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Nur gucken
Inka rollte sich auf dem flachen Podest zusammen, so nah am Bollerofen, dass seine Hitze sie erreichte, ohne ihr den Hintern abzuflämmen. Die vier Zeichnerinnen hofften, dass es ihnen gelänge, das Katzenhafte in Inkas Position einzufangen und ihre Muskulatur richtig anzulegen. Nur der einzige Mann im Raum rührte sich nicht.
„Das ist Pelle, der will heute mal zugucken“, hatte Inka ihn vorgestellt. Jetzt saß er auf einem der Holzstühle, seine Einsneunzig eingeklemmt zwischen zwei alten Damen, die Beine weit von sich gestreckt, den Blick fest auf Inka gerichtet.
„Haltet euch ran“, mahnte Ute auch schon. „Fresst euch nicht an irgendwelchen Details fest. Das ist erst mal nur zum Reinkommen. Noch eine Minute.“ Sie wandte sich an Pelle: „Willst du mitzeichnen?“
„Nein, danke.“
„Papier und Stifte kannst du von mir kriegen.“
Er schüttelte den Kopf. „Nee, echt nicht. Ich will nur gucken.“
„Nun denn.“ Ute wandte sich ab, ging von Blatt zu Blatt, korrigierte hier einen zu kleinen Fuß, da eine zu wenig konsequent durchgehaltene Verkürzung und bat Inka schließlich, die Position zu wechseln. Worauf Inka sich gähnend auf den Rücken drehte, die Arme hinter dem Kopf kreuzte und die angezogenen Knie zur Seite kippen ließ. Pelle atmete durch.
„Willst du es nicht mal probieren?“, versuchte Ute es noch mal.
„Nö“, sagte er.
Inka lächelte mit geschlossenen Augen.
Vanessa wühlte in ihrem Schulmäppchen nach einem Radiergummi. Leider kam der Fuß an der falschen Stelle wieder heraus und Inkas Haare sahen aus wie ein schwarzer Fahrradhelm. Gut, dass Ute noch nicht bei ihr war. Vanessa sah zu Pelle. Seine Hände bewegten sich leicht auf den Oberschenkeln. Wie es wohl war, wenn er Inka anfasste? Schnell senkte sie den Kopf über ihr Blatt.
Ute überlegte, ob sie diesem Jungen für die Stunde Geld abknöpfen könnte. Mindestens die Hälfte.
In die Stille hinein begann Pelle zu winseln.
Vanessa brach die Bleistiftspitze ab.
Pelle sah Inka an. Und winselte.
Ute stand auf: „Äh, hallo?“, worauf er leise fiepte.
Inka sagte: „Pelle – aus!“
Sofort war er ruhig.
„Ja, was war das denn jetzt bitte?“ Ute schnaubte.
„Vollmond“, sagte Inka.
„Dann soll er sich zusammenreißen, ist ja noch was hin bis Mitternacht.“
„Pelle, reiß dich zusammen“, sagte Inka und Pelle lächelte.
Vanessa fragte sich, ob da von Anfang an diese Haare gewesen waren, die aus seinem offenen Hemd guckten. Sie schaute mehrfach hin und jedes Mal hatte sie das Gefühl, dass sie dichter wurden. Schon wieder musste sie hinschauen. Zum Glück klebte sein Blick an Inkas Bauchnabel.
Katrin wusste jetzt, wo sie Pelle schon mal gesehen hatte. Das musste mindestens fünfzehn Jahre her sein. Aufmerksamkeitstraining nach Lauth und Schlottke. Der Junge, der immer auf allen Vieren in den Gruppenraum gekrabbelt war und damit schon gleich seine erste Belohnungswäscheklammer abgeben musste. Klassenkonferenzen, Beurlaubungen, Schulbegleiter, mit Ritalin, ohne Ritalin, das volle Programm. Irgendwann waren sie doch erwachsen.
„So, jetzt kommt noch eine Kurze im Stehen. Mach mal was Gedrehtes. Und so, dass die anderen dich von vorne haben.“ Ute verschob eine der Lampen und richtete sie neu aus.
„Das blendet“, sagte Pelle.
„Ja isso, wir brauchen hier ein paar Kontraste, sonst setz dich halt woanders hin.“
Pelle sah sich um, aber der Raum war klein und vollgestellt mit Kisten und Leinwänden.
Die beiden rechts und links neben ihm spannten neue Blätter auf ihre Zeichenbretter.
Inka drehte ihm halb den Rücken zu, kreuzte einen Fuß über den anderen, schaute über die Schulter, schob die Hüfte heraus und hob die Arme, so dass sie mit den Händen das Licht für ihn abschirmte.
„Das ist ja hübsch, das hatten wir noch nie“, bemerkte Rosi, eine der beiden alten Damen.
„Ja, das ist wirklich megahübsch“, sagte Pelle und Vanessa hätte schwören können, dass seine Stimme tiefer geworden war. Sie sah, wie er schluckte, sein Adamsapfel hob und senkte sich.
Ute wandte sich an Inka: „Hältst du das drei Minuten durch?“
„Ich versuch's.“
Nach zwei Minuten begannen ihre Arme zu zittern.
Ute lief von einer Zeichnerin zur nächsten, obwohl Pelle mehrfach vorwurfsvoll in ihre Richtung sah. Sie maß mit dem Bleistift in der Luft Längen und Winkel, flüsterte: „Guck dir die Stelle nochmal an.“
Knurrte Pelle etwa? Vanessa war sich nicht sicher, weil niemand reagierte. Doch er knurrte, bestimmt. Beinahe hätte sie losgeprustet. Sie hustete, zog den Stift mit kräftigen Bewegungen über das Papier, bis Ute hinter ihr anerkennend pfiff: „Das ist doch mal ein entschiedener Strich. Du könntest … was ist das für ein komisches Geräusch?“
„Die drei Minuten sind um“, sagte Pelle.
„Spinn ich oder hast du hier gerade geknurrt?“
„Pelle, verdammt.“ Inka drehte sich um und schüttelte die Arme aus. „Dann warte halt draußen.“
„Ich hab nicht geknurrt. Ich hab mich geräuspert.“
Katrin unterdrückte einen höhnischen Laut. Den Augenaufschlag kenn ich. Danke, danke, danke, dass ich mit so was bald nichts mehr zu tun habe, dachte sie.
Ute schoss hinter Vanessas Stuhl hervor und riss beinahe das Zeichenbrett mit: „So, jetzt pass mal auf: das ist mir scheißegal, ob du zeichnest oder nicht! Wenn du hierbleibst, zahlst du auch. Und du hältst die Klappe.“
„Ay ay, Ma'am.“ Er salutierte angedeutet und zwinkerte Vanessa zu. Die kicherte los, brach aber ab, als sie Utes Blick sah.
„Und, geht’s dann weiter?“, fragte Tilli, die andere alte Dame. „Wenn der junge Mann Langeweile hat, könnte er sich doch dazustellen. Haben Sie schon mal Akt gestanden?“
„Äh, nein?“
„Das wär doch was“, sagte Rosi. „Adam und Eva.“
„Oder Romeo und Julia“, rief Tilli.
„Bonnie und Clyde“, sagte Katrin.
„Bella und Jacob“, hauchte Vanessa.
„Pott und Deckel“, sagte Ute. „Also meinetwegen, dann zieh dich aus.“
Ich weiß nicht, ob ich das verkrafte, dachte Katrin.
„Nee, das meint ihr jetzt nicht ernst.“ Er sprach gedehnt. „Das geht nicht.“
„Warum denn nicht?“ Die Frage kam aus mehreren Mündern. Nur Katrin schaute Richtung Ausgang.
„Ich bin hässlich.“
„Das ist beim Aktzeichnen kein Nachteil. Gibt interessante Bilder“, sagte Ute.
Inka trat dicht an ihn heran. „Na komm. Steh auf.“
„Was?“ Er erhob sich.
Sie griff nach seinem Gürtel und begann die Schnalle zu lösen.
Er lachte auf. „Echt jetzt?“
Inka erwiderte seinen Blick, bis er aufhörte zu grinsen.
„Stop, so bleiben!“, rief Ute und wandte sich zu den anderen: „Schnelle Skizze, fünf Minuten.“
Pelles Mundwinkel zuckten noch ein paarmal, aber dann stand er still, das Becken vorgeschoben, die Arme hängend. Zwei Minuten vergingen.
„Ich höre dein Herz“, murmelte Pelle.
„Ach was“, sagte Inka.
„Ich rieche dich“, flüsterte er.
„Klappe jetzt“, sagte sie.
Vanessa strichelte aufgeregt an ihrem Bild, machte Anfängerfehler, die Köpfe zu groß, die Füße passten nicht mehr drauf. Wie er das gesagt hatte: „Ich rieche dich“! Oh Gott, sie würde von ihm träumen, später. Wenn sie doch auch so selbstbewusst wäre wie Inka. Nur einmal.
Ute lief umher und sah den Zeichnenden über die Schulter. Ganz passable Sachen dabei. Bis auf Vanessas Bild.
„Gut, weiter geht’s“, sagte sie.
„Gnade“, sagte Pelle, aber Inka löste den Gürtel und öffnete den Knopf. Die Hose fiel auf seine Füße. Vanessa beugte sich vor. Kleine rote Tatzen auf der schwarzen Unterhose. Auch das noch.
„Werbegeschenk. Meine Eltern sind taz-Leser.“ Pelle lachte sie an und Vanessa zuckte tiefrot zurück. Er hob die Arme und Inka schob das Hemd bis zu den Achseln.
„Stop“, sagte Ute. „Nochmal fünf Minuten.“
„Ich weiß nicht, ob ich so lange die Arme hochhalten kann“, sagte er.
„Na, dann vier. Hauptsache, du kannst so lange schweigen.“
„Vielleicht schaffe ich doch fünf.“
„Ja, schon gut, guck halt.“
„Nee, ich merk's jetzt schon.“
„Schweigen, hab ich gesagt.“
Ha, dachte Katrin, „Schweigen“. Der Junge ist 'ne Impulskontrollstörung auf zwei Beinen. Immer noch. „Ich muss leider los“, sagte sie.
Pelle wackelte mit dem Zeigefinger: „Na das geht aber nicht, Frau Streuber, einfach vorher aus dem Unterricht gehen.“
„Ihr kennt euch?“, fragte Ute.
„Flüchtig.“ Katrin klappte ihre Tasche zu und stand auf.
„Nanana, flüchtig. Immerhin habe ich den Kurs zweimal gemacht. Ich hab' sogar noch den Sandknetball zum Wut ablassen.“
Sie hielt die Türklinke in der Hand. „Immer noch in Benutzung?“
„Schon, aber für andere Zwecke.“ Er machte das Victory-Zeichen.
„Und tschüss!“ Katrin war raus.
„Sind die vier Minuten rum?“, fragte Pelle.
„Ich brauch noch einen Moment“, sagte Tilli. „Und bitte nicht so doll zappeln!“
Schweigen. Eifriges Zeichnen. Utes geflüsterte Bemerkungen. Bis Pelle stöhnte. „Ganz schön kalt hier.“
Ute seufzte und nickte Inka zu. Die stellte sich auf die Zehenspitzen und zerrte ihm das Hemd über den Kopf. „Na, dann zieh den Rest aus und ab ins Warme.“
Er streifte die Socken ab und schwenkte seine Unterhose zweimal in der Luft, bevor er sie auf den Boden warf. Dann flitzte er zum Ofen.
Vanessa rieb sich die Stirn und sah zwischen den Fingern zu ihm hin. Er führte sie alle hinters Licht. Er konnte gar nicht frieren. Seine Hitze strahlte bis zu ihr. Sie schwitzte. Er war so schön, geduckt, die Muskeln, wie gespannt zum Sprung. Gefährlich.
„Nicht schlecht“, sagte Ute.
„Hä? Was?“ Pelle drehte sich abrupt um und verschränkte die Arme.
„Die Position. So verkrümmt und das mit den Händen. Hat was Erbärmliches. Mach das noch mal. Und Inka, du schmiegst dich ran. Verzweifeltes Paar in der Kälte. So Schiele-mäßig.“
„Wieso schielen?“, fragte er.
„Keine Ahnung.“ Inka drückte sich ebenso verkrümmt an seine Seite.
„Hallo, meine Süße.“ Er legte den Arm um sie und wies auf den Ofen. „Guck mal, ich habe das Feuer entdeckt.“
Keine lachte. Alle malten. Bis auf ein leises Klappern von draußen war es ganz still.
„Das pustet ja ganz schön, heute“, sagte Rosi schließlich. Sie malte die Vertreibung aus dem Paradies mit einer böse guckenden Wolke, die über dem Paar schwebte. Den freien Platz zwischen sich hatten Rosi und Tilli mit Radiergummi, Spitzer und Stiften belegt. Vanessa sah, wie sich ihre Hände berührten, wenn sie danach griffen.
„Schick mit der Wolke“, sagte Ute hinter Rosi. „Mach doch noch 'ne feixende Schlange dahin.“
„Dann braucht ihr uns ja nicht mehr.“ Pelle streckte sich. „Ich kriege gleich 'nen Krampf.“
Vanessa traute sich nicht zu sagen, dass sie noch nicht fertig war.
„Jetzt Romeo und Julia“, sagte Tilli. „Was Bequemes. Die Sterbeszene.“
„Aha. Wie geht die?“, fragte Pelle.
Ute dachte nach: „Also Inka hatten wir ja nun schon liegend. Ich denke, wie nehmen die Stelle, wo Julia aufgewacht ist und entdeckt, dass Romeo vergiftet ist. Bevor sie sich erschießt.“
Tilli schüttelte den Kopf. „Sie erschießt sich nicht, sie ersticht sich.“
„Doch“, rief Vanessa, „ich hab das gesehen. Mit Leonardo DiCaprio, da hat sie sich erschossen.“
„Liebchen, ich rede von Shakespeare, nicht von eurem Netflix-Gedöns.“
Pelle ließ sich stöhnend auf die Decke sinken, warf die Arme über den Kopf und verdrehte die Augen.
„Oh verdammt!“, rief Inka, beugte sich über ihn und legte ihr Ohr auf seine Brust. „Mist, sein Herz schlägt nicht mehr. Was mach ich jetzt bloß mit mir? Erschießen oder erstechen?“
„Gut, bleibt so“, sagte Ute. Alle griffen zu ihren Blöcken und es war einige Minuten still, bis auf das leise Kratzen der Stifte. Ute stellte sich hinter Vanessa. „Also bei Inkas Rückenlinie, guck da nochmal auf den Winkel, sie sieht ja aus wie ein Bison.“ Alle glucksten und Vanessa rief: „Oh, sorry, Inka!“
„Schon okay“, nuschelte Inka an Pelles Brust, „Bisons sind cool. Ich wär' gerne ein Bison.“
Pelle hob den Kopf. „Dann hätte ich jetzt ein Problem.“
„Schschsch, du bist tot.“ Inka versuchte unauffällig den Fuß zu dehnen und wieder konzentrierten sich alle.
„Ups“, sagte Ute plötzlich. Vanessa atmete geräuschvoll ein und Rosi kicherte.
„Was ist denn?“, fragte Inka.
„Nun“, sagte Tilli, „ist ja doch noch ziemlich lebendig unser Romeo, besonders in der Leibesmitte.“
„Ja was?“ Pelle machte die Augen auf. „Was erwartet ihr?“
Ute schnalzte mit der Zunge: „Und? Kannst du das halten? Fünf Minuten?“
Alle prusteten los.
„Ich glaube, es klopft“, sagte Rosi.
„Wenn Inka auf mir liegenbleibt, garantiere ich für nichts“, sagte Pelle. „Ich wollte nur zugucken.“
„Da ist jemand vor der Tür“, versuchte Rosi es nochmal.
„Knusper, knusper, Knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen“, sagte Tilli.
Jetzt klopfte es so laut, dass alle zusammenzuckten.
Pelle und Inka rappelten sich hoch und Pelle riss Inka fast von den Füßen, als er an der Decke zerrte, um sie sich um die Hüfte zu winden.
Ute öffnete die Tür. Ein genervter Typ im Blaumann mit schwarzer Tasche über der Schulter.
„Na endlich. Ich komm wegen der Heizung.“
Ute brach in Jubelschreie aus: „Jetzt noch! Mit Ihnen hatte ich ja gar nicht mehr gerechnet! Das ist nicht hier, dass ist nebenan, warten Sie, wir gehen rüber. Oh bitte. Bleiben Sie, wo Sie sind. Bitte! Ich komme sofort.“
Sie drehte sich einmal um die eigene Achse und griff nach dem Schlüssel vom Tisch.
„Ich lauf nicht weg“, sagte er.
Ute strahlte ihn an: „Das ist toll!“ Und über die Schulter, zu den anderen: „Macht noch ein, zwei Stellungen und zieht gleich einfach die Tür zu.“ Damit war sie zu ihm raus, nur um gleich wieder umzudrehen: „Da draußen hupt ein Taxi, ist das hier für jemanden?“
Rosi und Tilli sprangen auf, riefen durcheinander, hatten innerhalb von Sekunden ihre Sachen zusammengerafft und die Tür hinter sich zugeschlagen, die gleich wieder aufsprang, so dass Vanessa hinlief, um sie richtig zu schließen. Sie sah ihnen hinterher, wie sie Hand in Hand durch den schlecht beleuchteten Innenhof stolperten und sich gegen das Gittertor stemmten. Dann waren sie weg.
Als sie sich umwandte, erhaschte sie gerade noch den Blick, den Pelle und Inka tauschten, Pelle rüttelte mit dem Fuß am Podest. Bonnie und Clyde, dachte sie.
„Tja“, sagte Pelle, „wie heißt du eigentlich?“
„Vanessa.“
„Tja, Vanessa, so schnell kann 's gehen.“
„Ja.“ Sie lachte nervös. „Schade eigentlich.“
„Gefallen wir dir?“, fragte Inka. Sie zog Pelle die Decke vom Körper. „Gefällt er dir?“
„Ja, natürlich. Aber ich denk mal, das macht keinen Sinn, wenn ich hier als einzige zeichne.“
„Nee, das macht echt keinen Sinn“, sagte Inka. Ihre Augen funkelten und Pelle sagte sanft: „Es gibt ja noch mehr, was wir anstellen könnten. Lass uns was zu dritt machen, Vanessa.“
Vanessa griff nach ihrem Schal und wickelte ihn sich um den Hals. Oh, die meinten doch nicht, die meinten doch nicht wirklich, oder meinten die vielleicht doch, nee, bestimmt nicht. Sie sah Pelle an. „Was denn zum Beispiel?“
„Drei kleine Schweinchen?“ Pelle trat an sie heran, wickelte den Schal behutsam wieder ab und warf ihn sich über die Schulter. „Na, was sagst du? Ja oder ja?“
„Ich weiß nicht so“, sagte Vanessa. Hinter ihr stand der Stuhl, sonst hätte sie einen Schritt zurück gemacht.
„Nicht so?“
„Das ist mir vielleicht doch auf einmal zu nackt.“
„Oh, Entschuldigung“, sagte er und wickelte sich den Schal um den Hals. „Besser?“
Sie musste lachen und er nahm ihn wieder ab, um ihn sich um die Hüfte zu winden.
„Noch besser?“
„Ja, auf jeden Fall.“
Er hielt sich die Hand ans Ohr: „Du hast „ja“ gesagt?“
„Ich hab … was?“
„Nun setz sie nicht so unter Druck“, sagte Inka. „Wir können uns auch alle wieder anziehen und nach Hause gehen, Vanessa, das ist überhaupt kein Ding.“ Schwang da was Mitleidiges in ihrer Stimme?
Vanessa stand wie erstarrt. Einmal richtig cool sein. Wenn sie jetzt ging, würde sie sich so ärgern, sie wusste das. „Nein, ist okay. Man kann ja mal was ausprobieren.“
Pelle beugte sich vor, gab ihr einen kleinen Kuss auf die Wange. Dann griff er um sie herum, pflückte hinter ihr das Kissen vom Stuhl, nahm ihre Hand und zog sie zum Ofen, wo Inka sie lächelnd erwartete. „Du wirst es nicht bereuen“, sagte sie. „Darf ich dich ausziehen?“
„Ha, wieder du. War klar“, maulte Pelle, lief von Stuhl zu Stuhl, sammelte alle Kissen ein und schleuderte sie auf den Podest wie Frisbees. Vanessa versuchte, sich daran zu erinnern, welche Unterwäsche sie morgens angezogen hatte, aber vergeblich. Und dann war da noch ein Problem.
„Ich muss nochmal zur Toilette“, flüsterte sie.
In dem kaputten, abgeblätterten Spiegel konnte sie sich kaum erkennen. Sie versuchte, sich zu waschen und bespritzte dabei die Hose mit Wasser. Verdammt. Egal. Raus jetzt. Vielleicht waren die beiden ja weggegangen. Aber als sie herauskam, schob sich Pelle im Flur an ihr vorbei, fasste sie im letzten Moment um die Taille und drehte sie zu sich, küsste sie auf den Mund, ein fester, fordernder Kuss, der ihr die Lippen öffnete und schnell vorbei war. „Bis gleich“, sagte er und zog die Tür hinter sich zu. Sie berührte mit den Fingern ihren Mund.
Inka saß mit angezogenen Beinen auf dem Podest und hielt ein Kissen umarmt. „Auf einmal seid ihr beide weg. Komm“, sagte sie.
Vanessa setzte sich zu ihr und Inka strich ihr die Haare aus dem Gesicht, legte ihr die Hand über den Mund, zog eine Linie mit dem Finger bis zu dem ersten Knopf ihrer Bluse, öffnete langsam einen Knopf nach dem nächsten, während sie mit der anderen Hand immer noch das Kissen an ihre Brust gedrückt hielt. Vanessa streifte die Bluse ab.
„Darf ich dich küssen?“, fragte Inka und Vanessa beugte sich vor, fand Lippen, die ihr entgegen kamen, ihre Mundwinkel berührten, eine Zungenspitze, die vorsichtig antippte, fast schüchtern, und sie legte ihre Hand auf die Haut an Inkas Schlüsselbein, fuhr die Linie ihres Nackens nach, die sie vergeblich versucht hatte zu zeichnen, die Kante ihres Schulterblatts.
Pelle kam zurück, ließ sich hinter Inka auf die Decke plumpsen und zog ihr das Kissen weg.
„Blödmann“, rief Inka, griff das Kissen und schlug nach ihm. „Die ist so brutal, die Frau“, rief er, drückte Inka auf den Boden, die lachend mit den Beinen strampelte und Vanessa sprang auf.
„Du hast noch viel zu viel an, Vanessa“, rief er ihr zu, „was habt ihr die ganze Zeit gemacht?“
„Wieso musstest du auch schon angepoltert kommen?“ Inka versuchte sich aus seinem Griff herauszuwinden und er rief: „Hilf mir, Vanessa.“
„Nein, hilf mir!“ Inka biss ihm in die Hand und er schrie auf.
Vanessa zog sich das Hemd über den Kopf, den BH aus, streifte die Hose ab und, nach einigem Zaudern den Slip und als sie sich wieder aufrichtete, da hatten die beiden innegehalten und betrachteten sie lächelnd.
„Die Socken noch“, sagte Pelle.
Sie sahen ihr zu, wie sie abwechselnd von einem Bein auf das andere hüpfte und die Socken von den Füßen zog.
„Du bist ja zuckersüß“, sagte Inka dann und Pelle fiepte ein bisschen.
Vanessa holte Luft: „Ich muss euch was sagen. Ich bin noch Jungfrau.“
Inka und Pelle nickten.
„Keine Sorge“, sagte Inka, „wir lassen dich heute heil.“ Vanessa atmete auf und ging zu ihnen.
Sie waren vorsichtig, ließen ihr Zeit und dennoch war da etwas mühsam Beherrschtes in ihren Zärtlichkeiten, was sie nicht recht deuten konnte. Inkas Augenfarbe schien sich ständig zu ändern, ihre Streicheleinheiten blieben nicht ohne Kratzer und Pelle drückte sie mit einer Kraft an sich, die sie erregte und ängstigte.
Schließlich griff er ihr in die Haare, legte seine Hand auf ihr Brustbein, als spürte er ihren Atembewegungen nach, die sich prompt vertieften.
„Lass mich an dir riechen“, flüsterte er. Sie wollte ihm die Wange hinhalten, aber er drückte sie sanft nach hinten, wo Inka sie auffing und ihr ein Kissen unter den Kopf legte. Zuerst sperrte sie sich, als er sich zwischen ihre Beine schieben wollte, aber er wartete, die Hände auf ihre Schenkel gelegt, bis sie nachgab und ihre Knie öffnete. Dann neigte er sich zu ihrem Schoß hinunter und sog tief ihren Duft ein. Als er ausatmete zog ihr Unterleib sich beinahe schmerzhaft zusammen. Sie seufzte, streckte den Rücken. „Gut machst du das“, sagte Inka über ihr. Sie sah ihr in die grünschimmernden Augen. „Nimmt er mich jetzt doch?“, flüsterte sie und Inka schüttelte den Kopf. „Zu gefährlich.“
War sie enttäuscht? In ihre Verwirrung hinein legte er seine Lippen auf ihre Klitoris, und sie stieß einen Laut aus, erschrak über ihre Stimme, noch mehr über das köstliche Gefühl, seine Zunge spielte mit ihr, nein, das war kein Spiel, das war echt, sie wollte mehr davon und sie bekam mehr, viel mehr von ihm, Inka, die ihr ins Gesicht schaute, als wollte sie etwas herausfinden, Vanessa drehte den Kopf zur Seite, es braute sich etwas in ihr zusammen und als schließlich Wellen durch ihren Körper jagten, als sie sich umstülpte, so dass ihre Häute zitternd außen lagen, da verschwamm der Raum zu Linien und Farben, sie wunderte sich über den Geruch nach Tannennadeln, sie war doch ganz woanders, der Vollmond, der langsam aufstieg und als sie mühsam den Kopf drehte, sah sie zwei Silhouetten, mal waren es Pelle und Inka, dann schienen es Katze und Wolf zu sein, die ineinander verkeilt über den Boden rollten.