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Rabenland

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10.07.2019
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Rabenland

Als Vater starb, trainierte ich mein Gleichgewicht. Fuß um Fuß auf der dünnen Schiene. Schaute nicht auf Fuß und Schiene, sondern raus auf die Ebene. Als wollte ich den Horizont vor mir per ausgleichender Kraft erreichen.
Mein Vater arbeitete bei der LAPAL, dem Lapislazuli-Bergwerk. Alle Väter arbeiteten bei der LAPAL. Sie trugen aus den Stollen einen tiefblauen Staub in die heimischen Hütten. Manchmal strich ich über unser Zink-Waschbecken im Badezimmer und sammelte den Staub von meinen Fingern.
Vaters Staub funkelte irgendwie ernster als der helle, kindisch blaue Staub der Abraumhalden. Der Wind verteilte ihn über Haut, Kleidung, Gebäude und Land. Die Arbeiterfamilien trugen hellblaue Kleidung, wegen des Waschens. Jaja, der Wasserpreis. Ich war nicht arm. Ich trug Weiß. Blaues, dreckiges Weiß. Recht hell.

Ein Rabe setzte sich auf das Bergwerk.
Zweimal schlug er mit den Flügeln.
Die Räder des Förderturms standen still.
Aber ich sprang von der Schiene und lief in die Siedlung.

Erst heulten die Sirenen, dann die anderen: Nachbarn und Bewohner, die Arbeiter der Spätschicht, die Leute aus den Blumenläden und vom Lebensmittelmarkt, Vaters Kollegen im Kollegen-Café. Aus dem Lungen-Sanatorium rollten die Blaustaub-Patienten auf die Mitte der Straße, hustend wie immer, was-ist-denn-passiert, ich lief: An den Aluhütten vorbei, je nach Schichterfolg hoch und bunt oder weiß und bungalow-flach. Ich hörte Zinktüren aufschlagen, schnelles Treten von Sandalen im blauen Staub.
Eine kräftige Hand griff mich, zerrte mich zu ihr, ich kniff die Augen zusammen, dachte an Emma, öffnete sie, sah Emma, die Steinwerkerin, unsere Nachbarin:
„Lea. Dein Vater war im Schacht. Der Schacht ist eingestürzt. Du schläfst jetzt bei uns. Und dann schauen wir weiter.“
Ich hatte nicht das Balancieren gelernt.
Ich hatte die Angst vor einem Ereignis gelernt, das jetzt das, was ich sah, aufriss. Mich in den hellblauen Staub schleuderte und in eine atemlose Ohnmacht drückte.

Aus der Ohnmacht aufwachen.
Sich auf- und abrappeln.
Muss ja weitergehen.

Weiterschauen also. Das hieß ein Jahr später: An Orten leben, wo die Gebäude wie Möbel heißen: „Einrichtung“. Ich klappte mein Mathematik-Schulbuch auf, fühlte das Siegel der LAPAL-Opferhilfe im Buchrücken. Ich klappte einen Schuhschrank auf, las den Besitznachweis der LAPAL-Opferhilfe. Mein Bett war normiert und an der Wand festgedübelt, jedes Element sicher verschraubt. Ich durfte die Akten sortieren. Ich erhielt Papier und Schulhefte auf Spendenbasis, neue Kleider der LAPAL. Ich lernte das Opferhilfe-Personal kennen: „Ich bin kein Opfer“, sagte ich ihnen, egal wie alt, woher, welcher Profession, ob Hausmeister oder Arzt oder nette Mutti. „Das ist richtig, dass du dich nicht so fühlst“, antworteten sie freundlich, mit einem Huch-du-armes-Kind und Ich-will-gut-sein in Stimme und Ausdruck. Sie senkten ihren Blick, friedlich die Gesichter. Ein Gesicht wie nach einer guten Mahlzeit. Sie sollten ekliger essen. Fermentierten Fisch. Rohes Fleisch. Rabe. Eine trug versehentlich einen Lapislazuli-Anhänger. Lustig.

Weiterschauen, das hieß aber auch: Nach einem guten, harten, wahren Wort für das Lila suchen, mit dem die Morgensonne die Ebene färbte, frotz, nannte ich das, frotzende Morgendämmerung, wenn ich vom Bett durch das Seitenfenster schaute. Nur den Raben, den sah ich nie.

Und Weiterschauen hieß auch: Mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern der Minderjährigen-Wohneinrichtung im Kreis sitzen. Verpflichtende Gruppentherapie.
Eine Psychologin, dünne Frau aus der Hauptstadt, erklärte ihr Therapiekonzept für die nächste Stunde. Aktives Einbringen. Arbeiten an sich und mit sich. Hoffnungen wecken, aber nicht solche, die nur enttäuschen können.
Also stellte sich die Psychologin aus der Hauptstadt auf und sprach:
„Ich möchte eine sehr, sehr schwierige Aufgabe mit euch machen.
Ihr habt euren Vater verloren.
Ich möchte, dass ihr eurem Vater einen Brief schreibt.
Was ihr eurem Vater sagen wollt. Lasst euch Zeit.“
Sie verteilte die Briefbögen. Ich meldete mich:
„Ja, Lea?“
„Kann ich noch ein zweites Blatt bekommen?“
„Du hast ja noch nicht angefangen?“
„Ich möchte einen Brief an meine Mutter und einen an meinen Vater schreiben. Sie lebten ja getrennt. Recht lange schon.“
Die Psychologin ärgerte sich bestimmt, sie hätte das ja wissen können, aus der Einrichtungsakte. Sie harrte aus, wie ein scheues Tier, das aber bitte reagieren sollte.
„Aber …“, führte ich fort und spürte die Blicke der anderen Bewohnerinnen und Bewohner: „Dieses Blatt wird reichen. Ich werde es einfach in zwei Blätter teilen. Ich habe nicht viel zu schreiben. Vater schuldet mir ein Fahrrad. Und Mutter ist immer herzlich eingeladen in der Einrichtung, wenn das für die LAPAL-Stiftung in Ordnung ist. Aber das wird es bestimmt sein.“ Ich lächelte. Sie lächelte nicht. Sie machte ihren Job ja ganz gut, wenn auch etwas unsicher für eine Psychologin aus der Hauptstadt. Ihr fehlte der Drive, der Mut, aktiv zu hassen, sie mochte das nicht und das war ihr Fehler.

In den Einrichtungen sprachen sie ja nie vom Tod meines Vaters. Sondern über ihn. In eintausendeinhundert Metern Tiefe sei im Schacht drei eine Kalksenke angefahren, ein ehemaliger See aus der Zeit eines geologischen Massensterbens, nur welches, das vergaß ich oft. Das lockere Seesediment habe den Schacht „instabilisiert“. Keine Zeugen, alle tot. Ich formte das Wort nach: In-sta-bi-li-siert, ich deutete ein Silbenklatschen an und sank auf ihr Niveau.
Je nach Zeit und Geschmack bastelte ich Geschichten zusammen, der Kern blieb: Ein leichtes Sterben sei das, in eintausendeinhundert Metern Tiefe. Eine Art Kontaktmetamorphose, die organische Körper einschloss und Vater auf die Größe einer Walnuss schrumpfen ließ, kein Schmerz, kein Leid, ein Zack und aus.

Am ersten Jahrestag des Unglücks weihen ein Priester, ein LAPAL-Direktor, ein Minister und eine andere Frau Vaters Grab ein. Oder Grab-Namens-Feld. Ich mag Unglück nicht; das Gegenteil wäre Glück, sprich die Arbeit im Bergwerk, die Knochen krümmt und Lungen verklebt.
In dem weißen Marmor stehen die Namen der dreiundfünfzig Opfer. Emma, die Steinwerkerin hat sie alle eingemeißelt, nach dem Alphabet, wie denn sonst. Bei Vater dachte sie: Ach je, auch der, und weiter gemeißelt. Ich schätze sie sehr.
Ein Bus bringt uns zur Gedenkstätte. Der Minister und all die anderen stehen vor dem Namen meines Vaters; zur rechten ausgewählte Gäste, die Presse, die Angehörigen und die ehemaligen Bergarbeiter vom Lungen-Sanatorium in ihren Rollstühlen, manche mit einem blauen Röhrchen aus dem Hals. Zur linken die freien Plätze für uns Halbwaisen. Die Menschen schweigen, als wir vortreten, kein Fotogeklicker, niemand hebt das Handy zum Video, die Fernsehkamera auf Off, sie denken uns für lange Zeit als Opfer. Eine Helferin in schwarzem Kostüm verweist uns auf die Plätze.
Ich setze mich ab, auf einen weichen, gestifteten Stuhl, die Stühle stehen enger und sind zu klein für meinen Hintern, meine Schenkel berühren die der anderen jugendlicher Opfer. Schaue zum Gedenkstein: Ich versuche Vaters Vornamen und meinen Nachnamen zu erkennen, der Direktor versperrt die Sicht. Ein leichter Wind weht und facht ein ewiges Feuer in einer Stahlschale an. Plötzlich sehe ich einen kleinen schwarzen Punkt im Himmel, über dem Gedenkstein fünfzig, sechzig Grad Süd, weit zieht er einen Bogen, einen sehr weiten, entfernten Punkt. Ich halte den Atem. Der LAPAL-Direktor tritt vor das Pult, er wischt sich die Lippen ab und schaut auf den Bus, über meinen Kopf hinweg, über alle Köpfe hinweg. Er redet ja. Der Punkt bleibt stehen. Ich fixiere ihn. Der Punkt steht, zieht plötzlich kopfüber zum Boden, freien Fall ins Hellblau.
Guter Tag. Bin zufrieden.

 

Hallo @kiroly,

habe schon auf deine Geschichte gehofft und hier ist sie also. Denke, sie hat das Potential zu meinen Favoriten zu gehören. Das liegt vor allem an dem Anfang. Ich finde es erstaunlich, wie gut du mich in die Welt einführst. Ich habe dir das abgekauft, das war alles völlig selbstverständlich. Gleichzeitig fand ich die Thematik des Tods des Vaters ziemlich stark geschrieben. Das ist mir unter die Haut gegangen. Vor allem das mit dem Raben. Ich habe es als ein Symbol verstanden. Einerseits hat der Rabe die Bedeutung für Tod und Unglück. Andererseits hat der Rabe auch Zugang zu anderen Welten, auch zum Unbewussten. Ich fand es daher eine spannende Stelle, dass sie zwar die physische Morgendämmerung sieht, aber den Raben, den sieht sie nicht. Ich lese das als ein Zeichen dafür, dass sie Schwierigkeiten hat, was den Zugang zum Unbewussten angeht. Ganz besonders gefreut habe ich mich dann, dass direkt danach die Psychologin kommt. Das hat meine Interpretation bestätigt und mich als Leser ziemlich befriedigt. Sie sagt zu ihrem Brief, den sie in der Gruppentherapie schreiben soll, dass ihr Vater ihr ein Fahrrad schuldet und die Mutter in die Einrichtung der LAPAL Stiftung eingeladen ist. Spricht für mich wieder dafür, dass sie den Tod nicht verarbeiten kann, sie nicht die Möglichkeiten hat, das zu integrieren. Stattdessen bleibt sie an der Oberfläche, auch wenn sie impliziert, dass sie die Psychologin in gewisser Weise schon durchschaut. Zumindest habe ich das mit dem Verweis auf den Hass so verstanden. Korrigiere mich da gerne, wenn es anders gemeint war.
Bei dem Ende bin ich noch etwas unentschlossen. Ich hatte hier das Gefühl, dass da noch etwas fehlt. Es hatte für mich nicht diesen Sog vom Anfang, diese Bestürzung. Mir fällt es schwer, das in Worte zu fassen. Woran liegt das? Ich glaube, es liegt daran, dass ich am Ende etwas zu distanziert von der Protagonistin bin. Ich hätte mir gewünscht, ihr auch am Ende emotional wieder näher zu kommen. Du deutest es an, ja keine Frage. Der kleine schwarze Punkt, der sie den Atem anhalten lässt. Denke, dass das der Bogen zum Anfang ist. Wieder der Rabe, der Tod das Unglück und der Bote ins Unbewusste. Ich finde allerdings, dass das Ende noch Verbesserungspotential bietet, was natürlich nur mein subjektiver Leseeindruck ist. So, jetzt zur Textarbeit:

Als Vater starb, trainierte ich mein Gleichgewicht.
Starker Einstieg, der erste Satz zieht mich in die Geschichte. Das hat für mich funktioniert.

Mein Vater arbeitete bei der LAPAL, dem Lapislazuli-Bergwerk. Alle Väter arbeiteten bei der LAPAL. Sie trugen aus den Stollen einen tiefblauen Staub in die heimischen Hütten. Manchmal strich ich über unser Zink-Waschbecken im Badezimmer und sammelte den Staub von meinen Fingern.
Das meinte ich mit der Einführung in diese Welt. Da gibt es klare Regeln und ich hatte das Gefühl, dass die Welt so plausibel ist und ich dir da vertrauen kann. Gut geschrieben, habe ich genossen.

Ein Rabe setzte sich auf das Bergwerk.
Zwei Mal schlug er mit den Flügen.
Die Räder des Förderturms standen still.
Aber ich sprang von der Schiene und lief in die Siedlung.
Das ist meine Lieblingsstelle. Durch die Formatierung gewinnt es für mich an Bedeutung. Habe über den Raben nachgedacht, über seine Symbolik (beschäftige mich gerade mit Mythen und bin von diesen Ebenen in Texten total fasziniert). Für mich eine Gänsehaut-Stelle.

Ich hatte nicht das Balancieren gelernt.
Sie kommt mit dem Tod nicht klar, kann es nicht verarbeiten. Sie hat ihr Gleichgewicht verloren. Ich finde, dass sich das gut durch den Text zieht, auch mit der Psychologin später.

Aus der Ohnmacht aufwachen.
Sich aufrappeln.
Naja, geht ja weiter.
Das "Naja, geht ja weiter" hat mich stolpern lassen. Klingt für mich zu locker, fast wie ein Fremdkörper in deinem Text. Das hätte ich mir anders gewünscht. Vielleicht kannst du das auch komplett streichen?

Ein Gesicht wie nach einer guten Mahlzeit. Sie sollten ekliger essen. Fermentierten Fisch. Rohes Fleisch. Rabe.
Wieder der Rabe. Ich habe das so gelesen, dass sie mit dem Mitleid der anderen nicht zurecht kommt, ihnen den Schmerz nicht vermitteln kann, sich unverstanden fühlt und ihnen auch diesen Schmerz/Unglück wünscht.

Nach einem guten, harten, wahren Wort für das Lila suchen, mit dem die Morgensonne die Ebene färbte, frotz, nannte ich das, frotzende Morgendämmerung, wenn ich vom Bett durch das Seitenfenster schaue, nur den Raben, den sah ich nie.
Sie sieht den Raben nicht, hat keinen Zugang zu ihrem Unbewussten. Kann den Tod des Vaters nicht integrieren, die zweite Gänsehautstelle. Sehr, sehr stark fand ich das.

Dieses Blatt wird reichen. Ich werde es einfach in zwei Blätter teilen. Ich habe nicht viel zu schreiben. Vater schuldet mir ein Fahrrad. Und Mutter ist immer herzlich eingeladen in der Einrichtung, wenn das für die LAPAL-Stiftung in Ordnung ist.
Das meinte ich oben mit der oberflächlichen Betrachtungsweise. Und interessant, dass die Psychologin direkt danach kommt, als sie den Raben nicht sehen kann. Ich weiß nicht, ob du diese Ebene intendiert hast, jedenfalls hat diese Ebene für mich optimal funktioniert.

Sie machte ihren Job ja ganz gut, wenn auch etwas unsicher für eine Psychologin aus der Hauptstadt. Ihr fehlte der Drive, der Mut, aktiv zu hassen, sie mochte das nicht und das war ihr Fehler.
Sie ist sich irgendwo schon bewusst, dass da noch etwas ist, was sie nicht benennt. Impliziert für mich, dass sie mehr weiß, als sie offen zugibt.

Der Minister und all die anderen stehen vor dem Namen meines Vaters; zur rechten ausgewählte Gäste, die Journalien, die Angehörigen und die ehemaligen Bergarbeiter vom Lungen-Sanatorium in ihren Rollstühlen, manche mit einem blauen Röhrchen aus dem Hals. Zur linken die freien Plätze für uns Waisenkinder. Die Menschen schweigen, als wir vortreten, kein Fotogeklicker, niemand hebt das Handy zum Video, die Fernsehkamera auf Off, sie denken uns für lange Zeit als Opfer. Eine Helferin in schwarzem Kostüm verweist uns auf die Plätze.
Ich finde das gut beschrieben. Vermisse allerdings die Nähe zu deiner Prota, gerade am Ende hätte ich mir das gewünscht als Leser:

Plötzlich sehe ich einen kleinen schwarzen Punkt im Himmel, über dem Gedenkstein fünfzig, sechzig Grad Süd, weit zieht er einen Bogen, einen sehr weiten, entfernten Punkt. Ich halte den Atem.
Der Punkt steht, zieht plötzlich kopfüber zum Boden, hinterlässt eine Rauchspur im freien Fall.
Ich habe als erneute Referenz zum Raben gelesen. Am Ende hätte ich mir mehr in diese Richtung gewünscht und weniger Beschreibungen. Mir hat hier die emotionale Nähe gefehlt, die du am Anfang so unglaublich gut aufgebaut hast. Vielleicht gibt es da noch etwas, was du ergänzen könntest? Ich finde, dass das Gleichgewicht am Anfang und die Balance vielleicht am Ende noch ein Gegenbild vertragen könnte. Weißt du, wie ich das meine?

Guter Tag. Bin zufrieden.
Das hat mir nicht gefallen, das war mir zu lapidar.


Insgesamt bin ich von deiner Geschichte beeindruckt, das liegt vor allem an dem Anfang und der Ebene mit dem Raben, die ich da für mich rauslesen konnte. Kann natürlich sein, dass du etwas anderes intendiert hast, allerdings hat das für mich total gut funktioniert. Das Ende finde ich noch am schwächsten, aus den genannte Punkten. Das kann natürlich auch an meinem persönlichen Lesegeschmack liegen. Fazit: Die Geschichte hat das Potential zu meinem Favoriten zu werden, habe ich genossen.


Beste Grüße
MRG

 

Hallo @kiroly,

die Kennzeichnung "seltsam" trifft es ganz gut :D Wenn es gut gemacht ist, mag ich seltsame Geschichten sehr gerne - so wie in diesem Fall. Auch wenn ich bei solchen Texten schon immer ein paar Fragezeichen im Kopf habe, genieße ich das hin und wieder auch, mich einfach nur treiben zu lassen durch eine absurde Story.

in Rabe setzte sich auf das Bergwerk.
Zwei Mal schlug er mit den Flügen.
Die Räder des Förderturms standen still.
Aber ich sprang von der Schiene und lief in die Siedlung.
Ja, der gute alte Rabe. Auch wenn er oft vorkommt, mag ich ihn als Symbol noch immer. Dazu hat @MRG ja schon etwas geschrieben, dem kann ich mich nur anschließen.

Erst heulten die Sirenen, dann die anderen: Nachbarn und Bewohner, die Arbeiter der Spätschicht, die Leute aus den Blumenläden und vom Lebensmittelmarkt, Vaters Kollegen im Kollegen-Café. Aus dem Lungen-Sanatorium rollten die Blaustaub-Patienten auf die Mitte der Straße, hustend wie immer, was-ist-denn-passiert, ich lief: An den Aluhütten vorbei, je nach Schichterfolg hoch und bunt oder weiß und bungalow-flach.
Ich habe den Absatz hier mal exemplarisch rausgepickt, um dir zu sagen, dass ich den Stil besonders finde und erfrischend. Das hat was ganz Eigenes, vor allem das Fettmarkierte gefällt mir. Du hast 'ne ganz eigene Art, diese Geschichte zu erzählen, zwischendrin auch herrlich rotzig und frech. Wie hier auch:

Ein Gesicht wie nach einer guten Mahlzeit. Sie sollten ekliger essen. Fermentierten Fisch. Rohes Fleisch. Rabe. Eine trug versehentlich einen Lapislazuli-Anhänger. Lustig.
Herrlich.

Weiterschauen, das hieß aber auch: Nach einem guten, harten, wahren Wort für das Lila suchen, mit dem die Morgensonne die Ebene färbte, frotz, nannte ich das, frotzende Morgendämmerung, wenn ich vom Bett durch das Seitenfenster schaue, nur den Raben, den sah ich nie.
Lieblingsstelle!

Lea wirkt aufgeweckt, trotzig, sensibel und teilweise auch ein bisschen altklug ("Ich schätze sie sehr.") Ich finde es interessant, dass in dieser Geschichte über den Tod nichts von der Schwere steckt, die man sonst gewöhnt ist. Irgendwie ist da eine Distanz zu deiner Erzählerin, ich kann jetzt nicht sagen, dass ich besonders mitfühle mit ihr oder da emotional tief drin war. Aber ich glaube, das will die Geschichte auch gar nicht. Ich kann das gerade schwer erklären, aber ausgelöst hat der Text was in mir, vielleicht nicht mal unbedingt wegen des Inhalts, sondern eher dadurch, wie du das erzählst.

Ja, ich weiß jetzt nicht, wieviel dir das bringt, ist nur ein Leseeindruck. Aber textlich habe ich da nicht das Bedürfnis rumzudoktorn, weil ich es gut finde, so wie es ist. Hat einfach was.

Viele Grüße
RinaWu

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo kiroly,

deine Geschichte gefällt mir. Du erzählst das so unaufgeregt, Leas Unglück – obwohl das nicht passt, denn das Gegenteil wäre Glück: ihr Leben mit einem alleinerziehenden Vater, der Schicht im Stollen schiebt, bis er letztendlich wie alle Kumpel auf der Lungenstation landet. Das Schicksal ihrer Familie, das in der Gegend ein häufiges ist, hast du gut eingefangen.


Als Vater starb, trainierte ich mein Gleichgewicht. Fuß um Fuß auf der dünnen Schiene, war Profi. Schaute nicht auf Fuß und Schiene, sondern raus auf die Ebene.
Wegen dem „Profi“ dachte ich erst an eine Sportart auf Kufen. :schiel:
Mein Vater arbeitete bei der LAPAL, dem Lapislazuli-Bergwerk. Alle Väter arbeiteten bei der LAPAL. Sie trugen aus den Stollen einen tiefblauen Staub in die heimischen Hütten.
Alles klar, bin sofort drin.
Manchmal strich ich über unser Zink-Waschbecken im Badezimmer und sammelte den Staub von meinen Fingern.
Tolles Bild.
Ich war nicht arm. Ich trug weiß. Blaues, dreckiges Weiß. Recht hell.
Haha, recht hell. Immerhin.
Das erste "Weiß" auch groß, oder?
Ein Rabe setzte sich auf das Bergwerk.
Zwei Mal schlug er mit den Flügen.
Die Räder des Förderturms standen still.
Aber ich sprang von der Schiene und lief in die Siedlung.
So gut, der Rabe als Symbol. Auch durch die Formatierung stark.
Zweimal. Zahlwort.
Aus der Ohnmacht aufwachen.
Sich aufrappeln.
Naja, geht ja weiter.
Genau, der Trauer bloß keine Zeit zugestehen.
Na ja. Sonst ist es die Giftnatter :}
auf Spendenbasis, neue Kleider von Vater Staat.
Ich kenn den Ausdruck natürlich. Bin aber kurz hängengeblieben, weil „Vater“ oft im anderen Kontext ...
„Ja, Lea?"
Falsche WR-Zeichen am Ende.
Das lockere Seesediment habe den Schacht instabilisiert. Keine Zeugen, alle tot. Ich formte das Wort nach: In-sta-bi-li-siert, ich deutete ein Silbenklatschen an und fühlte mich ihnen ebenbürtig.
Destabilisiert? Das Silberklatschen finde ich gut.

zur rechten ausgewählte Gäste, die Journalien, die Angehörigen und die ehemaligen Bergarbeiter vom Lungen-Sanatorium in ihren Rollstühlen
Hm, klingt nicht nach Lea. Vllt. Presse?
Verwendete Wörter: Kopfüber • Lapislazuli • Flügel • Rollstuhl • Zeuge
Kannst du im Textfeld löschen.
Er redet ja. Der Punkt bleibt stehen. Ich fixiere ihn. Der Punkt steht, zieht plötzlich kopfüber zum Boden, hinterlässt eine Rauchspur im freien Fall.
Guter Tag. Bin zufrieden.
Schräger Abschluss. Das muss ja nichts Schlechtes sein. ;) Was ist dieser schwarze Punkt? Der Rabe, oder? Aber was für ne Rauchspur? Vielleicht steh ich gerade auf dem Schlauch.

Am Ende angekommen, schiel ich auch zurück auf den mMn richtig guten, zweideutigen Titel: Rabenvater. Mit dieser Tiermetapher beschreibst du für mich die fehlende Elternliebe und Fürsorge, die der Tod des Vaters verursacht(/verstärkt) hat. Lea hängt allein in der Schwebe. Wo ist eigentlich die Mutter? Abgehauen, weil sie das Leben dort nicht mehr ertragen konnte?

Gern gelesen.
Viele Grüße
wegen

 

Servus @kiroly,

bis zum

niemand hebt das Handy zum Video
wähnte ich mich in der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken. Danach wohl eher in einer Autonomen Republik der GUS. Jedenfalls sind UdSSR-Strukturen noch vorherrschend. Aber das ist nur ein Gedanke, der dir zeigen soll, wie alt dein Leser ist, und dass ihn deine Geschichte in diese Vergangenheit getragen hat, bis auf das Handy. Unabhängig davon: Sie ist hervorragend. Druckreif. Sie entspricht meinem Geschmack, erinnert mich an sowjetische Schriftsteller aus dieser Zeit.

Gratulation
Morphin

 

Hey @kiroly ,

ich hab nicht viel. Ich denke auch nicht, dass ich überhaupt viel sagen oder vorschlagen kann. Auf mich wirkt der Text durchdacht und fertig. Weniger was, wo ich als Kritiker jetzt Hand anlegen soll und mehr etwas, dass ich lese und genieße.

Ein wenig Kleinkram:

Ich klappte mein Mathematik-Schulbuch auf, fühlte das Siegel der LAPAL-Opferhilfe im Buchrücken. Ich klappte einen Schuhschrank auf, las den Besitznachweis der LAPAL-Opferhilfe.

Nur als Vorschlag: Wie wäre es, wenn das Mathe Schulbuch der Opferhilfe ein indirektes Propagandainstrument ist? Also Matheaufgaben, aber in einer Aufgabenstellung, die klar einer Aussage entspricht. "Die harten Väter arbeiten so und so viel, wie viele Steine schaffen sie?" Keine Ahnung, ob das hilfreich ist. Nur ein Gedanke.

Ich mag Unglück nicht; das Gegenteil wäre Glück, sprich die Arbeit im Bergwerk, die Knochen krümmt und Lungen verklebt.

Uff. Harte Stelle.

Da sind viele gute Sätze drin. Du arbeitest nicht szenisch, aber bringst die Dinge einfach gezielt auf den Punkt. Ausgesiebt hast du auch, gibt keine Stelle, wo ich was kürzen würde. Bei dem Begriff Rabenvater denke an das Lied von Alligatoah, aber die Konnotation ist klar nicht gewollt, viel mehr direkt wörtlich. Gefällt mir. Ich fühle mich wenig sinnlos, weil ich nicht wirklich konstruktiv was zu sagen hab. Gerne gelesen.

Liebe Grüße
Meuvind

 

Hallo @MRG :-)

vielen, vielen Dank für Deinen Kommentar, gerade dafür, dass Du die Erste warst. Ich schätze deine ruhig-sachlich-freundliche Art deiner Kommentare. Du hast auf das Ende und einige Stellen verwiesen, bei denen ich beim Schreiben schon dachte, hm, hm, hm. Hm meint - da empfand ich einen Cut, einen Bruch. Jetzt scheint der Text aber gut anzukommen, obwohl er recht unterschiedlich gelesen wird, was mich ... ja ... ratlos werden lässt? Oder besser, was mich etwas abwarten lässt, vielleicht braucht es etwas zeitliche Distanz, um das einzuschätzen.

Mir war vor allem die Figur, Lea, wichtig und dass die besagten Wörter gemeinsam Sinn ergeben, dass sie nicht wie Gadgets und Attribute wirken sondern "aus der Welt entspringen".

Spricht für mich wieder dafür, dass sie den Tod nicht verarbeiten kann, sie nicht die Möglichkeiten hat, das zu integrieren. Stattdessen bleibt sie an der Oberfläche, auch wenn sie impliziert, dass sie die Psychologin in gewisser Weise schon durchschaut. Zumindest habe ich das mit dem Verweis auf den Hass so verstanden. Korrigiere mich da gerne, wenn es anders gemeint war.

Ja, ich hatte die Idee einer sensiblen, aber auch etwas rotzigen Figur, die diesen Tod noch nicht verarbeitet hat, andererseits ihn sich aber auch nicht verarbeiten lässt (klingt seltsam, oder?), eine Figur, die trotz der Hilfseinrichtungen und psychologischen Pflichttherapie um Autonomie kämpft. Ich wollte keine leidende, depressive Lea, sondern auch eine, die nach Handlung und Macht über sich selbst sucht. Das klingt aber alles planvoller, als es war, so richtig präzise war mein Lea-Bild nicht.

Aus der Ohnmacht aufwachen.
Sich aufrappeln.
Naja, geht ja weiter.
Das "Naja, geht ja weiter" hat mich stolpern lassen. Klingt für mich zu locker, fast wie ein Fremdkörper in deinem Text. Das hätte ich mir anders gewünscht. Vielleicht kannst du das auch komplett streichen?

Stimmt, das streiche ich besser, das ist zu locker-rotzig
Dieses Blatt wird reichen. Ich werde es einfach in zwei Blätter teilen. Ich habe nicht viel zu schreiben. Vater schuldet mir ein Fahrrad. Und Mutter ist immer herzlich eingeladen in der Einrichtung, wenn das für die LAPAL-Stiftung in Ordnung ist.
Das meinte ich oben mit der oberflächlichen Betrachtungsweise. Und interessant, dass die Psychologin direkt danach kommt, als sie den Raben nicht sehen kann. Ich weiß nicht, ob du diese Ebene intendiert hast, jedenfalls hat diese Ebene für mich optimal funktioniert.

Oh, das hatte ich gar nicht so intendiert, aber schön, dass es funktioniert :-)

Plötzlich sehe ich einen kleinen schwarzen Punkt im Himmel, über dem Gedenkstein fünfzig, sechzig Grad Süd, weit zieht er einen Bogen, einen sehr weiten, entfernten Punkt. Ich halte den Atem.
Der Punkt steht, zieht plötzlich kopfüber zum Boden, hinterlässt eine Rauchspur im freien Fall.
Ich habe als erneute Referenz zum Raben gelesen. Am Ende hätte ich mir mehr in diese Richtung gewünscht und weniger Beschreibungen. Mir hat hier die emotionale Nähe gefehlt, die du am Anfang so unglaublich gut aufgebaut hast. Vielleicht gibt es da noch etwas, was du ergänzen könntest? Ich finde, dass das Gleichgewicht am Anfang und die Balance vielleicht am Ende noch ein Gegenbild vertragen könnte. Weißt du, wie ich das meine?
Ja, auch @wegen hat das ja angeschrieben, das Ende bleibt zu deskriptiv, zu entfernt. Ich werde mal schauen, was ich da ausbessern kann, etwas mehr Lea und weniger Bildbeschreibung. Vielen Dank dafür. Interessant, wie ein vages Gefühl beim Schreiben - da passt etwas nicht - Bestätigung fand. Das mit dem Gegenbild - super Idee. Ich versuche mal was.

Liebe @MRG, auch wenn ich gar nicht so viel zu deinem Kommentar schrieb, er hat mir sehr, sehr geholfen. Las ihn heute auf dem Weg zur Arbeit, hat mir einen guten Wochenstart verpasst, danke :-)

Lg
kiroly

***

Hallo @RinaWu :-)

merci für deinen Kommentar! Schön, dass für dich sensibel und rotzig funktioniert haben. War mir unsicher, ob das nicht zu sehr vermengt, zu unklar wird, wenn ich beide "Temperamentslinien" kreuzen lasse.

Ich habe den Absatz hier mal exemplarisch rausgepickt, um dir zu sagen, dass ich den Stil besonders finde und erfrischend. Das hat was ganz Eigenes, vor allem das Fettmarkierte gefällt mir. Du hast 'ne ganz eigene Art, diese Geschichte zu erzählen, zwischendrin auch herrlich rotzig und frech. Wie hier auch:
Schön, hat mich sehr gefreut.
Lea wirkt aufgeweckt, trotzig, sensibel und teilweise auch ein bisschen altklug ("Ich schätze sie sehr.") Ich finde es interessant, dass in dieser Geschichte über den Tod nichts von der Schwere steckt, die man sonst gewöhnt ist. Irgendwie ist da eine Distanz zu deiner Erzählerin, ich kann jetzt nicht sagen, dass ich besonders mitfühle mit ihr oder da emotional tief drin war. Aber ich glaube, das will die Geschichte auch gar nicht. Ich kann das gerade schwer erklären, aber ausgelöst hat der Text was in mir, vielleicht nicht mal unbedingt wegen des Inhalts, sondern eher dadurch, wie du das erzählst.
Ja, die allersympathischste und perfekteste Lea wollte ich eben nicht. Kann auch ein bisschen arrogant sein, die Gute. Aber altklug trifft es ganz gut.

Klar hat mir dein Kommentar geholfen. Siehe oben :-D

Lg
kiroly

***

Hallo @wegen :-)

vielen Dank für Lesen und Kommentar!

Mich hat es ja gewundert, wie unterschiedlich der Text gelesen wird, er aber trotzdem ganz gut gefällt. Ist ja schön, wenn jeder das nehmen kann, was ihm gefällt. Wie aus einem gut sortierten Lebensmitteleinzelhandel!

deine Geschichte gefällt mir. Du erzählst das so unaufgeregt, Leas Unglück – obwohl das nicht passt, denn das Gegenteil wäre Glück: ihr Leben mit einem alleinerziehenden Vater, der Schicht im Stollen schiebt, bis er letztendlich wie alle Kumpel auf der Lungenstation landet. Das Schicksal ihrer Familie, das in der Gegend ein häufiges ist, hast du gut eingefangen.

Also eigentlich stirbt der Vater bei einem Bergwerksunglück. Aber andererseits denke ich, ist doch trotzdem gut, wenn der Text funktioniert. Mir ist der Charakter wichtiger, als das Erklären einer planvoll gestalteten Story, in der ja alles ganz genau so sein muss, wie ich es mir ganz genau so vorgestellt habe. Dazu wirkt Sprache auf mich zu schwammig, zu stark von der Vorstellung des Empfängers abhängig, so dass ich meine Erwartungshaltung zurückstufe.

Ein Rabe setzte sich auf das Bergwerk.
Zwei Mal schlug er mit den Flügen.
Die Räder des Förderturms standen still.
Aber ich sprang von der Schiene und lief in die Siedlung.
So gut, der Rabe als Symbol. Auch durch die Formatierung stark.
Zweimal. Zahlwort.
Jesus Christus, Zwei Mal, zweimal. Danke. Dafür.

„Ja, Lea?"
Falsche WR-Zeichen am Ende.
Danke :-)

Das lockere Seesediment habe den Schacht instabilisiert. Keine Zeugen, alle tot. Ich formte das Wort nach: In-sta-bi-li-siert, ich deutete ein Silbenklatschen an und fühlte mich ihnen ebenbürtig.
Destabilisiert? Das Silberklatschen finde ich gut.

Hm, "instabilisiert" gefällt mir irgendwie besser. Ich habe das Wort aber in Anführungszeichen gesetzt, so wirkt es von "außen in die Story getragen", vielleicht wie ein spezieller Fachausdruck, den Lea übernimmt.
zur rechten ausgewählte Gäste, die Journalien, die Angehörigen und die ehemaligen Bergarbeiter vom Lungen-Sanatorium in ihren Rollstühlen
Hm, klingt nicht nach Lea. Vllt. Presse?
Verwendete Wörter: Kopfüber • Lapislazuli • Flügel • Rollstuhl • Zeuge
Kannst du im Textfeld löschen.
Er redet ja. Der Punkt bleibt stehen. Ich fixiere ihn. Der Punkt steht, zieht plötzlich kopfüber zum Boden, hinterlässt eine Rauchspur im freien Fall.
Guter Tag. Bin zufrieden.
Schräger Abschluss. Das muss ja nichts Schlechtes sein. ;) Was ist dieser schwarze Punkt? Der Rabe, oder? Aber was für ne Rauchspur? Vielleicht steh ich gerade auf dem Schlauch.
@MRG führt das Ende auch auf, das passt nicht ganz so gut, suboptimal zum Rest der Story. Das werde ich nochmals ausbessern; der schwarze Punkt, ja, das ließ ich bewusst offen. Ich dachte kurz an ein Flugzeug, aber Lea denkt, es sei ein Rabe. Stellt sich vor, sie hätte Macht. Aber - ich werde das noch ausbessern.

Auch die anderen Punkte habe ich übernommen, danke @wegen :-)

Wo ist eigentlich die Mutter? Abgehauen, weil sie das Leben dort nicht mehr ertragen konnte?
Hah! Die logische Leerstelle! Ja, ich hatte überlegt, dass die Mutter auch gestorben ist und das wird mit der Therapie-Szene angedeutet. Hm, das könnte vielleicht etwas deutlicher werden, was mit der Mutter passiert ist. Danke.

Vielen Dank @wegen :-)

***

Hallo @Morphin :-)

vielen Dank für's Lesen!

Jedenfalls sind UdSSR-Strukturen noch vorherrschend. Aber das ist nur ein Gedanke, der dir zeigen soll, wie alt dein Leser ist, und dass ihn deine Geschichte in diese Vergangenheit getragen hat, bis auf das Handy. Unabhängig davon: Sie ist hervorragend. Druckreif. Sie entspricht meinem Geschmack, erinnert mich an sowjetische Schriftsteller aus dieser Zeit.

Ja, da kann ich mir nur bedanken. Freut mich. Aber ich war auch überrascht, dass du das so gelesen hast, daran habe ich wirklich gar nicht gedacht.

Lg
kiroly

***

Hallo @Meuvind :-)

danke für den Kommentar und das Lesen!

Ich klappte mein Mathematik-Schulbuch auf, fühlte das Siegel der LAPAL-Opferhilfe im Buchrücken. Ich klappte einen Schuhschrank auf, las den Besitznachweis der LAPAL-Opferhilfe.
Nur als Vorschlag: Wie wäre es, wenn das Mathe Schulbuch der Opferhilfe ein indirektes Propagandainstrument ist? Also Matheaufgaben, aber in einer Aufgabenstellung, die klar einer Aussage entspricht. "Die harten Väter arbeiten so und so viel, wie viele Steine schaffen sie?" Keine Ahnung, ob das hilfreich ist. Nur ein Gedanke.
danke für den Vorschlag. Da werde ich nachdenken oder "nach-lesen", ob das passt. Das müsste dann aus Lea kommen, darf nicht so deskriptiv, so beschreibend sein.

Bei dem Begriff Rabenvater denke an das Lied von Alligatoah, aber die Konnotation ist klar nicht gewollt, viel mehr direkt wörtlich. Gefällt mir. Ich fühle mich wenig sinnlos, weil ich nicht wirklich konstruktiv was zu sagen hab. Gerne gelesen.
Gott, sich sinnlos fühlen ist doch Quatsch. Danke für deinen Leseeindruck, man muss doch nicht immer groß alles durchanalysieren, mich hat dein Kommentar sehr gefreut. Ich fühle mich auch ein wenig sinnlos, weil ich nichts weiter sagen kann^^.

Lg
kiroly

 

deine Geschichte gefällt mir. Du erzählst das so unaufgeregt, Leas Unglück – obwohl das nicht passt, denn das Gegenteil wäre Glück: ihr Leben mit einem alleinerziehenden Vater, der Schicht im Stollen schiebt, bis er letztendlich wie alle Kumpel auf der Lungenstation landet. Das Schicksal ihrer Familie, das in der Gegend ein häufiges ist, hast du gut eingefangen.
Also eigentlich stirbt der Vater bei einem Bergwerksunglück. Aber andererseits denke ich, ist doch trotzdem gut, wenn der Text funktioniert
:schiel: Ahh. Nee! Ich meinte, der Unfall des Vaters wird zu Leas Unglück, nicht dass Lea verunglückt.
Sooo schief lässt sich der Text sicher nicht lesen, keine Sorge. :)

Ich wünsche dir einen schönen Abend.
Viele Grüße
wegen

 

Hej @kiroly , ich habe gar keine große Lust, an dieser Erzählung herumzukritteln. Ich höre Lea, diesem speziellen Kind zu, mit dem ich damit eine Weile durchs Leben gehen kann. Ein Leben ist ja nicht dafür da, im Glück zu gehen und ich nehme an, den Vater als Kind zu verlieren ist ein großes Unglück, selbst wenn das gemeinsame Leben nicht als Glück bezeichnet wird. Aber einen Vater zu haben, der sich müht, nicht zuletzt in Verantwortung für seine Tochter und die Tatsache, dass sie sich selbst nicht als arm betrachtet, ist schon auch Glück.
Ich mag es, wie du konsequent Lea zeigen lässt, ich versuche alles zu verstehen, alles zu sehen und zu erleben, wie sie es macht. Natürlich holpert es dabei!

Der Rabe als Ungücksbotschafter. Ich liebe ihn als Motiv. Ich mag es sehr, wie du mir gleich im ersten Satz ankündigst, dass hier jemand weiß, dass er ab jetzt die Balance halten muss. :kuss:
Ich liebe die bildgestaltete Eile - auch dass das Wort Stuhl beim Rollen fehlt - nach dem Unglück, alles was Lea bis zum Schacht wahrnimmt.

Ich hatte nicht das Balancieren gelernt.
Ich hatte die Angst vor einem Ereignis gelernt, das jetzt das, was ich sah, aufriss. Mich in den hellblauen Staub schleuderte und in eine atemlose Ohnmacht drückte.
und deshalb brauche ich nicht einmal diese Erklärung. Du hast das hervorragend eingeleitet. Ich hab’s verstanden.
Sich auf- und abrappeln.
wie abstrampeln? :D

Ein Gesicht wie nach einer guten Mahlzeit. Sie sollten ekliger essen. Fermentierten Fisch. Rohes Fleisch. Rabe. Eine trug versehentlich einen Lapislazuli-Anhänger. Lustig.
Großartig. Lea findet sich zwar ab, sie weiß, dass sie balancieren muss und dennoch ist ihr Leben jetzt nicht das eines Opfers. Diese Stigmatisierung wäre ihr nicht angemessen. Du gönnst ihr eine Mutter, die nicht mit ihr lebt. Der Grund bleibt offen und ich empfinde das als konsequent. Ich respektiere das, wie Lea es tut.
wenn ich vom Bett durch das Seitenfenster schaue, nur den Raben, den sah ich nie.
zum Glück :shy:

Also stellte sich die Psychologin aus der Hauptstadt auf und sprach:
schon ist der Abstand deutlich. Sie arbeitet nach einem Konzept, ohne sich wirklich in das Gefühlsleben dieser Kinder einfühlen zu können.
„Dieses Blatt wird reichen. Ich werde es einfach in zwei Blätter teilen. Ich habe nicht viel zu schreiben. Vater schuldet mir ein Fahrrad. Und Mutter ist immer herzlich eingeladen in der Einrichtung, wenn das für die LAPAL-Stiftung in Ordnung ist. Aber das wird es bestimmt sein.“
Lea kann die Menschen lesen. Sie kann sich einstellen auf die Dinge und trotzdem ihr Leben selbst bestimmen.Wenn sie zwei Briefe schreiben will, dann tut sie das! (und ja, ich bin begeistert ;))

Ihr fehlte der Drive, der Mut, aktiv zu hassen, sie mochte das nicht und das war ihr Fehler.
Ich weiß, was du meinst. Lea darf so denken. Und sie weiß, dass unterdrückte Emotionen nicht gut sind. Lea ist nicht wütend, hasst nicht. Nicht weil sie es nicht kann, sondern weil sie das Leben nimmt, wie es sich ihr bietet.

Ich formte das Wort nach: In-sta-bi-li-siert, ich deutete ein Silbenklatschen an und fühlte mich ihnen ebenbürtig.
Wunderbar. Leas lässt sich nicht abhängen, nur weil sie ein Kind ist, das ihren Vater verloren hat und nicht viele Fremdworte kennt, sie geht ihren eigenen Weg.

Plötzlich sehe ich einen kleinen schwarzen Punkt im Himmel, über dem Gedenkstein fünfzig, sechzig Grad Süd, weit zieht er einen Bogen, einen sehr weiten, entfernten Punkt.
Der Tod kreist weiter und weiter, solange Menschen ihr Leben für Steine riskieren.

Guter Tag. Bin zufrieden.
Eine Aneinanderreihung von Tagen ist das Leben eben. Es gibt gute und weniger gute. Es gibt auch schlechte. Aber manchmal sind auch die nur stundenweise schlecht.

Vielen Dank für diese wunderbare Geschichte. Meine Stimme hast du bereits.

Freundlicher Gruß. Kanji

 

Hallo @Kanji :-)

Ja, da bleibt mir nichts anderes übrig, als mich zu bedanken. Freut mich sehr, dass dir die Geschichte gefallen hat :-)

Lg
kiroly

 

Ja, was geschieht mit uns, wenn der Mann, den wir Vater nennen, um dessen Zuneigung und Anerkennung wir ständig kämpfen, weil wir sie brauchen, um zu wachsen, frühzeitig aus dem Leben gerissen wird?
Wir können es ihm nicht verzeihen, werden wütend und trotzig, fliehen in einen Zustand der Gleichgültigkeit, verdrängen, nur um die Trauer nicht spüren zu müssen.

Hallo @kiroly,

das ist eine beeindruckende Geschichte. Mir gefällt besonders die Sprache: frisch, frech, frei, die die Gedanken der jugendlichen Erzählerin authentisch und glaubwürdig transportiert.

Ich hab mal den Einstieg unter die Lupe genommen, denn ich will verstehen, was du machst, wie du das machst, auf welche Weise du bestimmte Assoziationen beim Leser erzeugst, mit Zweideutigkeiten spielst. Und ich will das auch endlich können.

Als Vater starb, trainierte ich mein Gleichgewicht. Fuß um Fuß auf der dünnen Schiene, war Profi. Schaute nicht auf Fuß und Schiene, sondern raus auf die Ebene. Als wollte ich den Horizont, den ich erahnte, per ausgleichender Kraft erreichen.
Wenn ich beim Balancieren und dem Unfall des Vaters – so wie es die Zeitform von Haupt- und Nebensatz vorgeben – von einer Gleichzeitigkeit ausgehe, dann ist der Balanceakt nicht mehr als ein Geschicklichkeitsspiel, ein Zeitvertreib für Lea.
Ich denke aber nicht, dass du mir das sagen willst.

Balanciert Lea erst, wenn der Vater schon verunglückt ist, dann könnte es eine Metapher sein, dass das Leben für sie zum Balanceakt wird. Dann steht der Horizont für den Wunsch der Prota frei zu sein, körperlich (diese Gegend verlassen zu können) und geistig (die Trauer nicht zu fühlen).
Natürlich frag ich mich noch, warum du Schiene und nicht Gleis schreibst. Weil du in der Wiederholung des Wortes Schiene in Kombi mit Fuß eine Art Gehbehinderung, eine Fußfessel andeuten kannst, die Leas Freiheitsverlangen entgegensteht?
Warum dünn und nicht schmal, ist hier die Assoziation dünnes Eis gewünscht?

Du wirst sagen: „Die Gedanken sind frei, die Interpretation ist ganz und gar dir überlassen, peregrina." Und: "Ich lass dich doch nicht in meine Karten schauen.“
Gut, damit müsste ich dann leben:D.
Was allerdings die ausgleichende Kraft sein sollte, ist mir nicht ganz klar. Der Wille sicher, der bekanntlich Berge versetzt.

Erst heulten die Sirenen, dann die anderen: Nachbarn und Bewohner, die Arbeiter der Spätschicht, die Leute aus den Blumenläden und vom Lebensmittelmarkt, Vaters Kollegen im Kollegen-Café.
Sehr schön!
Eine schwere Hand griff mich, zerrte mich zu ihr, ich kniff die Augen zusammen, dachte an Emma, öffnete sie, sah Emma, die Steinwerkerin, unsere Nachbarin:
„Lea. Dein Vater war im Schacht.
Der Schacht ist eingestürzt.
Du schläfst jetzt bei uns.
Und dann schauen wir weiter.“
Das ist ja interessant gemacht. Das Überbringen der Todesbotschaft hast du genauso formatiert wie das Erscheinen des Raben.
Ich hatte nicht das Balancieren gelernt.
Doch nicht?, denke ich, aber am Anfang behauptet Lea doch, dass sie Profi ist.
Ich scrolle zurück. Denkste! Sie behauptet, sie ist Profi im Trainieren. Immer schön wachsam bleiben, nich!

Weiterschauen also. Das hieß ein Jahr später: An Orten leben, in denen die Möbel wie Gebäude heißen: „Einrichtung“.
Den Satz hätte ich ja total gedreht, hängt wahrscheinlich mit meinem Glättungswahn
zusammen: An Orten leben, wo die Gebäude heißen wie Möbel: „Einrichtung“.
Vielleicht magst du mir erklären, warum du dich für die Variante entschieden hast?
Ich klappte mein Mathematik-Schulbuch auf, fühlte das Siegel der LAPAL-Opferhilfe im Buchrücken. Ich klappte einen Schuhschrank auf, las den Besitznachweis der LAPAL-Opferhilfe.
Na, das klappt ja ausgezeichnet.
Ich lernte das Opferhilfe-Personal kennen: „Ich bin kein Opfer“, sagte ich ihnen, egal wie alt, woher, welcher Profession, ob Hausmeister oder Arzt oder nette Mutti. „Das ist richtig, dass du dich nicht so fühlst“, antworteten sie freundlich, mit einem Huch-du-armes-Kind und Ich-will-gut-sein in Stimme und Ausdruck. Sie senkten ihren Blick, friedlich das Gesicht. Ein Gesicht wie nach einer guten Mahlzeit. Sie sollten ekliger essen. Fermentierten Fisch. Rohes Fleisch. Rabe. Eine trug versehentlich einen Lapislazuli-Anhänger. Lustig.
Das ist stark! Mit messerscharfem Verstand erkennt sie das aufgesetzte Gutmensch-Gehabe der Betreuer. Sie geben sich gut, es geht ihnen gut, sie essen gut, sie bleiben Personal, werden nie Vertraute sein.
wenn ich vom Bett durch das Seitenfenster schaue, nur den Raben, den sah ich nie.
schaute
Also stellte sich die Psychologin aus der Hauptstadt auf und sprach:
„Ich möchte eine sehr, sehr schwierige Aufgabe mit euch machen.
Ihr habt euren Vater verloren.
Ich möchte, dass ihr eurem Vater einen Brief schreibt.
Was ihr eurem Vater sagen wollt. Lasst euch Zeit.“
Wieder die Versform. Lea will aber nichts von der Realität wissen. Sie hasst die expliziten Hinweise der Psychologin.
Ich lächelte. Sie lächelte nicht. Sie machte ihren Job ja ganz gut, wenn auch etwas unsicher für eine Psychologin aus der Hauptstadt. Ihr fehlte der Drive, der Mut, aktiv zu hassen, sie mochte das nicht und das war ihr Fehler.
Dann rächt sich Lea und lässt ihre geballte Verachtung für die Psychologin heraus und unterstellt ihr Unvermögen.

In dem weißen Marmor stehen die Namen der dreiundfünfzig Opfer. Emma, die Steinwerkerin hat sie alle eingemeißelt, nach dem Alphabet, wie denn sonst. Bei Vater dachte sie: Ach je, auch der, und weiter gemeißelt. Ich schätze sie sehr.
Ja, ich weiß das schon. Emma ist die einzige Person, deren Anteilnahme echt ist.
Ich setze mich ab, auf einen weichen, gestifteten Stuhl, die Stühle stehen enger und sind zu klein für meinen Hintern, meine Schenkel berühren die der anderen jugendlicher Opfer.
Sie setzt sich nicht nur hin, nein, sie setzt sich gleichzeitig gedanklich ab. Dieses Spiel mit der Sprache, wirklich cool.
Eine Helferin in schwarzem Kostüm verweist uns auf die Plätze.
Sehr schön! Eure Rolle ist die Opferrolle und die habt ihr zur Zufriedenheit von LAPAL auszufüllen! Seid gefälligst dankbar und demütig!
Plötzlich sehe ich einen kleinen schwarzen Punkt im Himmel, über dem Gedenkstein fünfzig, sechzig Grad Süd, weit zieht er einen Bogen, einen sehr weiten, entfernten Punkt. Ich halte den Atem. Der LAPAL-Direktor tritt vor das Pult, er wischt sich die Lippen ab und schaut auf den Bus, über meinen Kopf hinweg, über alle Köpfe hinweg.
Die Lippen noch fettig vom guten Essen?
Das Desinteresse das Direktors an der Veranstaltung und an den Jugendlichen beeindruckend gezeigt, der will nur weg, für ihn ist es ein bedeutungsloses Ritual, seine Anteilnahme wieder nur zur Schau gestellt.
Da kommt der Rabe als schwarzer "Racheengel" gerade im rechten Moment.
Der kann das scheinheilige Getue auch nicht länger mit ansehen.
Der Punkt bleibt stehen. Ich fixiere ihn. Der Punkt steht, zieht plötzlich kopfüber zum Boden, freien Fall ins Hellblau.
Guter Tag. Bin zufrieden.
Die Kraft der Gedanken?
Der Rabe bringt Zerstörung, Tod und Leid, aus heiterem Himmel, genau.
Aber da es für deine Prota nicht mehr schlimmer kommen kann, sieht sie der zu erwartenden Katastrophe gelassen und froh entgegen.

Lieber kiroly,

du wirst mir nachsehen, dass ich so auf deinem Text herumtrample und einzelne Abschnitte zerpflücke. Der Antrieb ist wirklich purer Egoismus. :lol:

Danke für die besondere Geschichte, die mich mit Sicherheit noch einige Zeit beschäftigen wird.


Liebe Grüße von peregrina

 

Hallo @kiroly

Du hast einen sehr eigenen Schreibstil. Ich hatte ein wenig Mühe beim Lesen, beim Verstehen. Bin mir nicht schlüssig, ob ich mit dem Schreibstil gut kann oder nicht. Er verleiht der Geschichte ein wenig Mystik. Das mag ich. Auch der Rabe als symbolische Figur gefällt mir. Mir fällt es ein wenig schwer, Nähe zu Deiner Protagonistin aufzubauen. Also sprachlich ist alles topp, es entstehen auch Bilder im Kopf, ich begreife, dass sie ihren Vater bei einem Bergwerksunglück verloren hat, dass es eine Opferbetreuung gibt. Dennoch kann ich ihre Emotionen kaum spüren. Du beschreibst das Setting und die Handlung gut und flüssig, doch ich schaffe es nicht, mit der Protagonistin mitzufühlen/ mitzuleiden. Ich kann Dir nicht sagen, ob es an dem ungewöhnlichen Schreibstil liegt oder ob das von Dir bewusst so gehalten wird. Die Geschichte regt auf jeden Fall zum Nachdenken an.

An Orten leben, in denen die Möbel wie Gebäude heißen:

an

Ihr fehlte der Drive, der Mut, aktiv zu hassen, sie mochte das nicht und das war ihr Fehler.

Ich habe nicht verstanden, warum sie denkt, die Therapeutin müsste aktiv hassen können.

Ganz liebe Grüße und einen schönen Tag,
Silvita

 

Hey @kiroly,

ich mochte deine Geschichte sehr gern. Ich bin eh ein Fan von Dir und deiner Sprache, deinem speziellen Blick auf Dinge. Ich bin richtig im Text versackt, hab nicht gedacht, oh hier ist dies Wort und dort jenes, weil die sich alle sehr organisch ins Geschehen eingebracht haben und ich auch gar keine Kapazitäten frei hatte, mich solchen Gedanken zu widmen, so dicht der Text und auch so schön!

Als Vater starb, trainierte ich mein Gleichgewicht. Fuß um Fuß auf der dünnen Schiene, war Profi. Schaute nicht auf Fuß und Schiene, sondern raus auf die Ebene.
Ja, da steht und geht sie mit sicherem Schritt auf dem dünnen Gleis. Witzig, stelle grad den Reim auf Eis fest - was ja auch total Sinn ergeben würde und Du das Wort noch nicht mal hingeschrieben hast.

Alle Väter arbeiteten bei der LAPAL. Sie trugen aus den Stollen einen tiefblauen Staub in die heimischen Hütten. Manchmal strich ich über unser Zink-Waschbecken im Badezimmer und sammelte den Staub von meinen Fingern.
Eine von vielen Lieblingsstellen.

Der Wind verteilte ihn über Land, Haut, Kleidung und Gebäuden, bis zum Horizont. Die armen Arbeiterfamilien trugen hellblaue Kleidung, wegen des Waschens, der Wasserpreis, jaja, der Wasserpreis. Ich war nicht arm. Ich trug Weiß. Blaues, dreckiges Weiß. Recht hell.
Und die auch!

Erst heulten die Sirenen, dann die anderen: Nachbarn und Bewohner, die Arbeiter der Spätschicht, die Leute aus den Blumenläden und vom Lebensmittelmarkt, Vaters Kollegen im Kollegen-Café. Aus dem Lungen-Sanatorium rollten die Blaustaub-Patienten auf die Mitte der Straße, hustend wie immer,
Und die! Blaustaub-Patienten, klingt so viel schöner, als es sich anfühlt. Schöne Dissonanz.

Ich hatte nicht das Balancieren gelernt. ...
Mich in den hellblauen Staub schleuderte und in eine atemlose Ohnmacht drückte.
Nee, jetzt ist sie aus dem Gleichgewicht. Feine Metapher.

An Orten leben, in denen die Möbel wie Gebäude heißen: „Einrichtung“. Ich klappte mein Mathematik-Schulbuch auf, fühlte das Siegel der LAPAL-Opferhilfe im Buchrücken. Ich klappte einen Schuhschrank auf, las den Besitznachweis der LAPAL-Opferhilfe. Mein Bett war normiert und an der Wand festgedübelt, jedes Element sicher verschraubt. Ich durfte die Akten sortieren. Ich erhielt Papier und Schulhefte auf Spendenbasis, neue Kleider von Vater Staat.
Ja, auch so eine Frage, was es mit Menschen macht, wenn man ihnen täglich und in den kleinsten Dingen den Opferspiegel vorhält? Sie in allem so behandelt. Hat man da eigentlich je überhaupt die Chance, sich daraus zu befreien? Ich weiß es nicht, aber ich stelle mir das sehr, sehr schwer vor.

„Das ist richtig, dass du dich nicht so fühlst“, antworteten sie freundlich, mit einem Huch-du-armes-Kind und Ich-will-gut-sein in Stimme und Ausdruck. Sie senkten ihren Blick, friedlich das Gesicht.
Ja, genau das meine ich.

Ein Gesicht wie nach einer guten Mahlzeit. Sie sollten ekliger essen. Fermentierten Fisch. Rohes Fleisch.
Der Wunsch, sich aus dieser Rolle zu emanzipieren und wieder "normal" behandelt zu werden, ich kann ihn nachvollziehen.

Eine Psychologin, dünne Frau aus der Hauptstadt, erklärte ihr Therapiekonzept für die nächste Stunde. Aktives Einbringen. Arbeiten an sich und mit sich. Hoffnungen wecken, aber nicht die, die nur enttäuschen können.
Ja, und dann sitze in einem Stuhlkreis, bist ein Rädchen im Getriebe der "Hilfe". Ich will eine psychologische Betreuung nach einem solchen Trauma gar nicht in Frage stellen, kann mir aber vorstellen, dass die ganz unterschiedliche Gefühle auslöst.

„Ich möchte einen Brief an meine Mutter und einen an meinen Vater schreiben. Sie lebten ja getrennt. Recht lange schon.“
Das war wie ein Faustschlag. Lea hat also schon lang vor ihrem Vater ihre Mutter verloren, die sich im Gegensatz zum Vater bewusst von ihr abgewendet hat und nun auch nicht das bedürfnis hat, sich ihrer Tochter wieder anzunehmen. Weiß gar nicht, ob sich das noch schlimmer anfühlen muss. Aber damals schien sie keine Hilfe erhalten zu haben, sie war kein Opfer, das zu verarbeiten, oblag ganz ihr allein. Okay, der Vater - aber keine Institution die sich in dem Fall für sie verantwortlich fühlte. Schätze, so läuft das. Ich habe eine Kollegin, der das auch passiert ist, dass die Mutter mit dem kleinen Bruder wegging, sie beim Vater zurückließ als sie vier war. Sie hat darüber bis heute (sie ist inzwischen 60) nicht ihren Frieden geschlossen. Kämpfte ihr Lebenlang um die Anerkennung, um die Liebe, ist eine schräge Beziehung zwischen den beiden Frauen.

„Dieses Blatt wird reichen. Ich werde es einfach in zwei Blätter teilen. Ich habe nicht viel zu schreiben. Vater schuldet mir ein Fahrrad. Und Mutter ist immer herzlich eingeladen in der Einrichtung, wenn das für die LAPAL-Stiftung in Ordnung ist. Aber das wird es bestimmt sein.“
Ja, die Aussage fühlt sich natürlich irgendwie unwirklich an und zeigt, wie weit Lea entfernt davon ist, zu akzeptieren, dass die beiden aus ihrem Leben für immer fort sind.

Ihr fehlte der Drive, der Mut, aktiv zu hassen, sie mochte das nicht und das war ihr Fehler.
Das finde ich witzig. Weil der fehlt Lea ja auch. Aber das ist ja auch etwas total menschliches, das man die eigenen Schwächen an anderen viel deutlicher wahrnimmt.

... ein ehemaliger See aus der Zeit eines geologischen Massensterbens, nur welches, das vergaß ich oft.
Noch ein Liebling von mir.

In-sta-bi-li-siert, ich deutete ein Silbenklatschen an und fühlte mich ihnen ebenbürtig.
Darüber habe ich mich ein wenig gewundert, weil ich so das Gefühl hatte, eben nicht.

Eine Art Kontaktmetamorphose, die organische Körper einschloss und Vater auf die Größe einer Walnuss schrumpfen ließ, kein Schmerz, kein Leid, ein Zack und aus.
Ja, beschreibt sie mit diesen Worten tatsächlich den Tod des Vaters oder eher ihren Umgang mit der Trauer? Weil sie nicht noch einmal durch das Tal gehen will, welches ihre Mutter hinterlassen hat? Spannender Gedanke.

Ich mag Unglück nicht; das Gegenteil wäre Glück, sprich die Arbeit im Bergwerk, die Knochen krümmt und Lungen verklebt.
Ich bin echt neidisch auf Sätze wie diesen ;).

... und die ehemaligen Bergarbeiter vom Lungen-Sanatorium in ihren Rollstühlen, manche mit einem blauen Röhrchen aus dem Hals.
Ausgerechnet blau! Blau hat ihre Lungen zerstört, Blau lässt ihre Lungen jetzt weiterarbeiten.

Zur linken die freien Plätze für uns Waisenkinder.
Sie bezeichnet sich hier selbst als Waisenkind. D.h. sie hat ihre Mutter jetzt auch sterben lassen. Nun doch. Keine Einladung mehr nötig. Weiß nicht, wie ich die Wendung finde.

Ich setze mich ab, auf einen weichen, gestifteten Stuhl, die Stühle stehen enger und sind zu klein für meinen Hintern, meine Schenkel berühren die der anderen jugendlicher Opfer.
Ja, schön zusammengedrückt, eine homogene Masse - kein Raum für sich - nur Opfergruppe.

Plötzlich sehe ich einen kleinen schwarzen Punkt im Himmel, über dem Gedenkstein fünfzig, sechzig Grad Süd, weit zieht er einen Bogen, einen sehr weiten, entfernten Punkt. Ich halte den Atem.
Ich denke, sie erinnert sich an den Raben, der als Unglücksbote vor einem Jahr diente. Aktives Erinnern, ein Anfang, hier, denke ich, passiert gerade etwas mit ihr.

Der Punkt bleibt stehen. Ich fixiere ihn. Der Punkt steht, zieht plötzlich kopfüber zum Boden, freien Fall ins Hellblau.
Guter Tag. Bin zufrieden.
Da musste ich an den Satz vom Anfang denken:
Als wollte ich den Horizont, den ich erahnte, per ausgleichender Kraft erreichen.
Damals gelang es ihr nicht. Jetzt, so meine Lesart, gelingt es ihr, sie lässt den Raben abstürzen, er wird kein weiteres Unglück verkünden können, daher dann auch ihr Fazit: Guter Tag. Bin zufrieden.

Ich mochte auch die Lesart von @MRG mit dem Unterbewusstsein. Fand ich total plausibel, auch wenn mir der Gedanke nicht kam.

Toller Text. Auf jeden Fall einer, den man mehr als einmal lesen kann/sollte - weil es so viele Dinge zu entdecken gibt, Stellen, die man zerlegen und zerdenken und weiterdenken kann, für mich ganz feines Kino. Sprachlich mega genossen.

Beste Grüße, Fliege

 

Lieber @kiroly,

ein Neuer von Dir, der Waldrand ist ein bissl her, wurde aber auch Zeit. :D Interessanter Text mit einigen (für mich) Stolperstellen.
Zunächst mal zum Titel: Rabenvater impliziert, dass der Vater sich nicht um den Prota kümmert, aber auch im Wortsinn erstens, dass er selbst ein Rabe ist und folgerichtig der Prota auch. Mit dieser Brille habe ich den Einstieg gelesen, wie er da über die Stange balanciert und zum Horizont greift und hab ihn mit den Flügen wackeln sehen. Hat was von Fliegen lernen, der Balanceakt.
Was meinst Du mit "den Horizont mit ausgleichender Kraft erreichen?" Heißt, Prota balanciert und wenn er ausgleicht, erreicht er den Horizont, weil die Hand darüber wippt? Oder ist das Fliegen gemeint? Ich krieg dazu kein Bild.

Vaters Staub funkelte irgendwie ernster als der helle, kindisch blaue Staub der Abraumhalden
Ernster funkeln? Verbinde ich mit Zorn, seine Augen funkelten vor Zorn. Willst Du das sagen? Der Rabenvater war ein zorniger. Wenn nicht, warum ist das so? Beweis die Behauptung. Vllt. ist er mit Schweiß vermischt und deshalb ernster, weil dunkler?

Der Wind verteilte ihn über Land, Haut, Kleidung und Gebäuden, bis zum Horizont.
Fände besser, die Aufzählung würde der Blickrichtung folgen. Der Wind verteilte ihn über Haut, Kleidung, Gebäude, blies ihn übers Land bis zum Horizont.

Die armen Arbeiterfamilien trugen hellblaue Kleidung, wegen des Waschens, der Wasserpreis, jaja, der Wasserpreis. Ich war nicht arm. Ich trug Weiß. Blaues, dreckiges Weiß. Recht hell.
Du setzt einen Unterschied und relativierst ihn direkt. Das Weiß, das seinen Abstand zur Armut definiert, ist blau, dreckig und recht hell. Ich kann verstehen, dass Du kein strahlendes Weiß nimmst, aber so ist der Unterschied zu der hellblauen Kleidung der Arbeiterfamilien kaum existent. Absicht? Willst Du damit sagen, dass er eigentlich doch nicht so wohlhabend ist, dass der Unterschied marginal ist?

Ein Rabe setzte sich auf das Bergwerk.
Zweimal schlug er mit den Flügen.
Die Räder des Förderturms standen still.
Aber ich sprang von der Schiene und lief in die Siedlung.
Auch hier habe ich noch die Rabenbrille auf. Von der Symbolik her sorgt der Prota durch seinen Flügelschlag dafür, dass der Förderturm stillsteht. Die Assoziation hatte ich. Wäre dann quasi eine aktive Mitbeteiligung.
Oder der Prota ist bedeutungsmäßig raus und der Rabe dient als Symbol für den Tod und Unheil, als böses Omen.

Aus dem Lungen-Sanatorium rollten die Blaustaub-Patienten auf die Mitte der Straße, hustend wie immer, was-ist-denn-passiert,
Blaustaub-Patienten, schönes Wort, ich hab Blaupause im Ohr, hinten am passiert ein ?

An den Aluhütten vorbei, je nach Schichterfolg hoch und bunt oder weiß und bungalow-flach.
Je nach Förderleistung ändert sich die Farbe und Größe der Hütten? Aah, okay, soziale Schicht, kapiert, nicht Arbeitsschicht. Ups, da war ich gar nicht.

Eine schwere Hand griff mich, zerrte mich zu ihr,
Mit schwerer Hand verbinde ich eine große Männerpranke, vllt. kräftige Hand? Passt besser zur Frau.

Lea. Dein Vater war im Schacht.
Aha, der Prota ist eine sie und heißt Lea. Vllt. ein wenig früher? So am Anfang am besten. ;)

Ich hatte nicht das Balancieren gelernt.
Ich hatte die Angst vor einem Ereignis gelernt, das jetzt das, was ich sah, aufriss.
Ist es tatsächlich die Angst vor dem Ereignis? Das ist doch singulär und den Vater kann sie nur einmal verlieren. Wiederholung also ausgeschlossen. Oder sind es die Auswirkungen, die Verluste, die sie erleidet und auch das nur einmal? Sie ist nicht ausbalanciert, hat es nie gelernt. Bevor sie es konnte, starb der Vater. Warum bekomme ich ihre Schlagseite nur so schwer zu fassen?

Aus der Ohnmacht aufwachen.
Sich auf- und abrappeln.
So betont bräuchte es das für mich gar nicht. Was ist das Besondere daran? Eigentlich ist es einfach nur ein Weitermachen, den Bruch gab es doch vorher, als die Angst sie in den blauen Staub schleuderte? Oder ist das die Zusammenfassung des einen Jahres, das seitdem vergangen ist? Da ist mir das "auf- und abrappeln" fast zu schwach, zu niedlich.

An Orten leben, in denen die Möbel wie Gebäude heißen: „Einrichtung“
Genau hingeguckt, kiroly, so was markiert die Veränderung des Milieus sehr gut mit wenigen Worten.

fühlte das Siegel der LAPAL-Opferhilfe im Buchrücken
Auch das sehr schön, fühlte die Lapal im Rücken, sie stärkt den Rücken als Rückhalt.

neue Kleider von Vater Staat
Vater Staat, der Staat, der für mich sorgt und mir Sicherheit gibt, ist das nicht eine westliche Vorstellung der Industrienationen mit sozialem Netz?

Ich lernte das Opferhilfe-Personal kennen: „Ich bin kein Opfer“, sagte ich ihnen
Gut, aber auch bezeichnend für ihre Blockadehaltung.

„Das ist richtig, dass du dich nicht so fühlst“, antworteten sie freundlich, mit einem Huch-du-armes-Kind und Ich-will-gut-sein in Stimme und Ausdruck. Sie senkten ihren Blick, friedlich das Gesicht. Ein Gesicht wie nach einer guten Mahlzeit. Sie sollten ekliger essen. Fermentierten Fisch. Rohes Fleisch. Rabe. Eine trug versehentlich einen Lapislazuli-Anhänger. Lustig.
Highlight, einzig der Rabe irritiert, was sagt mir das? Sie sollten das Tier essen oder das Symbol des Zusammenbruchs, den Bringer der schlechten Nachrichten? Mit welchen Folgen, ungeschehen machen?

Weiterschauen, das hieß aber auch: Nach einem guten, harten, wahren Wort für das Lila suchen, mit dem die Morgensonne die Ebene färbte, frotz, nannte ich das, frotzende Morgendämmerung, wenn ich vom Bett durch das Seitenfenster schaue, nur den Raben, den sah ich nie.
Kann ich nur versuchen, zu interpretieren. frotz als Ausdruck einer harten Morgensonne, eines Neuanfangs ohne den Raben als schlechtem Omen? Heißt, der Tod ist abwesend.

„Aber …“, führte ich fort und spürte die Blicke der anderen Bewohnerinnen und Bewohner: „Dieses Blatt wird reichen. Ich werde es einfach in zwei Blätter teilen. Ich habe nicht viel zu schreiben. Vater schuldet mir ein Fahrrad. Und Mutter ist immer herzlich eingeladen in der Einrichtung
Klingt schon arg beiläufig, unbeteiligt, kein Kampf, kein Groll, keine Sehnsucht, fast lapidar.

Sie lächelte nicht. Sie machte ihren Job ja ganz gut, wenn auch etwas unsicher für eine Psychologin aus der Hauptstadt. Ihr fehlte der Drive, der Mut, aktiv zu hassen, sie mochte das nicht und das war ihr Fehler.
Auch hier, so merkwürdig unkindlich abgeklärt, fast von oben herab, so überlegen, strange.
Wieder habe ich das Bild des Raben vor Augen, der nicht das süße Vögelchen sieht, das so schön tschilpt, sondern das Futter, das Opfer, das er sich gleich einverleibt. Der Rabe, der den Tod bringt.

Das lockere Seesediment habe den Schacht „instabilisiert“
destabilisiert?

ich deutete ein Silbenklatschen an und fühlte mich ihnen ebenbürtig.
Das kenn ich doch? "Not und Leid", Thi. Thi. Thi-mon. Rhythmik als Verstärkung. Aber warum ebenbürtig, wofür der Wettkampf, ich verstehe ihr Ziel nicht? Warum so ein struggle?

Eine Art Kontaktmetamorphose, die organische Körper einschloss und Vater auf die Größe einer Walnuss schrumpfen ließ, kein Schmerz, kein Leid, ein Zack und aus.
Krasses Bild, und genau so präsentiert: kein Schmerz, kein Leid, so ist es nun mal, zack und aus.
Woher kommt diese Nüchternheit und Gefühl-Stumpfheit? Diese unglaubliche Distanz?

Ich mag Unglück nicht; das Gegenteil wäre Glück, sprich die Arbeit im Bergwerk, die Knochen krümmt und Lungen verklebt.
Smart aufgedröselt, auch krass, bravo!

Bei Vater dachte sie: Ach je, auch der, und weiter gemeißelt. Ich schätze sie sehr.
Schon auch despektierlich, wie sie so beiläufig an den Vater denkt.

die Fernsehkamera auf Off, sie denken uns für lange Zeit als Opfer.
Was sie auch sind, oder nicht? Den Punkt kriege ich nicht ganz klar, dieses Ablehnen der Opferrolle, okay, irgendwann verständlich, aber warum tropft das alles so an ihr ab? Ich verstehe, dass ein Trauma eine Taubheit hinterlässt, aber warum bleibt das so und warum setzt sie sich cool darüber hinweg?

Plötzlich sehe ich einen kleinen schwarzen Punkt im Himmel
Der Punkt steht, zieht plötzlich kopfüber zum Boden, freien Fall ins Hellblau.
freier?
Das Omen ist zurück und was tut es da? Ich wringe meinen Verstand aus.
Was bahnt sich an? Der Rabe als Symbol und Verursacher des Unglücks durch seinen zweimaligen Flügelschlag verabschiedet sich, stirbt, kann keine Unheile mehr verkünden, Thema erledigt?

Deine Prota bleibt mir fremd, ich finde nichts Kindliches an ihr, wie alt hast du sie gedacht, zwischen 10-14? Mir ist sie zu verschlüsselt, zu verkapselt, zu wenig emotional. Auch das Rabenomen-Thema bekomme ich nicht sauber sortiert. Ich finde viele sprachliche Highlights, tolle Bilder, die mich mitreißen. Dennoch fehlt mir persönlich ein wenig Plot-Kleister als Brücke dazwischen. Ich habe immer den Anspruch, zu verstehen was ich lese und das tue ich offen gestanden nicht, da bleiben doch einige Fragezeichen, weil Du viele Dinge anstößt, die dann mit einer gewissen Eigendynamik weiterrollen, ich sehe aber nicht wohin.
Ich denke, den muss ich mit etwas Abstand nochmal lesen und als Hilfestellung auch die anderen Kommentare.

Peace, linktofink

Nur noch als Nachhapp, iwie musste ich an diesen Text von NGK denken: Sternenkoffer
Vllt. ist das für Dich interessant zu lesen. ;)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @kiroly

Ich finde deine Geschichte toll geschrieben und auch das Thema mit dem Lapislazul-Bergwerk zu verbinden supergut.
Eine schöne Sprache und fantasievolle Sätze.

Rabenvater
Warum der Titel? Hat sich der Vater nicht um das Kind gekümmert?
Oder bezeichnet ihn Lea jetzt so, weil sie aus ihrem Nest geworfen wurde und jetzt in einer Einrichtung lebt?
Als Vater starb, trainierte ich mein Gleichgewicht. Fuß um Fuß auf der dünnen Schiene, war Profi. Schaute nicht auf Fuß und Schiene, sondern raus auf die Ebene. Als wollte ich den Horizont, den ich erahnte, per ausgleichender Kraft erreichen.
Sie ist stark, hier kann sie Balancieren
Ich hatte nicht das Balancieren gelernt
Warum dann hier nicht mehr?

Während des Lesens habe ich mich gefragt, wie alt deine Protagonistin ist?
Es war mir nicht möglich ihr Alter einzuschätzen.
Ich habe meinen Vater kurz vor meinem 13. Geburtstag verloren. Ich habe noch drei Schwestern. Nicht eine von uns konnte so reagieren wie deine Prota Ich bewundere sie, beneide sie. Sie wirkt auf mich abgeklärt, wie wenn sie jedes Gefühl ausschalten könnte. Natürlich habe ich auch vermutet, sie hat alles verdrängt. Nur selbst dann muss es irgendwo zu spüren sein.
Eine meiner Schwestern fing mit dem Bettnässen wieder an ,die andere hat rebelliert, ist aufsässig geworden und dann gab es noch ….

. Ich mag Unglück nicht; das Gegenteil wäre Glück, sprich die Arbeit im Bergwerk, die Knochen krümmt und Lungen verklebt.
So doppeldeutig: Nach dem Unglück kommt das Leben.
( Weil das Gegenteil von Glück nicht Unglück ist sondern … )

Ich wünsche dir einen schönen Abend
Liebe Grüße CoK

 

Hallo @peregrina :-)

vielen Dank für das Lesen und ausführliche Kommentieren!

Da hast du mich aber elegant ins Schwitzen gebracht. Uff. So viele Gedanken habe ich mir beim Schreiben gar nicht gemacht. :-D

Also, ich fange mal an:

Als Vater starb, trainierte ich mein Gleichgewicht. Fuß um Fuß auf der dünnen Schiene, war Profi. Schaute nicht auf Fuß und Schiene, sondern raus auf die Ebene. Als wollte ich den Horizont, den ich erahnte, per ausgleichender Kraft erreichen.
Wenn ich beim Balancieren und dem Unfall des Vaters – so wie es die Zeitform von Haupt- und Nebensatz vorgeben – von einer Gleichzeitigkeit ausgehe, dann ist der Balanceakt nicht mehr als ein Geschicklichkeitsspiel, ein Zeitvertreib für Lea.
Ich denke aber nicht, dass du mir das sagen willst.

Balanciert Lea erst, wenn der Vater schon verunglückt ist, dann könnte es eine Metapher sein, dass das Leben für sie zum Balanceakt wird. Dann steht der Horizont für den Wunsch der Prota frei zu sein, körperlich (diese Gegend verlassen zu können) und geistig (die Trauer nicht zu fühlen).
Natürlich frag ich mich noch, warum du Schiene und nicht Gleis schreibst. Weil du in der Wiederholung des Wortes Schiene in Kombi mit Fuß eine Art Gehbehinderung, eine Fußfessel andeuten kannst, die Leas Freiheitsverlangen entgegensteht?


Lea ist ein Mensch, der den Willen hat, in ein selbstbestimmtes Leben zu gehen. Nur sie weiß noch nicht wirklich, wie. Eher diplomatisch, kommunikativ, ausgleichend oder als Verfechterin der eigenen Linie? Der Tod des Vaters verändert jetzt ihre Herauslösung in ein eigenes Leben: Nicht mehr das Erkämpfen eines eigenen Lebens vom Vater sondern die Abgrenzung gegen die staatliche Fürsorge führt in die Bildung einer erarbeiteten Identität. Eigentlich wollte ich mit dem Balancieren ihren Willen zeigen. Balancieren ist ja eine recht banale Tätigkeit und das Balance-Training nicht sonderlich abwechslungsreich. Aber Lea hat den Willen. Und auch die Arroganz, sich als Profi wahrzunehmen. Lea sollte einerseits sensibel, andererseits aber auch frech, rotzig und altklug, ruhig auch ein wenig arrogant wirken. Aber ausgebildet ist ihre Identität noch nicht, sie steht in der frühen Pubertät. Vielleicht ist sie auch ... gefährlich, gefährlich in dem Sinne, dass sie noch nicht weiß, wie sie ihre Fähigkeiten zum Erreichen ihrer Ziele einsetzen soll und durchaus bereit ist, zu manipulieren. Ich wollte einen spannungsreichen Menschen, einen, der sich noch sucht. Das Wie, das weiß sie noch nicht.

Aber wie gesagt, so viele Gedanken habe ich mir nicht gemacht. Der Text wurde ja überraschend unterschiedlich gelesen. Vielleicht bin ich da zu pragmatisch, aber ich denke mir: Schön, wenn er gefällt, wenn der eine das oder das liest, ist doch alles prima.

Zur Schiene - @peregrina, das klingt jetzt wie ein sehr, sehr dummer Witz, aber: Ich bin ein Eisenbahnfreund. Ein Gleis besteht aus Schwellen, zwei Schienen sowie Schienenbefestigungsmitteln *beschämt wegschau*. Da bin ich sehr technisch. In meinen Texten, egal was ich schreibe, werden immer technisch korrekte Eisenbahnfachwörter auftauchen, so. Da bin ich Freak. Damit das mal klar ist. So. :-D

Dünne Schiene, das wirkt passender auf mich, das hat schon etwas zerbrechliches, von dünnem Eis.

Weiterschauen also. Das hieß ein Jahr später: An Orten leben, in denen die Möbel wie Gebäude heißen: „Einrichtung“.
Den Satz hätte ich ja total gedreht, hängt wahrscheinlich mit meinem Glättungswahn
zusammen: An Orten leben, wo die Gebäude heißen wie Möbel: „Einrichtung“.
Vielleicht magst du mir erklären, warum du dich für die Variante entschieden hast?
Hm ja, hier habe ich es abgewandelt, da steht jetzt: An Orten leben, wo die Gebäude wie die Möbel heißen. Klingt flüssiger, vielen Dank für den Hinweis.
wenn ich vom Bett durch das Seitenfenster schaue, nur den Raben, den sah ich nie.
schaute
Danke! Mensch, das verschwundene "t"!

Der Punkt bleibt stehen. Ich fixiere ihn. Der Punkt steht, zieht plötzlich kopfüber zum Boden, freien Fall ins Hellblau.
Guter Tag. Bin zufrieden.
Die Kraft der Gedanken?
Der Rabe bringt Zerstörung, Tod und Leid, aus heiterem Himmel, genau.
Aber da es für deine Prota nicht mehr schlimmer kommen kann, sieht sie der zu erwartenden Katastrophe gelassen und froh entgegen.
Hm, die Kraft der Gedanken ... vielleicht bin ich da zu kompliziert. Ich dachte eher, dass Lea für sich einen Abschluss findet. Was auch immer dort abstürzt - Lea findet damit ihren eigenen Abschluss, sie findet eine gewisse Zufriedenheit. Aber ich erkenne den Punkt, so wirklich klar wird das nicht.

Ich hoffe, liebe @peregrina, ich konnte dir und mir etwas helfen! Falls du weitere Fragen hast - ruhig fragen.

Vielen, vielen Dank für's Kommentieren :-)

***

Hallo @Silvita :-)

ein Dank für das Lesen und ein Dank für das Kommentieren!

Womit du auch den Finger direkt in die zentral klaffende Wunde des Textes legst: Emotionale Nähe.

Ich kann Dir nicht sagen, ob es an dem ungewöhnlichen Schreibstil liegt oder ob das von Dir bewusst so gehalten wird. Die Geschichte regt auf jeden Fall zum Nachdenken an.
Nein, bewusst habe ich das nicht so gehalten. Ich glaube, es ist eher der Schreibstil. Das wurde schon mehrfach gesagt, dass die Emotionen fehlen. Andererseits ... der Text ist aus Leas Sicht geschrieben, es ist mehr eine Lea, wie sie sich auch sehen will und sehen möchte. Sie betont ihre Stärke, ihren Willen, auch ihre Abgeklärtheit und Arroganz. Lea, das ist einerseits ein sensibler Mensch, andererseits jemand, der sich noch sucht und von einem Willen getragen wird. Ich dachte, dass vielleicht über den Raben symbolisiert wird, dass sie den Tod mehr verdrängt denn verarbeitet hat. Klingt alles leider sehr unschlüssig :-(

Ihr fehlte der Drive, der Mut, aktiv zu hassen, sie mochte das nicht und das war ihr Fehler.
Ich habe nicht verstanden, warum sie denkt, die Therapeutin müsste aktiv hassen können.

Hm, hier hatte ich gehofft, dass das Emotionale stärker zum Tragen kommt. Lea erkennt, dass die Therapeutin ihr Ziel, Vertrauen zu erwecken, nicht erreicht. Aber Lea will im Leben Ziele erreichen. Lea schwankt: Sie weiß nicht, welche Strategie sie wählen soll, wie sie ihr Ziel erreicht: Auf eine diplomatisch, kommunikative, ausgleichende Art oder kämpferisch, entschlossen, vielleicht sogar aggressiv. Lea sollte nicht sympathisch sein. Hier glaubt Lea, dass letztere Strategie die bessere Wahl ist. Das Scheitern der Therapeutin erklärt sie sich so, dass die Therapeutin zu nett, zu diplomatisch, zu schematisch arbeitet. So will Lea nicht sein: Sie empfiehlt der Therapeutin, aktiv zu hassen, die Welt in Gut und Böse einzuteilen.

Macht das Sinn? Ich hoffe es ^^.

Liebe @Silvita, vielen Dank für deinen Kommentar und die hilfreichen Hinweise.

***

Hallo @Fliege :-)

Vielen Dank für das Lesen und den Kommentar. Da kann ich mich nur bedanken.

In-sta-bi-li-siert, ich deutete ein Silbenklatschen an und fühlte mich ihnen ebenbürtig.
Darüber habe ich mich ein wenig gewundert, weil ich so das Gefühl hatte, eben nicht.
Dort steht jetzt: "Ich formte das Wort nach: In-sta-bi-li-siert, ich deutete ein Silbenklatschen an und sank auf ihr Niveau." Vielleicht wird es jetzt klarer.

Zur linken die freien Plätze für uns Waisenkinder.
Sie bezeichnet sich hier selbst als Waisenkind. D.h. sie hat ihre Mutter jetzt auch sterben lassen. Nun doch. Keine Einladung mehr nötig. Weiß nicht, wie ich die Wendung finde.
Das habe ich entschärft, dort steht jetzt "Halbwaisen". Ein Wort, schon eine andere Geschichte.

Liebe @Fliege, vielen Dank für Deine Hinweise und für den schönen Kommentar :-)

***

Hallo @linktofink, das wird erst morgen etwas, aber vielen, vielen Dank für deine Hinweise schon mal :-) Bringst mich ins Schwitzen! Aber heute, du, ich bin freue mich sehr auf mein Bett.

****

Liebe @CoK :-)

du hast eine PN von mir!

Lg
kiroly

 

Nabend @kiroly,

Sie trugen aus den Stollen einen tiefblauen Staub in die heimischen Hütten.
Ein schönes Bild, gefällt mir. Überhaupt kreierst du eine dichte Atmosphäre mit dem ganzen blauen Staub, der sich durch die Geschichte zieht.

Bei Vater dachte sie: Ach je, auch der, und weiter gemeißelt.
"..., und meißelte weiter." oder "und hat weiter gemeißelt"? Finde es klingt so etwas seltsam.

Für mich wirkt Leas Verhalten sehr gefasst, sehr unemotional. Klar, sie wurde in eine Ohnmacht gedrückt, aber das klingt zumindest für den Leser eher abstrakt und nicht sehr emotional. Das lässst mich darauf schließen, dass sie ihrem Vater nicht besonders nah war. Das würde - neben der Symbolik - auch den Titel erklären. Eigentlich ist sie nur genervt von dem ganzen Opfer-Kram...sie wird zu etwas gemacht, das sie nicht sein will, ihr wird eine Rolle zugesprochen, die sie einzwängt und ihr nicht erlaubt, sie selbst zu sein.

Ich versuche Vaters Vornamen und meinen Nachnamen zu erkennen
Das wird für mich auch hier deutlich, diese Distanz.

über dem Gedenkstein fünfzig, sechzig Grad Süd, weit zieht er einen Bogen, einen sehr weiten, entfernten Punkt.
Die Bezeichnung der Position finde ich seltsam...das impliziert, dass sie ziemlich genau die Himmelsrichtung lesen kann, und das mit Grad Süd klingt schon fast militärisch...passt für mich nicht ganz.
Auch das "entfernten Punkt" am Ende wirkt komisch. "...zieht (der Punkt) einen bogen, einen (...) Punkt." Der Punkt zieht einen Punkt? Check ich nicht...

Der Punkt bleibt stehen. Ich fixiere ihn. Der Punkt steht, zieht plötzlich kopfüber zum Boden, freien Fall ins Hellblau.
Guter Tag. Bin zufrieden.
Klingt für mich nach so etwas wie der endgültigen Überwältigung: Der Vater bekommt seinen Stein, seine Zeremonie und damit fällt der (Unglücks)Rabe zu Boden, endet in dem gleichen Hellblau wie ihr Vater damals - das Trauma ist überwunden.

Hat mir gut gefallen, vor allem sprachlich, ich mag das Metaphorische, Symbolische. Interessanter Text und sehr kreativ!

Gute Nacht,
rainsen

 
Zuletzt bearbeitet:

Puh, da hast du aber sehr präzise die Säulen erkannt, die das Gewölbe nicht halten,

lieber @linktofink :-)

und vielen, vielen Dank für Deinen Kommentar.

Ich bin ziemlich überrascht, wie unterschiedlich der Text gelesen wird. Der zentrale Kritikpunkt bleibt die emotionale Nähe. Sie bezieht sich auf die Verdrängung und Verarbeitung des Tods vom Vater. Lea bleibt sehr fern, cool, abgeklärt, was den Tod ihres Vaters angeht.

Beim Schreiben der Geschichte ging es mir aber weniger um den Verarbeitungsprozess einer 14,15-jährigen sondern um ihren Kampf für Autonomie und Selbstbestimmung. Das sollte zentrales Thema sein. Ihr wird die Selbstbestimmung durch die LAPAL-Opferhilfe genommen. Die LAPAL-Opferhilfe kann Lea nur als Opfer betrachten. Eine andere Rolle ist für sie nicht vorgesehen. Das will Lea aber nicht akzeptieren. Sie hat den Willen, sich aus der Opferrolle herauszuarbeiten, sie formuliert es auch, sie reagiert trotzig. Wahrscheinlich denke ich zu kompliziert, aber: Der Kampf ist ihre Art, den Tod des Vaters zu verdrängen. Die Machtlosigkeit, die sie dem Raben gegenüber erfährt - dem Unglücksboten - will sie nicht empfinden. Daher ihre Abneigung gegen Therapie, gegen eine Einrichtung, in der alles von der LAPAL-Opferhilfe bestimmt wird. Daher auch das seltsame Ende, ein Gedenkstein wird eingerichtet, die Halbwaisen haben ihre Plätze einzunehmen. Sie haben sich gemäß einer Opferrolle zu verhalten - das ist das, was Lea nicht will.

Selbstbestimmtes Leben, Lea ist 14, 15, pubertär, sie hat den Willen, sich aus der Welt, in der sie lebt, herauszuarbeiten. Sie weiß aber noch nicht wie:

Was meinst Du mit "den Horizont mit ausgleichender Kraft erreichen?" Heißt, Prota balanciert und wenn er ausgleicht, erreicht er den Horizont, weil die Hand darüber wippt? Oder ist das Fliegen gemeint? Ich krieg dazu kein Bild.

Nein, an Fliegen habe ich überhaupt nicht gedacht. Das Balancieren sollte ihre Willenskraft beweisen. Es ist ja ein sehr stumpfes Training, das Balancieren. Mein Bild war das einer Schiene, die zum Horizont geht. Da geht es um die Frage, wie sie ihre Zukunft erreichen will. Ausgleichend, diplomatisch oder kämpferisch, "instrumentell aggressiv"? Das muss deutlicher werden, sonst verschwimmt der Text, danke.

Vaters Staub funkelte irgendwie ernster als der helle, kindisch blaue Staub der Abraumhalden
Ernster funkeln? Verbinde ich mit Zorn, seine Augen funkelten vor Zorn. Willst Du das sagen? Der Rabenvater war ein zorniger. Wenn nicht, warum ist das so? Beweis die Behauptung. Vllt. ist er mit Schweiß vermischt und deshalb ernster, weil dunkler?

Der Titel gefällt mir sehr gut, aber - ich werde billig - er ist Effekt. Über die Vergangenheit vor dem Unglück habe ich mir keine großen Gedanken gemacht. Das ist sehr vage, hier fällt es auf die Füße. Der Vater ist nicht böse, er ist nicht wütend. Hm, so gesehen passt der Titel überhaupt nicht. Ich hatte gehofft, dass das verstanden wird. Hier werde ich nochmal arbeiten, die des Vaters stärker herausstreichen. Vielleicht klappts ja.

Vaters Staub funkelte irgendwie ernster als der helle, kindisch blaue Staub der Abraumhalden
Ernster funkeln? Verbinde ich mit Zorn, seine Augen funkelten vor Zorn. Willst Du das sagen? Der Rabenvater war ein zorniger. Wenn nicht, warum ist das so? Beweis die Behauptung. Vllt. ist er mit Schweiß vermischt und deshalb ernster, weil dunkler?

Hier wollte ich den Stolz Leas auf die Arbeit des Vaters darstellen. Eine ernste, wichtige, bewusste Arbeit und keine kindlich-naive. Hm, hat hier nicht funktioniert. Auch das ein Punkt: Wie steht Lea zur Arbeit des Vaters?

Der Wind verteilte ihn über Land, Haut, Kleidung und Gebäuden, bis zum Horizont.
Fände besser, die Aufzählung würde der Blickrichtung folgen. Der Wind verteilte ihn über Haut, Kleidung, Gebäude, blies ihn übers Land bis zum Horizon

Geändert. Merci :-)

Die armen Arbeiterfamilien trugen hellblaue Kleidung, wegen des Waschens, der Wasserpreis, jaja, der Wasserpreis. Ich war nicht arm. Ich trug Weiß. Blaues, dreckiges Weiß. Recht hell.
Du setzt einen Unterschied und relativierst ihn direkt. Das Weiß, das seinen Abstand zur Armut definiert, ist blau, dreckig und recht hell. Ich kann verstehen, dass Du kein strahlendes Weiß nimmst, aber so ist der Unterschied zu der hellblauen Kleidung der Arbeiterfamilien kaum existent. Absicht? Willst Du damit sagen, dass er eigentlich doch nicht so wohlhabend ist, dass der Unterschied marginal ist?

Ja, das war Absicht. Lea will die Armut nicht akzeptieren. Aber sie ist es. Aber sie akzeptiert es nicht. Aber sie ist arm. Sprich, sie changiert zwischen dem, was sie sein will, und dem, was sie ist.

Ein Rabe setzte sich auf das Bergwerk.
Zweimal schlug er mit den Flügen.
Die Räder des Förderturms standen still.
Aber ich sprang von der Schiene und lief in die Siedlung.
Auch hier habe ich noch die Rabenbrille auf. Von der Symbolik her sorgt der Prota durch seinen Flügelschlag dafür, dass der Förderturm stillsteht. Die Assoziation hatte ich. Wäre dann quasi eine aktive Mitbeteiligung.
Oder der Prota ist bedeutungsmäßig raus und der Rabe dient als Symbol für den Tod und Unheil, als böses Omen.
Der Rabe ist Symbol für Tod und Unheil.

Ich hatte nicht das Balancieren gelernt.
Ich hatte die Angst vor einem Ereignis gelernt, das jetzt das, was ich sah, aufriss.
Ist es tatsächlich die Angst vor dem Ereignis? Das ist doch singulär und den Vater kann sie nur einmal verlieren. Wiederholung also ausgeschlossen. Oder sind es die Auswirkungen, die Verluste, die sie erleidet und auch das nur einmal? Sie ist nicht ausbalanciert, hat es nie gelernt. Bevor sie es konnte, starb der Vater. Warum bekomme ich ihre Schlagseite nur so schwer zu fassen
Hm, hm, hm. Ich dachte hier eher an die Angst vor einem Ereignis, dessen Auswirkungen sie nicht kontrollieren kann. Das sehr plötzlich und massiv das eigene Ich destabilisiert.
Aus der Ohnmacht aufwachen.
Sich auf- und abrappeln.
So betont bräuchte es das für mich gar nicht. Was ist das Besondere daran? Eigentlich ist es einfach nur ein Weitermachen, den Bruch gab es doch vorher, als die Angst sie in den blauen Staub schleuderte? Oder ist das die Zusammenfassung des einen Jahres, das seitdem vergangen ist? Da ist mir das "auf- und abrappeln" fast zu schwach, zu niedlich.

Anfangs stand dort etwas anderes, auch das hat MRG zurecht als sehr lapidar wahrgenommen. Mit den Zeilen sollte eine gewisse zeitliche Distanz beschrieben werden. Vielleicht finde ich etwas stärkeres, etwas massiveres, das aber trotzdem ihre Einstellung beschreibt. Muss ja weitergehen. Das ist so ein Satz, den ich zum Beispiel sehr, sehr schätze.
fühlte das Siegel der LAPAL-Opferhilfe im Buchrücken
Auch das sehr schön, fühlte die Lapal im Rücken, sie stärkt den Rücken als Rückhalt.
Aber das ist nicht der Rückhalt, den Lea will. Die Opferhilfe stellt ein Bett zur Verfügung, ein Essen, eine Therapeutin, sie spendet Bücher. Aber super interessant, dass du das so gelesen hast.

Nebenstrecke: Ich hatte anfangs eine Szene, in der der Sohn des LAPAL-Direktors Kuscheltiere in der Einrichtung verteilt. Lea ist aber viel zu alt für ein Kuscheltier. Sie suchte nach einem Raben. Fand sie nicht, und sie entscheidet sich für einen Alligator und ist enttäuscht: Der Alligator kann ja nicht richtig beißen (ist ja aus Filz) und Lea ist enttäuscht über sich, dass sie mitgemacht hat. Aber sie empfindet auch Mitleid mit dem Sohn des LAPAL-Direktors, der eben nicht im Aufsichtsrat der LAPAL sitzt, sondern auf Grund eigener Talentlosigkeit in die Opferhilfe abgeschoben wird.

Nebenstrecke: Die LAPAL hat ja ihre Gründe, so massiv zu helfen. Sie nutzt die Opfer, sie will zeigen, wie wichtig ihr das ist und von eigener Verantwortung auch ablenken. Die LAPAL redet von "Unglück" - dabei war das kein Unglück, es geschah, weil hier der eine oder andere eben geschlampt hat.

Nebenstrecke: Ich hatte auch eine Szene, in der drei Studentinnen aus der Hauptstadt die Kinder für einen Prozess gegen die LAPAL "begeistern" wollten, aber Lea lehnte ab: Sie sah die Hauptschuld im Raben, nicht die LAPAL. Vielleicht ist das das kindliche, was du vermisst? Aber ich hielt Lea für zu reif für diese Perspektive.

neue Kleider von Vater Staat
Vater Staat, der Staat, der für mich sorgt und mir Sicherheit gibt, ist das nicht eine westliche Vorstellung der Industrienationen mit sozialem Netz?

Geändert. Jetzt hilft nur noch die LAPAL-Opferhilfe - "Da, wo Du bist" (nein, das steht nicht im Text)

„Aber …“, führte ich fort und spürte die Blicke der anderen Bewohnerinnen und Bewohner: „Dieses Blatt wird reichen. Ich werde es einfach in zwei Blätter teilen. Ich habe nicht viel zu schreiben. Vater schuldet mir ein Fahrrad. Und Mutter ist immer herzlich eingeladen in der Einrichtung
Klingt schon arg beiläufig, unbeteiligt, kein Kampf, kein Groll, keine Sehnsucht, fast lapidar.
Hm, das äußert sie ja der Therapeutin gegenüber. Sie will ihr zeigen: Ich brauche dein Konzept nicht. Du hast keine Legitimation, ich habe das verarbeitet (was sie in Wirklichkeit nicht hat). Schau, wie lässig ich damit umgehen, wie kontrolliert ich bin.

Und sie will zeigen: Schau, wie hart mein Leben in Vergleich zu deinem ist. Was nimmst du dir in Anspruch, mir helfen zu wollen? Ich will meinen Weg finden.

Aber das scheint nicht so ganz zu wirken. Ich schau mal, was mir einfällt.

Sie lächelte nicht. Sie machte ihren Job ja ganz gut, wenn auch etwas unsicher für eine Psychologin aus der Hauptstadt. Ihr fehlte der Drive, der Mut, aktiv zu hassen, sie mochte das nicht und das war ihr Fehler.
Auch hier, so merkwürdig unkindlich abgeklärt, fast von oben herab, so überlegen, strange.
Wieder habe ich das Bild des Raben vor Augen, der nicht das süße Vögelchen sieht, das so schön tschilpt, sondern das Futter, das Opfer, das er sich gleich einverleibt. Der Rabe, der den Tod bringt.
Hm, hm, das lasse ich. Lea fühlt sich schon überlegen. Sie soll ruhig ein bisschen arrogant sein.
Das mit dem Raben, voll interessant, dass du das so gelesen hast.

ich deutete ein Silbenklatschen an und fühlte mich ihnen ebenbürtig.
Das kenn ich doch? "Not und Leid", Thi. Thi. Thi-mon. Rhythmik als Verstärkung. Aber warum ebenbürtig, wofür der Wettkampf, ich verstehe ihr Ziel nicht? Warum so ein struggle?

Ist geändert. Lea will damit die "Dummheit" des Opferhilfe-Personals darstellen. Silbenklatschen ist ja eine Tätigkeit der ersten Klasse. Lea ist reif, die Opferhilfe nicht. So denkt sie. Das Personal arbeitet schematisch und distanziert, glauben, dass das, was sie tun, auch gut sein muss, weil sie denken, dass das gut ist, weil ihr jemand erklärt hat, dass das richtig und gut ist.

Eine Art Kontaktmetamorphose, die organische Körper einschloss und Vater auf die Größe einer Walnuss schrumpfen ließ, kein Schmerz, kein Leid, ein Zack und aus.
Krasses Bild, und genau so präsentiert: kein Schmerz, kein Leid, so ist es nun mal, zack und aus.
Woher kommt diese Nüchternheit und Gefühl-Stumpfheit? Diese unglaubliche Distanz?

Hm, Distanz als Prozess der Verdrängung? Da fehlt etwas, definitiv, danke für den wichtigen Hinweis. Ihre Distanz entsteht aber auch aus dem Setting, aus der Umwelt, in der sie lebt, eine harte, schroffe (die ganz hübsch ausschaut).

Nebenstrecke: Vor einiger Zeit mussten wir eine Studie lesen, in einer Fortbildung, zum Thema "Unterschiede in der Emotionsregulation zwischen afro-amerikanischen und euro-amerikanischen Kindern". Ein Erwachsener weinte vor den Kindern. Untersucht wurde, wie die Kinder reagieren. Die afro-amerikanischen schauten oft weg, ignorierten ihn oder setzten ihr Spiel fort. Die euro-amerikanischen nicht, sie trösteten. Erklärt wurde das Verhalten mit dem Emotionsüberzeugungen der Mütter. Die Mütter waren der Überzeugung, dass ihre Kinder keine Schwäche zeigen durften, sie hatten sich "durchzusetzen". Das ist ein Muster, dass sich in marginalisierten oder einkommensschwachen Gruppen wohl oft zeigt, keine Schwäche zeigen, mehr Härte und Stärke. Aber gut, jetzt vermixe ich hier Wissenschaft mit Halbwissen. Nicht gut. Nur, für mich, hat das Sinn gemacht.

die Fernsehkamera auf Off, sie denken uns für lange Zeit als Opfer.
Was sie auch sind, oder nicht? Den Punkt kriege ich nicht ganz klar, dieses Ablehnen der Opferrolle, okay, irgendwann verständlich, aber warum tropft das alles so an ihr ab? Ich verstehe, dass ein Trauma eine Taubheit hinterlässt, aber warum bleibt das so und warum setzt sie sich cool darüber hinweg?
Stichpunkt emotionale Nähe. Ich arbeite dran. Ich kann mir Lea in einem sozialen Kontext nicht emotional vorstellen. Dazu passt meiner Ansicht nach das Setting nicht: Eine Bergwerkssiedlung, eher ärmlich, marginalisiert, das ist eine Welt, in der Stärke gezeigt werden muss.

Plötzlich sehe ich einen kleinen schwarzen Punkt im Himmel
Der Punkt steht, zieht plötzlich kopfüber zum Boden, freien Fall ins Hellblau.
freier?
Das Omen ist zurück und was tut es da? Ich wringe meinen Verstand aus.
Was bahnt sich an? Der Rabe als Symbol und Verursacher des Unglücks durch seinen zweimaligen Flügelschlag verabschiedet sich, stirbt, kann keine Unheile mehr verkünden, Thema erledigt?

Ja, an sich schließt sich der Kreis. Lea glaubt, hier Macht ausüben zu können, die sie ja gar nicht hat. Sie sieht den Raben als Verursacher. Er stirbt, jetzt hat Lea ... Rache genommen? Hm, das Ende ist unschlüssig.

Lieber @linktofink,

ganz, ganz vielen Dank für deine enorm wertvollen Hinweise. Kann ich sehr gut gebrauchen. Ich arbeite dran. Ich hoffe, einiges wird jetzt klarer.

***

Hallo @CoK :-)

danke für das Lesen und das Kommentieren des Texts. Zurecht sprichst du den Punkt emotionaler Nähe an. Ich werde schauen, was sich machen lässt.

Der Text wurde auch inhaltlich sehr unterschiedlich gelesen, auch interpretiert. Gerade der Balanceakt zu Beginn. Ich verstehe das, ich habe aber nicht vor, eine ganz bestimmte Interpretation zu präsentieren. Da bin ich pragmatisch, wenn der Text gefällt, schön, wenn nicht, schade, schauen, was sie ändern lässt.

Rabenvater
Warum der Titel? Hat sich der Vater nicht um das Kind gekümmert?
Oder bezeichnet ihn Lea jetzt so, weil sie aus ihrem Nest geworfen wurde und jetzt in einer Einrichtung lebt?

Ehrlich gesagt, er sollte die Leserin ein wenig auf die falsche Bahn führen. Ich habe sehr einfach gedacht: Ein Rabe, ein Vater. Aber ich merke, nicht immer hat das funktioniert. Über die Vergangenheit habe ich mir gar nicht so viele Gedanken gemacht, ich schau mal, was sich machen lässt.

Ich hatte nicht das Balancieren gelernt
Warum dann hier nicht mehr?

Sie sollte lernen, wie sie mit einem plötzlichen Ereignis umgeht, das ihr Leben umherwirft. Das Balancieren wird geht von einer physischen Handlung ins Abstrakte, ja sie muss Balance halten. Aber ganz sicher, gebe ich zu, war ich mir nicht. Bin ich unschlüssig, lasse ich was bewusst im vagen? Ich glaube hier schon.

Während des Lesens habe ich mich gefragt, wie alt deine Protagonistin ist?
Es war mir nicht möglich ihr Alter einzuschätzen.
Ich hatte an eine 14- bis 15-jährige gedacht.

Vielen Dank @CoK für's Lesen und Kommentieren! Eine PN hatte ich dir ja noch geschickt!

Lg
kiroly

***

Eine wunderschönen, frostig blauen Sonnabend-Morgen @rainsen :-)

heute ist wieder Demotag in Leipzig. Bin gespannt!
Das nur als Nebensache.

Vielen Dank für das Lesen und das Kommentieren der Geschichte. Freut mich, dass dir die Sprache gefallen hat.

Für mich wirkt Leas Verhalten sehr gefasst, sehr unemotional. Klar, sie wurde in eine Ohnmacht gedrückt, aber das klingt zumindest für den Leser eher abstrakt und nicht sehr emotional. Das lässst mich darauf schließen, dass sie ihrem Vater nicht besonders nah war. Das würde - neben der Symbolik - auch den Titel erklären. Eigentlich ist sie nur genervt von dem ganzen Opfer-Kram...sie wird zu etwas gemacht, das sie nicht sein will, ihr wird eine Rolle zugesprochen, die sie einzwängt und ihr nicht erlaubt, sie selbst zu sein.

Emotionale Nähe, da muss mehr kommen. Ich gebe zu, ich hatte mir über das Vater-Tochter-Verhältnis gar nicht so viele Gedanken gemacht. Ja, Rabenvater scheint nur bei einer gewissen Distanz Sinn zu machen. So ganz klar wird das nicht, ich weiß auch nicht, ob das so klar sein kann, da ist ein hohes Maß an Ambivalenz in Lea.

über dem Gedenkstein fünfzig, sechzig Grad Süd, weit zieht er einen Bogen, einen sehr weiten, entfernten Punkt.
Die Bezeichnung der Position finde ich seltsam...das impliziert, dass sie ziemlich genau die Himmelsrichtung lesen kann, und das mit Grad Süd klingt schon fast militärisch...passt für mich nicht ganz.
Auch das "entfernten Punkt" am Ende wirkt komisch. "...zieht (der Punkt) einen bogen, einen (...) Punkt." Der Punkt zieht einen Punkt? Check ich nicht...

Ich glaube, ich mache zum Ende klar, dass das der Rabe ist. Ich hatte noch ein anderes Ende im Kopf, sie verlässt die Einrichtung und sieht einen toten Raben aus der Scheibe eines Busses. Vielleicht macht das auch mehr Sinn. Das Ende ist recht schwach. Es ist sehr gestelzt-symbolisch. Hier geht es um die Verarbeitung eines Traumas, klar, aber auch um den Versuch, Macht zu erhalten, die keine ist. Lea kann ja den Punkt nicht kontrollieren. Das ist das, was Lea so schmerzt, diese Machtlosigkeit, die sie empfindet. Aber sie lügt sich vor, sie könnte es. Auch eine Botschaft: Ich kann nicht alles im Leben kontrollieren. Ich kann es akzeptieren oder ich will es nicht akzeptieren.

Militärisch, jetzt wo du es sagst - absolut. Sehr militärisch sogar. Oder astronomisch. Instrumentell. Der gefühlsferne Mensch. Ich gehe den Text nochmal durch, das werde ich ändern.

Vielen Dank :-)
kiroly

 
Zuletzt bearbeitet:

@kiroly, ich hab nochmal über diese Rabensache nachgedacht.
Gesetztes Leitmotiv: den Vater sieht sie als Rabe, Lea ist im Selbstbild die Rabentochter. Das wäre dann für mich übrigens auch der Titel.
Ausgangssituation: Die Rabentochter will das Fliegen lernen, will flügge werden, deshalb übt sie balancieren, als Vorstufe der Ablösung, um vom Boden wegzukommen.
Der Rabe auf dem Förderturm kündigt als Omen den Tod des Vaters an, ist mit diesem verbunden. Als er zweimal mit den Flügeln schlägt, fällt die Rabentochter von der Schiene und landet im Blaustaub. Als sie wieder aufschaut, ist er weg und der Vater tot.
Fortan sucht sie ihre Identität als Rabentochter unter Menschen. Sie versteht, dass sie anders ist. So wäre ihre Distanziertheit, ihr ver-rückter(im Wortsinn) Standort in den Maßnahmen der Opferhilfe nachfühlbar. Sie passt nicht in das System, allein begründet durch ihre Natur, nicht durch altkluge Arroganz. Sie wäre eine Suchende nach sich selbst, nach dem, was in ihr ist, keine Blockierende.
Und ganz allmählich macht sie die ersten Flügelschläge, lernt sich in die Lüfte zu erheben, die Schmerzen wegzuflattern und die Welt von oben zu betrachten. Und sie lernt sich als jemand Besonderes im Gefüge des Dorfes zu begreifen. So könntest Du sie emotional verankern. Und auch die anderen erkennen sie, sehen das, was sich in ihr verbirgt, diesen unabhängigen Geist, der fliegt und wahren Distanz aus Angst?
Der Vater ist der Rabe, der verschwand und immer, wenn er wieder auftaucht, hinterlässt er eine Spur aus blauem Staub als Verknüpfung zur Vergangenheit, auch anfangs kann er schon den Staub durch Flügelschläge aufwirbeln oder so. Er beobachtet und begleitet ihre Flugversuche, ist immer da, wenn sie ihn braucht, kreist über ihr, bietet ihr Geleitschutz und Bindung. Und als sie das Fliegen mit ihrem Geist gelernt hat, als sie sich gefunden hat, verabschiedet er sich endgültig.
Nur mal so als Gedankenlinie, will Dich da in nichts reinreiten, peace, l2f

ps. die Rabentochter könnte sich manifestieren, indem sie Sandbilder mit ihren Flügeln/Armen in den Staub zeichnet. Durch das, was sie zeichnet, erkennen die anderen ihre Natur, ihren erhöhten Standort und das fördert die Angst. Was fürchten wir? Auch das, was wir nicht verstehen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @kiroly

Als Vater starb, trainierte ich mein Gleichgewicht.
Ziemlich irritierend diese Gleichzeitigkeit. Weil man sofort daran denkt, dass das Ich sein Gleichgewicht eigentlich finden müsste, nachdem der Vater gestorben ist.
Fuß um Fuß auf der dünnen Schiene, war Profi. Schaute nicht auf Fuß und Schiene, sondern raus auf die Ebene.
Irritierend auch diese Wiederholung. Dann auch noch negiert. Das Bild, das in meinem Kopf entsteht, ist, wie Lea auf Füsse und Schiene blickt. Brauchst du diese Wiederholung, könnte Lea nicht einfach auf die Ebene blicken?
Als wollte ich den Horizont, den ich erahnte, per ausgleichender Kraft erreichen.
Wieso erahnt sie den Horizont nur? Wenn sie geradeaus blickt, müsste sie ihn doch sehen. Wäre mir wohl nicht aufgefallen, wenn du vorher nicht so explizit geschrieben hättest, dass sie nicht auf die Füsse blickt. Dann hat mich das "ausgleichend" irritiert. Es ist ja eine ganz andere Art von Hemmnis, die es zu überwinden gilt, wenn man das Gleichgewicht halten muss, als wenn man von A zum Horizont gehen will. Es hängt zusammen, klar, aber es handelt sich gewissermassen um zwei verschiedene Vektoren.
Insgesamt fand ich den Anfang etwas gewollt und ein bisschen too much. Im Rest des Textes hatte ich diesen Eindruck dann weniger.
Sie trugen aus den Stollen einen tiefblauen Staub in die heimischen Hütten.
Das hat mich dazu gebracht, mir Bilder und Videos von Lapislazuli-Minen anzuschauen. Ich sehe da nur grauen Staub. Bestimmt hast du länger recherchiert oder kennst dich eh schon aus. Ist es wirklich plausibel, dass man mit blauem Staub an den Kleidern nach Hause kommt?
Vaters Staub funkelte irgendwie ernster als der helle, kindisch blaue Staub der Abraumhalden.
Und auf den Abraumhalden liegt ebenfalls blauer Staub? Das klingt so, als bestünde das gesamte Gestein aus Lapislazuli. Aber dem ist ja nicht so. Grau, grau, grau und dazwischen ein paar blassblaue Steine. Aber, wie gesagt, ich lasse mich gerne eines Besseren belehren.
Der Wind verteilte ihn über Haut, Kleidung, Gebäuden und Land
Intuitiv: Gebäude. (Wohin? - Über die Gebäude / Wo? - Über den Gebäuden)
Der Wind verteilte ihn über Haut, Kleidung, Gebäuden und Land, bis zum Horizont.
Diese Wiederholung lässt mich nach einer gemeinsamen Fluchtpunkt von Leas Balanceübungen und dem Staub, der sich verteilt, denken. Ich kann den aber nicht so recht greifen.
Die Räder des Förderturms standen still.
Gibt es in Lapislazuli-Minen Fördertürme?
Aus der Ohnmacht aufwachen.
Sich auf- und abrappeln.
Muss ja weitergehen.
Fand ich im Vergleich zu der analogen Stelle deutlich weniger eindringlich und mir hat sich nicht ganz erschlossen, weshalb du für diese eher profanen Gedanken dieselbe Form gewählt hast.
antworteten sie freundlich, mit einem Huch-du-armes-Kind und Ich-will-gut-sein in Stimme und Ausdruck.
Für mich passt das nicht so recht in den knappen Duktus des Textes und zu Leas lakonischem Tonfall.
Hoffnungen wecken, aber nicht die, die nur enttäuschen können.
solche?
In den Einrichtungen sprachen sie ja nie vom Tod meines Vaters. Sondern über ihn. In eintausendeinhundert Metern Tiefe sei im Schacht drei eine Kalksenke angefahren, ein ehemaliger See aus der Zeit eines geologischen Massensterbens, nur welches, das vergaß ich oft. Das lockere Seesediment habe den Schacht „instabilisiert“. Keine Zeugen, alle tot. Ich formte das Wort nach: In-sta-bi-li-siert, ich deutete ein Silbenklatschen an und sank auf ihr Niveau.
Je nach Zeit und Geschmack bastelte ich Geschichten zusammen, der Kern blieb: Ein leichtes Sterben sei das, in eintausendeinhundert Metern Tiefe. Eine Art Kontaktmetamorphose, die organische Körper einschloss und Vater auf die Größe einer Walnuss schrumpfen ließ, kein Schmerz, kein Leid, ein Zack und aus.
Bärenstarker Abschnitt. Der hat mich gecatcht, weil ich Lea hier - trotz aller Reserviertheit und obwohl ich praktisch nichts über ihr Verhältnis zum Vater weiss - sehr gut spüre.
Weiterschauen also. Das hieß ein Jahr später
Am ersten Jahrestag des Unglücks weihen ein Priester, ein LAPAL-Direktor, ein Minister und eine andere Frau Vaters Grab ein.
Das hat mich etwas verwirrt. Vielleicht oben: Ein halbes Jahr später oder so, damit die Chronologie klar bleibt.

Den Schluss habe ich nicht so recht verstanden. Sie sieht den Raben (nehme ich an). Aber weshalb gerade jetzt? Wenn der Rabe, den sie vorher nicht sehen kann, auf so etwas wie einen Zugang zum Vater und dessen Tod verweist und - so lese ich den Text - die institutionelle Psychologiemühle mit ihren technischen Verfahren ihr diesen Zugang nicht verschaffen kann, weshalb eröffnet er sich ihr gerade in diesem formellsten und ritualisiertesten Zeitpunkt, den man sich vorstellen kann?

Ja, ein eigenwilliger und besonderer Text. Wir erfahren nur äusserst wenig Explizites über Leas Gefühlswelt und noch weniger über ihr Verhältnis zum Vater. Das ist in sich stimmig und du schreibst da ganz abseits der üblichen Konventionen, was ich gut finde. Der einzige Hinweis zum Verhältnis zwischen Vater und Tochter findet sich im Titel, den ich in dieser Hinsicht als nicht besonders geglückt betrachte. Zu sehr hat er mich während der Lektüre begleitet und mich immer wieder fragen lassen, wie genau er gemeint ist und weil die stärkste Assoziation letztlich im Text keinen Anker findet, empfand ich den Titel insgesamt als irreführend.

Ein sehr guter Text, der mich aber nicht ganz vom Hocker gehauen hat, weil mir am Ende doch etwas die Eindringlichkeit gefehlt hat, die Tiefe in der Figur Leas. Freilich muss diese Tiefe - das ist ja das Konzept - nicht ausgeleuchtet werden. Aber für meinen Geschmack hättest du zumindest den Vorhang vor Leas Seele noch etwas stärker lüften können. Weil du das nicht tust, muss der Rabe und überhaupt das Symbolische eine ziemlich grosse Last tragen, wenn es darum geht, der Geschichte insgesamt Tiefe zu verleihen, und das kann schnell mal den Eindruck des Gewollten hervorrufen. Bin da aber vielleicht auch überempfindlich.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

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