Was ist neu

Richtfest

Seniors
Beitritt
02.01.2011
Beiträge
974
Zuletzt bearbeitet:

Richtfest

Nach dem Richtfest kamen sie vor das Haus; auf dem Rasen blieben sie stehen. Eine lange Metalltreppe führte hoch in den Neubau, der als weiteres Stockwerk auf das bestehende Haus gesetzt worden war. Von draußen sahen sie die bunten Lichter einer Diskokugel an den Wänden kreisen.
„Ich will da nicht rein“, sagte sie. Sie hielt einen aufgespannten, gelben Regenschirm in der Hand; außerdem trug sie einen gelben Schal und eine gelbe Stoffmütze. Ihre Daunenjacke war aufgeplustert.
„Mach dich nicht lächerlich“, sagte er ohne sie anzusehen.

Oben im Rohbau traten sie sich die Schuhe ab. Die Fenster und Türen waren bereits eingebaut. Es war warm. Ein anderer Teil des Anbaus war schon fertig; die Familie wohnte längst darin.
Sie standen am Eingang, in ihren Jacken. Bierbänke waren in einer Linie aufgestellt. Ein Dutzend Menschen standen und unterhielten sich; Kinder liefen zwischen den Erwachsenen umher. Neben den Bierbänken stand ein weiterer, kleinerer Holztisch mit niedrigen Bänken. Auf der Anlage lief Metal.
Eine Frau mit tätowiertem Hals und Metalshirt kam auf sie zu. „Kommt ruhig rein“, sagte sie lächelnd und machte eine einladende Geste. „Setzt euch.“
Sie lächelten und nickten.
Seine Frau drehte sich zu ihm und sagte: „Lass uns gehen.“
Er zog die Augenbrauen hoch, ohne sie anzublicken.
Er zog seine Jacke aus.
Sie sagte: „Aber zurück fährst du.“

Sie setzten sich auf die Bierbank. Als er sich zu seiner Frau drehte, sah er, dass sie noch ihre Daunenjacke, die Mütze und den Schal trug.
„Meine Güte“, sagte er, „willst du dich über mich lustig machen?“
Sie sah ihn nicht an, blickte vor sich.
Er streifte sich durchs Haar.
Pärchen standen hinter und vor ihnen; gegenüber saßen zwei Männer und eine Frau. Kinder wuselten zwischen ihnen.
Er sah zu seiner Frau, aber sie blickte über den Tisch.
„Ich hole uns etwas“, sagte er und stand auf.
Er kam mit zwei Papptellern in den Händen zurück, auf denen jeweils ein Stück Erdbeertorte und ein Löffel lagen.
„So“, sagte er lächelnd. Er stellte den Pappteller vor seine Frau und setzte sich.
Sie nahm den Löffel in die Hand, stach in die Erdbeertorte und zerteilte sie in der Mitte.
Er drehte sich um, zu dem kleinen Holztisch hinter ihm. Vier Kinder saßen mittlerweile an ihm; zwei Jungen und zwei Mädchen. Die Mädchen hatten lange, blonde Haare, und von den Jungs sah er nur die Hinterköpfe.
„Und ihr seid der Kindertisch?“, sagte er lächelnd.
„Ja“, sagte das Mädchen.
Als er sich zurück drehte, sah er, dass seine Frau die Erdbeertorte in ein Dutzend kleiner Teile quer über den Pappteller zerhackt hatte; und er wurde Zeuge davon, wie sie ein kleines Stück nach dem anderen auf den Löffel lud und sich – er fand keine anderen Worte hierfür – schlingend in den Mund schob.
„Meine Güte“, sagte er, „willst du uns lächerlich machen?“
Sie schlang einen Bissen nach dem anderen vom Pappteller; Schlagsahne hing ihr an den Lippen und am Kinn, Pudding an den Fingern.
Sie schnaufte und schmatzte.
Sie legte den Löffel ab.
„Hol mir gleich noch eins“, sagte sie.
„Gottes Willen“, sagte er. Sie blickte ihm jetzt in die Augen; mit einer Vehemenz.
Er stand auf, ging zum Buffet und kam mit einem neuen Pappteller und Tortenstück zurück.
Sie schob den alten Teller zur Seite und legte den neuen vor sich. Sie fixierte das Tortenstück, noch mit der Sahne im Gesicht. Sie zerteilte mit dem Löffel das Biscuit und Gelee, und begann ebenso, sich die zerhackte Torte in großen, schnellen Bissen in den Mund zu löffeln.
Sie kaute und schnaufte, Schlagsahne hing um ihren Mund und Gelee klebte an ihren Fingern.
Sie legte den Löffel ab.
„So“, sagte sie, „jetzt können wir gehen.“

Im Auto prasselte der Regen gegen das Wagendach. Ihr Gesicht war klein, und in ihrer übergroßen Daunenjacke wirkte sie beinahe winzig. Er steuerte den Wagen vom Bordstein und lenkte ihn aus der Ortschaft. Der Himmel dunkelte. Sie waren gerade in den Wald gekommen, als er zu ihr rüberschaute und sah, dass sie den Löffel noch in der Hand hielt.
„Herrgott“, sagte er, „verfickt noch mal, was machst du da?“
Sie saß auf dem Beifahrersitz, angeschnallt, und blickte nicht zu ihm, sondern durch die Windschutzscheibe.
Ihre Hand war zur Faust geballt, und inmitten dieser Faust hielt sie den Löffel wie einen Dolch auf ihrem Schoß.
Er blickte unruhig von der Landstraße zum Löffel. „Jetzt müssen wir noch mal zurück“, sagte er, „wieso hast du das gemacht?“
Er sah ihr ins Gesicht, aber sie blickte nicht zu ihm.

Vor dem Haus hielten sie am Bordstein. Die Lichter der Diskokugel kreisten noch an den Wänden. Sie sahen die Köpfe von Erwachsenen und Kindern durch die Fenster und Balkontür.
Und dann, innerhalb weniger Sekunden, ehe sie ausgestiegen waren, sahen sie Rauch von der anderen Seite des Daches aufsteigen. Der Rauch war schwarz und stieg fadenförmig in den grauen, tief hängenden Himmel, wie etwas Lebendiges, wie der Dunst einer Flüssigkeit, die sich, von der Bausubstanz des Hauses gelöst, nun Richtung Himmel enthob.
Die Haustür wurde geöffnet. Die Köpfe von Erwachsenen und Kindern eilten unter dem Licht der Diskokugel durch den Rohbau. Eine Frau mit einem Mädchen an sich geklammert hetzte durch die Tür und die Metalltreppe hinab. Selbst im Auto konnten sie die Stimmen der Menschen hören. Aus der Anlage lief Metal. Der Rauch stieg dichter und großflächiger vom Dach. Sie sahen, wie ein Mann in Birkenstock mit einem Kind auf dem Arm die Treppe herunter eilte. Von innen drängten alle zur Tür.
„Mein Gott“, sagte er. Er streifte sich durchs pomierte Haar, und sie blieben ihm vom Kopf abstehen. Er zündete sich eine Zigarette an.
Sie sahen, wie ein Dutzend Gäste sich durch die Tür drängten. Andere standen unten auf dem Rasen und riefen etwas nach oben. Sie deuteten zum Dach. Kinder schrien und weinten. Langsam wie ein Nebel erhob sich der schwarze Rauch wie ein Geist vom Haus.
„Mein Gott“, sagte er, „das ist alles deine Schuld.“
Er zog an der Zigarette und sah durchs Seitenfenster. Sie saß neben ihm, den Löffel fest umklammert in der Hand auf ihrem Schoß. Sie legte ihr Gesicht in ihre Hand und weinte. „Hör auf“, sagte sie, „hör jetzt endlich auf damit.“
„Schau hin“, sagte er und blickte hinaus. Überall waren Kinder. Sie saßen auf dem Rasen, hingen an ihren Eltern. Ihre Gesichter waren vom Weinen aufgedunsen. Immer größer und dichter wurde die Fahne des Rauches. Auf der Treppe hatte sich eine Schlange gebildet, ein Stau der Heruntereilenden. Er kurbelte das Seitenfenster einen Finger breit herunter. Der Geruch von Holzkohle und das Schreien der Kinder drangen ins Wageninnere.
„Schau nur“, sagte er und zog an seiner Zigarette. Die Glut leuchtete auf, und in diesem Augenblick sahen sie die erste Flammenzunge auf der anderen Seite des Daches in die Dämmerung lecken. Überall waren Kinder. Auf dem Rasen standen und saßen sie, festgeklammert an die Körper ihrer Eltern. Die Laute ihres Weinens und der Geruch nach Holzkohle vermengten sich, wurden zu einer Sache, für die es keinen Namen gab. Sie nahm die Hand vom Gesicht, hob den Kopf und blickte durch das Autoglas. Ihre Wangen glänzten wie die verregneten Ziegelsteine des Daches. Den Löffel hielt sie umklammert in der Hand. Ihr Kinn bebte. Er kurbelte das Fenster einen weiteren Finger breit herunter, und das Weinen der Kinder klang ohrenbetäubend zu ihnen. Er sagte: „Das ist alles deine Schuld. Das ist alles wegen dir. Schau, was du angerichtet hast.“

 

Lieber @zigga,

das ist, nun kenne ich wahrhaftig nicht alle deine Geschichten, aber von denen, die ich gelesen habe, ist dies die seltsamste und unzugänglichste.
Du lässt zwar jede Menge Raum für Interpretationen und manch einem Leser mag dies sehr gut gefallen, aber mir ist es lieber, wenn ich nur innerhalb eines gewissen Rahmens meinen eignen Ideen freien Lauf lassen kann.
Hier ist mir die Anzahl der Möglichkeiten, um was es sich bei deinem Pärchen handeln könnte, viel zu offen, mir fehlt tatsächlich der Halt.

Was läuft da zwischen den beiden? Einerseits gibt es innerhalb ihrer Handlungen null Schnittmenge, sie scheinen weit auseinander zu sein, fast wie zwei mittlerweile getrennt Lebende und doch ist da dieser Zusammenhalt. Sie kommen gemeinsam, gehen gemeinsam, sitzen gemeinsam im Auto und erleben den Brand. Das alles würden Getrenntlebende nicht miteinander so tun. Allenfalls unter Zwang. Den erkenne ich hier aber nicht.

Da ist ein tragendes Thema, das die beiden verbindet, aber welches?
Da ist Tragik zwischen den beiden und meine Phantasie geht dahin, dass er, aus welchen Gründen auch immer, zu dieser Frau hält, obwohl sie ihm keinen Zoll entgegenkommt und für mich sind beide ein Paar, vielleicht sogar verheiratet und nicht nur Freunde.
Die Tragik, denn in deiner Geschichte tauchen überbordend oft Kinder auf, könnte ihre Kinderlosigkeit sein? Eine ungewollte? Vielleicht der Tod eines eigenen Kindes?
Oder geht es hier um eine ehemalige Beziehung, die aufgesucht wird? Eher nicht, denn die Begrüßung der sog. Gastgeberin ist ziemlich neutral. Aber vielleicht ist sie die Partnerin dieses sog. Ex-Partners und nur deswegen so kühl?
Ich würde fast übertrieben spekulieren, die hätte auch Obdachlose so begrüßt. Sie kennt also die beiden nicht.
Diese Geschichte lässt ununterbrochen Fragezeichen in mir entstehen. Ich zeige sie dir am besten anhand des Textes und all der Textstellen, die ich rauskopiert habe, auf.

Aber was ich auf jedem Fall noch als Feedback darstellen möchte, ist, dass du immense Spannung erzeugst, gerade wegen all der Fragezeichen.

Nach dem Richtfest kamen sie vor das Haus;
Wieso vor das Haus? Ich finde die Formulierung etwas seltsam, aber bestimmt hast du dir dabei etwas gedacht.
„Ich will da nicht rein“, sagte sie.
Nach ganz wenigen Sätzen entsteht bereits Spannung. Sehr gut!
. Sie hielt einen aufgespannten, gelben Regenschirm in der Hand; außerdem trug sie einen gelben Schal und eine gelbe Stoffmütze.
Das wirkt etwas statisch. Willst du das so? Wenn nicht, dann eher beschreiben, also zeigen, wie sie den Schirm hält, um sich vor Regen zu schützen?
. Ihre Daunenjacke war aufgeplustert.
Hier wird die Statik durch Lebendigkeit abgelöst, erlöst sozusagen.
„Mach dich nicht lächerlich“, sagte er ohne sie anzusehen.
Seltsame Antwort. Man fragt sich: Was stimmt da zwischen den beiden nicht?
Oben im Rohbau streiften sie sich die Schuhe ab.
Seltsam, ich würde nie in einem Rohbau die Schuhe ausziehen, ansonsten schon.
Ein anderer Teil des Anbaus war schon fertig; die Familie wohnte längst darin.
Aber vielleicht ist das die Erklärung fürs Schuheausziehen?
Neben den Bierbänken stand ein weiterer, kleinerer Holztisch mit niedrigen Bänken.
Erster Hinweis auf die Kinder, auch wenn man hier noch keine sieht. Aber es fällt im Laufe der Geschichte immer deutlicher auf, dass hier die Kinder wichtiger sind als die Erwachsenen.
„Kommt ruhig rein“, sagte sie lächelnd und machte eine einladende Geste. „Setzt euch.“
Das Wort "ruhig" schafft hier eine seltsame Distanz. Was würdest du sagen, wenn deine Freunde vor der Tür stehen? Nicht diesen Satz, nicht wahr? Kommt rein! würde man sagen.
Sie lächelten und nickten.
Beide lächeln. Wieso? Beim ersten Mal des Durchlesens hätte ich diese Frage noch nicht gestellt. Aber beim zweiten Mal schon.
Seine Frau drehte sich zu ihm und sagte: „Lass uns gehen.“
Auch, wenn ich mich vermutlich laufend wiederhole: Das ist seltsames Verhalten. Wieso sind sie überhaupt hingefahren, denn mir kommt es auch so vor, dass ihm vollkommen klar ist, dass sie da nicht freiwillig hin will.
Sie sagte: „Aber zurück fährst du.“
Ok, sie knickt ein oder ergibt sich in ihr Schicksal und mit diesem Satz kommt mal wieder eine deiner Spezialitäten zu Tage, ganz ganz viel auszudrücken. "Aber zurück fährst du", heißt, dass er normalerweise nicht zurückfährt, sondern sie es tun muss. Vermutlich oder sogar sicher deswegen, weil er dann getrunken hat. Die beiden kennen sich also schon in diesem Punkt etwas länger.
Warum drehst du das um und schreibst fast wie eine Regieanweisung: "Sie sagte: ... "?
Soll das, denn es nimmt dem Text ja ein Stück weit die Geschmeidigkeit, unterstreichen, wie unausgegoren es zwischen den beiden ist? Dass es gehörig hakelt?
„Meine Güte“, sagte er, „willst du dich über mich lustig machen?“
Mal im Ernst, wenn deine Freundin sich so verhält, wie würde dann dein Satz lauten? Jede Wette, er würde anders klingen. Da ich ja weiß, dass du in deinen Geschichten nie blauäugig etwas schreibst, musst du dir etwas dabei gedacht haben, ausgerechnet diesen Satz zu schreiben. Nur was willst du damit sagen? Ich stehe komplett auf dem Schlauch.
Er streifte sich durchs Haar.
Für mich eine Geste, die zweierlei bedeuten kann. Bei der zwischenmenschlichen Begegnung ein Zeichen der Zuneigung, sie spielt mit ihrem Haar oder streift sich eine Strähne aus dem Gesicht und er streift sich durchs Haar. Gesten, die wir unbewusst tun, die aber die Bedeutung haben, dass wir gerne gut aussehen wollen, damit der andere einen anziehend findet.
Die andere Möglichkeit wäre eine Form von Unsicherheit, Schüchternheit.
Ist es also das?
Kinder wuselten zwischen ihnen.
Die Kinder tauchen in der Geschichte auf. Die Erwachsenen sind irgendwie nur da, weil es ohne die halt nicht geht. Aber sie sind bedeutungslos.
Sie nahm den Löffel in die Hand, stach in die Erdbeertorte und zerteilte sie in der Mitte.
Puh, mit einem Wort bringst du Stimmung in die Szene "stach".
„Und ihr seid der Kindertisch?“, sagte er lächelnd.
Er mag Kinder, sagt dieser Satz.
die Erdbeertorte in ein Dutzend kleiner Teile quer über den Pappteller zerhackt hatte;
zerhackt ... wieviel Wut ist da in ihr? Und was ist das für Wut? Worauf? Auf ihn? Auf ihre Kinderlosigkeit? Auf jemanden, der dieses Richtfest feiert? Sozusagen irgendein Ex von ihr oder ihm? Fragen, Fragen, Fragen.
schlingend in den Mund schob.
Wut, Angst und mir fällt der Spruch: Angst essen Seele auf (Filmtitel) ein, man kann aus lauter Wut (und Angst) versuchen, sich mit Essen zu betäuben. Dann liegt alles schwer im Bauch und die Wut kommt nicht raus. Soll diese Szene das bedeuten? Was löst dieses Gefühl in ihr aus?
„Meine Güte“, sagte er, „willst du uns lächerlich machen?“
"Meine Güte" ist neutral, das kann sich auf alles beziehen, aber weshalb denkt er an Lächerlichkeit? Oder ist das seine Floskel für jedwedes Verhalten, das aus seinem Rahmen fällt? Manche Leute haben ja so eine verkürzte Art, sich auszudrücken, da wird für jedes nur erdenkliche Verhalten, das ihnen quer liegt, nur ein Standardsatz benutzt. Der muss dann für alle Situationen herhalten und passt dann dementsprechend für Aussenstehende oftmals nicht. Die Insider allerdings wissen sehr wohl, was gemeint ist. Ist das hier so?
Sie schnaufte und schmatzte.
Oh je, wie widerlich. Deine Art zu schreiben, dass meist nur ein Satz benötigt wird, um ganze Szenen darzustellen, blitzt hier wieder hervor. Sie füllt sich ab. Die einen saufen, die anderen fressen. Aber die Gründe sind bei beiden dieselben.
„Gottes Willen“, sagte er. Sie blickte ihm jetzt in die Augen; mit einer Vehemenz.
Er ist irgendwie nicht in der Lage, konkrete Aussagen zu tätigen, was dafür spricht, dass die beiden schon eine Weile zusammen sind. Da bekommen solche Allgemeinplätze, wie "meine Güte", "Gottes Willen" ihre ureigene Bedeutung und Aussage.
und begann ebenso, sich die zerhackte Torte in großen, schnellen Bissen in den Mund zu löffeln.
Hier beschreibst du etwas Seltsames: Sie zerteilt beim ersten Tortenstück dieses noch in kleine Stücke, hier sind sie deutlich größer. Im Grunde genommen steigert sich ihr Verhalten des Schlingens.
Sie kaute und schnaufte, Schlagsahne hing um ihren Mund und Gelee klebte an ihren Fingern.
Du beschreibst es so, dass man sich, ob man möchte oder nicht, abgestoßen fühlt.
Sie legte den Löffel ab.
Später hat sie ihn in der Faust.
„So“, sagte sie, „jetzt können wir gehen.“
Wenn sie nun noch ein drittes Stück verschlungen hätte, hätte ich mich nicht gewundert. Ein drittes Stück wäre aber wiederum auch etwas (im wahrsten Sinne des Wortes) zu dick aufgetragen. Aber ist ihre Wut jetzt tief genug im Bauch festgehalten durch die zwei Tortenstücke? Ist etwa der Löffel der Stellvertreter für ihre Wut geworden?

Er steuerte den Wagen vom Bordstein
Mir fehlt hier das Wort "weg" am Ende des Satzes.
„Herrgott“, sagte er, „verfickt noch mal, was machst du da?“
Er sagt ununterbrochen Sätze, die ich seltsam finde. Und mal ganz ehrlich, was ist daran so furchtbar, wenn man mal einen Löffel versehentlich mitnimmt? Man kann ihn ja bei der nächsten Gelegenheit wiedergeben. Aber hier ist alles anders, das ist mir klar. Sie nimmt ihn nicht versehentlich mit. Aber was hat sie davon, dass sie es tut?

Ihre Hand war zur Faust geballt, und inmitten dieser Faust hielt sie den Löffel wie einen Dolch auf ihrem Schoß.
Die Fortsetzung ihrer Wut, nicht wahr? Trotzdem ein höchst seltsames Gebahren.
„Jetzt müssen wir noch mal zurück“, sagte er, „wieso hast du das gemacht?“
Ich finde diese Reaktion übertrieben. Er baut da so eine Tragik rein, wegen dieses Löffels und man spürt, es geht gar nicht um diesen Löffel, nicht wahr? Der ist nur Symbol, aber für was?
in Birkenstock
ich würde in Birkenstocks
Er streifte sich durchs pomierte Haar, und sie blieben ihm vom Kopf abstehen.
Ok, hier dürfte es aus Unsicherheit geschehen. Bezeichnend, dass er damit die Frisur durcheinander bringt. Einer dieser typischen Zigga-Sätze, die mit viel Bedeutung und Aussage. Mag ich sehr.
„Mein Gott“, sagte er, „das ist alles deine Schuld.“
Wieso? Ich sehe sie nicht, diese Schuld. Immerhin ist er doch Beteiligter. Das bleibt alles so krude. Ich finde die Auflösung oder Lösung nicht in dieser Geschichte.

Und mein ureigenes Problem ist immer bei solchen Geschichten, dass ich immer ganz besonders nervös werde, wenn Fragen in meinem Kopf unbeantwortet bleiben. Bis hin zu dem Gefühl, grandios blöd zu sein. Aber das wird mit zunehmendem Alter weniger bedeutend. Aber Fragen, auf die ich keine Antwort finde, machen mich wuschig. Sorry.

Sie legte ihr Gesicht in ihre Hand und weinte.
Ich habe zwei Probleme bei diesem Satz. Wie muss ich mir das bildlich vorstellen? Legt sie quasi ihre Gesichtsmitte in die Hand, beugt sie sich dabei vor? Es entsteht kein Bild vor meinen Augen.
Und wieso tut sie das? Sie wirkt bislang auf mich so, als sei ihr alles vollkommen klar, als hätte sie, allenfalls ihre Wut nicht im Griff, aber ansonsten erscheint sie mir als die deutlich Stärkere in dieser Paarkonstellation. Wieso jetzt das Weinen?
„Hör auf“, sagte sie, „hör jetzt endlich auf damit.“
Diese beiden Sätze sind irgendwie nachvollziehbar, denn da schwebt tatsächlich so eine latente Vorwurfshaltung von ihm in der Luft.
Aber und das ist mal wieder so ein typischer Satz von dir, der mehr besagt als dort steht, man kann auch herauslesen, dass sie schon ganz ganz oft von ihm auf diese Weise traktiert wurde und sie verlangt nun mit einer überbordenden Vehemenz das Ende.
Eben, weil sie schon weiß, wie das noch weiter gegen sie gerichtet ablaufen wird. Gut gemacht!
Aber mir bleibt trotzdem noch der gesamte Zusammenhang ein großes Rätsel.
„Schau hin“, sagte er
Am liebsten hätte ich jetzt gesagt: "Dieser Arsch!", aber das wird ihm nicht gerecht. Er ist vermutlich noch dem wirklich treuherzigen (ich finde das ist genau das richtige Wort) Gedanken verfallen, ihr auf diese Weise helfen zu müssen. Denn das Problem hat aus seiner Sicht eindeutig sie. Ich allerdings habe da Zweifel, ob es so ist.

Du siehst also, lieber zigga, ich bin hier laufend dabei, zu interpretieren. Das kann man wahrhaftig nicht von jeder Geschichte hier bei den Wortkriegern behaupten, dass da so viel an Möglichkeiten drinsteckt. In deiner Geschichte aber schon.

Sie nahm die Hand vom Gesicht,
Interpretation: Sie hat sich nun etwas gefangen? Beruhigt?
„Das ist alles deine Schuld. Das ist alles wegen dir. Schau, was du angerichtet hast.“
Wie unsympathisch, dieses ewige (so kommt es mir hier vor) Nachkarren. Er ist wirklich penetrant. Klar ist mir an dieser Stelle dann ernüchternd bewusst, dass ich diese Geschichte beenden werde, ohne zu erfahren, was da passiert ist zwischen den beiden.

Aber zum Glück sind wir hier bei den Wortkriegern und ich weiß, ich werde alsbald die Antwort bekommen. :D

Falls du damit noch ein büschen warten willst, weil du dann eher die Chance hast, deutlich unvoreingenommenere Kritiken zu erhalten, ich hab Zeit und werde mich gern gedulden.

Ich hoffe, ich konnte dir trotz all meiner Fragezeichen ein Feedback geben, mit dem du etwas anfangen kannst. Sonst: Frage einfach nach.


Lieben Gruß

lakita

 

Liebe @lakita,

vorab herzlichen Dank fürs Lesen und Feedbacken.

Hier ist mir die Anzahl der Möglichkeiten, um was es sich bei deinem Pärchen handeln könnte, viel zu offen, mir fehlt tatsächlich der Halt.

Ja, haha, das ist ein wenig ein Teil, das erzähltechnisch jetzt nicht eine straighte Story erzählt, da bleibt vieles im Vagen, vieles wird auch nicht auserzählt. Ich hab mich da ein wenig an Raymond Carver VERSUCHT (nicht, dass ich hier der Gotteslästerung bezichtigt werde ;) ), an seinem späten Werk. Ich finde das mega eindrücklich, wie er da erzählt, wie er quasi Bilder zeigt und Dinge geschehen lässt, und man merkt, da brodelt etwas unter der Oberfläche, da ist etwas, und er schafft es tatsächlich, dass man das irgendwo begreift, um was es geht. Ein bisschen beeinflussen hab ich mich da durch eine Story von ihm, wo auch ein Feuer in einem Haus ausbricht, und ich fand das mega geil gelöst, das war einfach super metaphorisch, ohne mit dem Holzhammer zu kommen. Aber ja, ist nicht für alle, der Text ist ein Versuch, bin gespannt, was andere dazu sagen. Danke jedenfalls für deine Ehrlichkeit, das weiß ich sehr zu schätzen! Wie wichtig ehrliches Feedback ist, brauche ich dir nicht auszuführen, ich glaube, als Autor neigt man grundsätzlich dazu, sich in gewisse Richtungen zu verrennen, man möchte Grenzen übergehen und neues Terrain erproben, und da braucht es auch immer eine Kraft, die dagegenzieht, genauso wie Stimmen, die sagen, das gefällt mir, damit man seinen eigenen Standpunkt gut ausloten kann.

Vielen Dank für den Kommentar! Und sorry, dass ich nicht auf alle Details der Textarbeit von dir eingehe, ansonsten antworte ich dir nämlich erst in einer Woche, deswegen jetzt meine kompakte, ehrliche Antwort & sei dir sicher, dass ich die Textarbeit sehr beherzige und in eine Überarbeitung mit einbeziehe :)

Alles Gute
zigga

 

Lieber @zigga,


ich habe immer mal geschaut, ob denn schon jemand weiteres sich endlich deine gute Geschichte angeschaut hat bzw. ich hätte ja, da ich die Geschichte im Abo habe (wie das klingt) eine Meldung erhalten. Aber leider nix und das tut mir weh, weil deine Geschichte DAS nun so rein gar nicht verdient hat, dass sie unbeachtet bleibt.

Bitte poste das nächste Mal, aber das hast du dir bestimmt selbst schon gesagt, nicht während einer Challenge (heißt das nun der, die, das Challenge?), denn da sind die meisten absorbiert mit dem Kommentieren der anderen Beiträge, so sie denn selbst einen reingestellt haben. Und exakt in diesem Zeitraum hast du nun deinen Text gepostet.

. Ich finde das mega eindrücklich, wie er da erzählt, wie er quasi Bilder zeigt und Dinge geschehen lässt, und man merkt, da brodelt etwas unter der Oberfläche, da ist etwas, und er schafft es tatsächlich, dass man das irgendwo begreift, um was es geht.
Da brodelt in deiner Story etwas unter der Oberfläche, also das ist bei mir auch absolut angekommen.
als Autor neigt man grundsätzlich dazu, sich in gewisse Richtungen zu verrennen, man möchte Grenzen übergehen und neues Terrain erproben, und da braucht es auch immer eine Kraft, die dagegenzieht, genauso wie Stimmen, die sagen, das gefällt mir, damit man seinen eigenen Standpunkt gut ausloten kann.
Oh ja, je mehr man schreibt, desto mutiger wird man bei der Themenwahl und desto eher ist man in der Lage, zu experimentieren und auszuprobieren. Und du sprichst mir aus der Seele, es bedarf dann der Leute, die konsequent ihre Meinung dazu sagen. Dieses Feedback ist fast genauso wichtig wie das Experiment selbst. Immer nur Ausprobieren ohne Feedback bringt einen nur im Schneckentempo voran. Da wir leider oder gottlob (such es dir aus) nicht 200 Jahre alt werden, ist Schneckentempo keine Option.

Und genau deswegen wünsche ich dir, dass alsbald hier mehr Kritiker eintreffen.

Und sorry, dass ich nicht auf alle Details der Textarbeit von dir eingehe,
Nee, nee, alles gut. Wirklich! Hatte doch schon vorangekündigt, dass ich gerne warte bis da auch noch deutlich mehr Meinungen eingetroffen sind.


Daumendrück! :thumbsup:

Lieben Gruß

lakita

 

Hallo @zigga

Ich muss sagen, mir fällt es ein wenig schwer, etwas (sinnvolles) zu deiner Story zu sagen. Grundsätzlich hat sie mir gut gefallen und ich finde sie spannend und gut geschrieben, in simpler, einfacher Sprache ohne grosse Schnörkel. Habe ich gerne gelesen. Die Story umgibt auch so eine geheimnisvolle Aura: Was machen er und seine Frau dort? Wieso will sie da nicht hin? Schlingt sie die Tortenstücke so schnell runter, weil sie möglichst bald wieder weg will oder hat das einen anderen, tieferen Grund? Eine Fresssucht vielleicht (bzw. versucht sie da irgendwas in sich zu betäuben)? Wieso nimmt sie den Löffel mit? Als sie zurückkehren, bricht ein Feuer im Haus aus. Was ist passiert? Sind alles so Fragen, die ich mir während des Lesens gestellt hab. Wie schon bei deinem letzten Text "Jim und Joe" hab ich mir zwei Lesarten, ich nenne es in diesem Fall mal 'zusammengeschustert', die ich Dir nachfolgend gerne schildern möchte (mir ist bewusst, das beide Interpretationen Löcher haben, ich glaube, mir geht es schlussendlich ähnlich wie @lakita).

Ich lese es so, dass sie den Löffel absichtlich mitgehen lässt, weil sie dadurch, mit diesem Gegenstand von diesem Haus, das Unheil irgendwie kanalisieren, heraufbeschwören kann. Es könnte sein, dass er deswegen umkehren will, die Katastrophe vielleicht doch noch abzuwenden versucht, weil er um ihre Fähigkeiten weiss, sie durchschaut und das oft genug schon miterlebt hat. Am Ende bleibt er ja auch relativ ruhig, raucht und schaut sich die Szene der aus dem Haus flüchtenden Eltern mit ihren Kindern an. Leider kommt er (wieder einmal) zu spät und deshalb raunzt er sie unsanft an: Schau nur, was du getan hast. Jedoch beisst sich diese Lesart mit deinen Tags, Alltag und Gesellschaft.

Wenn ich versuche, den Text, ich nenne es mal, realistischer zu interpretieren, würde ich sagen, er hat das geplant. Also bei ihrem Besuch hat er irgendwo Feuer gelegt. Aus Eifersucht oder was auch immer, könnte ja viele Gründe geben. Der Löffel ist dann nur ein Vorwand, um umzukehren und sich 'sein Werk' anzusehen. Seine Frau ist der Sündenbock. Vielleicht ist sie manisch depressiv, leidet unter einer psychischen Krankheit, das sickert für mich irgendwo durch die Zeilen (ihr Verhalten, das Klammern an diesen Löffel, das Tortenschlingen). Kenne mich da aber nicht wirklich aus.

Textkram:

wie sie ein kleines Stück nach dem anderen auf den Löffel lud und sich – er fand keine anderen Worte hierfür – schlingend in den Mund schob.
Das Wort ist mMn überflüssig.

„Jetzt müssen wir noch mal zurück“, sagte er, „wieso hast du das gemacht?“
Mir wird zu wenig klar, wieso ihn ein einfacher Löffel dazu bewegt, noch einmal zurück zu fahren. Zumindest wenn ich das mal ganz nüchtern realistisch betrachte. Das ist zwar bisschen schräg, dass sie einen Löffel mitgehen lässt bzw. das nicht bemerkt zu haben scheint, aber deswegen gleich umkehren? Ich verstehe den Auslöser nicht wirklich: Warum tut er das? Wieso reagiert er so? Mir fehlt da ein (klitzekleiner) Hinweis. Vielleicht täusche ich mich komplett, aber ich erachte das als den Schlüsselmoment in deiner Story.

Langsam wie ein Nebel erhob sich der schwarze Rauch wie ein Geist vom Haus.
Zwei Wie-Vergleiche innerhalb eines so kurzen Satzes finde ich etwas unglücklich.

Auf der Treppe hatte sich eine Schlange gebildet, ein Stau der Heruntereilenden.
Das Bild beisst sich für mich etwas. Stau und eilen passt nicht zusammen. Würde versuchen, das anders zu formulieren.

Die Satzanfänge sind mir bisschen zu wenig abwechslungsreich, sehr oft beginnen sie mit einem Sie, Er, Seine, Ihre, Als. Das nützt sich mit der Zeit ein wenig ab für mich, macht den Text nicht so 'musikalisch', aber klar, gibt ihm auch eine eigenene stilistische Note und ist natürlich absolut Geschmackssache.

Habe ich gerne gelesen, wenn ich auch mit dem Gefühl aus dem Text entlassen werde, dass ich nicht wirklich alles verstanden hab. Ausser da würde der Tag 'Seltsam' dranstehen, dann könnte ich mir eher was zusammenreimen :Pfeif: Wie Du vielleicht bemerkt hast, hast Du mich bei meiner versuchten Interpretation zum fantasieren gebracht, schon allein deshalb würd ich sagen: Das ist guter Stoff.

Beste Grüsse,
d-m

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @zigga

Bei Jim und Joe habe ich interpretiert und du hast dir so gar nicht in die Karten blicken lassen und da habe ich dir geschrieben, dass ich das verstehe, es aber schwierig finde, einen Text hilfreich zu kommentieren, wenn ich überhaupt nicht weiss, was die Intention ist. Daher lasse ich elaborierte Interpretationen nun ganz weg, schreibe nur, was mir durch den Kopf gegangen ist, was mir gefallen hat und was ich - hätte ich den Text geschrieben - anders gestaltet hätte.

Meiner erster Gedanke war: Carver. Die zweite Assoziation, die ich hatte, war Idioten von Lars von Trier, da gibt es diese Szene am Schluss, in der die Tochter die Verrückte spielt und sich vor ihren Eltern einen Kuchen in den Mund stopft, das ist fast nicht mitanzuschauen, und das fand ich im Text die stärkste Szene und dein Anspruch "dass man begreift, um was es geht" finde ich an dieser Stelle eingelöst, zumindest was mich angeht: Leben mit einer (vermeintlich) verrückten Person. Irrsinn als Machtinstrument. Sich dafür verantwortlich fühlen, was der andere tut ("Willst du uns [eigentlich meint er: mich] lächerlich machen?") Ich finde die Dynamik dieser wohl kinderlosen Beziehung (so lese ich die starke Präsenz von Kindern im Text) super eingefangen.
Dass sie den Löffel mitgehen lässt, finde ich sehr gut, beim Feuer gehe ich nicht mehr mit. Wie gesagt, ich will nicht interpretieren, und was deine Absicht war, verrätst du ja eh nicht. :D Aber das Feuer ist mir zu grob, zu laut für diese Geschichte, das lenkt auch deshalb von der Dynamik der Beziehung ab, weil es zu viel Raum für Spekulation eröffnet. Ich hätte sie ebenfalls umkehren lassen. Dann hätte er sie dazu gezwungen, sich bei den Gastgebern zu entschuldigen. Sie hätte es getan. Und die Leser hätten sich gefragt, wer von beiden verrückter ist.

Also simples Fazit: Den Anfang fand ich sehr stark, der zweite Teil hat mich nicht abgeholt. Handwerklich: Du betonst für meinen Geschmack zu häufig, dass sie einander nicht anblicken, manchmal sogar "sie blickte nicht zu ihm, sondern aus dem Fenster." Das ist ja bisschen Holzhammer, um Distanz und Entfremdung zu zeigen, das kann man gut einmal oder zweimal machen, aber hier im Text würde ich ein wenig zurückfahren. Auch sonst wird im Text verdammt viel geblickt und gesehen - insgesamt 27 Mal.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hey @zigga,

ist ja schon viel gesagt worden zu deiner Geschichte, und so richtig steige ich da auch nicht durch. Ich bräuchte ebenfalls ein paar mehr Hinweise, um einen roten Faden erkennen zu können.

Aber vielleicht willst du den ja auch gar nicht, und die Geschichte soll einfach über die Bilder transportiert werden, die zwar - zumindest für mich - keinen logisch geschlossenen Sinn ergeben, aber ein Unbehagen auslösen, eine Ahnung eher. Da tut sich ein Abgrund auf, ohne, dass ich weiß, wie ich da eigentlich hineingeraten bin.

Spannend finde ich, dass ich nicht wirklich einschätzen kann, ob tatsächlich sie es ist, mit der etwas nicht stimmt, oder er sie die ganze Zeit manipuliert und kontrolliert, und sie deshalb so extrem reagiert.

Diese Szene hier:

Und ihr seid der Kindertisch?“, sagte er lächelnd.
„Ja“, sagte das Mädchen.
Als er sich zurück drehte, sah er, dass seine Frau die Erdbeertorte in ein Dutzend kleiner Teile quer über den Pappteller zerhackt hatte; und er wurde Zeuge davon, wie sie ein kleines Stück nach dem anderen auf den Löffel lud und sich – er fand keine anderen Worte hierfür – schlingend in den Mund schob.
scheint mir die Schlüsselszene zu sein. Der Kindertisch hinter ihnen und sie zerhackt den Kuchen in kleine Stücke, quasi für jedes Kind eines. Vielleicht hat sie ihre Kinder bei einem Brand verloren, den sie selbst verschuldet hat, und jetzt ist dort ein neues Haus gebaut worden, und das fackelt sie dann ebenfalls ab. So könnte ich mir einen Sinn zusammenreimen.
Aber wie gesagt - vielleicht ist das Ganze auch gar nicht linear angelegt und die Bilder sind in erster Linie symbolisch gemeint. Es sind ja sehr eindrückliche Szenarien, sie in ihrer gelben Kleidung, die vielen Kinder, deren Präsenz mich ein wenig an einen Horrorfilm erinnern, das Zerhacken des Kuchens, das Feuer. Und dann deren Verhältnis.

Jetzt müssen wir noch mal zurück“, sagte er, „wieso hast du das gemacht?“

Hör auf“, sagte sie, „hör jetzt endlich auf damit.“

Ich werde das Gefühl nicht los, dass das Feuer gar nicht im Anschluss an das Richtfest beginnt. Die ganze Zeit davor regnet es in Strömen, wie kann da so ein Feuer auflodern? Alles sehr surreal. Aber eine Seltsam-Geschichte ist es ja auch nicht, sondern Alltag.

Bin sehr gespannt, was du dir dabei gedacht hast. Irgendwie erinnert mich der Text an Das kleine Fernsehspiel.
Keine Ahnung, ob du das noch kennst, du bist ja um einiges jünger als ich. Das waren so artifizielle Filme im Nachtprogramm, bei denen es eine Menge zu interpretieren gab. Und eindrucksvolle, emotional aufgeladene Bilder hat dein Text allemal.

Eine schöne Vorweihnachtszeit für dich.

Liebe Grüße von Chai

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @deserted-monkey

Ich muss sagen, mir fällt es ein wenig schwer, etwas (sinnvolles) zu deiner Story zu sagen.
:D

Grundsätzlich hat sie mir gut gefallen und ich finde sie spannend und gut geschrieben, in simpler, einfacher Sprache ohne grosse Schnörkel. Habe ich gerne gelesen.
Ok!

Die Story umgibt auch so eine geheimnisvolle Aura: Was machen er und seine Frau dort? Wieso will sie da nicht hin? Schlingt sie die Tortenstücke so schnell runter, weil sie möglichst bald wieder weg will oder hat das einen anderen, tieferen Grund? Eine Fresssucht vielleicht (bzw. versucht sie da irgendwas in sich zu betäuben)? Wieso nimmt sie den Löffel mit? Als sie zurückkehren, bricht ein Feuer im Haus aus. Was ist passiert? Sind alles so Fragen, die ich mir während des Lesens gestellt hab.
Verstehe ich!

Ich lese es so, dass sie den Löffel absichtlich mitgehen lässt, weil sie dadurch, mit diesem Gegenstand von diesem Haus, das Unheil irgendwie kanalisieren, heraufbeschwören kann. Es könnte sein, dass er deswegen umkehren will, die Katastrophe vielleicht doch noch abzuwenden versucht, weil er um ihre Fähigkeiten weiss, sie durchschaut und das oft genug schon miterlebt hat. Am Ende bleibt er ja auch relativ ruhig, raucht und schaut sich die Szene der aus dem Haus flüchtenden Eltern mit ihren Kindern an. Leider kommt er (wieder einmal) zu spät und deshalb raunzt er sie unsanft an: Schau nur, was du getan hast. Jedoch beisst sich diese Lesart mit deinen Tags, Alltag und Gesellschaft.
Interessante Lesart!

Wenn ich versuche, den Text, ich nenne es mal, realistischer zu interpretieren, würde ich sagen, er hat das geplant. Also bei ihrem Besuch hat er irgendwo Feuer gelegt. Aus Eifersucht oder was auch immer, könnte ja viele Gründe geben. Der Löffel ist dann nur ein Vorwand, um umzukehren und sich 'sein Werk' anzusehen. Seine Frau ist der Sündenbock. Vielleicht ist sie manisch depressiv, leidet unter einer psychischen Krankheit, das sickert für mich irgendwo durch die Zeilen (ihr Verhalten, das Klammern an diesen Löffel, das Tortenschlingen). Kenne mich da aber nicht wirklich aus.
Die auch!

Habe ich gerne gelesen, wenn ich auch mit dem Gefühl aus dem Text entlassen werde, dass ich nicht wirklich alles verstanden hab. Ausser da würde der Tag 'Seltsam' dranstehen, dann könnte ich mir eher was zusammenreimen :Pfeif: Wie Du vielleicht bemerkt hast, hast Du mich bei meiner versuchten Interpretation zum fantasieren gebracht, schon allein deshalb würd ich sagen: Das ist guter Stoff.
Ja, kann ich gut verstehen.

Um mal etaws aus dieser Position herauszukommen, mich nicht zu den Interpretationen meiner Stories zu äußern :D Also, der Text lässt natürlich sau viel weg, letztendlich ging es mir beim Schreiben auch nicht darum, etwas Glasklares, Rekonstruierbares zu schreiben, das nach und nach aufgedeckt wird und am Ende gibt es eine Lesart. Ich hatte Carver schon erwähnt, sein letzter Erzählband, waren das seine unveröffentlichten? bin mir nicht sicher, jedenfalls da blüht er so richtig auf, mMn. Er schreibt über "Profanes", Leute treffen sich, unterhalten sich, es passieren schräge Dinge, aber man spürt das Brodeln unter der Oberfläche so deutlich, und diese schrägen Dinge, die passieren, sind immer so geil metaphorisch. Daran hab ich mich mal gewagt, ich hatte natürlich was im Kopf, was zwischen denen abgeht, aber wollte mal reduzieren und versuchen, über die Umwelt so einen Vibe zu erzeugen.

Das dachte ich mir beim Schreiben:

Also für mich geht es einerseits um die Kinderlosigkeit der beiden, aber dahinterliegend um eine toxische Beziehung, in der Ehemann und -frau mit ihrer "Sprache" gegen den anderen feuern: Der Mann macht seine Frau für alles Mögliche verantwortlicht, auch ihr "Verrücktsein" prangert er an. Die Frau wehrt sich, vielleicht unbewusst, mit ihren Möglichkeiten: Sie wird nur umso "verrückter", weil es irgendwo auch das Einzige ist, wie sie zurückfeuern kann (wobei ich sowieso nicht glaube, dass es "verrückte" Menschen gibt). Die Frau möchte nicht zum Richtfest, weil sie evtl. schon eine Ahnung in sich trägt, dass ihr der Anblick der vielen Kinder nicht guttun wird. Der Ehemann scheißt drauf, und natürlich verhält sie sich dann ihm ggü. provokant, schlägt mit ihren Waffen zurück, frisst den Kuchen rein und zieht sich nicht aus. Am Ende fragt man sich natürlich, wer ist hier der Verrückte?, wenn der Ehemann ihr dann die Schuld am Brand gibt. Man fragt sich auch, ob jemand der beiden den Brand gelegt hat, ob der Mann das getan hat oder die Frau. Ob der Ehemann den Brand gelegt hat als Rache an die Frau oder die Frau als Rache an den Ehemann. Oder ob der Ehemann genauso "verrückt" seine Frau hierfür verantwortlich macht, nach der Logik: Überall, wo du hingehst, geschieht Unglück. Ich meine, er verhält sich im Auto dann auch super seltsam, super "verrückt", als er den Brand einfach beobachtet und eine dabei raucht. Ist er nicht ebenso "verrückt"? Wieso claimt die Gesellschaft die Ehefrau als "verrückt" und nicht ihn? Also, für mich bleibt auch offen, ob nicht er den Brand gelegt hat, und damit wäre er wesentlich "verrückter" als seine Ehefrau - der er danach, sadistisch würde ich das nennen, die Schuld am Brand gibt.
Naja, der Brand sollte auch metaphorisch für ihre Beziehung, ihren Konflikt sein.
Aber - das muss ich hier noch anhängen - das ist natürlich der Plot runtergebrochen, mir ging es, wie ich bereits schrieb, darum, auszuprobieren, ob ich auch so ein Gefühl im Subtext, ein Brodeln im Untergrund, evozieren kann, ähnlich wie Carver das so geil schafft - dass man spürt, da brodelt etwas, da stimmt etwas nicht, und wenn man die Symboliken, die Bilder auf sich wirken lässt, hat man eine ungute Ahnung und kann sich irgendwo denken, was nicht stimmt.

Also, jetzt hab ich mal zum Test auserzählt, was ich im Subtext weitertragen wollte :D Mal schauen, wie die Textarbeit läuft für mich, wenn ich das gemacht habe!

Danke auch für die Textarbeit, da werde ich ein paar Dinge übernehmen!

Also, vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren, bin gespannt auf deinen nächsten.


Hallo @Peeperkorn,

Bei Jim und Joe habe ich interpretiert und du hast dir so gar nicht in die Karten blicken lassen
Jetzt lass ich mal voll in die Karten blicken! :D Also, um mal zu sehen, wie die Textarbeit mit der Rangehensweise laufen wird ...

Meiner erster Gedanke war: Carver. Die zweite Assoziation, die ich hatte, war Idioten von Lars von Trier
Ja, der Text ist ein Versuch, den Style von Carver ein wenig auf meine Weise umzusetzen, zumindest seine Technik des Erzählens. Gerade seine letzten Arbeiten sind für mich Meisterwerk, da erzählt er wirklich so im Subtext, aber man spürt, dass da ganz klar etwas passiert, ohne es benennen zu können. In einer Shortstory gibt es auch einen Brand, das habe ich mir etwas geklaut, haha.
Idioten, Lars von Trier, einer meiner Lieblingsfilme von ihm. Ganz groß.

Ich finde die Dynamik dieser wohl kinderlosen Beziehung (so lese ich die starke Präsenz von Kindern im Text) super eingefangen.
Super, danke. Schön auch , dass du das mit der Kinderlosigkeit gesehen hast und es bei dir "funktioniert" hat

Dass sie den Löffel mitgehen lässt, finde ich sehr gut, beim Feuer gehe ich nicht mehr mit.,
:D

Wie gesagt, ich will nicht interpretieren, und was deine Absicht war, verrätst du ja eh nicht. :D
Ich will doch auch in meiner Textarbeit hier gelegentlich interessant Plottwists heraufbeschwören :D Deswegen verrate ich es diesmal völlig ungeniert:

Das dachte ich mir beim Schreiben:

Also für mich geht es einerseits um die Kinderlosigkeit der beiden, aber dahinterliegend um eine toxische Beziehung, in der Ehemann und -frau mit ihrer "Sprache" gegen den anderen feuern: Der Mann macht seine Frau für alles Mögliche verantwortlicht, auch ihr "Verrücktsein" prangert er an. Die Frau wehrt sich, vielleicht unbewusst, mit ihren Möglichkeiten: Sie wird nur umso "verrückter", weil es irgendwo auch das Einzige ist, wie sie zurückfeuern kann (wobei ich sowieso nicht glaube, dass es "verrückte" Menschen gibt). Die Frau möchte nicht zum Richtfest, weil sie evtl. schon eine Ahnung in sich trägt, dass ihr der Anblick der vielen Kinder nicht guttun wird. Der Ehemann scheißt drauf, und natürlich verhält sie sich dann ihm ggü. provokant, schlägt mit ihren Waffen zurück, frisst den Kuchen rein und zieht sich nicht aus. Am Ende fragt man sich natürlich, wer ist hier der Verrückte?, wenn der Ehemann ihr dann die Schuld am Brand gibt. Man fragt sich auch, ob jemand der beiden den Brand gelegt hat, ob der Mann das getan hat oder die Frau. Ob der Ehemann den Brand gelegt hat als Rache an die Frau oder die Frau als Rache an den Ehemann. Oder ob der Ehemann genauso "verrückt" seine Frau hierfür verantwortlich macht, nach der Logik: Überall, wo du hingehst, geschieht Unglück. Ich meine, er verhält sich im Auto dann auch super seltsam, super "verrückt", als er den Brand einfach beobachtet und eine dabei raucht. Ist er nicht ebenso "verrückt"? Wieso claimt die Gesellschaft die Ehefrau als "verrückt" und nicht ihn? Also, für mich bleibt auch offen, ob nicht er den Brand gelegt hat, und damit wäre er wesentlich "verrückter" als seine Ehefrau - der er danach, sadistisch würde ich das nennen, die Schuld am Brand gibt.
Naja, der Brand sollte auch metaphorisch für ihre Beziehung, ihren Konflikt sein.
Aber - das muss ich hier noch anhängen - das ist natürlich der Plot runtergebrochen, mir ging es, wie ich bereits schrieb, darum, auszuprobieren, ob ich auch so ein Gefühl im Subtext, ein Brodeln im Untergrund, evozieren kann, ähnlich wie Carver das so geil schafft - dass man spürt, da brodelt etwas, da stimmt etwas nicht, und wenn man die Symboliken, die Bilder auf sich wirken lässt, hat man eine ungute Ahnung und kann sich irgendwo denken, was nicht stimmt.

Aber das Feuer ist mir zu grob, zu laut für diese Geschichte, das lenkt auch deshalb von der Dynamik der Beziehung ab, weil es zu viel Raum für Spekulation eröffnet.
Ist ein Punkt!

Ich hätte sie ebenfalls umkehren lassen. Dann hätte er sie dazu gezwungen, sich bei den Gastgebern zu entschuldigen. Sie hätte es getan. Und die Leser hätten sich gefragt, wer von beiden verrückter ist.
Mega. Das wäre auch eine Option. Vllt versuche ich es auch mal hiermit.

Und die Leser hätten sich gefragt, wer von beiden verrückter ist.
Genau das habe ich mit dem Brand versucht: Wenn keiner der beiden den Brand gelegt hat, wirkt der Ehemann doch auch verrückt. Also das war eine Intention von mir, die Frage aufzuwerfen: Wer ist hier verrückt? Ich mag den Begriff "verrückt" eh nicht, ich glaube, diese Zivilisation, diese Welt und Existenz ist ohnehin so verrückt, wenn sich jemand auf eine abweichende Art verhält, wer ist hier verrückt? Also, wenn der Ehemann dann ihr die Schuld für den Brand gibt, und keiner der beiden hat ihn offensichtlich gelegt, das ist doch auch völlig verrückt. Auch wie er dasitzt, eine raucht. Das war meine Intention

Also simples Fazit: Den Anfang fand ich sehr stark, der zweite Teil hat mich nicht abgeholt.
ok!

Handwerklich: Du betonst für meinen Geschmack zu häufig, dass sie einander nicht anblicken, manchmal sogar "sie blickte nicht zu ihm, sondern aus dem Fenster." Das ist ja bisschen Holzhammer, um Distanz und Entfremdung zu zeigen, das kann man gut einmal oder zweimal machen, aber hier im Text würde ich ein wenig zurückfahren. Auch sonst wird im Text verdammt viel geblickt und gesehen - insgesamt 27 Mal.
Haha, danke fürs Zählen. Nee, du hast Recht. Ich hab es da wohl etwas übertrieben mit den Blicken und darüber zu versuchen, die Dynamik zu beschreiben. Mea culpa.

Peeperkorn - danke dir fürs Lesen und Kommentieren! Bis zum nächsten Mal.


Liebe @Chai

auch dir herzlichen Dank fürs Vorbeischneien und Feedbacken! Ich revanchiere mich alsbald.

ist ja schon viel gesagt worden zu deiner Geschichte, und so richtig steige ich da auch nicht durch. Ich bräuchte ebenfalls ein paar mehr Hinweise, um einen roten Faden erkennen zu können.
:D Ja, ist ein wenig sehr minimalistisch erzählt für den ein oder anderen, du hast Recht.

Aber vielleicht willst du den ja auch gar nicht, und die Geschichte soll einfach über die Bilder transportiert werden, die zwar - zumindest für mich - keinen logisch geschlossenen Sinn ergeben, aber ein Unbehagen auslösen, eine Ahnung eher.
Richtig! Das hatte ich im Sinn. Also, man kann sich denken, was passiert ist oder was passiert sein könnte, aber natürlich liefert der Text letztendlich für keine Erklärung eine Garantie. Es bleibt im Ungewissen. Nur das ungute Gefühl, die ungute Dynamik bleibt. Also, keine Ahnung, ob das insgesamt dann gut oder ungenügend ist, das müsst ihr mir für euch sagen, aber das war zumindest meine Herangehensweise :aua:

Spannend finde ich, dass ich nicht wirklich einschätzen kann, ob tatsächlich sie es ist, mit der etwas nicht stimmt, oder er sie die ganze Zeit manipuliert und kontrolliert, und sie deshalb so extrem reagiert.
Toll!

Und ihr seid der Kindertisch?“, sagte er lächelnd.
„Ja“, sagte das Mädchen.
Als er sich zurück drehte, sah er, dass seine Frau die Erdbeertorte in ein Dutzend kleiner Teile quer über den Pappteller zerhackt hatte; und er wurde Zeuge davon, wie sie ein kleines Stück nach dem anderen auf den Löffel lud und sich – er fand keine anderen Worte hierfür – schlingend in den Mund schob.
scheint mir die Schlüsselszene zu sein. Der Kindertisch hinter ihnen und sie zerhackt den Kuchen in kleine Stücke, quasi für jedes Kind eines. Vielleicht hat sie ihre Kinder bei einem Brand verloren, den sie selbst verschuldet hat, und jetzt ist dort ein neues Haus gebaut worden, und das fackelt sie dann ebenfalls ab. So könnte ich mir einen Sinn zusammenreimen.
Tolle Deutung.

Ich werde das Gefühl nicht los, dass das Feuer gar nicht im Anschluss an das Richtfest beginnt. Die ganze Zeit davor regnet es in Strömen, wie kann da so ein Feuer auflodern? Alles sehr surreal. Aber eine Seltsam-Geschichte ist es ja auch nicht, sondern Alltag.
Aber ja, ich bin jetzt kein Feuerwehrmann, ich weiß nicht, ob der Regen einen - sagen wir mal - Schmorbrand verhindern kann oder den Ausbruch verhindern könnte. Da gestehe ich ein, bin ich nicht tief genug in die Recherche getreten, hatte das gar nicht auf dem Schirm. Ich hole das ggf. nach, danke für den Hinweis!

Bin sehr gespannt, was du dir dabei gedacht hast.
Also ich hab meine eigene Deutung mal gedroppt, du bekommst sie selbstverständlich auch:
Also für mich geht es einerseits um die Kinderlosigkeit der beiden, aber dahinterliegend um eine toxische Beziehung, in der Ehemann und -frau mit ihrer "Sprache" gegen den anderen feuern: Der Mann macht seine Frau für alles Mögliche verantwortlicht, auch ihr "Verrücktsein" prangert er an. Die Frau wehrt sich, vielleicht unbewusst, mit ihren Möglichkeiten: Sie wird nur umso "verrückter", weil es irgendwo auch das Einzige ist, wie sie zurückfeuern kann (wobei ich sowieso nicht glaube, dass es "verrückte" Menschen gibt). Die Frau möchte nicht zum Richtfest, weil sie evtl. schon eine Ahnung in sich trägt, dass ihr der Anblick der vielen Kinder nicht guttun wird. Der Ehemann scheißt drauf, und natürlich verhält sie sich dann ihm ggü. provokant, schlägt mit ihren Waffen zurück, frisst den Kuchen rein und zieht sich nicht aus. Am Ende fragt man sich natürlich, wer ist hier der Verrückte?, wenn der Ehemann ihr dann die Schuld am Brand gibt. Man fragt sich auch, ob jemand der beiden den Brand gelegt hat, ob der Mann das getan hat oder die Frau. Ob der Ehemann den Brand gelegt hat als Rache an die Frau oder die Frau als Rache an den Ehemann. Oder ob der Ehemann genauso "verrückt" seine Frau hierfür verantwortlich macht, nach der Logik: Überall, wo du hingehst, geschieht Unglück. Ich meine, er verhält sich im Auto dann auch super seltsam, super "verrückt", als er den Brand einfach beobachtet und eine dabei raucht. Ist er nicht ebenso "verrückt"? Wieso claimt die Gesellschaft die Ehefrau als "verrückt" und nicht ihn? Also, für mich bleibt auch offen, ob nicht er den Brand gelegt hat, und damit wäre er wesentlich "verrückter" als seine Ehefrau - der er danach, sadistisch würde ich das nennen, die Schuld am Brand gibt.
Naja, der Brand sollte auch metaphorisch für ihre Beziehung, ihren Konflikt sein.
Aber - das muss ich hier noch anhängen - das ist natürlich der Plot runtergebrochen, mir ging es, wie ich bereits schrieb, darum, auszuprobieren, ob ich auch so ein Gefühl im Subtext, ein Brodeln im Untergrund, evozieren kann, ähnlich wie Carver das so geil schafft - dass man spürt, da brodelt etwas, da stimmt etwas nicht, und wenn man die Symboliken, die Bilder auf sich wirken lässt, hat man eine ungute Ahnung und kann sich irgendwo denken, was nicht stimmt.

Irgendwie erinnert mich der Text an Das kleine Fernsehspiel.
Keine Ahnung, ob du das noch kennst (...) Das waren so artifizielle Filme im Nachtprogramm, bei denen es eine Menge zu interpretieren gab.
Kenne ich leider nicht! Aber klingt interessant, gerade für das Format Fernsehen!

Und eindrucksvolle, emotional aufgeladene Bilder hat dein Text allemal.
Das freut mich, dass du das so siehst!

Liebe Chai, ich wünsche dir auch eine gute Vorweihnachtszeit!


Beste Grüße an euch alle
zigga

 

Hey @zigga

Jetzt lass ich mal voll in die Karten blicken! :D Also, um mal zu sehen, wie die Textarbeit mit der Rangehensweise laufen wird ...
Das hilft mir tatsächlich, noch etwas präziser den Finger auf den Text zu legen, es hilft mir auch zu sehen, dass ich mit meiner Lesart nicht völlig daneben lag. Ich denke, wir sind da ganz nah und was hinter dem Spoiler in deiner Antwort steht, habe ich recht genau so mitbekommen, ich finde, es ist dir wirklich sehr gut gelungen, das spürbar zu machen, ohne es zu explizieren.
Genau das habe ich mit dem Brand versucht: Wenn keiner der beiden den Brand gelegt hat, wirkt der Ehemann doch auch verrückt. Also das war eine Intention von mir, die Frage aufzuwerfen: Wer ist hier verrückt? Ich mag den Begriff "verrückt" eh nicht, ich glaube, diese Zivilisation, diese Welt und Existenz ist ohnehin so verrückt, wenn sich jemand auf eine abweichende Art verhält, wer ist hier verrückt?
Aha! Da sind wir uns ja einig, was die Richtung anbelangt, in die der Text gehen soll. Was an deiner Lösung sehr viel besser ist als an meinem Vorschlag, ist die Schuldzuweisung. Natürlich! Er gibt ihr die Schuld an allem, auch was ihre Lebenssituation anbelangt. Was mir an deiner Lösung aber weiterhin nicht gefällt, ist die Tatsache, dass seine Verrücktheit in dieser Variante gleich um ein paar Nummern grösser wird als ihre. Das geht ja in Richtung Wahnvorstellung, wenn er ihr vorwirft, am Brand Schuld zu sein.
Ich gehe da ganz mit dir, dass der Begriff "verrückt" problematisch ist und ich hätte ihn konsequent in Anführungszeichen setzen sollen. Ihr Verhalten ist ja im Grunde sehr gut nachvollziehbar, es ist ihre Art, sich zu wehren, Widerstand zu leisten, manchmal bleibt nur der nackte Körper übrig, um das zu tun. (Literaturtipp: Michel Foucault: Die Macht der Psychiatrie). Schräg, seltsam, aber nicht wirklich verrückt.
Ich würde versuchen, seine "Verrücktheit" auf einer ähnlichen Ebene anzusiedeln. Spontane, unausgegorene und zu plakative Idee: Eine besorgte Mutter, die das Essverhalten der Frau beobachtet hat, geht zum Kindertisch und löst ihn auf, platziert die Kinder um. Daraufhin gibt er seiner Frau die Schuld. "Das hast du getan. Jetzt müssen die Kinder im Dunkeln essen, an einem weniger schönen Ort. Alles nur wegen dir." Da hättest du die Schuldzuweisung drin, ohne dass ich als Leser denke, der hat jetzt komplett den Verstand verloren und ohne dass ich darüber spekulieren muss, wer wann warum einen Brand gelegt hat.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Moin @zigga,

grad als ich kommentieren will, ist Vodafone-Totalausfall. Gut, dass sich die Site die Zitate merken kann. Ich lass mal alles weg, was mit die deutsche Kurzgeschichte muss dies und das haben und sage, dass es mir sehr gut gefallen hat. Um dieses Gefallen noch zu unterstreichen, würde ich bei dieser Art von Text an jedem Wort schrauben. Das betrifft mehr Kleinigkeiten wie Wortwiederholungen oder kürzere Sätze.

Nach dem Richtfest kamen sie vor das Haus; auf dem Rasen blieben sie stehen.
Nach dem Richtfest kamen sie zum Haus, blieben auf dem Rasen davor stehen.

„Ich will da nicht rein“, sagte sie. Sie hielt einen aufgespannten, gelben Regenschirm in der Hand; außerdem trug sie einen gelben Schal und eine gelbe Stoffmütze. Ihre Daunenjacke war aufgeplustert.
Weißt du, was ich meine? Wenn die Sprache durch Umbau alle Doppelungen möglichst vermeidet, dafür Kombinationen eher komplexerer Art verwendet, gleichen sich Sprache und Inhalt an. Denn wir betrachten ein komplexes Geflecht an Konflikten, ohne wirklich einzutauchen. Der Inhalt ist wie einmal auf die Kamera gedrückt, einer Beziehung in einem beliebigen Augenblick den Spiegel vorgehalten, zehn Minuten gewartet und wir sind mitsamt Spiegel wieder verschwunden. Wir Beziehenden, wir Leser*innen wissen, was da passiert und erfahren, dass es im Text und auch bei uns selbst keine Lösungen gibt ... wenn wir - wie im Text - alles geschehen lassen, an entscheidenden Stellen abbrechen oder versagen oder ungeduldig werden oder intolerant oder hassend.

Sie standen am Eingang, in ihren Jacken. Bierbänke waren in einer Linie aufgestellt. Ein Dutzend Menschen standen und unterhielten sich; Kinder liefen zwischen den Erwachsenen umher. Neben den Bierbänken stand ein weiterer, kleinerer Holztisch mit niedrigen Bänken.
Du hast ihnen vielleicht mit Absicht keine Namen gegeben, um sie wie uns alle sein zu lassen. Gut.

Beide am Eingang, in ihren Jacken. In einer Linie aufgestellte Bierbänke. Überall im Raum ein Dutzend Menschen. Gerede. Gequatsche. Belangloses. Unterhaltung eben. Kinder dazwischen. Spielend und störend. Da, ein kleiner Holztisch. Kindergröße. Für die Kleinen.

Das ist so wie die Kamera nach links, klick, Stückchen weiter, klick, dann rechts, klick.

Er zog seine Jacke aus.
Auch die seine, meine, deine würde ich so gut es geht rauswerfen und durch bestimmte Artikel ersetzen. Er zog die Jacke aus. Denn klar, sie gehört ihm.

dass sie noch ihre Daunenjacke, die Mütze und den Schal trug.
dass sie noch Daunenjacke, Mütze und Schal trug.

Im Grunde überlässt du uns den sogenannten Twist. Man kann ihn beim Zurückbringen des Löffels verorten. Und dem Sitzenbleiben im Auto, während die Meute sich versucht zu retten. Dabei liegt aus meiner Sicht das Augenmerk nicht auf dem Text. Er liegt bei uns allen. Das ist unser aller Verhalten. Also, was wollen wir für einen Twist haben? Für unser Leben? Für unsere Konflikte? Für unser Zuschauen?

Das alles noch mehr hervorzuheben durch eine eingedampfte und präzisiertere Sprache, fände ich noch mal einen draufgesetzt.

Sehr gerne gelesen und drüber nachgedacht.

Griasle
Morphin

 

Verzeiht die lange Antwortzeit :aua:

Lieber @Peeperkorn,

Das hilft mir tatsächlich, noch etwas präziser den Finger auf den Text zu legen, es hilft mir auch zu sehen, dass ich mit meiner Lesart nicht völlig daneben lag.
Super

Ich denke, wir sind da ganz nah und was hinter dem Spoiler in deiner Antwort steht, habe ich recht genau so mitbekommen, ich finde, es ist dir wirklich sehr gut gelungen, das spürbar zu machen, ohne es zu explizieren.
Das freut mich

Da sind wir uns ja einig, was die Richtung anbelangt, in die der Text gehen soll. Was an deiner Lösung sehr viel besser ist als an meinem Vorschlag, ist die Schuldzuweisung. Natürlich! Er gibt ihr die Schuld an allem, auch was ihre Lebenssituation anbelangt. Was mir an deiner Lösung aber weiterhin nicht gefällt, ist die Tatsache, dass seine Verrücktheit in dieser Variante gleich um ein paar Nummern grösser wird als ihre. Das geht ja in Richtung Wahnvorstellung, wenn er ihr vorwirft, am Brand Schuld zu sein.
Das stimmt!

Das stimmt Ich würde versuchen, seine "Verrücktheit" auf einer ähnlichen Ebene anzusiedeln. Spontane, unausgegorene und zu plakative Idee: Eine besorgte Mutter, die das Essverhalten der Frau beobachtet hat, geht zum Kindertisch und löst ihn auf, platziert die Kinder um. Daraufhin gibt er seiner Frau die Schuld. "Das hast du getan. Jetzt müssen die Kinder im Dunkeln essen, an einem weniger schönen Ort. Alles nur wegen dir." Da hättest du die Schuldzuweisung drin, ohne dass ich als Leser denke, der hat jetzt komplett den Verstand verloren und ohne dass ich darüber spekulieren muss, wer wann warum einen Brand gelegt hat.
Das ist ein schöner Vorschlag. Im Allgemeinen wünsche ich mir selbst solche Ideen. Ich denke, ins Kleine, Normale zu gehen und dort seine Prämisse auszuarbeiten, ist die hohe Kunst. Ein Irrer Brandschatzer ist einfach zu schreiben, aber jemand, bei dem dieser Konflikt im Kleinen, Normalen passiert ... das ist schwierig und besser!

Danke dir für deinen erneuten Kommentar, Peeper!

Ich muss mal schauen, was ich mit dem Text mache, ob ich den in ein paar Monaten gut finde und ob ich da drüber arbeite oder einfach nur aus ihm lerne!

Hallo @Henry K.,

deine Geschichte liest sich für mehr wie die Exposition einer Geschichte: Jetzt müsste in Rückblenden erzählt werden, warum die Frau an dem Brand Schuld ist und vor allem, wie sie in ihre offensichtliche Zwangslage in der Beziehung geraten ist. In ihrer jetzigen Form ist die Story also mehr eine Skizze. Woran liegt das?
Das stimmt!

Beide Konflikten müsste eine "richtige" Story nun eigentlich auserzählen – vielleicht sogar in Form einer längeren "Novelle", schliesslich ist ein von einer Frau verursachter Brand ja eine "unerhörte Begebenheit" wie aus dem Lehrbuch.
Das stimmt auch! ich glaube, die Kunst bei Kurzprosa ist es, dass man satt wird, und zwar nach der Füllmenge eines Schnapsglases. Man möchte keine zwei Liter Bier mehr danach, sozusagen. Dementsprechend, das ist nicht despektierlich gemeint (wirklich nicht), kann man glaube ich der meisten Kurzprosa, die ausbaufähig ist, vorwerfen, sie müsste länger sein. Muss sie das wirklich? Ich glaube viel eher, die Kurzprosa müsste anders sein, sodass kein Verlangen nach mehr, nach Klärung beim Leser vorhanden ist am Ende

Geschrieben finde ich die Szene eigentlich sehr gut. Man hat alles bildlich vor Augen und versteht die Nöte der Frau auch ohne viele Hintergrunddetails. Ich finde auch die minimalistische Art der beiden zu sprechen im gegebenen Rahmen stimmig. Einziges unplausibles Element ist für mich der mitgenommene Löffel. Der rechtfertigt für mich keine Umkehr.
Der Löffel - ja, das stimmt. Man versteht u.U. nicht, weswegen der Mann umkehrt.

Henry, vielen Dank für dein Feedback - diese Story ist bestimmt nicht perfekt, und ich halte deine Rückmeldung für wertvoll.


Hallo @Morphin,

ch lass mal alles weg, was mit die deutsche Kurzgeschichte muss dies und das haben und sage, dass es mir sehr gut gefallen hat. Um dieses Gefallen noch zu unterstreichen, würde ich bei dieser Art von Text an jedem Wort schrauben. Das betrifft mehr Kleinigkeiten wie Wortwiederholungen oder kürzere Sätze.
Danke dir und gerne!

Nach dem Richtfest kamen sie vor das Haus; auf dem Rasen blieben sie stehen.
Nach dem Richtfest kamen sie zum Haus, blieben auf dem Rasen davor stehen.
Gekauft

„Ich will da nicht rein“, sagte sie. Sie hielt einen aufgespannten, gelben Regenschirm in der Hand; außerdem trug sie einen gelben Schal und eine gelbe Stoffmütze. Ihre Daunenjacke war aufgeplustert.
Weißt du, was ich meine? Wenn die Sprache durch Umbau alle Doppelungen möglichst vermeidet, dafür Kombinationen eher komplexerer Art verwendet, gleichen sich Sprache und Inhalt an. Denn wir betrachten ein komplexes Geflecht an Konflikten, ohne wirklich einzutauchen. Der Inhalt ist wie einmal auf die Kamera gedrückt, einer Beziehung in einem beliebigen Augenblick den Spiegel vorgehalten, zehn Minuten gewartet und wir sind mitsamt Spiegel wieder verschwunden. Wir Beziehenden, wir Leser*innen wissen, was da passiert und erfahren, dass es im Text und auch bei uns selbst keine Lösungen gibt ... wenn wir - wie im Text - alles geschehen lassen, an entscheidenden Stellen abbrechen oder versagen oder ungeduldig werden oder intolerant oder hassend.
Du hast recht

Er zog seine Jacke aus.
Auch die seine, meine, deine würde ich so gut es geht rauswerfen und durch bestimmte Artikel ersetzen. Er zog die Jacke aus. Denn klar, sie gehört ihm.
gekauft

Im Grunde überlässt du uns den sogenannten Twist. Man kann ihn beim Zurückbringen des Löffels verorten. Und dem Sitzenbleiben im Auto, während die Meute sich versucht zu retten. Dabei liegt aus meiner Sicht das Augenmerk nicht auf dem Text. Er liegt bei uns allen. Das ist unser aller Verhalten. Also, was wollen wir für einen Twist haben? Für unser Leben? Für unsere Konflikte? Für unser Zuschauen?
Eine schöne Deutung!

Das alles noch mehr hervorzuheben durch eine eingedampfte und präzisiertere Sprache, fände ich noch mal einen draufgesetzt.
Du hast recht, ich brauche mehr Eindampfung, ich werde drübergehen!

Sehr gerne gelesen und drüber nachgedacht.
Das freut mich.


Danke euch alle fürs Lesen uns Kommentieren! Entschuldigt die lange Antwortzeit. Auch, dass ich euch jetzt, nachts, geistig eingeschränkt und halb besoffen, antworte, haha. Aber mir war es wichtig, euch vor Weihnachten noch zu antworten.


Frohe Weihnachten euch allen wünscht
zigga

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom