Offenbarung eines Wimpernschlags
Es ist wirklich sehr schön, wenn einem selbst Dinge zustoßen, die man sich zwar oft wünscht, jedoch nie ernsthaft zu hoffen wagte, dass sie wirklich passieren können. Ich nehme mir für mein Leben sehr viel Zeit, da jeden Augenblick so viele Dinge um mich herum passieren, über die ich sehr lange nachdenken muss. Auch das Folgende war so eine Begebenheit, die vielleicht nur wenige Sekunden, oder Minuten dauerte, mich aber Jahre beanspruchte, damit ich die Tiefe des Geschehens erfassen und das Geschehene in passende Worte kleiden konnte.
Ich denke sehr viel über das nach, was wir als Leben bezeichnen und sehe dieses Ereignis ganz nüchtern als Seifenblase. Sowohl hinsichtlich seiner Verletzlichkeit, als auch hinsichtlich seiner Dauer. Ein kurzes Augenzwinkern und die schillernde Erscheinung ist nur noch Erinnerung. Platz, aus, vorbei.
Ich träumte, dass ich wusste, dass ich träumte. Mehr noch. Ich war irgendwie „hoch bewusst“, voll aufmerksam. Ich stand in einem großen Raum, wahrscheinlich in einem städtischen Altbau und war mir bewusst, dass ich als Beobachter in einem Körper in irgendeinem Zimmer herumstand. Ich hatte zu diesem Körper keinen Bezug und benutzte ihn nur, um die Außenwelt der körperlichen Sinne wahrzunehmen. Im Traum wusste ich das alles nicht und dachte darüber auch nicht nach. Der Traum war ein augenblickliches Ereignis. Wie die Seifenblase. Gerade wenn man anfängt, sich über die Schönheit der Dinge bewusst zu werden, gerade dann, wenn man vielleicht gerade hin greifen, ein greifen möchte, Zack, weg, vorbei!
Ich stand in diesem Zimmer und machte mir keinerlei Gedanken über das, was man normalerweise mit „ich“ bezeichnet. Ich hatte irgendwie kein Ichgefühl. Es gab nur etwas, das diesen Körper benutzte, um zu beobachten. Ich beobachtete und hörte Geräusche. Es war ein deutliches Donnern vernehmbar. Es klang aber nicht wie ein Gewitter. Ich wusste, es war Krieg. Rundherum schlugen Fliegerbomben ein. Im Zimmer roch es staubig. Es war unmöbliert. Ich hörte Stimmen. Die Stimmen klangen panisch und schrieen unartikuliert herum. Ich wusste nicht, wo die Stimmen herkamen, sie wollten in den Keller fliehen und ich wusste nicht, warum sie es nicht taten.
Die Bombeneinschläge näherten sich. Das Gebäude wackelte und Fensterscheiben klirrten. Staubfahnen zogen durch das Zimmer und vermischten sich mit dem einfallenden Tageslicht. Ich hatte überhaupt kein Bedürfnis zu fliehen. Ich hatte auch keine Angst und konnte die Panik der kreischenden Stimmen auch nicht nachvollziehen. Ich war einfach Beobachter. Beobachter in irgendeinem Zimmer in irgendeinem Krieg, mit irgendwelchen Menschen und in irgendeinem Körper.
Ein weiterer ohrenbetäubender Krach erschütterte die ganze Szene. Wände stürzten ein, Leute liefen schreiend davon. Ich stand noch immer vollkommen teilnahmslos in dem Zimmer. Ich konnte den Staub riechen und schmecken. Ich schmeckte auch Blut. Mein Blut? Das ganze Gebäude stürzte in sich zusammen. Ich wurde unter Balken, Steinen und Ziegeln verschüttet. Ich spürte noch immer keinerlei Panik und seltsamerweise auch keine Schmerzen. Ich hatte zu dem Geschehen einfach keine Gedanken. Ich war noch immer reiner Beobachter.
Ich wachte auf. Es war finstere Nacht. Ich freute mich sehr und spürte eine aufsteigende Euphorie. Draußen war es Nacht. In mir drinnen war es hell, wie noch nie. Ich war aufgewacht, nicht nur aus dem Schlaf, sondern aus einem großen Traum. Ich war vollkommen glücklich und hatte mit einem Mal die absolute Gewissheit: „Ich bin nicht mein Körper!“
Das hat mir eine Seifenblase im Traum offenbart. Ein kurzer Wimpernschlag, den ich fast nicht beachtet hätte.