Es war der 14. März 1701, ein wunderschöner Morgen, als mein Daimyo Asano mit seiner Gattin und uns, wir waren 47 Samurai, über den Hof des Shogun Tsumayoshi spazierte. Asano war ein Mann, der stolz auf uns sein konnte und stolz auf uns war, sodass wir fast in seine Familie gehörten.
Asano winkte mich zu sich.
„Niikara...ich würde dir sehr dankbar sein, wenn du mal den Zeremonienmeister Kira Kotsuke im Augen behalten würdest. Ich habe ihn gestern beobachtet wie er lüstern meiner Gattin nachsah. Ich möchte sie nicht beunruhigen und ihr den Aufenthalt so angenehm wie möglich machen.“
Ich verbeugte mich und drosselte etwas mein Tempo um so lange wie möglich bei dem Tempel zu bleiben um den Zeremonienmeister, der im Tempel weilte, gut beobachten zu können.
Er tat nichts verdächtiges. Kotsuke betete im Stillen, sodass ich mich auch etwas in meine Seele zurückzog, aber trotzdem blieb ich wachsam. Das Treiben auf dem Hofe war sehr groß, da Kotsuke einige seiner Freunde zu einem Abendessen eingeladen hatte. Asano war ebenfalls geladen. Als ich mich gerade etwas entspannen wollte, trat die Gattin meines Herren aus einem anderen Tempel. Mit meinen Blicken heftete ich mich an sie. Risa Takeda war ihr Name. Takeda, eine hübsche 20-jährige Frau, die jeder von uns sehr mochte. Takeda war mal eine Geisha gewesen und ich erkannte sie sofort wieder, als Asano sie vorstellte. Es war nicht sehr lange her gewesen, da hatte ich Takeda, noch als Geisha tätig, besucht. Sie war eine wundervolle, zärtliche Frau und froh solch einen jungen Mann wie mich in ihrem Bett zu haben. Ich wollte nicht wissen wen sie alles beglücken musste. Takeda lag mir sehr am Herzen auch wenn ich es nicht zugeben durfte. Ich sehnte mich des öfteren nach ihr, doch sie blieb mir verwehrt, denn ihr Herz gehörte Asano. Mein Herz begann schneller zu schlagen, als ich bemerkte, dass Takeda auf mich zu kam, doch bald besann ich mich meines Standes und mahnte mich zur Selbstbeherrschung. Takeda trug ihre schwarzen Haare hochgesteckt, sodass ihr betörendes Gesicht ohne Schatten von der Sonne beschien wurde.
„Niikara, was machst du hier?“, fragte mich Takeda.
„Ich wollte hier ein bisschen ruhen, aber warum bist du nicht bei Asano?“
Takeda lächelte leicht.
„Ich muss noch mit dem Zeremonienmeister etwas wegen dem heutigen Abendmahl besprechen.“
Ich nickte und trat ein Schritt zurück um Takeda zu bedeuten, dass ich nichts weiter von ihr wollte. Takeda verbeugte sich und ich tat es ihr etwas tiefer verbeugt gleich. Natürlich wurde die Situation für mich sehr interessant. Kotsuke erhob sich von seinem Gebet und empfang Takeda mit lüsternen Blicken, die selbst der blindeste Weise auf dieser Welt erkannt hätte. Das reichte mir völlig, sodass ich lautlos verschwand um Asano Bericht zu erstatten. Mein Daimyo saß in seiner Kammer und schrieb etwas auf ein Blatt Papier. Tief verneigt wartete ich, dass er mich bemerkte. Asano hob seinen Blick.
„Was gibt es Niikara?“ Asano legte sein Blatt zur Seite. „Jetzt setz dich erst mal zu mir.“
Dankbar ließ ich mich nieder. Asano war ein bewundernswerter Fürst, den ich über alles liebte und verehrte. Mit ihm in einem Zimmer zu sitzen, war unglaublich und der Gedanke für einmal zu sterben erfüllte mich mit einer angenehmen Erregung.
„Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie deine Gattin von Kotsuke betrachtet wurde. Seine unwürdigen Blicke entblößten sie fast.“
„Was wollte Risa bei ihm?“
„Sie sagte mir, dass sie etwas wegen dem Abendmahl klären müsse.“
Asano wog seinen Kopf bedächtig hin und her, dann überlegte er lange. Gespannt wartete ich auf seine Entscheidung.
„Warten wir den heutigen Abend ab.“
Gegen Abend nahmen Asano, Kotsuke und Asanos Gattin das Essen ein. Wir saßen draußen im Gras und erzählten uns Geschichten, die wir von anderen Leuten gehört hatten. Als die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand, trat Takeda aus dem Tempel. Sie war wunderschön anzusehen. Ihre Haare waren diesmal offen und ein paar Strähnen wehten in ihr junges Gesicht. Ich selbst war erst 25 Jahre alt. Takeda trug mehrere Schüsseln Reis. Jeder von uns betrachtete sie, wobei wir uns gegenseitig ermahnten nicht zu lüstern zu schauen. Takeda sah zu mir und ein sanftes Lächeln umspielte ihre rot geschminkten Lippen. Mein Gesicht blieb reglos, doch sie wusste genauso gut wie ich, dass ihr Lächeln mein Herz schneller schlagen ließ. Takeda verbeugte sich vor uns.
„Lasst es euch gut schmecken.“
Wir nickten und beobachteten, dass Takeda den Park ansteuerte. Ein ungutes Gefühl ließ mich ebenfalls aufstehen. Niemand fragte nach, wohin mich mein Weg führen würde, da ich ein ehrbarer Samurai, wie die anderen auch, war. Ich sah die Gattin meines Daimyos im Schatten eines Baumes verschwinden. Meine Hand lag schon am Schaft meines Katanas, als plötzlich ein lautes Aufstöhnen ertönte. Ich rannte schnell durch den Park, ignorierte die Dornen, die sich in mein Gesicht bohrten und blieb keuchend im Zentrum des Parkes stehen. Oishi, der älteste Samurai, sprang neben mir aus dem Dickicht. Es folgten 20 andere Samurai. Niemand hielt sein Katana in der Hand, da es verboten war. Ich spürte mein Herz, dass zwei Schläge aussetzte. Vor mir stand mein Fürst mit gehobenen Katana. Vor ihm kniete Kotsuke mit einem langen tiefen Kratzer an der Stirn. Takeda umklammerte Asano und wimmerte leise.
„Oishi...bitte nimm mein Daisho“, bat Asano.
Hiermit waren wir Ronin. Ein schreckliches Gefühl. Ich hatte jeden halt und jeden Sinn meines weiteren Lebens verloren. Nur eine Rachetat konnte mich noch erquicken. Asano nahm Takeda bei der Hand und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
„Geh mein Kind. Geh zu Niikara.“
Takeda wollte nicht gehen, doch Asano schob sie zu mir. Das zerbrechliche Mädchen in meinen Armen haltend musste ich darauf achten nicht selber zu Grunde zu gehen. Ich strich tröstend über Takedas Haar und hielt mir meine Tränen nur schwer zurück.
Ahnend was für eine Zeit auf sich und seine Leute zu kommen wird, nahm Oishi das Daisho entgegen. Eine kurze Zeit später sah ich zwei Gestalten eilig auf uns zu kommen. Es waren der Shogun Tsumayoshi und Mijamoto, ein Samurai von uns. Tsumayoshi sah fassungslos in die Runde und schüttelte schwer seinen Kopf.
„Asano“, seufzte er bestürzt. „Was hast du getan?“
„Dein Zeremonienmeister hat meine Gattin nachgestellt und ich verlor meine Kontrolle.“
„Ich werde dich vor das Gericht bringen müssen.“
Asano nickte. Seine Haltung war aufrecht, als wir zu unseren Kammern zurückkehrten. Es war ruhig, nur das leise Schluchzen von Takeda, die ich immer noch bei mir hielt, durchbrach diese bedrückende Stille. Ich beobachtete Kotsuke, der etwas ratlos und etwas ängstlich uns Ronin betrachtete. Ihm war klar, dass er ab jetzt um sein Leben bangen konnte und er bangte wie ein ängstliches Kaninchen.
Am Tempelkomplex angekommen, trat Oishi an meine Seite. Takeda stand noch in meiner Nähe, doch sie war zu sehr mit ihrer Trauer beschäftigt, als das sie was hören könnte, was mein Anführer zu mir sprach.
„Wir reisen heute Abend noch ab. Der Shogun ordnete dies an und es liegt auch in Asanos Interesse. Er wünscht sich, dass wir auf Takeda aufpassen, doch es wird wohl kaum möglich sein, da wir sicherlich unter anderen Fürsten aufgeteilt werden. Drum lass dir gesagt sein, dass wir im ständigen Kontakt zueinander stehen sollten um unsere Rache zu planen. Nimm auch Takeda mit zu deinem Fürsten. Vielleicht kann sie ihm im Haushalt dienen.“
Ich war nicht so sehr von der Idee Oishis begeistert. Takeda mit zu einem fremden Fürsten zu nehmen...sie war eine Geisha und ist es jetzt nicht mehr!
„Sie wird ihm auch woanders dienen müssen“, bedachte ich.
„Darauf sollst du aufpassen.“
Ich nickte halb überzeugt und ging mein Pferd holen. Innerhalb von einer Stunde waren wir zur Abreise bereit. Asano verabschiedete sich von dem Shogun, schwang sich auf sein Pferd, hob die Hand und galoppierte voraus. Nach Harima war es schon ein kleines Stückchen, doch ich verbrachte die Zeit in einem stillen Gebet. Der Wind war kühl, aber ich konnte den nahenden Frühling schon wahrnehmen.
„Niikara!“, rief mich Oishi nach vorne.
Ich trieb mein Pferd an und verließ somit die Nachhut. Neben meinem Anführer fiel mein Pferd wieder in den Schritt zurück. Fragend sah ich Oishi an.
„Was gibt es?“
„Takeda möchte mit dir sprechen.“
Ich zog verwundert eine Augenbraue hoch, hielt mein Pferd an und wartete auf Takeda, die schon angaloppiert kam. Ihr Haar war zu einem festen Zopf zusammengebunden, ihre Augen funkelten traurig.
„Niikara, ich habe gehört, dass ich mit gehen soll.“
„Ja. Da hast du richtig gehört. Das Gericht wird uns sicherlich alle aufteilen, aber keine Angst. So leicht werden wir den Tod von Asano nicht hinnehmen.“
Takeda sah mich panisch an.
„Tod? Warum redet ihr alle von Tod? Asano spricht mit mir, als ob er morgen sterben müsse.“
Ich hätte sie sehr gerne in meine Arme genommen um sie zu trösten.
„Es ist doch bei Todesstrafe verboten das Schwert am Hofe des Shogun zu ziehen.“
„Aber...“
„So sind die Gesetze.“
Takeda sah auf ihren Sattel und schwieg. Ich erlaubte mir kurz ihre Hand sanft zu drücken, dann musste ich wieder der unnahbare Samurai sein, drehte mein Pferd und galoppierte zu meinem ursprünglichen Platz in der Nachhut zurück.
In Harima bekamen wir Asano nicht mehr zu Gesicht und Takeda nur noch sehr selten. Sie war traurig, arbeitete viel um zu vergessen oder zu verdrängen. Wenn ich mit Oishi über die Felder spazierte, sahen wir sie alleine in der Baumkrone unserer Weide sitzen. Sie sang, sie blickte in den Himmel und zählte die Krähen, welche im herum flatterten.
„Ich hätte nie gedacht, dass solch ein junges Mädchen unseren älteren Fürsten so aufrecht lieben kann“, überlegte Oishi, als wir uns auf den Rückweg machten.
Takeda war alleine am Waldrand entlang spaziert und hatte Blumen gepflückt.
„Asano hat sie aus der Geisha-Hölle geholt.“
„So schlecht haben es die Geishas auch nicht.“
„Aber auch nicht so gut wie Takeda es bis vor kurzem hatte.“
Oishi sah mich lange an, dann umspielte ein verständnisvolles Lächeln seine Lippen.
„Sicherlich nicht. Da hast du recht. Was anderes: Wann ist der Gerichtstermin?“
„In einer Woche soweit ich weiß.“
Oishi strich nachdenklich über den Schaft seines Katanas. Würde dieses schon bald unseren Fürsten rächen? Ich blickte in eine trübe Zukunft.
Schließlich kam der Gerichtstag und Asano wurde zum Tod durch Seppuku verurteilt. Es war ein regnerischer Tag. Der Himmel weinte um einen tollen Menschen, den die Erde verloren hatte. Bei der Urteilsverkündung durften wie selber nicht dabei sein, doch bei der Ausführung des Seppuku. Takeda brach während des Rituals zusammen und wurde hinausgetragen. Ich hatte sie gewarnt und gebeten zuhause zu bleibe, doch das eigenwillige Mädchen wollte nicht auf mich hören. Oishi war der Kaikashu und befreite Asano von seinen Schmerzen. Ich spürte einen tiefen Stich in meinem Herzen, als Asano mit todesgeweihten Augen zu mir sah und leise: „Niikara...Risa“, keuchte. Tränen brannten mir in den Augen und ich ließ ihnen freien lauf. Niemand sagte etwas, niemand bezeichnete mich als einen schwachen Menschen, denn sie spürten welcher Zauber in der Luft lag.
Asanos Lehen fielen an die Regierung und wir wurden zu Ronin. Nun lag es ja nahe, dass wir uns für den Tod unseres Herren rächen würden, sodass die Richter beschlossen, uns Ronin auf vier Lehensherren zu verteilen. Takeda und ich erwischten einen besonders widerlichen Menschen, der tief in seiner Seele verdorben war. Ich blieb in Takedas Nähe und ließ sie nicht mehr aus den Augen. Das einzige Problem war, dass ich in einer kleinen Hütte neben dem Anwesen schlafen musste, während Takeda ein Zimmer neben dem des Daimyos hatte. Ich wälzte mich schlaflos Nacht für Nacht hin und her und konnte nicht ruhig schlafen, weil ich Angst hatte zu versagen. Eines nachts vernahm ich, dass sich jemand in die Hütte schlich. Ich zog mein Wakizashi und blieb regungslos im Bett liegen. Der Fremde trat an mein Bett. Ich schoss blitzschnell hervor, warf die Gestalt auf den Rück und hielt ihr die Klinge an den Hals.
„Niikara...ich bin es doch.“
Ich spürte schlanke Finger, die sich schüchtern um mein Handgelenk legten. Ich schluckte und richtete mich wieder auf. Meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit und ich erkannte Takeda, die auf meinem Bett lag.
„Takeda“, zischte ich. „Was machst du hier? Du musst zurück.“
„Nein!“, rief sie panisch und warf sich mir in die Arme. „Schick mich nicht zurück. Der Mensch ist widerlich.“
Oh je, dachte ich nur noch und ertappte mich dabei wie ich Takeda stärker an mich drückte um sie vor dem Bösen der Welt zu schützen.
„Was hast du dir gedacht was du jetzt machen willst?“
„Ich will weg von hier.“
Ich sah mein Wakizashi auf dem Bett liegen und überlegte, dann nahm ich es. Takeda sah mich fragend an.
„Du bleibst hier.“
Takeda sprang auf, als ich an der Tür stand und plötzlich küsste sie mich. Ich drückte sie von mir und schüttelte den Kopf, denn für mich gehörte sie immer noch Asano.
Leise schlich ich durch das Anwesen, schob die Tür zur Schlafkammer auf und erblickte Nagizawa, der friedlich in seinem Bett schlief. Lautlos stellte ich mich vor das Bett. In der Kammer schwebte noch Takedas Duft und ihre Angst. Ich vernahm ihre hilflosen Schreie. Ohne jegliche Gefühle packte ich Nagizawas Kopf. Mein Daimyo schreckte kurz auf, dann hatte ich ihn getötet.
Draußen stand Takeda schon mit zwei Pferden. Wir sprangen hinauf und galoppierten rastlos Richtung Edo, denn dort wollte Oishi sich mit uns Samurai treffen. Ich wusste nicht wohin ich mit Takeda sollte, doch diese Frage beantwortete sich ganz von selbst. Vor den Toren Edos blieben wir kurz stehen. Ein Weg führte hinein, ein anderer Richtung Hokkaido. Takeda lenkte ihr Pferd auf den letzten.
„Wo willst du hin?“
„Ich werde nach Hokkaido reiten und da soll das Schicksal mir den richtigen Weg weisen.“
Ich nickte und war beeindruckt von dieser Entscheidung. Takeda lenkte ihr Pferd kurz zu mir, öffnete ihr Haar und gab mir ihre Spange mit einer wunderschönen Blüte von einem Kirschbaum.
„Wo hast du diese Blüte denn her?“
„Ich fand sie einmal als Kind in einem Fluss, seitdem ist sie nie verwelkt.“
„Soll ich sie zu Asanos Grab legen?“
Takeda verschloss meine Hand mit ihrer und küsste meine Finger.
„Nein...die ist für dich. Asano habe ich schon etwas gegeben.“
Takeda lächelte, dann galoppierte ihr Pferd in den Wald hinein. Ich werde nie die offenen wehenden Haare vergessen, welche im Takt des Windes tanzten. Takeda war eine Tochter des Sturmes. Ich ritt für meinen Teil nach Edo und mietete mir ein Zimmer in einer kleinen Gaststätte.
Am 2. Dezember 1702 war es dann soweit. In der kleinen Gaststätte in der ich mein Zimmer hatte, trafen wir uns um endlich Rache zu nehmen. Oishi erreichte als erster den Fukagawa-Bezirk in Edo.
Ich war voller Freude, als ich meine alten Kameraden wiedersah. Oishi nahm mich gleich zur Seite und fragte, was mit Takeda passiert sei. Ich erzählte ihm von ihrer Entscheidung und wir beteten kurz.
Als alle angekommen waren, stand Oishi auf.
„Jetzt ist es also an der Zeit, dass wir unseren Plan festigen. Einer von uns muss das Gehöft von Herrn Kotsuke auskundschaften, wenn es dann soweit ist, wird er uns auch das Zeichen geben, wenn wir zuschlagen können. Jeder muss bereit sein und auf mein Befehl hin losgehen. Wir werden uns nun auf diesen ungewissen Tag vorbereiten und beten.“
Wir verinnerlichten das Gesagte und spürten eine gewisse Befriedigung in uns, als wir daran dachten, endlich die Rache ausführen zu können. Oishi ließ sich wieder nieder.
„Niikara, du wirst das Gehöft beobachten und mir sofort bescheid geben.“
Ich stand sofort auf, verbeugte mich um dann hinaus in den Schnee zu laufen. Am Morgen des 3. Dezembers erreichte ich den Gebäudekomplex des Shoguns, ließ mich in der Nähe eines gefrorenen Flusses nieder und wartete. Meinen Proviant teilte ich mir gut ein. Es wurde eine endlose Warterei, die an meinen Kräften zerrte, doch ich konnte mir das Leiden sehr gut unterdrücken, doch dann geschah am späten Nachmittag des 14. Dezembers das Unfassbare. Es fuhren große, prächtig geschmückte Wagen mit gepflegten Pferden in den Hof des Shogun und stoppten vor dem Gehöft Kotsukes. Ich brauchte Gewissheit für meine Vermutung. Als Passant verkleidet hätte ich nachfragen können, doch das Schicksal war schneller. Eine junge Dienerin stolperte mit einem Gefäß durch den Schnee. Verzweifelt versuchte sie das Eis des Flusses aufzubrechen. Ich beobachtete sie eine Weile, dann erhob ich mich von meinem Platz, warf mir meine braune Decke um die Schulter damit die Dienerin nicht mein Daisho erkennen konnte.
„Kann ich dir helfen?“, fragte ich.
Die Dienerin fasste sofort vertrauen.
„Ja, ich bekomme das Eis nicht aufgebrochen.“
Unvorsichtiger Weise zog ich mein Wakizashi. Ich glaubte, dass die Dienerin es für einen normalen Dolch halten würde. Ich brach das Eis auf und füllte das Gefäß mit Wasser.
„Ich habe eine Frage“, lächelte ich um noch mehr Vertrauen zu bekommen. „Ich habe von meiner langen Wanderung Rast gemacht und die Wagen dort gesehen. Ist heute ein besonderer Feiertag?“
„Nein“, lachte die Dienerin. „Der Geizkragen Kira Kotsuke, der Zeremonienmeister, gibt heute ein Festessen.“
Ich zog eine Augenbraue hoch, verbeugte mich und schritt durch den Wald. Nun war also die Zeit gekommen um Asano zu rächen. Mein Herz begann schneller zu schlagen und ich rannte fast nach Edo zurück.
Oishi nahm die Botschaft mit zügelloser Freude auf. Er schickte mich sofort wieder zurück, damit ich sagen konnte, wann die Gäste gegangen wären. Diesmal ritt ich mit einem Pferd, da ich so schneller war. Auf den Weg durch den Wald glaubte ich Takeda zu sehen und mein Herz füllte sich mit tiefer Trauer. Ich hatte sie geliebt. Schnell vertrieb ich die unpassenden Gedanken und hielt auf einem Hügel von dem ich perfekt einen Überblick über das gesamte Gelände hatte. Kotsuke feierte bis in die tiefe Nacht hinein. Mir fiel es öfters schwer meine Augen offen zu halten, doch dann leerte sich das Gehöft. Ich wartete bis der letzte Gast sein Licht gelöscht hatte, dann trieb ich mein Pferd an und galoppierte ohnmächtig vor Aufregung nach Edo zurück. Diesmal hatten wir uns in einem kleinen Schuppen versammelt. Ich öffnete die Tür und betrat den Schuppen. Ich brauchte nichts zu erzählen. Wortlos drückte Oishi mir eine Urkunde in die Hand. Ich las sie mir durch und unterzeichnete dann:
„Heute wollen wir Herrn Kira Kotsuke angreifen und die Rachetat vollenden, die unser Gebieter begonnen hatte. Wer auch immer nach unserem Ende unsere Leichen finden sollte, wird achtungsvoll gebeten, diese Urkunde zu öffnen und von dem Inhalt Kenntnis zu nehmen.“
Sofort bewaffneten wir uns mit unseren Daishos. Oishi stellte sich auf einen Kasten und bat um Ruhe.
„Ich möchte euch noch mal an die Eigenschaften eines kriegserfahrenen Soldaten erinnern: Ruhig wie der Wald, unbeweglich wie der Berg, kalt wie der Nebel, schnell im Entschluss wie der Wind, im Angriff und im Sturm wie das Feuer.“
Es war in der Nacht vom 14. Dezember zum 15. Dezember als wir 47 schwerbewaffneten Ronin in Edo schweigend durch den Schnee marschierten. Wir trugen weite, unter den Knien zusammengebundene Beinkleider, helle Kittel mit gezacktem Überwürfen und weiße Stirnbinden. Jeder hatte sein Daisho, Lanzen und Kreuzhellebarden bei sich.
Am Sumida-Fluss bei der Nihonbrücke lag das Ziel.
Der Angriff verlief problemlos. Die Wachen waren zu betrunken um sich zu wehren, die Nachbarschaft reagierte nicht, da Kira Kotsuke nicht beliebt war und außerdem wusste jeder was von statten ging. Nach einigen Stunden brach die letzte Wache röchelnd zusammen. Oishi sah sich suchend um. Ich lief in jede erdenkliche Ecke, doch nirgendwo war eine einzige Person, die wie Kotsuke aussah. Oishi hob seine Hand und winkte. Wir betraten Kotsukes Gemächer und fanden dort einen alten Mann, der zeternd behauptete nicht Kira Kotsuke zu sein. Oishi betrachtete den Mann genau. Ich suchte flink den Kopf ab und fand schließlich das wichtigsten Indiz. Am Kopf des alten Mannes zog sich eine lange Narbe entlang.
„Herr Kira Kotsuke, wir haben dich an der Narbe erkannt. Wir sind die ehemaligen Gefolgsleute von Asano und es ist unsere Pflicht die Gerechtigkeit wiederherzustellen. Wir bitten dich zur Sühne Seppuku zu begehen.“
Kira zuckte zusammen und warf sich vor Oishi und mir zu Boden. Ich wich angewidert einen Schritt zurück.
„Bitte lasst mich am Leben! Ich habe doch gar nichts getan.“
„Er ekelt mich an“, brummte ich.
Oishi zog wortlos ein Wakizashi und ich erkannte es, als das von Asano. Oishi packte Kotsuke am Haarschopf und schnitt ihm die Kehle durch.
Zusammen pilgerten wir zu dem Grab Asanos und verkündeten ihm feierlich die gelungene Rache und brachten Kotsukes Kopf dar. Dem Abt des Tempels gab Oishi alles Geld, das wir bei uns trugen, und bat ihn, uns alle in der Nähe unseres Herrn zu begraben. Ich spürte eine unglaubliche Befriedigung in mir und wusste, dass ich ohne jegliche Reue sterben konnte, da mein Leben kein weiteren Sinn mehr hatte.
Als der Shogun von der Tat hörte, erschrak er erst fürchterlich, doch gleichzeitig war er von soviel Treue angetan und zögerte, als man ihm das Todesurteil vorlegte, doch er unterschrieb letztendlich, denn die Autorität des Staates musste gewahrt bleiben.
Wir hatten mit dem Urteil Seppuku gerechnet, sodass ich zumindest ruhig blieb und auch innerlich sehr ausgeglichen war. Oishi sah mich an und ich ihn. Wir lächelten.
Nun sitze ich in meiner Kammer und warte darauf endlich das Ritual erleben zu dürfen. Neben mir liegt Takedas Spange. Ich hatte aus Sapporo eine kleine Nachricht von ihr bekommen, dann kam nichts mehr. Ich hoffe sehr neben Asano und meinen Kameraden begraben zu werden und setze auf den Abt, dem wir das Geld gegeben hatten.
Wer mit Mitgefühl straft oder aus Mitgefühl handelt, der ist wahrlich stark und gerecht.