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Thema des Monats Roulette

eco

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12.06.2003
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Roulette

Roulette

Das Pack spielte in der Tat sehr schmutzig. Ich war nicht abgeneigt zu glauben, daß hier am Tisch sehr oft auch in ganz gewöhnlicher Weise gestohlen wurde. Die Croupiers, die zu beiden Enden der Tische saßen, die Einsätze beobachteten und die Chips auszahlten, hatten ungemein viel zu tun. War das ein Pack! Nur wenige vom Mars, einige vom Mond, die meisten von der Erde. Am Anfang hatte ich gar nichts verstanden; ich erriet nur und konnte zur Not entscheiden, daß man auf Zahlen setzte, auf gerade und ungerade, und auf Farben. Ich beschloss, die ganze Wasserkonserve der Kammerdame zu wagen, insgesamt 10 000 Liter, das sind 10 Tonnen oder eben 1 Konserve arktisches Wasser. Der Gedanke, daß ich nicht für mich selber spielte, brachte mich etwas aus der Fassung. Es war ein überaus unangenehmes Gefühl, und ich wollte es so schnell wie möglich loswerden. Es kam mir vor, als ob ich mein eigenes Glück untergrübe, indem ich für die Kammerdame begann. Ist es wirklich unmöglich, an den Spieltisch zu treten, ohne sofort von dem Aberglauben erfasst zu werden?

Ich fing damit an, daß ich die halbe Konserve, das sind 5 000 Liter, herausnahm und sie auf eine gerade Zahl setzte. Das Random drehte sich und blieb auf dreizehn stehen – ich hatte verloren. Mit einem geradezu schmerzlichen Gefühl und um irgendwie ein Ende zu machen und fortgehen zu können, setzte ich noch einmal 5 Tonnen auf Rot. Rot gewann. Ich setze alle 10 000 Liter – Rot gewann wieder. Noch einmal setzte ich die ganze Summe – wieder Rot. Nachdem ich 40 Tonnen arktisches Wasser in PayTray–Chips ausgezahlt bekommen hatte, setze ich 20 000 Liter auf die 12 mittleren Zahlen, ohne zu wissen, was dabei rauskommen würde. Man zahlte mir den dreifachen Betrag aus. Auf diese Weise besaß ich statt der anfänglich 1 Konserve plötzlich 8 Konserven, das sind 80 000 Liter! Ein ungewohntes, ganz seltsames Gefühl peinigte mich bis zur Unerträglichkeit, so daß ich beschloss fortzugehen. Mir schien, daß ich ganz anders gespielt hätte, wäre es für mich selber gewesen. Trotzdem setzte ich nochmals sämtliche 8 Konserven auf gerade. Das Random blieb auf vier stehen, man schob mir nochmals 80 Tausend Liter Wasser in Chips zu; ich nahm die Chips – 16 Konserven reines Wasser im Wert von rund 2,8 Millionen Credits CC – und entfernte mich, um die Kammerdame aufzusuchen.

Sie stand ungeduldig im stillgelegten Atrium und folgte mir, als ich mein Terminal aufsuchte. In der Schleuse fand ich Gelegenheit, der Kammerdame den Gewinn zu übergeben und ihr zu erklären, daß ich ein zweites Mal nicht spielen wolle. „Warum nicht?“, fragte sie unruhig.
„Weil ich spüre, daß ich verlieren werde, und das stört mich …“, antwortete ich und sah sie erstaunt an. Die Kammerdame bestand darauf, daß ich den heutigen Gewinn mit ihr teilen müsse, und schlug mir vor, das Spiel unter diesen Bedingungen fortzusetzen, mit halbem Risiko. Ich wies die Hälfte des Gewinns entschieden und ein für alle mal zurück und erklärte, daß ich für andere nicht spielen könne, nicht etwa weil ich nicht wolle, sondern weil ich mit Gewißheit verlieren würde. „Ich brauche aber das Wasser, es ist die einzige Rettung!“, sagte die Kammerdame und sah mich mit glühenden, kupferbraunen Augen an. Dann verließ sie mich, ohne meine weiteren Einwendungen zu hören.

Sie gingen alle unter der Palmen-Kuppel spazieren, trotz der unerträglichen Hitze, und es gelang mir erst beim Abendessen, die Kammerdame wiederzusehen. Baron Lamarque war nicht da. Der Architekt wurde gesprächig. Unter anderem hielt er es ein weiteres Mal für nötig, mir zu bemerken, daß es nicht erwünscht sei, Pagen am Spieltisch zu sehen. Es würde ihn selbst – seiner Ansicht nach – allzu sehr bloßstellen, wenn ich einmal zuviel verlieren sollte. „Aber Sie kompromittieren mich auch, wenn Sie sehr viel gewinnen!“ fügte der Architekt bedeutungsvoll hinzu und lächelte der Kammerdame zu. „Natürlich habe ich kein Recht, Ihre Handlungen zu bestimmen, aber Sie werden zugeben, daß …“ Er sprach seiner Gewohnheit gemäß den Satz nicht zu Ende. Ich erwiderte sehr kühl, daß ich als Page nur wenige Liter besäße und daher nicht in der Lage sei, auffallend viel zu verlieren.

Ich saß im Terminal, an Schlaf war nicht zu denken. Um 8 Uhr erschien die Kammerdame in der Schleuse, um mich zum Roulette zu schicken. Ich nahm sämtliche 16 Konserven mit, ein Vermögen! aber unter zwei Bedingungen: erstens, daß ich nicht halb part spielen wolle, das heißt, daß ich im Gewinnfalle nichts für mich selbst nehmen wolle, und zweitens, daß mir die Kammerdame am Abend erklären müsse, weshalb ihr soviel an dem Gewinn gelegen sei und wofür sie soviel Wasser benötigte. Sie versprach mir, Aufklärung zu geben.

Im Spielsaal war ein fürchterliches Gedränge. Wie frech und gierig alle waren! Die ersten saßen wohl schon auf dem Trockenen, wie man so sagt ... Ich zwängte mich unter Fußtritten zur Mitte durch und stellte mich unmittelbar neben den Croupier; dann begann ich schüchtern zu spielen und setzte immer nur 1 000 oder 2 000 Liter. Dazwischen passte ich auf und beobachtete: ich hatte den Eindruck, daß Berechnung eigentlich recht wenig bedeutet und durchaus nicht soviel Wichtigkeit besitzt, wie viele Spieler von der Erde ihr beimessen. Sie sitzen da mit ihren Kalkulatoren, notieren Gewinne, zählen, errechnen die Chance, ziehen Schlussfolgerungen, dann setzen sie endlich und – verlieren ganz genauso wie gewöhnliche Marsianer, die traditionell ohne Berechnung spielen. Zu einer Schlussfolgerung bin ich aber doch gekommen, die mir richtig erscheint: im Verlauf der Chance gibt es immerhin, wenn auch kein System, so doch ein Muster, eine gewisse Reihenfolge – so sonderbar das auch erscheint.

Es kommt zum Beispiel vor, daß nach den zwölf mittleren Zahlen die letzten zwölf gewinnen, das wiederholt sich, dann kommen die zwölf ersten an die Reihe. Dann geht das Random wieder auf die zwölf mittleren über, die gewinnen dann 3 oder 4 mal, dann kommen wieder zweimal die zwölf letzten dran. Dann wieder einmal die ersten, dreimal die drei mittleren, und so fort. Eins, zwei, drei. Was mich anbelangt, so verlor ich alles, und zwar sehr schnell. Ich setzte 40 000 Liter auf Gerade, gewann, setzte wieder, gewann wieder … und das noch zwei oder drei mal. Innerhalb von 5 Minuten bekam ich über 400 000 Liter in die Hände (40 Konserven!). Nun hätte ich fortgehen sollen, es hatte sich meiner aber ein seltsames Empfinden bemächtigt: ich wollte das Schicksal herausfordern. Ich setzte den höchsten zulässigen Betrag und verlor. Nun geriet ich in Hitze, nahm alles, was ich noch hatte, 150 Tonnen, setzte auf dasselbe Feld und verlor wieder. Dann ging ich wie betäubt vom Tisch weg. Ich begriff kaum, wie mir geschehen war. Vor dem Abendessen teilte ich der Kammerdame meinen Verlust mit. Den Tag über war ich im Atrium umhergeirrt. Der Staub brannte in den Augen. Drei Palmen waren bereits verdurstet.

Die Kammerdame war im Gedanken versunken; sobald wir uns von der Tafel erhoben hatten, befahl sie mir, sie auf einen Spaziergang zu begleiten. Wir riefen die Kinder und begaben uns in den Palmenpark unter der Zentral-Kuppel. Da ich mich in einem besonders erregten Zustand befand, platzte ich mit der dummen und groben Frage heraus, warum Baron Lamarque sie nicht mehr auf ihren Ausgängen mit den Kammer-Kindern begleite, ja sogar tagelang nicht mehr mit ihr spreche. „Weil er ein Lump ist“, antwortete sie mit einer sonderbaren Betonung. Ich hatte aus ihrem Mund noch nie ein ähnliches Urteil über Lamarque gehört, und ich verstummte, da ich fürchtete, diese Gereiztheit zu verstehen.

„Sie wollten wissen, worum es sich handelt“, sagte sie kalt und gereizt. „Sie wissen, daß der Architekt dem Baron alles verpfändet hat. Das elende Roulette … Lamarque ist bereits der Pfänder aller Erzlager im Westen, nun sind es auch noch die Vorkommen im Norden, und wenn die kaiserliche Regierung auf der Erde sich weiterhin weigert, Wasser zu liefern, wird Lamarque den Notstand auf dem Mars ausrufen und von allem Besitz ergreifen, was ihm verpfändet ist, um die „Sicherheit“ der Marsbevölkerung zu gewährleisten und das Wasser-Monopol an sich zu reissen. Dann wird er den Architekten entmachten, und es wird einen Wasserkrieg mit der Erde geben, wie vor 40 Jahren.“
„Ah, so ist es also tatsächlich wahr? Ich hatte davon gehört, wusste aber nicht, daß es wieder einmal um den ganzen Planeten geht.“
„Wie könnte es anders sein?“
„Nun, dann Adieu, ihr Wasserlieferungen von der Erde!“, sagte ich. „Wir werden keine Lieferungen mehr bekommen, dafür sorgt der Baron schon. Wissen Sie, ich glaube, der Architekt war sich so sicher, daß der Kaiser im Tausch gegen Erz Wasser liefern wird, daß er sich womöglich erschießt, wenn der Vertrag mit der Freien Arktis nicht erfüllt werden kann. Es ist gefährlich, sich in seiner Position so stark zu irren.“
„Ich habe auch das Gefühl, daß ihm was zustossen kann. Aber Lamarque wagt es nicht während der Casino-Zeit, weil zu viele von der Erde hier sind“, sagte die Kammerdame nachdenklich.
„Ist das nicht entzückend?“ rief ich aus. „Brutaler könnte der Kaiser gar nicht zeigen, wie abhängig der Marsfrieden von seinen Wasserlieferungen ist. Hier wird kein Anstand mehr gewahrt, man geniert sich nicht im Geringsten. Wunderbar! Und was die angeblich angeschlagene Gesundheit des Kaisers angeht: gibt es wohl etwas Lächerliches und Widerwärtigeres, als eine Mail nach der anderen abzusenden mit der Frage: ist der Kaiser schon tot? Kriegen wir sein Wasser? Nicht wahr? Wie gefällt Ihnen das, Frau Kammerdame?“ „Das ist alles Unsinn!“, sagte sie, mich voller Widerwillen unterbrechend. „Aber es wundert mich, daß Sie in so einer ungemein lustigen Stimmung sind. Worüber freuen Sie sich? Etwa darüber, daß Sie meine Wasser-Konserven verspielt haben? Das war die letzte Chance für die Kammer.“
„Warum haben Sie mir die Konserven zum Verspielen gegeben? Ich habe Ihnen gesagt, daß ich nicht für andere spielen kann, am wenigsten für Sie! Ich bin ein Page, ich werde Ihnen stets gehorchen, Sie mögen mir befehlen, was Sie wollen, aber das Resultat hängt nicht von mir ab. Ich habe Sie darauf vorbereitet, daß es ein Misserfolg sein würde. Sagen Sie mir, sind Sie sehr unglücklich, daß Sie soviel Wasser verloren haben? Wozu braucht eine Kammerdame so viel Wasser?“
„Was sollen diese Fragen …“
„Sie haben mir Aufklärungen versprochen. Hören Sie mich an: Ich bin überzeugt, daß ich gewinnen werde, wenn ich anfange für mich selbst zu spielen – und ich besitze monatlich 1 450 Liter. Nehmen Sie dann von mir, soviel Sie brauchen.“

Sie machte ein verächtliches Gesicht.
„Zürnen Sie mir nicht wegen dieses Anerbietens“, fuhr ich fort. „Ich bin dermaßen von der Erkenntnis durchdrungen, Ihnen gegenüber ... ähm ... ich meine ... in Ihren Augen eine Null zu sein, daß Sie sogar Wasser von mir annehmen können. Ein Geschenk von mir kann Sie nicht beleidigen. Zudem habe ich ja Ihre Konserven verspielt.“

Sie sah rasch nach mir hin, als sie aber merkte, daß ich gereizt und sarkastisch sprach, brach sie das Gespräch wieder ab. Dann sagte sie: „Es ist nichts in meinen Verhältnissen, was Sie interessieren könnte. Wenn Sie es aber durchaus wissen wollen: ich sehe eine größere Not als die Ihre auf mich zukommen. Ich hatte diesen seltsamen Gedanken, daß ich in der Spielhalle mein Heil finde. Aber es ist für die Kammerdame des Architekten nicht schicklich, selbst zu spielen. Warum ich diesen Gedanken dennoch hegte, verstehe ich heute nicht mehr. Aber ich habe daran geglaubt, weil ich keine andere Wahl hatte.“

Ich dachte ein wenig darüber nach. Dann versuchte ich den direkten Weg:
„Ich wette, Sie bezweifeln es, daß ich imstande bin, je eine ernste Notwendigkeit zu empfinden?“
„Das kümmert mich nicht“, sagte die Kammerdame leise. „Da Sie mich aber fragen – ja, ich zweifle daran, daß irgendetwas Ernstes Sie jemals bedrückt. Sie können sich quälen, aber nicht ernsthaft. Sie sind aus der Kaiser-Linie, ein Prinz. Sie können jederzeit zurück in den Hof, auf die Erde. Aber die Kammer-Kinder vom Mars?“

Während der Mittagstafel am Tag darauf war ich wieder in dem erregten Zustand wie im Palmengarten. Die Kammerdame sah etwas blaß aus. Sie war vermutlich wieder schwanger. Nun, auch in Dürrezeiten war das normal. Der Architekt schien zwar nachdenklich, aber zufrieden. Baron Lamarque speiste seelenruhig mit uns. Es stellte sich heraus, daß er am Morgen in den Spielsälen gewesen war und meine Heldentat mitangesehen hatte. Er behandelte mich heute weit aufmerksamer als sonst und fragte mich, ob es meine eigenen Konserven gewesen seien, die ich da verspielt hätte. Ich war sofort mit einer Lüge zur Hand und sagte ja. Der Architekt war erstaunt: woher ich soviel Liter gehabt hatte bei meiner Pagen-Appanage. Ich erklärte, daß ich mit 5 mühselig ersparten Tonnen angefangen hätte, daß ich dann in sechs bis sieben Runden nacheinander 20 bis 80 Tonnen gewonnen hatte, um dann 400 Tonnen in zwei Einsätzen komplett zu verlieren. Das war natürlich alles sehr glaubhaft. Während ich meine Erklärung abgab, sah ich die Kammerdame an, konnte aber nichts aus ihren Mienen lesen. Ich erwartete, daß der Architekt irgendeine Bemerkung machen würde, aber er schwieg und kaute andächtig. Offenbar war er überzeugt, daß das Kind der Kammerdame von ihm sei. Ich blickte ein wenig neidisch zum Baron ... wenn nur die Hälfte der Wahrheit entsprach, was sich die Pagen untereinander erzählten ... der Baron merkte es und versetzte bissig und sogar hämisch, daß die Mitglieder der kaiserlichen Kammer offenbar zu wirklich gar nichts taugten. Ich verstand ruckartig, unter welcher widerlichen Zweideutigkeit er das gesagt hatte, zumal ich sah, wie die beschämte Kammerdame allmählich errötete, als mit einem Mal eine dunkle, feiste Stimme meinen Namen rief: „Slick! Du nichtsnutziger Bummelstudent! “ An den Kantinetüren erschien - der Kaiser.

Er war es selbst, der gestrenge, reiche, 75-jährige Arktische Kaiser, Herrscher über das Eis der Nördlichen Hemi-Sphäre, mit eigenen Dienern, Drohnen, Astronomen, Musikern, Vorlesern, Badern, Ärzten und unzähligen Privat-Pagen, die seine Tornister durch die Vorhalle schleppten. Da thronte er, im schwebenden, surrenden Sessel-Terminal, noch im Raumanzug, er! dessen Tod vom Architekten herbeigebetet wurde, um endlich das Erbe des edelweißen Arktis-Wassers zum Mars zu leiten, der Kaiser in eigener Person, von dem gesagt wurde, er könne nicht einmal mehr den kleinen Finger heben! Erschienen wie Schnee über Nacht. Lebhaft und hitzig wie immer, selbstzufrieden, aufrecht sitzend, laut und befehlerisch schreiend, mit allen zankend. Er kannte alle seine Pagen beim Namen, hatte mich auf 100 Schritt mit seinen Luchsaugen erspäht und schrie mir entgegen: „Nun, Slick, was stehst Du da, mein Bester, und reißt die Augen auf? Du hast wohl verlernt, Dich zu verneigen und zu grüßen? Oder bist Du hochmütig geworden und willst nicht? Oder hast Du mich nicht erkannt?" Dann drehte er sich zu Antoine, einem Kammerpagen, der ihm auf beinahe lächerliche Weise ähnelte: "Schau her, Antoine, Dein Bruder erkennt mich nicht! Sie haben mich im Geiste schon begraben! Die feine Wasser-Aristokratie! Ihr habt eine Mail nach der anderen geschickt: ist er tot? Ist der Arktische Kaiser tot? Ich weiß ALLES! Aber ich bin, wie ihr sehen könnt, sehr lebendig! Ha!“

„Aber, Kaiserliche Hoheit“, sagte ich fröhlich, nachdem ich wieder zu mir gekommen war, „ich war nur erstaunt … wie soll man nicht staunen, so unerwartet …“
„Was hast Du da zu staunen? Ich bin in das Shuttle gestiegen und losgeflogen. Warst Du spazieren? Du bist so braun.“
„Ja ... im Palmengarten."
"Bei der Sonne?"
"Nun ja, unter der Kuppel ..."
"Und die Strahlung?"
"Ach.", sagte ich und nickte nachlässig ...
„Das heißt also Maschinenbau studieren ... Schön, schön ...“, sagte der Kaiser, um sich blickend.
„Prächtige Räume, schöne Palmen. Das liebe ich. Bisschen trocken vielleicht. Sind die Unseren da? Diese Schildkröte von einem Architekten?“
„Oh ja ... das ist er hier." Der Kaiser zischte mit den Zähnen, als er den ausgemergelten Greis anschaute, dem die halbe, verdurstende Marskugel gehörte. „Ich höre, daß Ihr Euch eine Kammerdame haltet. Ja, die Herren "Wasser"-Fürsten … bringen hier alles durch! Sogar Kinder … aber gut ... ist dieser Maulwurf von einem Baron auch hier? Lamarque? Ah, Ihr seid das ... naja ... nun, ich werde euch Schlappschwänze schon zurechtdrehen. Slick, sage dem Architekten, er soll mir einen leidlichen Container zurechtbauen. Ich will das Roulette sehen! Los!“

Auf der Erde war das Wasser-Roulette verboten worden, nachdem es zum Kristall-Konflikt und schließlich zum Ersten Wasserkrieg geführt hatte. Der Architekt, der Baron und die Kammerdame waren dabei, als ich den Kaiser zum Spielsaal begleitete. Dieser ließ sich durch alle Säle tragen, setzte sich schließlich mit ärgerlichem Prusten an einen der Premium-Tische und brüllte: „Slick, ich will spielen“. Ich beeilte mich, den lässig durch die Luft geworfenen 2 000 Liter–Chip auf ein Feld zu legen, es war rot. Das Random drehte sich und blieb auf Null stehen.

„Zéro!“, rief der Croupier und schaltete die Chips. „Zéro.“ wiederholte der Kaiser und drehte sich zu mir. „Was ist das, Zéro?“ Ich erklärte: „Nun, Zéro, das ist der Gewinn der Bank. Alles, was auf dem Tisch liegt, gehört der Bank. Der darauffolgende Schlag ist frei, allerdings bekommt man nichts ausbezahlt, sondern kann seinen Einsatz zurücknehmen.“
Der Kaiser wunderte sich: „Na, und ich? Ich bekomme nichts?“
„Nein, Kaiserliche Hoheit, dazu müsst Ihr vorher auf Zéro setzen, und wenn Zéro kommt, dann zahlt man Euch das Fünfunddreissigfache.“
„Was? Und warum setzt Du Dummkopf nicht auf Zéro?“
„Nun, es stehen 35 Chancen dagegen.“
„Ist das ein Unsinn … Baron Lamarque! Wieviel Geld hat Er bei sich?“
Baron Lamarque blickte freundlich und erstaunt in das schwitzende Gesicht des Kaisers.
„Stiert mich nicht an, Lordschaft, ich warne Euch. Wieviele Chips habt Ihr dabei?“
Der Baron griff etwas widerwillig ins Revers und holte ein Bündel von 4 Chips, insgesamt 8 000 Liter, zum Vorschein.
Der Kaiser grabschte seufzend danach und schmiss es auf das Tableau. „Hier, Slick, setz das auf Zéro!“
„Kaiserliche Hoheit, Zéro war eben erst gewesen.“ sagte ich. „Folglich wird es jetzt lange nicht kommen. Ihr könntet den Einsatz verlieren. Wartet wenigstens ein Weilchen.“
„Ach, lüg mich nicht an. Los, setze!“

Wir verloren. Baron Lamarque hatte Mühe, die Fassung zu bewahren. Nun schuldete ihm der Kaiser Spielgeld. Die Situation! Die Kammerdame blickte scheu zu den Pagen: sie erkannte keinen von ihnen, es waren terrestrische Pagen. Der Kaiser schwitzte vor Begeisterung. Der Architekt wurde auch gebeten, sein Geld zu reichen. Er begriff erst nicht, was man von ihm wollte. Dann öffnete er den Safe und entäußerte 14 Tonnen in Chips aus dem Staats-Schatz. Wir setzen auch diese und verloren. Der Kaiser geriet außer sich und haute lachend mit der Faust auf den Tisch, als der Croupier „36!“ rief. „So hol mich dieser und jener …“ fluchte der Kaiser mit gebleckten Zähnen und kreischte nach dem Ersten Kammerpagen. „Antoine! Die Börse!“
„Kaiserliche Hoheit!“, beschwor ich ihn.
„Ach, Unsinn. Unsinn. Antoine !!!“

Der Page erschien einige Momente später mit der kaiserlichen Börse. 250 Brutto-Tonnen Arktis.
„Kaiserliche Hoheit!“, versuchte ich es ein letztes Mal.
„Setz doch, setz alles.“
Ich setzte 250 000 Liter auf Zéro. Das Random kreiste.

„Zéro!“, rief der Croupier.
„Also!“, rief der Kaiser und drehte sich rasch nach der Kammerdame um, die nach Luft rang. Lamarque hob die Augenbrauen und erbleichte. Der Croupier schob einen StarTan–Chip im Wert von 0,3 Milliarden Credits CC, 875 Konserven, unendlicher Reichtum, das Volumen eines ganzen Lieferfluges.

„Kinder! Wenn man nicht alles selber macht!“, sagte der Kaiser gemütlich und umarmte die zierliche Kammerdame, bevor er in das Shuttle stieg. Ich küsste das verschwitzte und freundlich lächelnde Gesicht des Kaisers, der allen winkte und im Gewimmel der Pagen verschwand.
Der Architekt verbeugte sich tief, bis der Lichtpunkt am gelben Himmel verschwunden war.

Die Durstperiode war zu Ende. Die Lieferung war gerade noch rechtzeitig gekommen, um das noch nicht verdurstete Vieh zu tränken. Die Marsherrschaft war ohne Konflikt ein weiteres Mal in die Hände der Kämmerei gefallen. Luftschiffe der kaiserlichen 3. Armee brummten über den Horizont und entluden die Blister, Wasser für einen ganzen Monat, man konnte das rhythmische Rauschen im Leitungssystem hören. Im Atrium brach eine prachtvolle, meterdicke Säule Wasser von der Decke. „Der Brunnen!“, riefen die Kinder und tanzten durch die Zentrale Kuppel, in der die Palmen unter dem künstlichen Regen zitterten.

Lamarques Putschversuch war fehlgeschlagen. Ich konnte seine muskulöse Silhouette im flimmernden Sand erkennen: er stolperte ungeschickt über ein vom Marswind freigelegtes Tier-Skelett und tappte mürrisch zum getankten, schon etwas abgewrackten Minen-Jeep, auf dem seine schwerbewaffnete Pistolen-Staffel bereits wartete, um ihn durch die Dörfer, an den Pumpen vorbei, nach Westen zu bringen, der untergehenden Sonne entgegen. Diesmal war es ihm nicht gelungen. Diesmal. Die Schutzpanzer der Soldaten fluoreszierten im ionisierenden Wind der rötlichen Sonne. Das Casino wurde geschlossen. Für viele Erdlinge ging der Aufenthalt zu Ende, die ersten verließen schon die Kanzlei, man erkannte nicht, wer von ihnen bettelarm oder märchenhaft reich war. Der lustige Zug hatte sich in einen schweigenden Exodus verwandelt.

„Lamarque wollte den Wasser-Notstand auszurufen und die Pfändung erzwingen!“, erkannte ich in einer plötzlichen Eingebung. Die Kammerdame seufzte verdrießlich und griff meinen Arm, um mich im Rhythmus der Pumpen leise summend zum Abendessen zu begleiten. Die klatschnassen Kinder lachten.

 

Hi eco,

ich habe von Dir noch nie etwas gelesen, das hier war das erste. Hat mir recht gut gefallen: Die Stimmung, die Aristokraten, das erinnert an Walter John Williams: "Drake Majstral" oder "Aristoi". Sehr schön.
Die Story hat mich nicht so ganz überzeugt, höfische Intrigen und Roulette finde ich etwas langweilig, immerhin hat mich die Stimmung gefangen (auch wenn es keine echten Spannungspunkte gab).

Sprachlich hältst Du Dich an eine etwas altmodische Form, was zum Thema passt, verhaspelst Dich aber manchmal in zu komplexen Wendungen oder fällst in unseren Sprachgebrauch zurück - das solltest Du nochmal genau prüfen.

Hier ein paar Details:

Das Pack spielte [...] War das ein Pack!
Wiederholung "Pack", finde ich hier etwas unglücklich.
Es kam mir vor, als ob ich mein eigenes Glück untergrabe
Denke ich zumindest.
Ist es wirklich unmöglich, an den Spieltisch zu treten, ohne sofort vom Aberglauben erfasst zu werden?
bekommen hatte, setzte ich 20 000 Liter
Ein ungewohntes, ganz seltsames Gefühl peinigte mich bis zur Unerträglichkeit
Und was für ein Gefühl? Bauchschmerzen? Universelle Liebe?
Unter anderem hielt er es ein weiteres Mal für nötig, mir zu bemerken
Besser: "anzumerken" statt "mir zu bemerken".
Es kommt zum Beispiel vor, daß nach den zwölf mittleren Zahlen die letzten zwölf gewinnen, das wiederholt sich, dann kommen die zwölf ersten an die Reihe. Dann geht das Random wieder auf die zwölf mittleren über, die gewinnen dann 3 oder 4 mal, dann kom
Etwas viel für meinen Geschmack. Hier wurde mir ein wenig langweilig, ob der ganzen Erklärungen über Roulette.
Ich habe auch das Gefühl, daß ihm etwas zustossen kann.
Passt besser zum aristokratischen Ton.
gibt es wohl etwas Lächerlicheres
Sie sah rasch nach mir hin
Besser: "zu mir (herüber)"
Er war es selbst, der gestrenge, reiche, 75-jährige Arktische Kaiser[...]
Dieser Absatz ist einfach schön: eine rauschafte Charakterisierung des Kaisers.

Insgesamt eine etwas spannungsarme Geschichte mit schöner Atmosphäre.

Beste Grüße,
Naut

 
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Hey eco!

Kurz und knapp: sehr gut! :) Stil, Story, Charaktere - alles sauber wie arktisches Wasser ;) Vordergründig spannend ist sie zwar nicht, dafür das Szenario so exotisch, dass man trotzdem drüberfliegt.

Einziges Manko: Am Anfang weiß der Leser nicht, wo er sich befindet. Auf einem Raumschiff? Auf der Erde? Und dann sollte sofort klar werden, das die "Marsbewohner" keine Aliens sind, sondern Kolonisten von der Erde.

Thema: "Mail": Behalte den altertümlichen Charme dieser Story bei und benutze Begriffe wie "Depesche". Außerdem würde ich vorschlagen, dass du danach diese Story zu unserem "Thema des Montas Januar" hinzufügst und nicht zu "März". Was hältst du davon? :)


Dieser Absatz ist einfach schön: eine rauschafte Charakterisierung des Kaisers.
Dem kann ich nur zustimmen! :)

„Kinder! Wenn man nicht alles selber macht!“, sagte der Kaiser gemütlich und umarmte die zierliche Kammerdame, bevor er in das Shuttle stieg.
:thumbsup:


Liebe Grüße!

Dante

 
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Hi eco!

Wow! Das mit den ausführlichen Kritiken scheint sich ja fast seuchenmäßig auszubreiten. Da bleibt für den "Oberkritiker" ja gar kein Raum mehr *g*.

Ich sage jetzt erst mal was Allgemeines zu der Geschichte, und wenn du sie überarbeitet hast, dann komme ich mit Einzelheiten, okay?

Ich fand die Story interessant. Nun, sie war nicht das, was man als "spannend" bezeichnen würde. Aber sie hatte enorm viel Atmosphäre, was du auch durch den konservativen, fast anachronistischen Sprachstil erreicht hast. Deshalb ist der Text ein schönes Stück Retro-SF. Dass du es nicht durchgehend geschafft hast, diesen Stil durchzuhalten ( "Mails", "Terminal" ), darauf wurdest du ja schon hingewiesen. Dennoch fand ich die Geschichte unheimlich fesselnd, und das seltsamerweise sogar an den Stellen, wo der Ich-Erzähler nur von seiner Rumrechnerei am Roulettetisch erzählt. Jetzt, wo Monty es erwähnt hat, finde ich es selbst seltsam ... :D
Dennoch stelle ich es mir unheimlich spannend vor, wenn du den Spieltischszenen mehr Atmosphäre verleihen würdest.

Meine Interpretation der Ereignisse weicht ein wenig von der Montys ab; so dachte ich zum Beispiel, dass der Kaiser das Spiel am Ende gewinnt?! Allerdings, wieso kriegen dann die Marsianer die Lieferung? Von wem kommt der Gewinn? Das bleibt alles ein wenig unklar.
Dass das Grundproblem die Spielsucht des Architekten ist, der wegen einer kleinen persönlichen Schwäche einen ganzen Planeten in den Abgrund reißt, das ist, nun ja, ein klein wenig unglaubwürdig ( deshalb hab ich das erst gecheckt, als ich Montys Kritik und danach die entsprechende Stelle im Text noch mal gelesen habe ); aber wenn du ironisch eine Zukunft darstellen wolltest, in der die Welt zum Spielball adliger Ränkespiele geworden ist ( du hast Recht, das hat etwas Endzeitmäßiges ;) ), dann ist das legitim.
Das Ende war nicht sonderlich prickelnd. Die Deus-ex-machina-Lösung wirkte irgendwie, als wollte der Autor schnell zum Ende kommen und hätte mal eben die Handlung abgesägt und eine Schlussszene drangesetzt. Allein die lebendige Inszenierung und die leise Ironie, die ich zwischen den Zeilen wahrzunehmen glaubte, haben mich mit dem Schluss versöhnt.
Auch aus einem anderen Grund ließ mich das Ende etwas unbefriedigt zurück: Da kann also einfach wieder mit Wasservorräten gekleckert werden, das Vieh kann wieder saufen, die Palmen müssen doch nicht verdursten, und alle sind happy. Und natürlich heißt es kitschig, dass dies nicht das letzte Kapitel im Kampf gegen den bösen Baron Lamarque gewesen sei. Das wirkt wie billige Trash-SciFi und ist einer intelligenten Geschichte wie dieser nicht würdig. Zudem kann ich kaum nachempfinden, was diese Dürre für die Marsianer wirklich bedeutet, wenn du das mit dem Vieh erst am Ende erwähnst ( zumindest kann ich mich an keine Stelle vorher erinnern ), und ich den Durst der Bevölkerung auch erst dann wirklich spüre.
Ich weiß natürlich, dass du hier eine Adelsgeschichte inszenieren wolltest, in der die Machthabenden nur an sich selbst denken, aber ich kann über den Schluss nicht wirklich erleichtert sein, wenn ich nur erfahre "Aha, jetzt haben sie ihre Macht erhalten. Ist ja schön". Zumindest erwähnen solltest du das Leiden der Bevölkerung. Es muss ja nur eine nüchterne Betrachtung des Pagen sein, eine vage Befürchtung, dass die Bauern genauso dursteten wie ihr Vieh und längst einen Aufstand gemacht hätten, wenn sie dafür nicht schon zu schwach wären.

Eine Kleinigkeit wäre da noch: Das mit den verdursteten Palmen ist ein bisschen unglaubwürdig. Schließlich schmeißen die Höflinge mit Wasser nur so um sich, da wird ja wohl auch etwas für die Pflanzen in den Gemächern übrig sein.
Ich finde die Erwähnung der Palmen zwar auch passend, ich würde aber eine Erklärung einfügen: "Das Volk sollte sehen, dass seine Herren ihre Wasservorräte nicht an überflüssige Zierpflanzen verschwendeten." Das würde auch den Zynismus des Adels betonen.

Ciao, Megabjörnie

 

Hi eco,
Schon mal den Begriff Plagiat gehört?
Ja dachtest Du denn, dass es keinen Sfler gibt der auch in der klassischen Literatur bewandert ist?
Wenn man schon so offensichtlich einen Plot kopiert, sollte wenigstens der Hinweis auf den ursprünglichen Autor auftauchen. Hey, Du hättest den Plot wenigstens ein bisschen stärker verändern können!
Würde mich allerdings schon interessieren, wie Dostojewski die Ansiedlungs seines “Spielers” im SF-Milieu gefunden hätte. (*g*)
Stilistisch ist die Story ok, aber ist es denn unbedingt nötig, Barone und Kaiser herumwuseln zu lassen? Das ist abgeschmackt und stinkt so nach Asimov und seiner “Foundation”.
Die Idee des Umsturzversuches ist eine klassiche Inversion im leeren Spiel und von S. Lem in Phantastik und Futurologie behandelt. Nicht wirklich originell.
Alles in Allem: Ganz passable Story, reicht aber nicht annähernd an das Original heran.
Proxi
PS: Wo ist eigentlich der Bezug zum TdM?

 

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