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Radiojingles
Ungefähr 200 Affen sitzen angekettet vor Schreibmaschinen und hacken auf ihnen herum. Herr Schneider läuft zwischen den Reihen hin und her, bis er etwas findet. "Hier, sehen Sie mal: `Der beste fifty-fifty-Mix`! Was halten Sie davon? Garnicht so schlecht, oder?!" Seine Sekretärin nickt entnervt mit dem Kopf, was Herr Schneider nicht mitbekommt, da seine Blicke fahrig über Blätter Papier streifen. Aber an diesem Tage ist die Ausbeute eher bescheiden, nur ein verwertbarer Satz, und so hebt die Sekretärin das achtlos auf den Boden geworfene Blatt vom Boden auf, wo zwischen dem Wust sinnloser Zeichen der Satz über den Mix auftauscht, und steckt es in die hierfür vorgesehene Tasche. Sie kehrt in die Agentur zurück, alleine, da Herr Schneider den erfolgreichen Affen noch füttert und die anderen auspeitschen lässt. Sie ruft in der Redaktion eines Radiosenders an, der wegen einem neuen Jingle angefragt hat. "Ja, unsere kreative Abteilung war mal wieder erfolgreich, hören Sie mal ..."
"Wir spielen die beste Musik überhaupt, und deswegen hört Ihr uns ja" - übersetzen, übersetzen - "Wir spielen die beste an musik alle, und folglich hören Sie" - übersetzen, übersetzen -
"Wir spielen das beste alles an musik dieses und hören folglich sie" - übersetzen, übersetzen - "Wir spielen die Superhits der Achtziger und Neunziger und das Beste von Heute - einfach mehr Abwechslung!" Völlig übermüdet blickt Manfred auf den Bildschirm, und es braucht etwas länger, bis sich der Sinn des Satzes den Weg in die Windungen des überreizten Denkapparates bahnen kann. Seit neun Stunden sitzt er schon vor dem Bildschirm und übersetzt mit Hilfe des Babelfisches einen Satz ins Englische, nur um ihn sofort wieder ins Deutsche zurück zu übersetzen. Das er bei diesem Satz nicht wieder geklickt hatte, verdankte er nur seiner geschulten Intuition, denn lesen, dass konnte er die Ergebnisse seiner mühsamen Arbeit schon lange nicht mehr an diesem Tag. Endlich versteht Manfred sein Werk, und ein Gefühl totaler Erfüllung breitet sich wie das Feuer eines Schlucks guten Korns in seinem Inneren aus. Er schiesst einen Screenshot, schreibt dann drei Überstunden auf, und legt sich auf sein Schlafsofa. Morgen würde er dem Radiosender Pflichterfüllung melden können, denn sein Jingle ist, das weiß der erfahrene Jingletexter jetzt schon, ein Meisterstück ...
Ein Meeting, in dem man kein Ergebnis erzielt, ist ein Grauen. Herr Kanthuber sitzt am Tischende, das Kinn auf den linken Unterarm gestützt, fährt er sich mit der Rechten Hand durch das zerzauste Haupthaar. Die Augen sind gerötet, und er wirft ein "Na, schlag doch jemand mal was vor hier!" in die Runde. "Wir spielen gute Musik!". Er macht sich eine gedankliche Notiz, das Gehalt der Frau Meier um 10% zu kürzen und sagt:"Den Vorschlag hatten wir schon vor drei Stunden. Ich brauche etwas NEUES, etwas KREATIVES". Der Unmut, seine Verzweiflung brechen völlig unkontroliert aus ihm heraus, er faltet seine Arme auf dem Tisch und legt den Kopf darauf. Leise Schluchzer schütteln den einst so energischen und grossen Mann. Da spricht plötzlich zaghaft ein Lehrling, der schüchtern in der Ecke sitzt, die Hände in den Schoss gelegt:"Das beste aus Rock, Pop und Dance von den Achtzigern bis morgen ". Die Wirkung ist unglaublich. Herr Kanthubers Kopf schiesst hoch, seine Augen fixieren den Jungen:"Deswegen brauchen wir frisches Blut in der Firma. Genau DESWEGEN!". Das Blut schiesst in die Wangen des Mannes, der ganze Körper strafft sich spürbar, und mit der flachen Hand schlägt Herr Kanthuber auf den Tisch, dass die lethargisch vor sich hin brütende Belegschaft aufschreckt. "Die rechts von mir sitzen, die sind alle entlassen! Und euch anderen,", er dreht den Kopf nach links, "euch kürze ich das Gehalt um die Hälfte! Danke, die Sitzung ist beendet. Wir haben unseren Jingle."
So und nicht anders wird Radio gemacht. Die Musik stellt sowieso überall derselbe Computer zusammen.
Ach ja, XXX (Sendername aus irgendwelchen Gründen unkenntlich gemacht. Er ist sowieso egal, dass ist überall in D. genauso wie bei uns im Norden). Dieser Sender stellt immer wieder Rekorde der Verdummung auf. Was sollen denn Superhits darstellen, bitteschön? Kann es nicht sein, dass durch inflationäre und unangemessene Verwendung eines Begriffes dieser seinen Sinn ändert bis hin zum Verlust der ursprünglichen Bedeutung? Wo kenne ich das Phänomen denn noch her? Hmm ... Jetzt fällt es mir wieder ein: Im ehemals sozialistischem Osten, wo die Partei- und Staatslenker bei jeder Gelegenheit - nein, nicht das Wort Superhit, aber doch den Begriff "Frieden" absonderten wie Schnecken die Schleimspur, da stellt man heute fest, dass die Reaktion der Bewohner auf die Nennung des Wortes "Frieden" eine mehr desinteressierte, ja fast ablehnend bis feindselig zu nennende Haltung provoziert. Wenn man mich an einen Lügendetektor anschliessen täte, dann würde er ausschlagen, sobald ich das Wort "Superhit" zu hören bekäme - alleine aufgrund meiner feindselig-entsetzten körperlichen Reaktion darauf.
Ja, was genau sind "Superhits"? Ich würde aufgrund meines gesunden Menschenverstandes schliessen, dass es sich um eine stärkere Version des "Hit" handelte, wobei ich die originäre Bedeutung "Schlag" mal beiseite lasse, also von bekannten und allseits beliebten Musiktiteln. Da würde sich zum Beispiel Michael Jackson "Thriller" anbieten, oder andere Musikstücke der Populärkultur, die ähnliche Verbreitung gefunden haben. Aber niemals "It´s my life" von Bon Jovi oder Dr. Alban oder von wem auch immer! Durch diese übermässige Verwendung des Ausdrucks "Superhit" ist der Superlativ jedoch völlig ausgelutscht, und jedes noch so mittelprächtige Dudelliedchen ist ein moderner Klassiker der Popmusik, jedenfalls bei XXX.
Aber es geht noch weiter: Warum gibt es einen Superhittip? Warum wird ein glattgebügeltes Mainstreamlied als der neue Kracher gefeiert? Ich meine, hier ist die Meinungsindustrie (quasi vorrauseilender Gehorsam für einen gewissen Dieter G.) unverblümt und ungeschönt am Werk, und verkauft uns alle (oder alle, die es wollen) für dumm. Kann ich mir denn nicht eine eigene Meinung bilden? Die Frage ist natürlich rein rethorisch, denn alles, was im Hittip präsentiert wird und wurde ist natürlich Kaufhausmucke in Perfektion und deshalb per definitionem schlecht (Man müsste sich den Hittip als Newsletter abonieren können, dann wüsste ich schon vorher, was ich mir auf keinen Fall kaufen werde).
Ist eigentlich jemals einem Verantwortlichem bei XXX aufgefallen, wie scheisse ihr Claim (oder Jingle) überhaupt klingt? "Wir spielen die Superhits der Achtziger und Neunziger und das Beste von heute. Echte Abwechslung". Jaja, ist schon klar. Mir gefällt irgendwie das völlig unmotiviert gesetzte "Echte Abwechslung" wirklich gut. Manchmal muss man gewisse Leute daran erinnern, dass Unwahrheiten auch nicht durch vieltausendfache Wiederholung wahrer werden.
Ich breche mal an dieser Stelle meine Versuche ab, das eben gehörte in irgendeiner Form zu verdauen, mir ist nämlich schon ganz schlecht. Ich sage nur, Leute, wenn ihr wirklich an Musik interessiert seid, schaltet auf gar keinen Fall XXX ein. Das wirklich Traurige dabei ist, dass man auch keinen anderen der grossen Sender einschalten kann, vor allem nicht tagsüber. Denn XXX ist nur die Spitze der Radioverdummung, alles, was hier steht, gilt auch für einen Grossteil der im Norden vertretenen Radiostationen: XXX 2, XX 4, die ganze AnteXXenscheisse, Radio WXr Von HXer (Wen darf man eigentlich für diesen Sendernamen exekutieren?), und was da noch so rumkreucht. Das ist nämlich das Traurige: Denn so völlig am Hörer vorbei kann das Programm garnicht konzipiert sein, nur leider sind wir, mein geneigter Leser, wohl kaum die angepeilte hippe und junge und dumme und mit einer Aufmerksamkeitsspanne von fünf Sekunden gesegnete Hörerschaft, die es wirklich und wahrhaftig schafft, XXX und Konsorten gut zu finden und (Kein Witz! Eher eine Tragödie) anhand der Jingles auseinander zu halten.
Guten Abend.