Regentropfen
Sein sabbernder Blick klebte an meinem Körper. Angewidert setzte ich mich auf den letzten freien Platz des überfüllten Zuges.Ich spürte seine lüsternen Augen auf meinen Beinen und drückte mich fester gegen die Armlehne, die in den Gang hinauszeigte. Ich fühlte den kalten Schweiss auf meiner Stirn. Meine Finger zitterten.
Ich starrte auf den Hinterkopf der vor mir sitzenden Frau. Sie hatte eine Schleife im Haar. Ich hatte auch eine als ich klein war, eine sosafarbene. Ich bekam sie an meinem ersten Schultag von meinem Vater. Jeden Morgen, wenn er mit dem Auto zur Arbeit fuhr, mir auf meinem Schulweg zuwinkte und dann in die Hauptsrasse einbog, riss ich mir die Schleife vom Haar und warf sie ins Dickicht.Ich hasste sie. Ich hasste ihn.
*Entschuldigen Sie die Störung, aber könnten Sie mich vorbeilassen?* Wie betäubt stand ich auf, liess ihn durch und setzte mich ans Fenster.Der Sitz war noch warm, ich ekelte mich.
Ich sah den Mann mit einer Zeitung über dem Kopf zum Wartesaal des Bahnhofs rennen.Es regnete stark.Ich hatte mir nicht gerade den schönsten Tag ausgesucht.
Am Fenster perlten Regentropfen.Ich versuchte sie zu zählen. Sinnlos. Was hatte schon Sinn? Das Leben? Müde lachte ich die Regentropfen an, sie schienen zurückzulachen. Ich fuhr mit der Hand über mein Gesicht, ich spürte etwas warmes, nasses in meinem Gesicht. Ich hatte Regentropfen auf meiner Wange... Mein Vater küsste sie immer weg, wenn er bei mir war. Wenn seine rauhen Hände mich überal zu berühren schienen. Wenn ich einfach nur still da lag, alles geschehen liess und weinte. *Endstation! Bitte alle aussteigen.* Benommen stand ich auf und schiebt mich im Gedränge zur Tür vor. Die Luft war stickig, eine Mischung von Schweiss und Parfum.
Draussen peitschte mir ein kalter Wind ins Gesicht. Ich knöpfte meinen Mantel zu und band mir den Schal enger um den Hals. Das nasse Haar klebte an meinem Kopf.
Die Stadt schien leer uns ausgestorben. Ich hörte nur meine eigenen Schritte. Rauchend lief ich durch die einsamen Gassen. Die alten, grauen Häuser und der nassdreckige Asphalt zeichneten ein trauriges und trübes Bild. Es wiederspiegelte das Bild meiner Seele. Ich fühlte mich alt, grau und dreckig.
Ich kam zu einem Waldstück. Es hatte aufgehört zu regnen und die Sonne versuchte durch die dichten Wolken hervorzudringen. Es schien als ob sie für mich scheinen wollte, als ob sie mich erwärmen wollte. Ich musste lächeln. Ein angenehm warmes gefühl durchströmte meinen Körper. Ich kniete mich auf den kalten Waldboden und liess die feuchte Erde in meinen Händen zerreiben. Wie ein Film liefen unzählige Bilder in meinem Kopf ab. Es fühlte sich wie ein Wassersog an, der mich immer wie mehr in die Tiefe zog. Ich konnte mich nirgends halten und es wurde immer wie kälter und dunkler. Ich schrie und weinte, aber keiner hatte mich gehört, keiner wollte mich hören.
Plötzlich wurde es schwarz um mich und ich spürte nichts mehr. Nur die Regentrofen berührten mein Gesicht.