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Planet X
Ihre Pupillen weiteten sich, als das helle Licht der Lampe anging.
Ruhelos hatte sie sich schon die ganze Nacht hin und hergeworfen, während sie den schmeichelnden Songs aus dem Radio im Gebäude nebenan lauschte. Was für ein Geheimnis lag nur in diesen Melodien, die sich sanft und wolkig wie ein Wattebausch auf die Seele legten, alles einhüllten, was einem Schmerz und Traurigkeit bereitete? Sie hatte keine Ahnung, war aber glücklich darüber, dass sie ihr zumindest soviel Gelassenheit gaben, um ein wenig ausgeruhter den neuen Tag zu beginnen.
Neben ihr regten sich die anderen Kinder. Alles Mädchen, alle zwischen acht und zwölf. Sie erhob sich ächzend von der schmalen Bambusmatte, kam sich Jahrhunderte älter vor, als sie tatsächlich war. Sie war nicht mehr neugierig, was sie heute wohl erwarten würde, denn dort draußen war es immer gleich: seit ihre Eltern sie an den Fabrikbesitzer verkauft hatten, gab es von Montag bis Sonntag nur ein karges Frühstück und einen Becher Wasser vor der Arbeit, die sie bis weit nach Sonnenuntergang zu schaffen hatte.
Er bezahlte damals gut für sie, an jenem unglücklichen Tag vor fünf Jahren, als er mit seinem großen, glänzenden Auto in das kleine Dorf gefahren kam und gleich drei junge Mädchen mitnahm. Es kam ihr vor wie in einem der Märchen, die ihre Großmutter abends vor dem Schlafengehen immer geheimnisvoll erzählte. Sie würde mitgenommen in ein, wie alle sagten, besseres Leben, voller Freude und Glück.
Aber im Grunde war ihr klar, dass ihr Vater das Geld brauchte, um den Rest der Familie zumindest eine Zeitlang weiter ernähren zu können. Deshalb war sie beinahe gerne mitgegangen. An manchen Tagen machte es ihr Leben ein wenig leichter, zu wissen, dass ihre Geschwister deswegen nicht mehr so hungern mussten. Dennoch verzagte sie oft. Es war nicht wie in den Märchen. Bereits nach einem Tag lösten sich ihre lichten Träume in staubige Luft auf. Ihr Heimweh und ihre Erschöpfung nahmen zu. Der stumme Schrei 'warum gerade ich?' wurde lauter und lauter in ihr. Aber wie jeden Morgen ergab sie sich in ihr Schicksal, kletterte unter die Webmaschinen, solange sie noch klein genug dafür war und begann zu arbeiten.
Im Ohr hatte sie die sanften Klänge der Nacht, die sich mit den Geräuschen der Fäden und Ketten und des Stoffes, den sie woben, zu einem Teppich verknüpften, bis auch der sich wie ein Wattebausch über ihre Gedanken legte.
Sie verschloss ihren Kopf vor der Realität und tanzte durch den Schatten.
Die vorgegeben Worte waren: Pupille, ruhelos, schmeicheln, Wattebausch, Geheimnis