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Paul

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16.08.2001
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Paul

Kalt und zurückhaltend und dennoch mit unverändertem Glanz warf die Sonne ihre Strahlen über die verschneite Landschaft. Überall strahlte und leuchtete es, wenn der Schnee die Sonnenstrahlen reflektierte.
Paul und Tanja gingen Hand in Hand an dem kleinen Bach entlang, der jetzt von einer dünnen Eisschicht bedeckt war.
"Weiß Du", sagte Paul, "ich habe Weihnachten abgeschafft!"
"Was?" Tanja versuchte, ihm in die Augen zu sehen, doch er starrte nur auf die Spitzen seiner Schuhe. "Du kannst doch Weihnachten nicht abschaffen. Das ist doch das Fest der Familie und der Freude!"
"Für Dich mag das zutreffen", antwortete Paul, "aber ich sehe Weihnachten als ein Fest der Völlerei und der Verleumdung!"
"Also das mit der Völlerei lasse ich mir ja noch eingehen, aber wie kommst Du auf die Idee, daß Weihnachten ein Fest der Verleumdung ist?"
"Naja!" Paul blieb stehen und blickte seiner Freundin fest in die Augen. "Weiß Du, meine Eltern und ich streiten uns doch die ganze Zeit, wir kommen einfach nicht mehr miteinander klar. Sie sind zu alt, um zu verstehen, wie ich denke. Alles, was ich anfasse, mache ich von vornherein falsch. Mensch, ich bin jetzt fast volljährig, aber meine Eltern gestehen mir weniger Entscheidungsfreiheit zu, wie manch andere Eltern einem Zwölfjährigen. Nur an Weihnachten sind sie für drei Tage meine besten Freunde, wollen alles wieder gutmachen, und kaum sind die Feiertage vorbei, geht der ganze Zoff wieder von vorne los!"
"Aber was machst Du an Weihnachten?" fragte Tanja.
"Naja, ich habe doch den Job als Stallbursche in der Reithalle bekommen...!"
"Und was hat das mit Weihnachten zu tun?" unterbrach sie ihn.
"Ich werde Weihnachten bei den Pferden verbringen. Zwischen den Boxen liegen immer eine Menge Strohballen, auf denen kann ich mir's gemütlich machen. Das ist für mich das richtige Weihnachten, ohne falsche Worte, die man hinterher bereut, sondern mit Besinnlichkeit und Zurückhaltung!"
Tanja sah bewundernd zu ihm auf. "Du willst also Weihnachten wirklich alleine feiern? Ich meine, ich würde Dich ja gerne mit zu mir nehmen, aber Du weißt ja, meine Eltern!"
"Nichts kann mich von meinem Entschluß abbringen!"
Tanja war niedergeschlagen und zugleich von einem ihr total fremden Gefühl des Stolzes und des Glücks durchflutet. Als sie an diesem Abend zu Bett ging, konnte sie lange keinen Schlaf finden. Immer wieder schossen ihr Pauls Worte durch den Kopf. War Weihnachten denn wirklich so schlimm? Noch nie hatte sie jenes Fest von diesem Standpunkt aus betrachtet, doch je mehr sie darüber nachdachte, um so mehr bekamen Pauls Worte Gewicht.

An Heiligabend war die Spannung zwischen Paul und seinen Eltern knisternd wie nie zuvor. Kaum ein Wort wurde gewechselt, denn seine Eltern wußten, daß dies das erste Weihnachten war, das Paul nicht zu Hause verbringen würde. Ansonsten war alles wie immer. Beim Abendessen erst viel Pauls Vater auf, daß Paul das Essen nur so hinunterschlang.
"Was beeilst Du Dich so?" fragte er. "Hast Du heute noch was vor?"
"Ja!" antwortete Paul mit vollem Mund. "Ich habe für heute Abend eine Einladung!"
"Willst Du nicht noch die Bescherung abwarten?" fragte seine Mutter mit von Schmerzen verzerrter Miene.
"Das könnte ich noch schaffen, aber dann muß ich wirklich los!" Paul schob sich das letzte Stück seiner Gänsekeule in den Mund. Die Bescherung verlief ohne viel Aufhebens, und schon wenig später verließ Paul das Haus. Es war eine sternklare und angenehm kühle Nacht. Paul wollte zunächst ein Weilchen spazieren gehen. Überall blickte er in hell erleuchtete Fenster, hinter denen prachtvoll geschmückte Tannenbäume erstrahlten, über den Straßen waren Lichterketten gespannt, und rundherum versüßte weihnachtliche Musik die Stimmung.
Nahezu eine Stunde setzte sich Paul dieser Tortur aus. Niemand begegnete ihm, denn an diesen Tagen fanden sogar die Ärmsten der Armen, die ansonsten auf der Straße hausten, einen warmen Unterschlupf. Traurig gestimmt über so viele unnütze Geschenke machte er sich langsam aber sicher auf den Weg zur Reithalle.
Seit er den Job als Stallbursche hatte, besaß er einen eigenen Schlüssel, den er immer bei sich trug. Als er in seine Tasche griff, mußte er feststellen, daß er den Schlüsselbund irgendwo verloren hatte. Noch mehr aber wunderte es ihn, daß die Tür zu den Stallungen unverschlossen war.
Gemischter Gefühle ging er hinein und knipste das Licht an. Und da weiteten sich seine Augen vor Überraschung. "Frohe Weihnachten!" tönte es aus rund dreißig Mündern. Alle aus dem Reitverein, die etwa in seinem Alter waren, standen da und strahlten ihn freundlich an.
Tanja trat aus der vorderen Reihe auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. "Frohe Weihnachten, Paul!" flüsterte sie ihm ins Ohr. "Das ist mein Geschenk für Dich!" Paul hatte Mühe, seine Freudentränen zurückzuhalten. Seine Arme schlangen sich um Tanjas Körper und die beiden küßten sich inniglich.
Als sie sich endlich voneinander lösen konnten, trat eine weitere Person aus der vorderen Reihe. Es war Stefan, der Vorreiter der Jugendgruppe.
"Frohe Weihnachten, Paul!" sagte er und streckte ihm die Hand hin. "Wir alle sind heute hier, um uns bei Dir zu entschuldigen. Wir haben Dich immer für eine Niete gehalten, für einen, der nicht fertig bringt. Aber als uns Tanja dann erzählte, Du würdest Weihnachten alleine hier feiern und auch warum und wieso, da wußten wir, daß Du besser bist, als jeder von uns. Denn keiner, nicht einmal ich, hätte sich getraut, so zu sein, wie er ist. Du hast uns allen bewiesen, daß Du zu dem stehst, was Du denkst, auch wenn es nicht immer leicht ist. Und jetzt möchte ich Dir unser Weihnachtsgeschenk offenbaren: Ich habe den Vorschlag gemacht, und alle haben ihn angenommen, daß Du unser neuer Vorreiter sein kannst. Nimmst Du dieses Geschenk an?"
Paul wußte im ersten Moment noch nicht, was er sagen sollte. Dann brachte er aber doch die Worte hervor: "Weißt Du, Stefan, ich wollte niemals Euer Anführer sein, ich wollte einfach nur EINER von Euch sein. Wenn ihr mir diesen Wunsch erfüllt, dann bin ich der glücklichste Mensch der Welt. Ich versuche nicht mehr, irgend jemand zu sein, ich versuche einfach nur, zu sein! Das ist zwar manchmal schwer, aber wenn man daran glaubt, dann schafft man es!"
Verlegen blickte Stefan zu Boden. Dann drehte er sich zur Jugendgruppe um und rief: "Gehört Paul jetzt zu uns?" - "Ja!" riefen sie alle. "Er lebe hoch!"

Diese Nacht wurde für Paul die schönste Weihnacht seines Lebens. Endlich hatte man ihn so akzeptiert, wie er wirklich war. Und endlich hatte er Menschen gefunden, die seinen Glauben über die Verlogenheit des Weihnachtsfestes teilten.

 

Hey Glueckwunsch hat mir super gefallen!

Der Unterschied zwischen dem konventionellem Fest "Weihnachten" und dem Wert, der eigentlich hinter einem solchen Abend wie Heiligabend stecken sollte, kommt sehr gut zum tragen!

Weiter so! <IMG SRC="smilies/thumbs.gif" border="0">

 

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