühe gemacht, sie zu lesen. Es ist keine Kurzgeschichte, weder der Form noch dem Umfang nach, sondern ein kurzer Roman oder eine Erzählung. Ich gehe zunächst auf Formulierungen ein, die mir aufgefallen sind, dann auf den Inhalt. Die Orthographie lasse ich mal weg, dafür gibt es Programme und qualifiziertere Sachkundige.

Und obwohl er offensichtlich gut abwägte, - abwog

Alles an ihm strahlte eine ruhige aber zielgerichtete Energie aus. -Ausdruck, er wirkte ruhig, hatte aber viel Energie und wußte, was er wollte.

Sie kommentierte alles mit Esprit und Charme. - Die Begriffe liegen nah beieinander.

Simon hatte eine Familie kennengelernt, die sich sehr nah war und dies auch wusste und sich selbst und anderen zu erkennen gab. - In der sich alle sehr nah standen und auf alle offen zugingen?

Berit zuckte erneut die Schultern. - Mit den Schultern

„Sie sollten das nicht unterdrücken. Besser, es ist raus.“ - Besser, es kommt heraus.

„Ich würde mich freuen.“ War alles, was er herausbrachte. - Das war alles…

„du hast ein Amt, was dich besonders unter Beobachtung stellt. Und ich bin seit 8 Wochen Witwe. Egal, was wir fühlen, wir sind nicht unser eigener Herr hier, können nicht tun was wir wollen. Unser Gewissen schiebt dem einen Riegel vor"
– das Gewissen oder die Beobachtung durch die anderen, der Ruf in der Gesellschaft? Oder verschmilzt hier beides zu einem?

Mein Verstand sagt mir, es wäre besser diese zu ignorieren und dich ohne weiteren Verzug gehen zu lassen. – Juristensprache, Bürgerliches Gesetzbuch. „sofort gehen zu lassen“ tut es auch.

Er drückte ihre Hände, führte sie zu seinen Lippen und hauchte auf jeden einen Kuss.- auf jede

sondern von diesem exzellenten Bett Gebrauch machen.“ - Exzellentes Bett? Ist das wichtig? Ist das ein passender Ausdruck? Vielleicht ist es ja einladend, schön, gemütlich…

„Du bist so subtil wie ein Elefant im Porzellanladen. - Subtil? Oder sensibel?

Cassandra – Namensgebung: bei so ausgefallen Namen denkt sich mancher Leser, daß sie etwas sagen sollen – tut dieser aber nicht, Cassandra ist weder eine verschmähte Geliebte noch macht sie Vorhersagen, denen niemand Glauben schenkt.

Aber Berit musste sich nur in Erinnerung rufen, dass die alte Frau ihren einzigen Sohn, ihr einziges Kind, verloren hatte und nun nur noch sie und Tim hatte. - Das erste „hatte“ kann weg. Die besitzergreifende, ödipale Struktur der Schwiegermutter ist gut skizziert.

Simon warf sich hinterher vor, nicht genug Finesse an den Tag gelegt zu haben, sich und ihr nicht genug Zeit gegeben zu haben,
Warum warf er sich das vor? Und wann? Im weiteren Geschehen gibt es keinen Anlaß für diese Selbstkritik. Hier wird eine innere Distanzierung eingeführt, die nicht weitergesponnen wird.

Berit konnte sich später nicht mehr erinnern, ob sie überhaupt einmal geschlafen hatte.
Dito.

bevor sie ihn mit dem Kochlöffel auf Abstand hielt. - Sehr ungemütlich, die feine Dame! Da würde ich die Flucht ergreifen (spätestens dann)!

„Nicht Liebe lässt dich an Magnus denken, es ist dein schlechtes Gewissen, weil du ihn schon derart aus deinem Leben verdrängt hast.“ Berit verschlug es die Sprache. Diese Vorwürfe kamen so nah an ihre eigenen Vorhaltungen heran, dass sie nicht wusste, was sie antworten sollte. „Ha, ich wusste es. Habe es immer gewusst. Ich habe Magnus damals gewarnt, aber er wollte ja nicht hören, war verblendet, weil ein so junges Mädchen angeblich in ihn verliebt war. Schlampe.“- Hier wird ein Klischee bedient, das so verbreitet ist, daß man freudig einstimmt und denkt: „ja, so sind sie, die Schwiegermütter.“ Aber macht das Lektüre interessant?

wie oberflächlich und berechnet deine Mutter ist.“ - Berechnend

„Ja. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich sie liebe.“ - Ein so entschiedener Mann, und er ist sich nur „ziemlich“ sicher?

Verlangen und Hoffnung ansahen. Berit schluckte, instinktiv legte sie eine Hand auf ihren Bauch, in dem sich alles zusammenzog. Nicht nur vor Aufregung, sondern auch vor Verlangen. Sie hatte ihn so vermisst. – Das geht aber schnell, bei der Vorgeschichte!

„Er ließ sich ins Gras fallen, zog sie mit sich, hielt aber ihre Hände fest. - Oh wie schrecklich! So besitzergreifend!

Nun zu Form und Inhalt: Du hast Dir viel Mühe gemacht und es in der "klassischen" Form auch gut ausgeführt - es fällt nicht ab gegenüber der Literatur dieser Art, die es zu kaufen gibt. Mich würde interessieren, ob Du es wirklich so schreiben willst oder ob Du vielleicht auch auf den Geschmack kommen könntest, es anders zu schreiben. Hierzu mal ein paar Anmerkungen:

Die geringe inhaltliche Dichte fällt auf; alles wird ausführlich und langatmig beschrieben, wie früher. Relativ wenig wird in der Handlung gezeigt.

Die Vorhersagbarkeit; alle Handlungen sind so einfach und so oft von z.B. Rosamunde Pilcher beschrieben, daß man immer lange vorher weiß, was jetzt kommt. Ich habe schon mehr als ein Dutzend mal „Casablanca“ gesehen und freue mich immer noch daran, gerade, weil ich jede Szene kenne. Es ist wie routinierter Sex, keine Anstrengung, keine Überraschungen. Manche nehmen ein Buch zur Hand, um genau das zu erleben. Aber willst Du dafür schreiben?

Die unreife Frau: sie lügt, um eine Symmetrie herzustellen, jedenfalls im Dialog, und fühlt sich damit rhetorisch stärker, in der Beziehung macht genau das sie zur Verliererin. Frauen in den Vierzigern können sehr kindisch sein, aber so? Jedenfalls wird Deine Prot. damit nicht besonders interessant.

Der frühreife Sohn: er sorgt wie ein starker, dominanter Freund für seine Mutter, oder wie ein Vater. Der ärmste, kann er sie nicht ihr Leben leben lassen? Wo ist hier die Symmetrie? Was gibt sie denn ihm?

Die Mutter schickt ihren Sohn auf ein Internat, weil sie schon überlastet ist, den Hausangestellten zu befehlen und für den Mann zu repräsentieren? Weil der Sohn in der Schule versagt? In Deutschland gibt es den Brauch, die Söhne auf Eliteschulen zu schicken, damit sie den richtigen Schliff und die nützlichen Freunde fürs Leben kennenlernen, nicht (zum Glück). Hier werden auch aus den Oberschichtfamilien die Kinder nur dann auf das Internat geschickt, wenn sie versagen oder wenn die Ehe auseinander geht – bis auf Ausnahmen. Einer meiner Schulkameraden ist so aufgewachsen, große Villa an der Alster, englischer Sportwagen zum 18. Geburtstag - wenn der ein englisches Internat besucht hätte, wäre er wohl ziemlich mißraten, so zum Glück nicht.

Warum muß es das langweilige Cornwall sein? Weil wir das so aus dem Fernsehen kennen (ich habe dann immer weitergezappt)?

Fazit:
Der Stoff wäre, wenn er kurz und knackig dargestellt werden soll, in einer Kurzgeschichte mit einer einzigen Szene unterzubringen, z.B. in der Szene, wo der Schüler mit seinem Lehrer spricht, oder die Szene, wo sich die Berit und ihr Partner in dem neuen Haus wiedersehen – der ganze Rest, oder das, was davon nötig ist, könnte in Andeutungen nebenbei klar werden.

So weit, so gut. Weniger ist mehr.

Gruß Set

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom