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Planet X

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15.03.2004
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Planet X

Ihre Pupillen weiteten sich, als das helle Licht der Lampe anging.

Ruhelos hatte sie sich schon die ganze Nacht hin und hergeworfen, während sie den schmeichelnden Songs aus dem Radio im Gebäude nebenan lauschte. Was für ein Geheimnis lag nur in diesen Melodien, die sich sanft und wolkig wie ein Wattebausch auf die Seele legten, alles einhüllten, was einem Schmerz und Traurigkeit bereitete? Sie hatte keine Ahnung, war aber glücklich darüber, dass sie ihr zumindest soviel Gelassenheit gaben, um ein wenig ausgeruhter den neuen Tag zu beginnen.

Neben ihr regten sich die anderen Kinder. Alles Mädchen, alle zwischen acht und zwölf. Sie erhob sich ächzend von der schmalen Bambusmatte, kam sich Jahrhunderte älter vor, als sie tatsächlich war. Sie war nicht mehr neugierig, was sie heute wohl erwarten würde, denn dort draußen war es immer gleich: seit ihre Eltern sie an den Fabrikbesitzer verkauft hatten, gab es von Montag bis Sonntag nur ein karges Frühstück und einen Becher Wasser vor der Arbeit, die sie bis weit nach Sonnenuntergang zu schaffen hatte.

Er bezahlte damals gut für sie, an jenem unglücklichen Tag vor fünf Jahren, als er mit seinem großen, glänzenden Auto in das kleine Dorf gefahren kam und gleich drei junge Mädchen mitnahm. Es kam ihr vor wie in einem der Märchen, die ihre Großmutter abends vor dem Schlafengehen immer geheimnisvoll erzählte. Sie würde mitgenommen in ein, wie alle sagten, besseres Leben, voller Freude und Glück.
Aber im Grunde war ihr klar, dass ihr Vater das Geld brauchte, um den Rest der Familie zumindest eine Zeitlang weiter ernähren zu können. Deshalb war sie beinahe gerne mitgegangen. An manchen Tagen machte es ihr Leben ein wenig leichter, zu wissen, dass ihre Geschwister deswegen nicht mehr so hungern mussten. Dennoch verzagte sie oft. Es war nicht wie in den Märchen. Bereits nach einem Tag lösten sich ihre lichten Träume in staubige Luft auf. Ihr Heimweh und ihre Erschöpfung nahmen zu. Der stumme Schrei 'warum gerade ich?' wurde lauter und lauter in ihr. Aber wie jeden Morgen ergab sie sich in ihr Schicksal, kletterte unter die Webmaschinen, solange sie noch klein genug dafür war und begann zu arbeiten.

Im Ohr hatte sie die sanften Klänge der Nacht, die sich mit den Geräuschen der Fäden und Ketten und des Stoffes, den sie woben, zu einem Teppich verknüpften, bis auch der sich wie ein Wattebausch über ihre Gedanken legte.

Sie verschloss ihren Kopf vor der Realität und tanzte durch den Schatten.

Die vorgegeben Worte waren: Pupille, ruhelos, schmeicheln, Wattebausch, Geheimnis

 

Hi,

finde ich sehr schön geschrieben. Bildhaft teilweise klasse und inhaltlich nicht so melodramatisch, wie es bei diesem Thema hätte passieren können. Die Atmosphäre der Nacht, die ihr hilft, ist Dir gut gelungen und auch ihre Gedanken sind nachvollziehbar und man nimmt sie ihr ab. Fies ist auch, dass man die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage beim Lesen wie sie hinnimmt, weil es halt so ist - und sie es eben so akzeptiert.

Was passiert eigentlich, wenn sie zu groß werden würde? Bekommt sie eine andere Aufgabe?

Naja, hat mir gefallen :)

Gruß, baddax

 

Hi baddax!

Vielen Dank für Deinen Komment. Schön, dass Du es so empfunden hast, wie ich es beabsichtigt habe ;)

Was geschieht, wenn sie zu groß wird? Im "Normalfall" bekommen diese Kinder eine andere Aufgabe. Entweder sie müssen nun selbst mit Weben anfangen, beschicken die Webstühle oder werden weiterverkauft, zum Beispiel an Nähereien oder Teppichknüpfer oder immer mehr auch an Elektronikhersteller. Die sind immer gerne auf geschickte Frauenfinger aus, die ihre Platinen bestücken ...

Arbeit gibt es genügend für Billigstarbeitskräfte.

Es grüßt, hexy

 

Hexy

du besitzt die Gabe, den Leser bildhaft anzusprechen. Das habe ich jetzt schon oft zu deinen Geschichten geschrieben und kann mich auch hier nur wiederholen.

Der Inhalt der Geschichte ist schon ein wenig traurig. Hat das Mädchen ihre Hoffnung bereits aufgegeben? Der letzte Satz erklärt es ...

Sie verschloss ihren Kopf vor der Realität und tanzte durch den Schatten.
Das geht ganz schön ans Gemüt.

Jochen

 

Hallo Jochen! Wow, Du hast Dich durch alle meine Geschichten gelesen :D

Danke schön!

Und Du hast auch recht, diese kleine Story hier, deprimiert sogar mich irgendwie :(

Liebe Grüße, Maike

 

Hallo hexy,

du hast diese Geschichte geschickt aufgebaut. Auch ich finde, dass du dem Thema gerecht geworden bist, ohne in die Sentimentalität abzurutschen.
Gelungen finde ich, wie deine Prot sich an Trostpflastern aufrecht hält, wie zum Beispiel dem "Glück", welches ihre Geschweister eventuell jetzt genießen dürfen (sofern sie nicht an den nächsten Mann mit großem Auto verkauft wurden).

Bereits nach einem Tag lösten sich ihre lichten Träume in faule Luft auf.
Hier würde ich das "faule" allerdings entweder streichen oder in "staubige" abändern, da der Staub der Webereien bei ganz vielen Kindern zu gefährlichen Atemwegserkrankungen führt. "Faul" hast du zwar als gegensatz zu licht gedacht, es ist aber kein wirklicher Gegensatz und für mein Gefühl fehlt dem Wort der Bezug zum Text.
Ist aber nur ein Vorschlag. ;)

Ich hoffe, du epfindest diese Detailanmerkung nicht als kleinlich.

Deine Geschichte hat mir gut gefallen. Die Wörter hast du so geschickt eingebaut, dass ich sie gar nicht als Vorgaben bemerkt habe. :)

Einen lieben Gruß, sim

 

Hallo hexy!

In der Kürze und in der Einfachheit berührt die Geschichte mehr, als hättest Du Leid detailiert direkt angesprochen. Du schneidest vieles "nur" an und der Leser denkt mit und seine Fantasie denkt viel weiter. Ich mag Deinen Stil. Besonders die Passge, wo sie hofft, dadurch ihrer Familie zu helfen, haben es mir angetan.
Die Wörter fügen sich perfekt in die Geschichte.

Liebe Grüße
Anne

 
Zuletzt bearbeitet:

Huch, soviel Kommentare! Vielen lieben Dank an alle, und: nein, ich bin nicht kleinlich (versuche es zumindest :rolleyes: ).

Liebe Grüße,

Maike

 

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