Platzregen
Sie sieht niemandem ähnlich, den ich kenne. Nicht einmal einem Tier, das man sagen könnte: Ein Hals wie ein Schwan oder eine Nase wie ein Kätzchen.
Die Accessoires machen es wahrscheinlich aus und wie sie da steht, in der hinteren linken Ecke des Fahrstuhls. Den Po gegen die Wand gedrückt, eine graue Aktenmappe vor der Brust. Die Augen hat sie nach oben gerichtet auf die Leiste mit den Zahlen. Flache Schuhe, ein Rock, der ihr knapp bis unters Knie geht, dann hat sie – ich hab das beim Einsteigen gesehen – ein quer gestreiftes schwarz-weißes Oberteil an. Wie ein Matrose. Und der Rock, da bin ich mir fast sicher, war zu eng. Zu viel Po für den Rock. Ich krieg das nicht zusammen. Wie eine überreife Schote sieht sie aus. Aber nein, gar nicht. Drall vielleicht, man könnte drall sagen. Zu viel drin.
Wie ein Schmetterling, jetzt hab ich’s, wie ein Schmetterling: Die Flügel sieht man schon unter dem Kokon.
Die Tür geht auf und ich mache keine Anstalten auszusteigen, beobachte sie weiter, das ist furchtbar unhöflich, es ist mir egal, und sie merkt das. Bleibt in der Ecke stehen; das ist das Erdgeschoß, es gibt keine Ausreden, und dann mit raschen Schritten geht sie, mit ihrem viel zu engen Rock, in Tippelschritten an mir vorbei und ich sehe, dass ihr quer gestreiftes Oberteil gar nicht so eng anliegt wie ich dachte, jedenfalls nicht am Rücken.
Wir gehen wie zusammen durch die Welt, sie führt, ich folge. Sie läuft unrund, hat die Mappe immer noch wie einen Schild vor ihrer Brust, und sie tippelt seltsam, macht Zwischenschritte, dann wieder längere, merkt, dass der Rock zu eng ist und geht langsamer, bleibt sogar vor einem Fenster stehen und schaut nach draußen. Ich bin an ihrer Seite und wir sehen gemeinsam auf den Parkplatz. Beton und Autos. Alles zubetoniert. Es ist ein schwüler Tag, die Klimaanlage hat noch die Oberhand, aber man schwitzt leicht. Wie ein Fön. Irgendetwas stimmt mit der Luft nicht.
Sie kaut auf ihrer Unterlippe, während wir warten, und streichelt über die Ohren der Mappe. Sie atmet kontrolliert, ihre Nase bewegt sich mit der Atmung mit, tief ein und aus, ein und aus. Dann hält sie sich an ihrer Mappe fest und ihr Körper spannt sich und sie geht los. Von mir weg, läuft pfeilgerade zur Tür und ist draußen auf dem Parkplatz.
Sie sieht sich nicht um, kommt aber doch an unserem Fenster vorbei und dann tut sich der Himmel auf. Es gießt in Strömen. Man sieht die Regentropfen auf den aufgeheizten Dächern der Autos zerplatzen. Sie hält sich die Mappe über den Kopf und tänzelt, der Asphalt wird feucht, sie steigt aus ihren Schuhen, mit einer Hand hält sie nun die Aktenmappe und in der anderen hat sie ihr Paar Schuhe und sie dreht sich einmal und noch einmal um die eigene Achse.
Ich schaue weg. Der Reiz ist verloren.