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Rock 'n' Roll Sonderschule

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30.09.2002
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Rock 'n' Roll Sonderschule

Ledernes und synthetisches Schuhwerk scharrt grob über den staubigen, kalten Steinboden und vereint sich allmählich zu einer rauhen, immer lauter werdenden Symphonie der Ungeduld.
Der beißende Qualm automatengezogener, aber überwiegend selbst gedrehter Zigaretten steigt rasch hinauf und zerfließt an der tief hängenden Decke wie das Wasser von Regentropfen auf grauem Asphalt. Schon bald verschwinden die ersten Köpfe im weißen Dunst.
Die Anarchie schleicht sich wie ein böser Geist durch die Ritzen der schlecht gemauerten Wände und schafft erste Provokationen: Geschlechtertrennung ist im Raum nicht vorgesehen.
Schamlos, ohne einen Hauch von Anstand gemischt stehen die Menschen beiden Geschlechts Schulter an Schulter, Hüfte an Hüfte, zusammengepfercht wie billiges Schlachtvieh. Teuflische Dämmerung verdeckt ihre nervösen Körper.
Zur unerträglichen Ungeduld mischt sich der penetrante Gestank von eilig gezapftem Bier und illegalen Genusswaren.
Nur allzu bald schlägt die Ungeduld um in leichte Verärgerung und mündet schließlich in eine Phalanx der Empörung. Leere Plastikbecher fliegen und letzte verbliebene Tropfen zischen bei Hautkontakt auf wie Wasserspritzer auf einer Kochplatte, ein Schlagring glitzert bedrohlich im Dämmerlicht und die geschliffenen Kanten der stützenden Pfeiler wirken mit einem Male wie scharfe Rasierklingen, die hinterhältig auf Schädelspaltungen spekulieren.
Die anwesende Fernsehreporterin bereitet sich schon auf die Meldung eines Bürgerkriegsausbruchs vor, als einer der anwesenden mit lauter Stimme grölt: „Jetzt aba ma rock.“
Der tobende Mob grölt zurück. Ein schallendes Yeeeeaaaaaahhh, das manch einem die Filmerinnerung an den König des Dschungels zurückruft, erfüllt die Halle und vom Geist der Spontaneität inspiriert steht sie auf einmal da: Die Rockband.
Und als der Gitarrist mit seinen Fingern in die Stahlsaiten greift, schießen helle Lichtstrahlen auf die Mengen zu und tauchen sie in ein Meer der Erleuchtung und der Erleichterung.
Das wache Auge mustert die Zuschauer mit kritischem Blick.
Die Männer tragen extrem rockbetonte Kleidung. Auf ihren Shirts prangen pfiffige wie geniale Aphorismen der zeitgenössischen Kunst wie „Rock“, „Rockstar“ oder „Let’s Rock“ und ihre ausgewetzten Jeans mit einer besorgniserregenden Zahl an Lüftungsschächten werden von Patronengürtelplagiaten und nietembesetztem Leder gehalten. Zudem legen einige viel Wert darauf, ihre Unterhosen respektive Boxershorts den anderen zur Betrachtung freizugeben, damit ein jeder sieht: Hier wohnt der Rock.
Nur die Frauen wissen diese Personifizierung des wahren Rockgefühls noch zu übertreffen.
Auch sie tragen unvergleichliche Perlen der adoleszenten Gegenwartskunst auf ihren schweißdurchnässten T-Shirts, ausgeheckt in den Köpfen der ständig brütenden intellektuellen Elite. Worte wie „Rockschlampe“ „Superrockschlampe“ oder „Superrock“ dokumentieren das feinen Gespür für das passende Outfit. Gelegentlich fallen Zahlen des kleinen Einmaleins ins Auge, die wahllos von der Industrie auf Shirts gedruckt und auf den Markt geschmissen wurden. Außerdem tragen sie extrem stoffökonomische Hosen, vollgesogen mit der kostbaren Luft historischer Konzerte, aus denen der allseits beliebte Tanga in weiß und schwarz lugt.
Einer Jury würde nur das eine Urteil bleiben:
Die Klamotten sind jetzt aba ma Rock.
Auch die Band ist jetzt aba ma Rock. Mit der brachialen Raubeinigkeit eines kreischenden Dampfhammers drescht der triefende Trommler auf seine metallumspannten Teufelstöpfe ein, der betont behaarte Zupfmeister bedient mit gekonnt diabolischem Grinsen sein dröhnendes Arbeitsgerät, während der Anführer des Trios sich daran versucht, mit höllischer Inbrunst und bedingungsloser Bösartigkeit gewagte und völlig neuartige Verse wie „Fuck the Police“, „Fuck the law“ and „Fuck the state“ aus seiner dürstenden Kehle zu pressen. In verlässlicher Regelmäßigkeit produziert er ein artistisches Hohlkreuz und beugt seinen Oberkörper gefährlich weit nach hinten, überzieht sein Züge mit einer schmerzverzerrten und verbissenen Gesichtsgymnastik und steigt rasch auf der Tonleiter acht, neun Stufen gleichzeitig hoch.
Die rasende, enthusiastische Menge dankt im das mit ohrenbetäubendem Geschrei und liefert sich mit ihren Kumpels eine lebensgefährliche Schlägerei, die jedoch – das sei zur Aufklärung gesagt – auf rein freundschaftlicher Basis abläuft. Auch blutende Nasen und unkonventionell positionierte Knochen gereichen hier nicht, um ernsthaft an der Liebenswürdigkeit der Freunde zu zweifeln.
Zwischen den Songs wirft der singende Barde einen verbalen Gassenhauer nach dem anderen auf die süchtige Menge, die unverkrampftes Rockgefühl aufs deutlichste dokumentieren.
„Sagt mal, war das bisher alles im grünen Bereich?“ Und sie schreien mit terroristischem Fanatismus – auch wenn ihnen die Musik mehr als fremd erscheint – nochmals den Rockurschrei: „Yeaaaaaaahhhhhhh.“
Das Repertoire zur comedy-orientierten Anheizung des Sängers ist jedoch noch lange nicht erschöpft.
„Gestern beim Konzert im Jugendzentrum Rheda-Wiedenbrück waren weniger Leute“, witzelt er mit showmasterlicher Leichtigkeit. Erneut verfällt der Mob in altertümliche Verbalbegeisterung und archaische Gestik. Der Mann mit der extrem rocklastigen Stimme weiß seinem Wortkünstlertum nach einem wirklich apokalyptischem Song noch das Sahnehäubchen aufzusetzen.
„Das ist Rock“, brüllt er und den denken Beobachter hätte es nicht gewundert, wenn er sich jetzt beidseitig unter den Achselhöhlen gekratzt und Tierschreie imitiert hätte. Das Publikum kennt kein Halten mehr und verwandelt den Saal endgültig in ein prügelndes Tollhaus, das nachher in Scharen und im Vollrausch über das Vorhandensein einer ihnen unterstehenden Krankenkasse grübelt.
Niemand denkt auch nur eine Sekunde daran, in diesen geschichtsträchtigen, konspirativen, staatsfeindlichen Momenten den Raum zu verlassen. Auch nicht, wenn die Blase nur allzu heftig drückt und die Luft Aggregatzustände in obiger Richtung wechselt.
Nur ein unscheinbarer Mann in unscheinbarer Jeans und unscheinbarem weißem Hemd rümpft seine Nase und geht.
„Wat is’n?“ fragt ein verdutzter Zuschauer, „dat ist doch jetzt aba ma Rock.“
„Falsche Richtung“, antwortet der Mann im weißen Shirt.
Der Blick seines Gegenübers wird nun noch verdutzter.
„Häh?“
„Geht mir zuviel von innen nach außen“, erklärt der andere und verschwindet. Die verwirrten Blicke bleiben.

 

Hallo Sebastian,

eigentlich empfinde ich den Text eher als eine treffende Beschreibung eines Rock- Konzerts, nicht so sehr als Satire. Bei der Beschreibung der Publikum- Band- Beziehung gab es die richtigen Ansätze, doch eigentlich entspricht das Geschilderte einfach der Realität. Der Erzählton wirkt ziemlich sachlich, es passiert dies, dann das, usw. Vielleicht hättest Du da schon einen lakonischen Tonfall einbringen sollen.
„Aggregatzustand in obige Richtung wechselt“ - wie ist das gemeint?

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

@Woltochinon: Na ja, ganz so geht es bei Rock-Konzerten ja nicht zu. Es ist eben übertrieben. Der Erzählstil ist auch eher nicht sachlich, als vielmehr in den Formulierungen übertrieben, was die Wichtigkeit betonen soll, die einige solchen Konzerten zugestehen.

 

Hallo Sebastian,

was die Wichtigkeit (`Rock ist mein Leben!´)angeht, hast Du völlig recht. Es ist manchmal wirklich erschreckend, wie sich das Publikum den Vermarktungsstrategien ergibt.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

@Woltochinon: Du schon wieder ? ;-)

Allerdings ist das erschreckend, wie sehr sich das Publikum den Strategien hingibt. Die Bands allerdings auch.

Inspiriert wurde ich zu dieser Geschichte übrigens durch einen Besuch des EinsLive - Festivals "Das erste Mal" in Krefeld 2001. Da spielen Bands, die gerade einen Plattenvertrag bei einem Major bekommen haben.

 

@Existence:
Es gibt diese Klischees wirklich. Natürlich meine ich damit nicht die anständigen Rockbands und deren Anhänger (Radiohead etc.),sondern vor allem diese Möchtegernrocker (Nickelback, etc.) und deren Anhänger. Ich habe solche Dinge nun mal wirklich erlebt. Wie du aber bemerkt hast, habe ich die Geschichte unter der Rubrik "Satire" veröffentlicht. Im Klartext: Alles ist stark übertrieben. Im Übrigen ist es ja die Aufgabe der Satire zu provozieren. Das scheint mir durchaus gelungen. ;-)

 

@Existence: Noch einmal: Es sind nicht zwangsläufig vorurteile. Ich habe diverse Festivals besucht (Bizarre etc.) und dort gibt es wirklich solche Menschen.

Im Übrigen wundert es micht, dass du weder Radiohead noch Nickelback kennst. Mir scheint, du kennst dich in der momentanen Musikszene wenig aus. Wie kannst du mir dann vorwerfen, ich bediene Klischees?

 

@Sebastian
Nun gut, ich kenne mich wohl ein wenig aus in der Musikszene (behaupte ich einfach mal) und ich kann Existence trotzdem nur zustimmen.
Zitat: "Es gibt diese Klischees wirklich!"
Natürlich gibt es diese Klischees und du machst mit deiner Geschichte nichts anderes, als diese zu benutzen. Mir fehlt ehrlich gesagt das Überspitzte in deinem Text. So wie es jetzt das steht wirkt es mehr wie deine persönliche Meinungsäußerung als wie eine gut durchdachte Geschichte. Auch da schließe ich mich Existence an, man kann das auf jede Art von Musikrichtung anwenden und du hättest durch spezifischere Beschreibungen viel mehr heraushohlen können. Ich sehe einfach nicht das starke satirische Element, was deinen Text von einer normalen Meinungsäußerung abhebt.

Zu deinen Besuchen bei diversen Festivals: Nun ich, war auch auf diversen Festivals und habe KEINEN! einzigen gesehen, der ein "Let's Rock" oder "Rockschlampe" T-Shirt getragen hat! Deswegen kann ich deine Geschichte auch nicht nachvollziehen. Aber vielleicht bist du ja der Typ, der zum Schluß deiner Geschichte geht und sich so gar keine andere Meinung bilden kann!?

Saludo, Gam.

 

@Gamdschie: Natürlich lässt sich das auf jede Art von Musikrichtung übertragen. Was sich ändert sind meist nur die T-Shirts, also die Kleidung. Sonst ähneln sich Pop-,Rock-,Punkkonzerte ziemlich. Genau das wollte ich ausdrücken. Das viele Rockkonzerte auch nicht unbedingt besser sind als Popkonzerte.

 

Ach ja... wie schön war doch die Musik in meiner Jugend.
Rockmusik ist heute einfach nicht mehr das was sie mal war. Wir damals, wir haben noch Arm in Arm zu den Hymnen der Bands die Mähne geschüttelt. Die Fans der heutigen Bands haben ja nicht mal mehr lange Haare.
Wir haben uns damals nicht der durch die Medienindustrie vorgegebenen Kleiderordnung hingegeben. Wir haben schön individuell unsere Lederhosen und liebevoll benähten Kutten getragen. Nicht so wie diese möchtegern Nu-Metaller, die alle rumlaufe wie billige Kopien ihrer Stars.
Früher war einfach alles besser.

Bissig :D lucutus

 

Ach Leute, lasst doch bitte diese Diskussionen über Musik und wendet euch wieder der Geschichte zu, das ist nämlich der Sinn der Geschichten Foren. ;)

Danke, Gam.

 

Darauf wollte ich - ok, man merkt es nicht - mit meinem Beitrag hinaus.
Meiner Erfahrung nach gibt es nämlich in allen Stilrichtungen und Medien einige Sahnestückchen, die die Zeit überdauern und jede Menge überflüssigen Mülls.
Und jede Generation neigt dazu, die Musik ihrer Zeit zu überhöhen und das nachfolgende als "Einfach keine richtige Musik mehr" zu betrachten.

Meine Intention war, den Grabenkrieg, der hier im Gange ist, zu überspitzen.

Die Story dreht sich meiner Meinung nach in erster Linie darum, dass Fans (sagen wir zu 80%) dazu neigen, zu allem, was ihre Stars sagen "Yeahh" zu brüllen und sich dem modischen Diktat zu unterwerfen.

Und wie Sebastian richtig anmerkt, das ist beliebig übertragbar. Das galt in den 60ern bei den Beatles, in den 80ern bei Alice Cooper und heute bei Tittney Spears und den diversen Nu-Metal-Derivaten. Letztere nimmt Sebastian nun halt aus der Sicht eines Fans hergebrachter Gitarrenmukke auf die Schippe.
Sebastian - der sich im Kaffeeklatsch als Brittpop-Fan outet ;) - weiß sicher um die Vielschichtigkeit der Rockmusik.
Einer Satire sollte man die Verallgemeinerung zugestehen.

Die Frage ist: handelt es sich um eine Satire oder um den Ausdruck der Verständnislosigkeit eines musikalisch Festgelegten, der sich auf das falsche Konzert verirrt hat. :D

Die Beobachtungen finde ich jedenfalls gut auf den Punkt gebracht.

das Mediationsverfahren einleitend ;)

lucutus

 

@Lucutus: Danke! Endlich versteht mich mal jemand und endlich weiß mal jemand, was eine Satire alles darf (bezüglich der Verallgemeinerung).

Im Übrigen bin ich nicht unbedingt Fan althergebrachter Gitarrenmusik. Meine Favoriten (Radiohead, Sigur Rós, Doves, Coldplay, Muse, Placebo) gehören eigentlich größtenteils der jüngeren Generation an. Allerdings gehört Nu-Metal nicht zu meinen Vorlieben.

Musikalisch bin ich daher auch nicht festgelegt. Ich habe mich also nicht verirrt, ich wusste vorher, dass ich zu einem Rockkonzert gehe, aber dann war es nur Mitmach-Kasperle-Theater.

Grüße
Sebastian

 

@Existence: Du schreibst, dass eine Satire dann ihren gewünschten Zweck erfüllt, wenn sie dem Leser die Intention des Autors darlege.
Das ist aber keine spezielle Definition für eine Satire. Das lässt sich für jede Art von Text sagen.

Spezielle Charakteristika der Satire sind aber Übertreibung und Steigerung.

 

also ich möchte zu diesem thema nur sagen, dass man ein popkonzert, doch bitte nicht mit einem rock- oder punkkonzert vergleichen kann!
das hat ja nun wirklich soviel ähnlichkeit wie britney spears mit sid vicious!!!

 
Zuletzt bearbeitet:

Also was ich an der Geschichte und nachfolgenden Diskussion witzig finde, ist die Tatsache, dass sich einige hier anscheinend doch auf den Schlips getreten fühlen, von wegen

auf Konzerten gibt es nur überaus wenige Damen (wenn überhaupt) mit hohlen Phrasen wie "Rockschlampe" auf den Tops.
Rock, Rock 'n Roll und Heavy Metal ist keinesfalls pauschal "hohl" und sinnentleert
So war's ein Rundumschlag, und auch ich fühlte mich, als Hörer von (den alten) Black Sabbath, DIO oder vor allem deren neuzeitlichen Ausläufern, angegriffen
Nun ich, war auch auf diversen Festivals und habe KEINEN! einzigen gesehen, der ein "Let's Rock" oder "Rockschlampe" T-Shirt getragen hat!
Wenn das nicht für sich und somit für deine Satire spricht, dann weiß ich nicht.
Denn ich denke mir, wer da nicht differenzieren kann und ständig danach schreit, der Autor sollte spezifischer werden (was wahrscheinlich heißen soll, er soll sich gefälligst eine andere Musikrichtung, als die seine heißgeliebte für einen Verriss aussuchen), fällt vermutlich genau in das hier beschriebene Klischee. :D

Denn Sebastian hat's ja schon geschrieben:

Natürlich lässt sich das auf jede Art von Musikrichtung übertragen. Was sich ändert sind meist nur die T-Shirts, also die Kleidung. Sonst ähneln sich Pop-,Rock-,Punkkonzerte ziemlich. Genau das wollte ich ausdrücken. Das viele Rockkonzerte auch nicht unbedingt besser sind als Popkonzerte.
Existence schreibt noch:
Eine Satire erfüllt dann ihren gewünschten Zweck, wenn sie dem Leser die Intention des Autors darlegt, und so gut wie alle Rückmeldungen, zuzüglich der des Autoren, haben gezeigt, dass dies nicht der Fall gewesen ist.
Mir war seine Intention klar. ;)

Eine kleine aber feine Korrektur bitte noch:

Und als der Gitarrist mit seinen Fingern in die Stahlseiten greift
Stahlsaiten!

Grüße
Visualizer

 

@Visualizer: Es gibt sie also doch noch, die Menschen mit Humor. Danke!
Der Fehler mit den Saiten ist mir wirklich peinlich. Ich werde ihn direkt korrigieren.

 

Ich versteh dich auch *anerkennendaufdieschulterklopf*

Und ich werde trotzdem im April mit meinem T-Shirt schreiend in der ersten Reihe stehen, wenn Peter Gabriel in Hamburg seine Show abzieht :-)

selbstironisch :: lucutus

 

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