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Notah die Ledertasche

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12.08.2006
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Notah die Ledertasche

Karsten Breitung

Notah die Ledertasche - gewidmet dem teuren Freunde Kai Felix Mügge


Der einzig verbliebene Zufluchtsort für einen Gequälten
ist und bleibt das Grab.
B.
Der werte Name als persönliche Vorstellung? Nun, ich möchte diesen nennen: Carl Hauffschild. Carl Hauffschild ist mein Name, und solange ich auf dem Erdenrund stapfe, werde ich diesen nicht mögen! Doch zur Sache tut dies nichts, denn vielmehr sollte gesagt werden, dass ich mich wieder einmal bei einem Freunde aufhielt - beim von mir zutiefst geehrten Herren Gottlieb von Kulkwatz. Es geschah im Herbste, als die Winde wieder ewiglich wehten, ihre Klagelieder aussandten, Bericht erstatteten vom Wehmut dieser Welt. Die trauervolle Ortschaft, wo das begann, was ich vorzutragen mir aufgebunden habe, trägt den Namen Torckhaus, und es kann nur gesagt werden, dass ein gottverlassenerer sowie düsterer Flecken Erde wohl nirgendwo sonst existiert - es gibt sich fast, als wäre jener Hort nur wahnhaftes Gut innerhalb eines kranken Gehirnes, welches als landschaftlicher Überbau dient. Schon immer hatte ich mich über jenes graue Territorium nur wundern können, welches alleingelassen in irgendeinem nicht mehr beachteten Winkel dieses Planeten Erde eingeklemmt war und ist; nur zu denkwürdig zeigte es sich, dass dort und hier überhaupt Menschen leben können. Und vor allem: Wollen ... Vielleicht sind es alles Sonderlinge vor dem Herren - Liebhaber der Düsternis in komplettester Vollendung, Lauscher auf die nie endenden Raunereien eines mitnichten schwindenden Windes, der dort wie aus unerreichbaren Nebenfernen Tätigkeit vollbringt. Ich kann es mir kaum erklären, warum es einen derartig intensiven Ort der Öde gibt, wozu dies gut sein soll auf Erden - denn die Damenwelt schickt ihre Tränen in die Weite, während die Herren lediglich noch dumpf grübeln. Ja, ich rede von Torckhaus - immer noch - und vielleicht werde ich nie aufhören können, von dieser leichenhaften Stätte zu sprechen. Wer einmal nur dort gewesen war, ahnt nicht nur - sondern weiß - wovon hier berichtet wird, denn wahrlich: Die kalkhafte Blässe der ausgemergelten Antlitze dieses Dorfes hat die Aufgabe, wie ein Fanal zu sein - und wenn man auf der Bettstatt am Abend - weit außerhalb jener fürchterlichen Grenzungen - darniederliegt, befallen Zitterstürme sowie aussetzender Atem den Körper, der doch nur eines will: Zur Ruhe kommen ...
Trotz jeglichen Grauses will ich sagen, dass es mich immer angenehm erregte, wenn ich hin zu Gottlieb reiste; es verhielt sich mit Bestimmtheit dergestalt, dass es das Bewusstsein gab, sich fast schon auf einem Gräberfeld aufzuhalten und damit etwas zu realisieren, was im Alltage wohl nicht jedermann ausführte. Ja, ich möchte sagen, dass ich stolz war - immer wieder - es geschafft zu haben, die große Überwindung hinter mich zu lassen. Denn auf dem Boden von Torckhaus war man auf dem Boden eines wahrlichen geografischen Weltenendes. Der genannte Wind heulte, die Bodennebel wallten, die Baumleichen präsentierten sich. Eine unerreichbare Melancholie lag und liegt über diesem Felde des Endes, diesem Felde des Abschlusses, diesem Felde eines schwarzen und letzten Loches, welches es hier wirklich immer gab und noch lange lange geben wird. Und da schon spreche ich von DEM, über den es hier gehen wird ...
Gottlieb von Kulkwatz empfing mich am Bahnhofe der Stadt Rassel, von der wir einen ordentlichen Fußmarsch vollbrachten - in guter Tradition. Schon immer gingen wir die Strecke von Rassel nach Torckhaus mit unseren Extremitäten, denn dafür waren sie gemacht. Gut, dieser Gang dauerte reichlich drei Stunden an, doch war es wie eine Medizin, nun allmählich ins Gespensterdorf einzuziehen - besonders für mich selbstredend - von Kulkwatz war den Hort schließlich gewöhnt, wie er sagte, doch meine ich tiefstens, dass man sich vollständig gewöhnen an Torckhaus nie können wird. Ich sage Medizin, da Wanderungen generell die Eigenschaft innewohnt, ungute Lagen einer Menschenpsyche in gewisse Geradhaftigkeit zu rücken - auf dem Wege Rassel-Torckhaus jedenfalls gelang dies stetig recht gut. So war ich fortwährend innerlich ruhig, und wenn ich aus der Ferne schon die beeindruckende Nebelebene des Zieles erschaute, konnte ich friedvoll meinen, nichts über die Maßen Ungutes vor mir zu haben. Man überwand die Grenze, erlebte die Ankunft, wusste mit Genugtuung: Ja, wieder einmal war es günstig gewesen, fußläufig herzukommen.
Ja, es öffnete sich zunächst als Tapperei - wie ein Umher-irren ohne Weitsicht auf Ruhelager oder Speise und ähnliche Annehmlichkeiten; ein etwas staksiger Gang über jene bizarre Fläche voller Hinabziehungen, wenn diese denn zugelassen wurden. Ich tat dies nie, ließ es nicht geschehen. Das Innere war im Griffe und blieb stabil, denn es war gelernt worden, wie man derlei Trickgut ausführen konnte oder musste. Zugegeben werden muss, dass allererste Besuche dieses gruseligen Dorfes in der Tat unter der Knute einer gewissen Ängstlichkeit stattgefunden hatten, doch gab sich dies recht lange her. Unfeines Fühlen voller Grobheit offenbarte sich dennoch ab und an, doch es gelang mir bestetig, dieses zurückzudrängen. Man hatte Schulung erfahren - wie gesagt. Und itz war es Gewöhnung wohl, da die Schuhe doch schon häufiger Bekanntschaft mit dem Torckhaus-Boden gemacht hatten. Denkwürdig aber war und ist in trockener Hartnäckigkeit, dass man - später wieder im Heimatorte angelangt - heftigste Nachregung erfährt. Nachregung der wirklich nicht wünschenswerten Art, es wurde ja schon gesagt. Zitterungen, Atemprobleme - doch immer erst ans Abenteuer angeschlossen, nie in der Gegenwart des Wandelns im Finster von Torckhaus. Dieses bezeichne ich als ausgesprochen obskur.

Auf dem Wege überschatteten jähe Bildnisse meine Seel', Entsinnungsfetzen sowie Gedanken, angefüllt mit Trübnis, mit etlichen Schrecken in Formung einer Andeutung. Denn ja, vor zahllosen lichtarmen Wochen hatten der Freund und ich Rassel aufgesucht, um dort in eine bizarr-denkwürdige kleine Attraktion einzutauchen - ich spreche von einem dunklen Zirkus. Ob dieser sonderlich bekannt oder nicht, entzieht sich vollends jeglicher Kenntnis, doch war es durchaus interessant, insbesondere auch schauderlich-schön, doch vielmehr noch diabolisch tief, völlig weit ausgestreckt, wie die berühmten Ebenen dieser Erde in Staub und Wind - angefüllet mit Ungutem, mit Geheimnis, mit furchtsamen Denkeleien. Denn was waren es allesamt für Künstler, die dort im Zeltenrund Auftritt tätigten? Es waren mitnichten Bringer von Lachsamkeiten, Herbeischaffer von Witz & Heiterkeit ... Spitzzähne waren es, Blutgesichter - eigenständige Clownerien, menschgemacht, doch ernsthaft schrecklich! Welcher Hauch nur aus dem Grabe war es, der da waberte - welch' Stimmungen des Lästerlichen, des Spottes über jeglich' Mensch und Leutsamkeit! Verdrehte Spaßmacher, die jeniges schürten, was selbst hohen Persönlichkeiten Eisesschauer über die Rücken treibt, Clowns mit dem Charakter des angedeuteten Bösen. Und so wurden dort am Rande Rassels zahlreiche Männer und Frauen in einen Strudel des Grauens bugsiert - Kinder waren zum Glücke am Eintritte gehindert.

Ja, ich dachte nach über jene grotesken Szenen des gespielten Schreckens, und fürderhin gelangen mir Heraufholungen weiterer Erinnerungen, die diesen einen speziellen Tag betrafen. So waren Gottlieb und meine Wenigkeit in einer Pause des geschäftigen schlimmen Künstlertreibens im Zelte in ein wichtiges Gespräch geraten, welches nicht mindere Andeutung von Grusel und Abscheu zum Thema besaß. Äußerst eindringlich lagerten die Blicke aus wahren Glotzaugen Gottliebs auf meinen Sinnen; er redete mit Tiefe sowie einem gewissen Fanatismus. Er hatte, ich sage es jetzt ganz frei sowie auch schnell heraus, von Notah gesprochen ... Und ich hatte das Stück Krokodilsleder gesehen, welches sich, befestigt mit einem Nagel, um eine dicke Zeltstange ringelte, als wäre es schauderlichste Symbolik hierfür ...
Jetzt, da wir in Torckhaus angekommen, nach etwa den genannten drei Stunden, wollte ich dieses Gebiet wieder auffrischen - ich stellte dem Freunde entsprechende Fragen. Er versprach mir, diese sogleich zu beantworten, doch da ich ein sehr guter Freund für ihn war, wie er sagte - wenn nicht gar der für ihn wichtigste von den wenigen, die er sein eigen nannte - sollte zunächst für meine tiefere Bequemlichkeit gesorgt werden, sprich: Er hatte vor, in seinem Hause Speis und Trank für mich kommen zu lassen, auch das Feuer im Kamine wollte er ordentlich zum Auflodern bringen. Danach, so meinte er feierlich, würde er mir alles über Notah sagen, was ich denn nur wissen wollte - vielleicht, so ergänzte er mysteriös - käme es gar zu Reden, die er vorher und bisher noch nie einer Person hatte zukommen lassen. Es ehrte mich tief, was er da soeben geäußert hatte, und so zog ich es vor, nicht weiter nachzufragen, sondern die gewisse notwendige Zeit ins Land ziehen zu lassen. Ich würde es schon noch erfahren - Fragen täten gestillt werden, Äußerungen weiterführender Art dann im Anschlusse ... Was wollte ich mehr?
Das Anwesen des Gottlieb von Kulkwatz kam in mein Blickgebiet - es war das stolze Haus ohne größeren Prunk, das mir schon so lange Zeit bekannt. Ein recht großes und weitläufiges Steinhaus mit Erdgeschoss sowie einem weiteren Stocke, mit den behaglichen Gemächern, die eine Genießerseele schätzt, doch auch mit den zugigen Winkeln und Ecken, die solchen Gebäuden freilich innewohnen. Ein stolzer Bau mit Licht und Schatten, mit Wärme und Kälte, mit guten und schlechten Passagen seiner eigenen Historie. Hier hatte ich bereits oft genächtigt, auch itzo wollte ich's neuerlich einige Zeit so halten. Gern gesehener Gast war ich hier immer.
Unnötig ausgedehnt werden soll hier nichts, deswegen kann ich berichten, kurz und bündig, dass mir das Essen schmeckte, dass ich mit meinem Zimmerchen zufrieden war, dass ich auch den neu eingestellten Bediensteten dieses Anwesens rasch ins Herze schloss. Gottlieb lud mich alsbald ins Kamingemach ein, wo wir Pfeife rauchten und guten Alkoholika zusprachen, während hinter Bleiglas der geisterhafte Wind hauchte, der halbstündlich etwas stärker und ungestümer wurde.
"So langsam bricht der Abend an.", murmelte der gute Gottlieb. Sein Kopf war umhüllt vom Pfeifenrauch, seine Leiblichkeit gab sich - wie auch meine eigene - wohlig im dunklen Ledersessel die Ehre. Das Feuer im Kamine wärmte angenehm, verteilte seinen Glimm im Raum auf optisch sehr unaufdringliche Weise. Und doch gab es hier Dinge, die leichtes Unbehagen auslösten ...
Es existierten gewisse Vasen in Regalen, die mir missfielen; auch hing ein Gemälde an der kaminseitigen Wand, welches nicht zusagte. Mein Inneres wurde etwas unruhig, öfter griff die Hand zum Glase. Zuckende Schatten sah ich, schlängelnd, drallend. Doch mir wurde klar, dass es nicht Gegenstände und Schatten waren, die Unruhe einfliegen ließen - nein, es waren die Worte des Gottlieb, die ich allmählich erwartete. Ja, bereits im Vorfelde sorgte Unausgesprochenes für Grusel. Er würde mir berichten, Fragen beantworten, Zusatzaussagen tätigen. Über Notah, wie erwähnt ...
Im Zimmer schien es mir etwas dunkler zu werden. Der Wind klang scheinbar unheimlicher, schauriger. Und der gute Freund wurde langsam wortkarg. Es lag in der Luft. Unser Hin & Her
über N würde itz folgen, gesetzmäßig. Denn das Thema wurde angerissen, draußen noch. Nun boten die Mauern des Hauses Gottlieb zwar Schutz, doch der Schauder würde einfach kommen - würde kommen - wie ein Dieb in der Nacht ... Durch die Wände hindurch ...

Ein toter Zweig fand draußen leise polternd den Abschluss seines windgetragenen Weges - das verendete Stück Holz war gegen das Bleiglas gerammt, bedeutungslos fiel es nach unten. Und wieder wirkte die Einsamkeit härter auf mich, drohlicher, mehr in einen unaussaglichen Bann treibend, der mir nicht gut erschien und es wohl auch nicht war.
"Notah ...", sagte Gottlieb fast im Flüstertone, "Notah ... Ja, das ist schon ein ganz besonderes Thema. Mir ist klar, warum du dich dafür interessierst, Carl. Im Grunde neigt jeder Mensch zu diesem Thema, doch die meisten davon schrecken dann jäh vor ihrer eigenen Courage zurück. Sie schweigen dann, schweigen einfach alles tot."
Meine glasführende Hand zitterte leicht, während ich Beruhigungsschlucke trank. Die Pfeife, ausgegangen, lag auf dem kleinen, intarsienversehenen Beistelltisch. Mein Freund zündete seine Pfeife neu, etwas kummervoll glitten indessen all meine unsteten Blicke durch das schattenzuckende Zimmer.
"Weißt du", hub mein Gegenüber neuerlich zum Sprechen an, "ich kenne lediglich vier Leute - alle hier aus Torckhaus - die es wagten, unser thematisiertes Wesen aufzusuchen, dessen Namen ich aus Respekt mitnichten überstrapazieren will - also das Aussprechen jenes Begriffes mit dem N.
Es sind die Männer Thomas Otte, Hans Kraus, Konstantin Holler sowie ich selber."
Im Kamine knackte plötzlich wild unser Feuerchen und ein weiteres Stück Totholz prallte klackend an das zweite Fenster der Räumlichkeit unseres Aufenthaltes.
"Ihr ward dort?", fragte ich erregt - "dort bei ..."
"Dort bei. Das ist richtig, Carl. Wir wagten es. Das ist ja auch der einzige Grund, warum ich ein Kenner dieses Gebietes geworden bin. Ich wollte ein solcher werden, genau wie die drei weiteren Herren. Doch so etwas gelingt nur, wenn man die Höhle des Löwen persönlich aufsucht. Einzeln. Jeder für sich."
Ich blickte entgeistert zu Gottlieb hinüber, dessen schmales Antlitz im Feuerscheine weiß erschien. Er drehte das Glas zwischen seinen
Pranken von Händen, die Pfeife befand sich im Mundwinkel und entließ einige schnell gepaffte Schwaden. Der Freund stellte das Glas wieder ab, nahm die Tabakspfeife in die rechte Hand und lehnte sich stöhnend im Sessel zurück. Mit der linken massierte er seine Stirn, die Augen itz verkrampft zusammengepresst, als würde er nach Erinnerungen schürfen.
"So lange ist das noch gar nicht her.", meinte er. "Zwei Jahre, drei Jahre ... Ich habe mir keine Notizen darüber gemacht. Das Wichtigste ist unauslöschlich hier oben geblieben, im Kopfe nämlich. Doch auch tief in der Seele, Carl - dass kannst du mir glauben!"

Es knackte aus irgendeiner Ecke des gespenstischen Gemaches. Kurz war Ruhe, dann knackte es abermals, sogar noch lauter.
"Es ist möglich, dass er uns zuhört, Carl. Vielleicht hat er gerade geknackt, das kann man nicht wissen. Vielleicht ist er hier, feinstofflich. Doch noch immer in seiner teilweisen lederartigen Haut ... Schlangenleder? Krokodilsleder? Keiner weiß es genau. Sagen wir, es ist Notah-Leder ..."
Ich biss fest meine Lippen aufeinander.
"Ledertasche ist doch eine Art Spitzname für ihn, nicht wahr? Bei unserem letzten Treffen erwähntest du das einmal, Gottlieb ..."
"Jaaaa", dehnte der Freund. "Das stimmt. Ledertasche. So nennt man ihn. Konstantin Holler prägte einst diesen Namen. So müssen wir nicht immer das N-Wort aussprechen. Es soll nicht zu oft gesagt werden. Das wissen wir von der Tasche persönlich."
Gottlieb blies einige mächtige Wolken in die finstrigen Höhen des Zimmers. Er schaute mich ernst an, erwartete wohl die eine oder andere nächste Frage von mir. Doch ich sagte nichts. Mein Ich musste sich erst einmal sammeln.
"Er ist, er ist ..." Gottlieb rang nach Worten. "Nun, er ist, eine Art
Fremder. Ja, vielleicht eine Art Fremder. Thomas, Hans, Konstantin, auch ich: Wir wissen nicht einmal im Ansatz, woher der Grauenerregende stammt. Wir haben ihn nicht gefragt. Er antwortet wohl auch nicht auf Fragen. Er ... Er teilt lediglich aus."
"Teilt aus?", fragte ich irritiert nach.
"Ja. Das tut er. Er interagiert nicht richtig, weißt du? Er ... Er tut die Dinge schrittweise. Doch er will Besucher dabei nicht einmal richtig anblicken, verstehst du? Ohnehin besitzt er auch nur ein einziges Auge. Und viel Leder am Körper, viel Leder. Seine Haut ..."
"Das ist alles ziemlich verrückt!", sagte ich. "Einiges weiß ich ja auch noch - von deinen Berichten damals. Ja, lange her ist es noch nicht. Man verlor da ein wenig das Zeitgefühl mittlerweile."
"Richtig, Claus! Das liegt an IHM. Indirekt bist du mit der Tasche bereits in Berührung gekommen, denn wir haben schon viele Worte über dieses Thema ausgetauscht. Damals, heute. Das reicht schon aus. Reicht schon aus, um ein heftiges Geknacke im Zimmer zu erzeugen ..."
Knack! Wieder krachte es in irgendeinem Winkel des unheimlicher und unheimlicher und unheimlicher werdenden Raumes.

Dunkler wurde es in mir, Verquertheit stellte sich ein - mir wurde dringlichst eingegeben, dass hier - unter den trüben Belangen einer aufgebauschten Dumpfheit - nebenher als trauervolle Ergänzung Spukphänomene Einzug gehalten hatten, was mich am liebsten hätte nach draußen vor das Anwesen gehen lassen. Doch steif wie ein Pflock blieb ich sitzen, innerhalb meiner ureigenen Vereisung in die Vorstufe einer seltsamen Trance oder Betäubung fallend. Meinem Kameraden schien es ganz ähnlich zu gehen - er reckte sich mit schreckgeweiteten Augen. Die Pfeifen und Gläser verblieben auf dem Tischlein, unsere Seelen gaben sich gerade mitnichten in der Lage, in Genüssen aufzugehen. Vielmehr lauschten wir, fuhren dünnste Fühler aus, hinein hinein hinein ins schummrige Zimmergut der Fürchterlichkeit. Ich horchte, er horchte, und beide versteiften wir mehr, mehr und mehr. Ja, der gute Gottlieb - ich erschaute es entsetzt immer deutlicher - fürchtete sich in den eigenen Wänden und Mauerungen. Und so saßen wir in unbequemster Sachlage und vernahmen erst einmal nichts anderes als den schier ewig heulenden Wind, der vor den Fenstern war.
Was gab sich in Erschröcklichkeit die Ehre? Was schlich herum und umher? Wohl handelte es sich um die Schauder, die in den Bau eingeschwungen waren, die itz wie Diebe im Finster schlichen und krochen, die hier gar Laute verursachten. Das Feuer knisterte gerade wieder ein wenig auf, und es erschien, als führe ein gemeinsamer Angstschwall des Gottlieb's sowie meinereiner's in die undurchschaubare Stickigkeit des Raumes, der plötzlich zum Grabe geworden ...

"So war es nie gewesen bisher, Freund!", flüsterte der Hausherr in den schaudervollen Windhauchklang - "Diese Dichtigkeit ist ungekannt! Oh hätte Thomas Otte doch nie die geschichtlichen Papiere zur Hand bekommen, in denen es um jene Bizarrität ging! Damit begann alles, und bis heute hat es nie wieder aufgehört. Schleichend, wahnvoll, verwundend! Thomas suchte einst regelmäßig Seancen auf, Sitzungen in Rassel. Doch nicht nur Verstorbene regten sich - es legte eines Nachts ein wahrer Scheitan, der dort nichts verloren hatte, aber wohl durchkommen konnte, die grausigen Papierblätter in den Raum. Es waren Worte, geschrieben von Hand, mit frisch aussehender Tintenauflage, welche von der Tasche sprachen. Ich will und will den N-Namen nicht nennen, ich will's schlicht nicht, guter Carl! Ich will's nicht!"
Den letzten Satz hatte der Hausherr fast gebrüllt; seine Ängste ballten sich in seinem Fleische - all sein Blut schien geworden zu sein zu Eiskristallen in unschönster Färbung ...
"Es stand in den Papieren, Carl - es stand glasklar darinnen! Blätter, die sich in Rassel materialisiert hatten. Sie enthielten Punkte, die es in der Folge machten, dass nacheinander Thomas, Hans, Konstantin und mein furchtgebeutelter Rotz hier in Torckhaus nach Norden wankten. Nach Norden, wo das Nest des Scheusals
ist ..."
Meine Seele wandt sich in Pein, denn ich wollte ja dahin! Ich wollte es ja sehen, erleben und spüren! Ich flehte Gottlieb an in dieser Nacht, mir mehr zu berichten, ich bettelte wie ein Geschundener, der erst dann von Gram befreit, wenn er gesehen hatte ... Mein alter Freund tat mir den Gefallen. Unter tausend Schlucken Alkohol fiel Satz um Satz. Und so wurde ich mit jeder einzelnen Minute dieser abgrundbösen Nacht wissender. Der Wind vom Vorgelände des Hauses wimmerte fast warnend - wollte unsere düstere Unterredung wohl zur Erstickung bringen, wollte sicherlich die Besinnung unserer Seelen. Doch tiefer, tiefer und tiefer geriet ich hinein in den Strudel der Geheimnisse um jenes Ungeheuer, welches bisher nur so unfassbar wenige Leute erlebt hatten - in dessen Dunstkreise so schwärzerschwarz, reißend und disharmonisch. Oh Notah! Ja, ich spreche das Wort aus, diesen unsaglichen Namen. Oh Notah, oh konstantinische Ledertasche!

Ich gebe es unumwunden zu, dass aus Neugierde auf das Grauen Wahnsinn geworden. Ich hatte es zur Kenntnis genommen, dass Gottlieb mich ein Stück begleiten wollte. Doch eben lediglich ein paar Meter der teuflischen Richtung begleiten, ein wenig an meiner Seite wanken, die Taschenlampen in den Händen. Er wollte mich alsbald verlassen, nicht mit dorthin gehen, nie! Nie mehr! Er hatte es bereits erlebt ...
"Überlege es dir gut, Carl! Davon abhalten will ich dich nicht, kann ich dich nicht! Denn ich weiß längst: Wer ihn sehen will, geht hin und trifft ihn! So steht es fest auch in der Prophezeiung. Er kommt nicht aus Himmeln, nicht aus dem, was wir Hölle nennen, die es sowieso mitnichten gibt. Er kommt aus dem Unbekannten, aus dem Schwarz, und er ist schon wer weiß wie lange hier. Hier, hier in Torckhaus ..."
Ich war durchaus etwas mutiger, da ich viel getrunken hatte. Nachdem wir noch einen Spätabendbissen zu uns genommen hatten, wollte ich in der Tat aufbrechen. Mir war es nicht erklärlich, warum dies mir geschah - dieser hässliche Überwille. War es blanke Dummheit? Oder handelte es sich um die Zwänge, die auch Bergsteiger immer wieder in die Bereiche höchster Gefahr trieben? Mir war sicherlich eines bewusst: Niemand von den Herren war ums Leben gekommen, die zum Grauen von Torckhaus gegangen. Eventuell gab sich dies als Punkt, der mein persönliches Fass zum Überlaufen gebracht hatte - mein ganz eigenes Behältnis der nackten Gier auf's Unmenschliche in Form des Monströsen ...


Nur kurz soll angemerkt werden, dass mir mein Kamerad einen umschnallbaren Beutel gab, der mein nächtliches Vorhaben unterstützte. Ich lagerte eine größere stabile und gefüllte Wasserflasche sowie Ersatzbatterien für die Taschenlampe darin ab, zusätzlich nahm ich noch eine Wollmütze mit, denn ich musste immer wieder an den schrecklichen Wind da draußen denken. Ich wollte mich wenigstens einigermaßen wohlfühlen, wenn ich denn schon neugierig war und unbedingt Widrigkeiten in Kauf nahm, die mit der Berührung mit dem Grauen im Zusammenhang standen.
Nochmals hielten wir kurze Absprache über die Unternehmung, wobei wiederholt zu Tage trat, dass Gottlieb mich lediglich das dafür notwendige Wegstück begleiten würde; alles, was darüber hinaus ging, gestaltete sich einzig und allein als meine ureigene Privatsache. So stand es wohl als Tatsache im Raume, dass im Bereiche des Bekannten (von vorherigen Begegnungen von Personen mit dem Ungeheuer wussten wir keinerlei Konkretika) ich selbst der fünfte Mensch werden würde, der in den unmittelbaren Dunstkreis der unaussprechlichen Wesenheit geriet, wenn ich es denn wahrlich wagen täte.
Bald schon standen wir vor dem Hause, starrten gedankenverloren in die Dunkelheit. Es herrschte Abmarschbereitschaft, doch sagte mein verehrter Freund mir noch einige wichtige und hoch notwendige Worte, bevor wir uns endgültig in Bewegung gen Norden setzten.
"Carl, es geht nun nicht umhin, dass ich dir noch einiges sagen muss. Es handelt sich durchweg um Belange, die in den Papieren aus der Seance in Rassel verankert sind. Der Ursprung jenes Textes ist unbekannt, die Aufzeichnungen materialisierten sich eben auf der Ebene der Erde. Mehr wissen wir nicht darüber. Uns ist nur das bekannt, was vermerkt steht, - was uns im Grunde als Basiswissen mitgeteilt wurde. Nicht mehr, nicht weniger. Nun gut, ich könnte dir vielleicht als Zusatz noch meine eigenen Erfahrungen mit N schildern, doch was brächte dies? Ich würde nur tiefer frieren, als ich's jetzt schon tue. Ich habe nie etwas schlimmeres erlebt, Carl - das darfst du nie vergessen! Halte es dir immer vor Augen, denn wenn du wahrlich durch die Türe schreitest, gibt es kein Zurück mehr für deine Seele ...
Der tiefere Sinn hinter der Anwesenheit des, nun ja, ich, ich nenne weiterhin den Namen nicht ... Aus Respekt, aus Furcht. Vielleicht ist das ohne Grund, denn eventuell war ER es, der das mehrfache Knacken in meinem Hause zu verantworten hat ... Ich weiß das nicht. Doch es sind Fürgefühle in mir ...
Der tiefere Sinn also ist laut der Schrift jeniger, dass wenigstens einigen wenigen Erdenleuten bewusst werden soll, wie sehr man innerhalb einer Existenz am Scheideweg zwischen Licht & Dunkel steht. ER ist im Dunkel, wie er selber innerhalb der Blätter sagt.
Während einer Begegnung mit IHM - und nun merke deutlichst auf, Carl! - wird es geschehen, dass du in Trance fällst. In tiefste Trance mit einer eindringlichen Vision. Ich muss es bestätigen, es verhält sich dergestalt. Ein dumpferes Erleben geschah mir nie wieder, das musst du wissen, Freund! Es mag aushaltbar sein, doch es wird dein Herz dazu bringen, für eine geraume Weile fast nicht mehr zu schlagen. Falls du während dieser Vision stirbst, so steht es geschrieben, wirst du eingehen ins ewige Reich des Finsters, ins Territorium der unauslöschlichen Schatten. Das Wörtchen Freude kann dann aus der Existenz des Erlebenden jener Vision endgültig entfernt werden; es kann eine solche dann nicht mehr geben. Falls der Gesamtvorgang überlebt wird - und Thomas, Hans, Konstantin sowie ich haben alles mit schlagenden Herzen überstanden - wird es weiterhin das Wörtchen Freude geben, ja: es wird vielmehr gar gefestigt sein, da itz gewusst wird, was für hohes Gut ein Dasein auf der lichtvollen Seite überhaupt darstellt.
Mit dem neuen Wissen darf sich an die Öffentlichkeit gewandt werden, Carl. Dies ist in den Blättern festgehalten. Die Weiterleitung dieses neuen Wissens, das auf absoluten Tatsachen beruht, ist ohne Nachproblematiken freiestens erlaubt und gestattet!"

Ich ließ die bedeutungsschweren Worte des Freundes in mir nachhallen. Selbstredend hatte ich noch Fragen, doch ich ahnte, dass mir Gottlieb auf dem Wege noch das eine oder andere erörtern würde. Deswegen schwieg ich eisern, hatte meine Lippen fest zusammengepresst. Einmal mehr fragte ich mich, während meine Blicke auf den Umrissen der traurigen Baumleichen ringsumher lagerten - ersichtlich in den Lichtkegeln unserer beiden Lampen - warum und wieso ich diese Reise auf mich nehmen wollte. War meine Gier auf das wirkliche Dunkel derartig gewaltig, dass ich gar dazu bereit, meine weitere Existenz tiefstens zu schänden? Es konnte sich tatsächlich nur um jene Gier handeln - etwas anderes fiel mir zu diesem hochkomplizierten psychologischen Felde mitnichten ein.
"Die Gier ...", jammerte ich plötzlich, als wir uns in Bewegung setzten. "Es ist immer nur die Gier, die uns Menschen treibt ..."
"Ja.", antwortete Gottlieb. "Es ist die Antwort. Es ist wirklich die Antwort auf die inneren Fragen, die sich soeben auftaten bei dir."
Wir waren auf dem Wege und schritten recht behende aus. Die Wirkung des doch reichlich genossenen Alkohols in mir hatte vollständig geendet; eine eiserne Vernunft hielt mein Herz umfasst. Ja, es war nicht klug, was ich zu tun gedachte, doch es war auch nicht abgrundtief dumm. Und so schienen die raunenden Winde ringsum nur eines zu sagen: Mache das, was du nicht lassen kannst, Freund! ...
"Carl", schnaufte neben mir der gute Gottlieb - "wisse noch, was die Ledertasche von sich selber sagte! Die Ledertasche, har! Eine Beschreibung Holler's, aber eine wirklich gute! N ist, wie mehrfach gesagt, von jener eigenartigen Haut eingehüllt. Krokodil. Schlange. Was weiß ich ... So wirkt es in sämtlicher optischen Hinsicht auf jeden Falle. Er trägt auch Kleidung, doch ist diese sehr merkwürdig. Es sind jeweils kleine Stücke irgendeiner Textilie, die durch Bänder am grotesk verzerrten Leibe der Kreatur verankert wurden. Man kann es nicht so recht umreißen und beschreiben, doch du wirst es ja bald selber sehen, Carl. Hans Kraus meinte einmal, und eventuell steht er immer noch dazu, dass es gar nicht eindeutig seie, was nun Haut bei N ist - und was dort Textilie. So kann auch das Leder die Bekleidung sein, während die kleineren Stücke Stoff die Haut. Ich selber hingegen bin der unumstößlichen Ansicht, dass Krokodil und Schlange seine ureigene körperliche Umhüllung, so wie es bei uns Menschen eben die Epidermis ist.
Sei es, wie es sei - es ist ja auch gleich - N sagte definitiv von sich selber, dass er, dass er ..."
Hier hustete mein Freund heftig. Er konnte kurzzeitig nicht weiterreden.


Nachdem wir einige Klafter ohne Worte weitergegangen waren, zwangsweise, nahm Gottlieb den Faden wieder auf.
"Seltsame Hustenanfälle, verdammt! Das kenne ich gar nicht von mir.
Aber wie es auch sei: Das Wesen sagt laut den Blättern aus Rassel von sich, neutral zu sein. Neutral. Weder böse noch gut. Es wäre der genaue Mittelknopf der Waage. Dies vielleicht noch als Information für dich, lieber Carl.
Erschrick nicht vor dem Anblick! Ich glaube, ich sagte dir schon, dass das Ding nur ein einziges Auge aufweist und dass du wahrscheinlich nicht angeschaut wirst. Versuche auch selber, N so wenig wie möglich zu fixieren! So habe ich das auch gehandhabt. Immer ein wenig an der Kreatur vorbeischauen, nie fest in den Blick nehmen! Die Wirkung könnte zu hypnotisch werden, wenn du verstehst. Ohnehin wirst du zwangsläufig in Erstarrung verfallen. Dann, wenn die Visionen des Schreckens nahen, die du überstehen musst. Erlebe die Visionen, aber mache sie später nie zu deiner Philosophie! Wenn du das tust, könnte es dein Ende sein. Der Aufenthalt in den ewigen Schatten, du weißt es ja. Erlebe die Vision und denke hernach nie zu schürfend darüber nach! Sei dir der Bedeutung bewusst, nur der Bedeutung! Das ist es, was die Tasche will. Vermittle die Vision weiter, schreibe sie später auf, doch dies alles völlig nüchtern, ruhig, unaufgeregt und sachlich! Du darfts dich damit auseinandersetzen, doch lasse es nie zu nahe an deine Seele heranrücken, verstehst du?"
Ich nickte, schluckte. Das, was hier bevorstand, konnte wahrlich als ein Belang der Gewaltigkeit bezeichnet werden. Mein guter Freund sprach itzo noch kurz von der Entsetzlichkeit des Aussehens des Visionsbringers, mahnte mich immer wieder, dieses Grauen nur kurz in mich aufzunehmen, es hernach wirklich, wirklich, wirklich nie zu genau in Augenschein zu nehmen. Gottlieb betonte das sehr, wies nochmals mit absolutem Nachdrucke darauf hin. Die anderen drei Beobachter hätten dies genauso realisiert; dies - nur dies - schien laut Gottlieb von Kulkwatz der Grund zu sein, warum sie noch alle auf Erden wandelten, - und das bei relativ gutem Verstande.
"Alle Männer grübeln in Torckhaus!", fügte mein Kamerad hinzu. "Durchweg alle! Die Frauen des Dorfes weinen oft. Sie wissen nicht, warum. Es wird mit der Ledertasche im Zusammenhang stehen, da bin ich mir ziemlich sicher. Da du Torckhaus ja wieder verlässt, wird es bei dir nicht allzu schlimm werden, Carl. Grübeleien oder gar Tränen, tiefe Traurigkeiten - diese Sachlagen wirst du wahrscheinlich nicht zu hart erleben müssen. Doch wisse, dass du durchaus zum Grübler werden könntest! Das wird dich nicht in die Knie zwingen, doch denke immer daran, dass du dein Erlebnis mit N immer wieder hart verdrängst! Das ist wichtig, Carl! Hörst du, das ist wichtig!"

Mein Begleiter hielt mir die Schulter fest, stand direkt vor mir. Im Scheine der Lampen blickte er mir fest ins Antlitz. Das Gesicht strahlte nun eine gewisse Weinerlichkeit aus, die ich nicht so recht einzuordnen vermochte. Mir schien es, als würde er mein Aussehen vollendet verinnerlichen wollen, es auswendig lernen, um die Erinnerung an mich zu erhärten. Im Hintergrund jammerte der Wind.
"Carl, ich gehe nun zurück. Ich habe dir ja gesagt, nur eine Teilstrecke mitzugehen. Ich will es nicht nochmals erleben ...
Du brauchst immer nur geradeaus zu gehen, Freund! Immer der Nase entlang, immer auf den Pfad zu deinen Füßen achtend. In vielleicht zwanzig Minuten kommst du auf völlig flache Ebene. Sie wird eingetunkt sein in die Schwärze der Nacht, doch du hast die Lampe, du hast Batterien. Vor dir wirst du einige Steinflächen sehen. Steine mit ebenen Flächen, in den Boden eingebracht sowie zu Fußböden umgestaltet. Hier und da ist so ein Boden, mal links, mal rechts. Gehe einfach immer weiter, bis du an ein kleines Steinhäuschen kommst! Dort ragen einige sinnlose und verrostete Geländerreste empor. Hier und da lugen merkwürdige Schutthäufen aus der Erde. Und es stinkt dort, es ist fürchterlich! Es ist kaum auszuhalten. Aber ignoriere dies alles, Carl! Geh bis an die Türe des Häuschens heran, schiebe dich vor bis an das verranzte elendige Gebäude, welches wahrlich schier zusammengefallen aussieht, kaputt, nicht mehr lange stehend, wie eine Art Ruine. Es ist ein seltsames kleines Haus, dies wirst du bemerken, - es wirkt wie nicht von dieser Welt! Es ist schief, es ist an etlichen Stellen wie eingesunken, es erscheint irgendwie falsch, nicht richtig, verstehst du, Carl? Du darfst nicht zu tief darüber nachdenken, mein Freund! Um Himmels Willen, nimm es hin! Nimm es hin, wie es ist, wie es sich verhält ... Stell dich an die rostige Fläche der einzigen Türe! Ganz dicht heran, ganz dicht! Ich hatte sogar mein Ohr hinangelegt, um zu lauschen. Das darfst du tun, Carl - mir hat es nicht geschadet! Wie du siehst, stehe ich noch vor dir, lebend ...
Dann musst du laut der Schrift aus dem Seanceraum folgendes tun: Streichele zart über diese rostige Türfläche, ganz sachte! Stell dir vor, du würdest die Frau deiner Träume streicheln! Zart, langsam, tief einatmend. Wenn du dies einige Zeit getan hast, wird die Tür aufgehen. N hat dich bemerkt ... Dann tritt ein! Alles andere wirst du nun von selbst wissen! Du weißt es einfach! Gehe auch hier einfach geradeaus tiefer und tiefer ins Gebäude hinein. Die Türe hinter dir wird offen bleiben. Solange, bis du das Haus des N wieder verlässt. Schließe nie und nimmer die Türe von dir aus, hörst du? Lasse sie offen!
Es wird schräg in die Tiefe gehen, in die Schwärze hinein, Nutze deine Lampe! Immer! Die ganze Zeit über! Bei N aber schalte diese aus! N hat ein leichtes Eigenleuchten. Du brauchst hier kein Licht mehr. Das Geschöpf wird dich ohnehin auffordern, dich auf den Boden zu setzen und die Lampe auszuschalten. Das wirst du garantiert erleben, Carl, - garantiert! Ganz unten, ganz dort unten ...
Und dann ... Ja dann erlebst du IHN. Mehr ist nicht zu sagen, Freund. Wahrlich nicht. Du wirst wissen, wann du zu gehen hast, denn N wird dich dazu auffordern. Aber diese Aufforderung erlebst du freilich nur, wenn du es geschafft hast, den Schwärzen der Schattenwelten zu widerstehen. Wenn du nicht hineingefallen bist, verstehst du? Du musst dagegen arbeiten! Ankampf, heftiger! Die ganze Zeit über!
Das musst du schaffen, Carl!
Du leistest hier Widerstand gegen die tiefschwarze Gegend, die das Universelle auch aufweist. Es gibt leider nicht nur Licht, in welches ein Mensch eintaucht, wenn er den sogenannten Sterbevorgang hinter sich gelassen hat ..."

Noch einige Sekunden starrte mich Gottlieb schweigend an, dabei die ganze Zeit über meine linke Schulter so fest drückend, dass es mir schon wehtat. Dann aber ließ er mich los, klopfte nur noch meinen Arm. Es war der Abschied ...
Er schwenkte den Lichtkegel und verließ mich. Er ging zurück. Noch eine ganze Weile hörte ich seine Fußtritte, bis diese Geräusche im hohlen Raunen des Windes verlorengingen.


Es begann!
Ich war jetzt auf mich alleingestellt. Endgültig.
Entschlossen brachte ich meinen Lichtkegel in die Richtung, welche zu begehen war. Mein Gesicht verhärtete. Es wurde sich noch einmal umgeschaut, doch Gottlieb war in der Dunkelheit verschwunden, ging zielstrebig auf sein sicheres Haus zu. Das war es, was ich itz nicht mehr hatte: Sicherheit ...
Langsam wurde losgegangen, fast zögerlich. Doch die Schritte wurden bald schon fester, stärker und entschlossener. Es ging voran, wahrlich. Vorwärts in eine unerhörte Zeitspanne hinein, die nur durch eines geprägt wurde: Wackeligkeit! Man konnte von nun an mitnichten sagen, was geschehen würde. Diese Ungewissheit präsentierte sich zermürbend sowie schwächend. Ja, ich spürte Schwäche. Es verhielt sich so, dass mir der Körper Signale schickte. Es waren Warnungen. Knie zeigten sich weich, mir wurde allgemein unwohl. Schlussendlich musste ich stehenbleiben, wenigstens für kurze Augenblicke. Der Lichtkegel meiner Lampe kam zur Ruhe.
Diese Nebelschwaden zu meinen Füßen wirkten grauenhaft - es handelte sich in der Tat um einen Bodennebel, der mich das Fürchten lehrte, zumal ich ohnehin angeschlagen war. Ich ließ die Blicke ein wenig umherirren; mehr als einige schiefe rabenschwarze Baumleichen bekam ich nicht zu Gesicht. Hier begann die trostlose Ebene, von der Gottlieb gesprochen hatte; von nun an gab sich lediglich noch Ödnis als Begleiter - ganz im Vereine mit schrecklicher Einsamkeit.
Langsam wurden nächste Schritte gesetzt, verknüpft mit einer ekelhaften Zögerlichkeit, die ich gar nicht wollte. Keine Menschenseele war noch in der Nähe, nicht einmal irgendein Tier war zu hören - kein Totenvogel, kein raschelndes Nagetier, nichts. Ich war absolut allein auf weiter Flur und drückte mich weiter und weiter in diese hinein. War es vielleicht klug, ein wenig zu pfeifen, - ganz und gar lediglich zur Selbstberuhigung? Ich unterließ es, denn eventuell wurde es notwendig, auf Geräusche zu achten, die aus Richtung meines Trachtens kamen.
Noch ein Schritt, noch einer. Noch zwei oder drei weitere. War ich des Wahnes? Was tat ich hier? Warum in Gottes Namen wollte ich zum unheimlichsten Ort, den ich mir gegenwärtig vorstellen konnte? Was war es, das mich hier antrieb?

Ich dachte an die Dinge, die Gottlieb und ich besprochen hatten. Und ich dachte nicht nur ein N, - der komplette verquere Name ging mir durch den Kopf. Notah. Notah die Ledertasche ...
Ein Geschöpf, schlicht und einfach auf Erden vorhanden. Ein unbekannter Ursprung, eine unbekannte Herkunft. Eine Denkwürdigkeit, die ihresgleichen suchte! Und so geschah Gedanke um Gedanke, Idee um Idee, während ringsumher der Wind wie ein Gepeinigter wimmerte - immerzu und ohne Unterlass ...
Wild schwenkte ich den Lichtkegel. Doch ins trübe Blickfenster gelangten lediglich Baumkrüppel sowie tiefschleichende Nebelfetzen. Und langsam merkte ich, dass sich ein unangenehmer Geruch an meine Nase schob - langsam, noch relativ unaufdringlich, aber definitiv vorhanden. Es blieb zunächst bei der Unterschwelligkeit der Geruchsfahne, doch ahnte ich sehr wohl, dass das Ganze sich wohl alsbald verstärken würde. Gottlieb hatte dies beschrieben und mit seiner tiefen, recht wuchtigen Stimme deutlich gemacht. Er, der ihn erlebt hatte, IHN. Notah ...
Schauder durchzuckten meine arme Seele, denn ich wurde mir immer unsicherer, ob ich den N-Namen wirklich denken durfte. Ich wusste aus meiner Belesenheit heraus, dass es auf Erden Worte gab, die Schlimmstes anrichten konnten, wenn man sie laut aufsagte. Durfte so ein Wort wenigstens gedacht werden? Ich kam auf kein Ergebnis ...
Noch sah ich nichts von diesen künstlich angelegten Böden, von denen mir berichtet worden war. Ich lief auf flacher Erde dahin, immer geradeaus. Längst gab es keinen Pfad mehr, keine Grasbüschel dort und hier. Ich musste darauf achten, vollendet perfekt geradeaus zu laufen, immer nur dahin, ohne auch nur den geringsten Richtungswechsel ...

Von rostigen Geländern voller Sinnfreiheit hatte mein guter Kamerad geredet, diese würden wohl erst nach den seltsamen Fußböden auftauchen. War das dann ein kleines Labyrinth solcher Gestänge? Ich konnte mir auch hier nichts Konkreteres vorstellen, ich musste das abwarten und auf mich zukommen lassen.
Meine derben Schuhe verscheuchten die Nebelschwaden, ließen diese aus dem Lichte der Taschenlampe entfleuchen. Doch immer kamen neuerlich weitere Felder nach - dies ergab kein sichtbares Ende. Das Schuhwerk drückte die Fetzen hinfort, doch stetig stetig stetig lief ich durch weitere schlierenhafte Geisterhaftigkeit. Gab sich der Nebel als Warnung? Unwillig schüttelte ich den Kopf. Dann kramte ich während des langsamen Weitergehens im mitgebrachten umgelegten Beutel herum und entnahm diesem meine Wollmütze. Sie wurde aufgesetzt, dann blieb ich stehen. Einige Schlucke aus der Wasserflasche wurden genommen, diese letztlich zurückgesteckt. Danach musste ich urinieren, was ich einfach auf dieser verdammten unendlichen freien flachen Fläche tat. Eines nur musste ich dabei machen: Mir die Richtung merken, in die ich zu gehen hatte. Aber das hatte ich nicht aus dem Sinn verloren, beileibe nicht! Es wäre das Ende der Unternehmung gewesen, zumal es hier keinerlei optische Anhaltspunkte gab, an denen man sich hätte orientieren können.
Die notwendige Wasserlassung gab sich vollbracht; weiter ging es, weiter! Doch itzo wieder geschah dies erneut zögerlich, mit wahrlicher Zauderei, und - ich gebe es unumwunden zu - Ängsten. Ich drückte hart die Lippen aufeinander, zog mir die Mütze tiefer ins Gesicht. Wie lange würde es noch dauern? Von zwanzig Minuten war vorhin geredet worden, doch hatte ich leider sämtliches Gefühl für Zeitabschnitte verloren. Zu den erwähnten Steinböden war ich noch immer nicht gekommen, doch konnte dies unmöglich noch lange dauern. Die Richtung jedenfalls - die notwendige Marschroute - hatte ich stetig eisern beibehalten. Nun ja, einige positive Aspekte existierten also. Noch ...


Meine ureigene Zeremonie der Beruhigung von Körper & Geist bestand nun, ganz neuerlich und bisher nicht von Wissen darüber geprägt, darin, dass immer wieder die Mütze ins Gesicht gezogen wurde. Manchmal geschah dies derartig fest sowie abrupt, dass die Befürchtung daherschwang, die Kopfbedeckung könne reißen, was aber zum Glücke nicht eintrat. Fürderhin betrieb ich die Herabziehung des Kleidungsstückes allerdings wesentlich zurückhaltender; eine Beschädigung des letzten ernsthaften Bringers einer wenigstens leichten Positivität, nämlich Wärme, sollte unriskiert bleiben. Das, was ich nebenher bemerkte, war itz immer wieder ein leichtes Einknicken meiner Beine, was jedes Mal helfende Ausfallschritte zur Folge hatte, die mir selbstredend missfielen. Ich möchte mitnichten sagen, dass Verärgerung hierüber geschah, trotzdem betete ich leise darum, dass jene Vorfälle, die mehr als hinderlich, endlich ausblieben. Sicherlich gab sich das gekoppelt mit längst vorhandener körperlicher Schwäche, denn besonders jung an Jahren war ich bei Gott nicht mehr; allerdings hielten sich Wünsche aufrecht, doch die Strecke bis zu dem bizarren Hause hin in guter Gangart zu absolvieren. Da nun verstärkt auf jegliche Feinheit meiner Art und Weise des Setzens der Schritte geachtet wurde, folgte endlich störungsfreie Fortbewegung. Das ging einher mit erhöhter Geschwindigkeit des Fußganges, doch bemerkte ich mit säuerlicher Miene, dass von jenen angesprochenen künstlich angelegten Steinböden noch immer jeder Spur fehlte.

War es etwa DAS - das Fehlen jeglicher Spur? War es wirklich das, was mich jäh und überraschend blockieren wollte - blockieren mit dem Mittel einer sich verschärfenden Ängstlichkeit? Immer wieder wurde stehengeblieben, ständig leuchtete ich ringsum Boden sowie die Luft darüber ab - und dies in allen Himmelsrichtungen. Was befürchtete ich? Warum lauschte ich verstärkt? Das Rauschen des eigenen Blutes stellte sich wohlvernehmlich dar, darüber hinaus hatte ich doch auch - wenn auch nur ganz ganz leis' - etwas gehört, oder doch nicht? Doch, es war etwas gewesen - es war, bei Gott! - etwas gewesen, ganz außerhalb des flehenden, unablässigen Windes ...
Ich wandte den Blick wieder gegen die notwendige Marschrichtung, setzte die beklemmende, dumpfe Wanderung fort, dabei völlig in mich gekehrt. Wenn schon etwas zu hören war: Ich wollte das nicht! Ich wollte um das Verrecken nicht noch zusätzliche Schaudereien, die ja nur eines sein konnten: Hinderlich.
Doch alles um mich her schien mein Vorhaben auszubremsen. So konnte ich es doch eigentlich nur selber sein, der dies tat, oder? Die tiefe Psyche mit ihren Traumen, die immer und immer Fallstricke auswerfen wollte, es aber noch nicht vollendet bewerkstelligen konnte, da es noch Restwillen gab. Und so ging es noch ein gewaltiges Wegstück weiter, wenn das nun auch mit einer fürchterlichen Humpelei parallel ging, welche jäh Überfall meiner Person getätigt hatte. So spürte ich im linken Knöchel einen ab und an sich aufbäumenden, stechenden Schmerz, der ungestüm, wild sowie vollendet peinigende Natur aufwies. Auch hier versuchte ich es mit Ignoranz, denn derlei kennt wohl jeder Mensch, der öfter ordentliche Fetzen zu Fuße unterwegs ist. Doch merkwürdig: Merkwürdig war es schon, und ich wusste und wusste nicht, ob dies eine weitere Warnung darstellte - ganz neben eines nun deutlicher gewordenen Geräusches, welches aus der Schwärze der grauenhaften Ebene kam ...
Ich stand nun und horchte in alle Finster, die da meine Persönlichkeit umkreist hielten. Es handelte sich um Laute, aber ich konnte es erst kurz später ordentlich benennen, da es dort ein bedeutendes Quäntchen deutlicher wurde. War es ein Klagen von Weibern? Ein Abgesang und missgestaltetes Gekrähe, welches schwächlich sowie dezent gedämpft überaus delikat über den Acker schallerte - sich wie ein Gespinst oder bleiches Leichentuch hartnäckig ablagernd? Ja! Etwas in der Art war hier gewesen, doch konnte es nicht in Einklang gebracht werden mit meinem verdammten Thema des Notah. Das gespenstische Geheul hatte sich herbewegt, war unterschwellig über die Ebene geweht, doch was dies zu bedeuten hatte, wusste wohl absolut niemand. Darüber hinaus war ich freilich auch die einzige Person, die es gehört hatte, was selbstverständlich zu weiteren Fragestellungen führte, die aber nimmermehr ausgesprochen werden wollten. Mehr und mehr gab es sich erhöht dergestalt, dass hier in der Tat nicht nur in Vermutung etwas war - nein! Tatsächlichkeiten in trüber sowie herrschender Macht hatten Heimstatt. Was es allerdings war, dass da in dieser erschröcklichen Gegend umherzog, entzog sich hartnäckigst jeder Möglichkeit leisester Erkenntnisfindung. Gut, ich hatte etwas hören können, worauf Schlussfolgerungen folgen durften, doch gaben sich diese derart irrig, dass eine weitere Nachdenkelei darüber überflüssig wurde. Ich schnaufte durch und setzte mich neuerlich in meine schneckenlangsame Bewegungsart, da das Gesteche im Knöchel nur leidlich enden wollte. Ein leiser, gezischter Fluch verließ meine spröde gewordenen Lippen; etliches in mir sträubte sich, begehrte auf, - doch ich wusste nicht, wogegen.

Wieder und wieder waberte der Teppich des Bodennebels im Lichtkegel der Taschenlampe dahin; totenhaft gerieten die dunklen, ja schwärzerschwarzen Füße der Baumkrüppel in mein lustloses Blickfeld. Was für eine dumpfe, aussichtslose Gegenwart! Was für ein sinnloses Suhlen in den übertiefen Tümpeln aller von außen dahergekommenen Mysterien ... Vier Herren bisher hatten etwas erforschen wollen, ohne aber im Laufe dieses Prozesses wirklich etwas Handfestes erfahren zu haben, von dem sie erfreut sprachen, von dem sie meinten, es hätte gerne und gut publiziert werden dürfen. Der Deckmantel denkwürdier Verschwiegenheit behielt die Oberhand; Miasmen schmutzigen Geheimnisses torkelten im Finster des Ungesagten. Ich selber war der fünfte Mann, der da Erfahrung sammeln sollte oder wollte, aber warum? Wieso zweifelte ich itz? Ich war doch begierig darauf gewesen, zu sehen, zu erleben, dies alles zu riechen und zu schmecken - mit allen Sinnen und meiner tiefsten Hinbeweglichkeit zu den Schrecken dieses Erdballes ... Und nun? Weswegen diese bizarr zu nennenden Lähmungen, meine absurde Unbeweglichkeit? Wer sollte hier Wissen erlangen, wenn er nicht einmal ahnen konnte? Ich? Ich?
Ich ging schon bedächtig langsam, doch kam es jetzt wieder fast zum völligen Stillstand. Ja, ich bemerkte, dass meine Schmerzen im Fuße endeten. Ja, ich erschaute plötzlich im Lampenschein die saglichen Steinböden. Doch gab es irgendwelche Aufmerkereien deshalb? Mitnichten ... Trübnis hielt mich erfüllt, und mit einem Male vernahm ich neuerlich das furchtbare Klagen aus den Tiefen dieser Ebene der Millionen unträumbaren Schrecknisse ...

Ich hörte, doch konnte es trotzdem kaum glauben oder für völligen Ernst nehmen. Ruhig sowie mit einer gewissen eisigen Versteinerung wurde still dagestanden und versucht, diesen äußerst schaurigen Vorfall genauer einzugliedern, ihn auf eine Ebene der besseren Begreifbarkeit zu hieven. Die Ein- sowie Ausdrücklichkeit der gespenstischen Laute nahm sich wahrlich hoch aus, das Geschehen zeigte sich schürfend entsetzlich, ja außerordentlich widerwärtig und abstoßend. Und doch besaß das als Gesamtheit einen mächtigen Bizarritätsgrad, es wollte schier an Clownerie erinnern, kurzum: Es neutralisierte sich beim Belange der Gesamtwirkung. Hinzu kam die Tatsache, dass ich weiterhin sehr angestrengt lauschte, aber außer den ewigen Windtönen nichts weiter mehr vernahm - höchstens noch, unterschwellig, das bereits einmal erwähnte Rauschen und Fiepen des Eigenblutes. Ja, da gab es kein Klagen aus unbestimmbaren Fernen mehr, keinerlei Geräusch, welches vielleicht auf die Banshee hinwies. Ich stand steif an jenem künstlich angelegten steinernen Boden, dem sich weiter vorn ein weiterer anschloss, besaß eine seltsame Anspannung in mir - verbunden mit nicht verstehbarer oder begreifbarer Ruhe - und langte schlussendlich neuerlich zur Wasserflasche, um in einiger Hast zu trinken. Kein Tönen mehr von Klageweibern, etliche Minuten nicht, die ganze nächste Zeit über nicht. Und trotzdem stand ich, horchte, grübelte. Alle Sinnierung bezog sich nun jedoch auf die Steinböden, von denen ich im Bereiche des Lampenlichtes durchaus einige erschaute. Es waren keine besonders großen Flächen, eigentlich immer nur Stückwerk, und ein Sinn darob wollte und wollte sich mir kaum erschließen ...
Also gab sich auch hier eine Warterei ohne Zweck. Ergebnisse in irgendeiner hinlänglichen Art existierten nicht, wollten eine Auftauchung vermeiden, deswegen wurde - wenn auch wieder in der saglichen Langsamkeit - weitergegangen. Dabei wurde es straff vermieden, auf die Böden zu treten; ich nutzte für mein Weiterkommen lediglich das Erdreich als Fußberührer.
Das schreckliche Gestänge trat in den Lichtkegel, ergänzend sichtete ich die unverstehbaren Schuttberge oder Häufen, die sich doch recht zahlreich aus dem Dunkel schälten und deren Beschaffenheit mir ein völliges Rätsel war und blieb. Geländer, einfach schief und unnütz in der Landschaft stehend - Unrat oder Müll, der in absurder Groteskerie ausschaute, als handele es sich um in Verrücktheit daher-materialisierte Gegenstände, welche in der Folge in eine umformende Verschmelzung übergegangen waren. Eine berggleiche Unbegreiflichkeit.

Ich wankte ein paar Klafter vorwärts, nur, um in Vorstellungswelten zu fallen. Soll ich sagen, dass ich Notah sah? Wie er innerhalb einer bedrückenden Räumlichkeit auf einer Eisenstange hockte und in den ledrigen Klauen - denn Hände waren das nicht - einen denkwürdig wirkenden Hocker hielt, der wie ein kleiner diabolischer Thron aussah? Ja, ich sage dies aus, und doch war ich noch längst außerhalb jenes geduckten Gebäudes voller seltsamer Baufälligkeit, von welchem mir Gottlieb Bericht erstattet hatte. Eine Wahnvorstellung, welche eiligst verblasste und den üblichen Bildern von Nebel & Trübnis Platz machte.

Ich schwankte die schiefen, fast umgefallenen Geländerstangen entlang, die vom Naturphänomen Rost fast vollständig verschlungen worden waren. Auch hier achtete ich peinlich genau darauf, nichts zu berühren - nicht mit der kleinsten Schuhspitze. Dafür, dass ich mich in einer leichten Trance befand, gelangen diese Berührungsvermeidungen sehr gut.
Eine Fläche mit glatten Steinen kam zum Vorschein, die selbstredend ebenfalls von meinem Schuhwerke unangetastet blieb; linksseitig standen Baumleichen, rechts sah man nur Schwärze der Nacht. Ich hob die Blicke, doch gab es kein Sternenwerk zu sehen, auch den Erdtrabanten bekam man nicht zu Gesichte. Die dichte Wolkendecke der Nacht war voll geschlossen sowie tief. Sie wollte die Schrecken aufstauen, die unten auf der Erdoberfläche befindlich.
Wieder gab es da viel Geländer oder besser Reste davon - wild in die Gegend eingesteckt und von absoluter Sinnlosigkeit geprägt. Es gab wahnhafte Künstler, die so etwas fabrizierten; an vernünftig denkende Menschen fühlte man sich jedenfalls un-erinnert ...
Das Geländerterritorium lichtete sich zusehends, dann kam eine größere Freifläche an die Reihe. An diese schloss sich etwas an, das ich nicht näher umreißen will.

Es war, ich sage es nur kurz, das Haus.

Die Beschreibungen, die über dieses Gebäude gefallen sind, sollen ausreichen. Die Beschreibung der rostigen Metalltürfläche, die gefallen ist, soll ausreichen. Ich erschaute, erschauerte. Dann drehte ich mich um - mitsamt dem Strahle meiner Lampe. Ich nahm gewissermaßen die Beine in die Hand und lief. Ich lief und lief, angetrieben von Gefühlen des Negativen, die ungenannt bleiben müssen. Ich lief und lief. Blieb die tiefe Nacht hinter mir zurück?
Ich lief und lief, bis ich am befreienden Bau meines Busenfreundes Gottlieb von Kulkwatz ankam ...
ENDE

 

Glück!
Mein Ausstand aus WORTKRIEGER.

Bitte keine ausladenden Kritiken!
Es ist die letzte Geschichte hier. Möchte mich wieder mehr auf das Thema Cartoon zeichnen konzentrieren.
(Google-Bildersuche "Leichnamcartoon")

Ich danke allen, haut rein!

 
Zuletzt bearbeitet:

Auch wenn es die letzte Geschichte ist, bitte noch rasch ein Komma im Titel setzen, nach Notah. ;)

 

Nein. Meine Schreibweise ohne Komma ist bei einem Titel absolut zulässig, Manuela.

Glück auf!

 

Nein. Meine Schreibweise ohne Komma ist bei einem Titel absolut zulässig, Manuela.​

Da hastu nach allen Regeln der Kunst selbstverständlich (keineswegs „natürlich“) Recht,

@Leichnam ,

aber Karl der Große meint z. B. wen ganz anderes als Karl, den großen (Mann [oder Hund] da).

Tschüss & alles Gute nebst schönem Wochenende aus’m Pott

vonnet

Dante Friedchen

 

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