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Sara und Hagar
Die Magd fischte sich ein großes Stück Hammelfleisch von der Platte und schob es blitzschnell in den Mund.
"Hagar!" Sara ließ das Fleischmesser sinken. "Das Fleisch ist für unseren Gast! Wir Frauen essen hinterher."
"Das Stück war für Abrahams Sohn!" Hagar strich mit einer Hand über den Bauch, der sich deutlich wölbte.
Ein Schmerz wie von einem scharfer Pfeil schoss durch Saras Herz. Warum kann ich ihm nur keinen Erben schenken?, grübelte sie.
"Du bist immer noch meine Magd!" Sie richtete sich stolz auf.
"Ich bin die Tochter des Pharaos!", erwiderte die dunkelhäutige Magd. Sie war nicht nur jünger, sondern auch einen halben Kopf größer als ihre Herrin.
Die Ältere seufzte. "Dann beschwere dich doch bei deinem Vater!"
Hagar stemmte die Hände in die Hüften, wurde lauter. "Auch wenn mein Vater noch so weit weg –"
"Schluss jetzt!" Saras Stimme wurde nur eine Nuance lauter, doch energischer. "Bring das Fleisch zu den Männern!"
Die Magd schluckte, ihre Augen funkelten einen Moment gefährlich. Schließlich atmete sie laut aus, schnappte sich die Fleischplatte und stolzierte hinaus. Sara blickte ihr hinterher. Hagars breite Hüften wogten in jugendlichem Rhythmus auf und ab. Sie ist nur eine schwarze Magd, dachte Sara. Aber sie ist jung und fruchtbar! Ich selbst habe meinen Gatten gebeten, ihr beizuwohnen, um endlich einen Erben zu bekommen. Bei der Entbindung wird sie in meinen Armen liegen. Es soll somit mein Kind sein! Aber jetzt wird sie immer frecher. Was soll ich nur mit ihr machen? Sara holte das Brot aus dem Ofen, legte es auf eine weitere Platte und trug es zum Essplatz unter einem schattenspendenden Olivenbaum. Bevor sie einen Dornenbusch umrundete, hört sie Hagars kräftige Stimme: "Meine Herrin Sara ist nicht, was sie zu sein scheint. Sie kann nicht so rechtschaffen und gottesfürchtig sein, wie es den Anschein hat, denn wie könnte sie sonst nach so vielen Jahren unfruchtbar sein, während ich von Abraham sofort ein Kind empfangen habe."
Sara fiel fast das Brot aus der Hand. Die Zornesröte stieg ihr ins Gesicht. Wie angewurzelt blieb sie hinter dem Dickicht stehen. Dieses undankbare Kind, schoss es ihr durch den Kopf.
"Urteile nicht über andere!" Die Stimme des alten Propheten Ewhaj raschelte wie Papyrus. "Beuge dich unter die Gewalt deiner Herrin." Ein Lächeln huschte über Saras Gesicht, hieß das doch, dass sie im Recht war gegen dieses niederträchtige Geschöpf. "Der HERR will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können." Was hatte Ewhaj da gesagt? Saras Gesichtszüge strafften sich. Hatte er von den Nachkommen der Magd gesprochen? Hagar trug nur den Erben von Abraham, ihrem Mann aus! Aber es kam noch schlimmer. "Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen, denn der HERR hat dein Elend erhört. Er wird ein wilder Mensch sein."
Abrahams Sohn ein wilder Mensch? Was sollte das bedeuten? War der Geist des alten Prophet umnebelt? Sara lugte aus ihrem Versteck hervor. Ihr Mann starrte den Propheten mit großen Augen an. Abrahams stattliche Gestalt wirkte selbst in seinem Festtagsgewand unscheinbar neben dem Asketen. Obwohl dieser hager, fast durchsichtig wirkte, ging eine Kraft von ihm aus, der sich selbst die skeptische Sara nicht entziehen konnte. Ob doch etwas Wahres in seinen Visionen steckt? Hagar warf sich vor dem Propheten auf den Boden, umklammerte mit ihren ebenholzfarbenen Händen seine Füße und schluchzte: "O Herr, ich werde alles tun, was ihr von mir verlangt!"
Ewhaj schüttelte sein knochiges Haupt so heftig, Sara fürchtete, es könne jeden Moment herunterfallen. "Erhebe dich, mein Kind!" Er beugte sich zu Hagar herab, es sah so aus, als wolle er sie aufheben. Aus Sorge, dies wäre zu anstrengend für seine schwachen Arme, vergaß Sara ihr Versteck und eilte zur Hilfe. Als die Magd ihre Herrin kommen hörte, stand sie eilig auf, wischte sich mit einem Zipfel ihres zerschlissenen Rocks die Tränen aus dem Gesicht. Sara stellte das Brot vor den Gast, verbeugte sich und sprach: "Bitte nehmt von unserem bescheidenen Mahl!" Ihrer Magd zischte sie zu: "Hol noch einen Schlauch Wein!"
Aus Hagars Augen sprühten Funken, ihr Mund öffnete sich zu einem Widerwort – da vernahmen sie die zarte Stimme des Propheten: "Sei so gut, mein Kind! Mein Mund ist durstig nach der langen Wanderung durch die Wüste."
Hagar verbeugte sich vor dem Gast und eilte davon. Gerade als Sara sich umgedreht hatte um ebenfalls ins Küchenzelt zu gehen, wandte Ewhaj sich an sie mit den Worten: "Ich will wieder zu dir kommen übers Jahr. Siehe, dann sollst du, Sara, einen Sohn haben."
Sara lachte in sich hinein. Abraham und ich, wir sind beide alt und hochbetagt. Es geht mir nicht mehr nach der Frauenart. Sie wandte sich dem Propheten zu, öffnete gerade ihren Mund, da sprach er zu ihr: "Warum lachst du, Sara und denkst: Meinst du, dass es wahr sei, dass ich noch gebären werde, die ich doch alt bin? Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein?"
Sara schaute ihn erstaunt an. Was er prophezeit hatte, war unmöglich. Aber einem so hochangesehenen Propheten durfte man nicht auslachen. "Ich habe nicht gelacht!"
Die alten Augen schienen sich bis auf den Grund ihrer Seele zu bohren als er sagte: "Es ist nicht so, du hast gelacht."
"Entschuldigt mich, mein Herr, ich habe noch in der Küche zu tun." Sie verbeugte sich und eilte davon.
In dieser Nacht kam Abraham spät ins Schlafzelt. Sara saß aufrecht auf ihrem Schlaflager.
"Hat dein Gott wieder mit dir gesprochen?", fragte sie.
Im flackernden Kerzenlicht sah sie, wie er sie streng ansah. "Er ist auch dein Gott!"
"Oh bitte verzeih meine Vergesslichkeit!" Sie senkte ihren Blick.
"Unglaubliche Dinge hat Ewhaj uns heute prophezeit." Abraham legte sein Gewand sorgfältig neben die Schlafmatte und schlüpfte zu ihr unter die Decke.
"Ob das alles wohl so eintreten wird?" In ihrer Stimme klang Zweifel mit.
Er streichelte ihr über die Wange. "Wir werden sehen. Hab Vertrauen in Gott."
Sie sah das altbekannte Verlangen in seinen Augen aufblitzen. Seine Hand fuhr langsam ihren Hals hinunter. Auch dort war ihre Haut inzwischen faltig. Ob er sie noch liebte? Oder würde er lieber die junge Haut der Magd streicheln? Manchmal dachte sie, er liebe nur seinen Gott und sich selbst. In der ersten Zeit ihrer Ehe war sie jung und unglaublich schön gewesen, kein Herrscher konnte ihr widerstehen. Abraham befürchtete, der König der Ägypter würde ihn töten, um sie für sich zu erobern. Deshalb gab er sie als seine Schwester aus, überließ sie dem Pharao, um seine Haut zu retten. Ob die Plagen, die das Volk am Nil kurz danach quälten, wirklich das Werk des Gottes waren, den Abraham innig anbetete? Es war schon ein Wunder, wie sie reich beschenkt den Palast verlassen hatte.
Abraham näherte sich ihrer Brust, sein Atem wurde schneller. Jetzt war die beste Gelegenheit, ihre Sorgen vorzutragen.
"Hast du gemerkt, mit welch frecher Rede meine Magd mich vor unserem Gast gering gemacht hat?" Sara bemühte sich, ihre Stimme nicht vor Ärger vibrieren zu lassen.
Abraham hielt inne, sah sie irritiert an. "Was kümmert dich dies dumme Geschwätz, nach dem, was wir heute aus dem Mund des Propheten vernommen haben?"
"Das mir zugefügte Unrecht fällt auf dich zurück." Sara schaute ihn sanft an. "Ich habe dir meine Magd übergeben. Nun aber, da sie merkt, dass sie empfangen hat, bin ich in ihren Augen gering geworden. Dein Gott möge Richter sein zwischen dir und mir!"
Abraham seufzte. Sie wusste, wie sehr er Streitereien mit dem Gesindel hasste. "Deine Magd ist in deiner Hand. Tue mit ihr, was dir gefällt." Er beugte sich zu ihrer Brust hinunter.
Als Sara am nächsten Morgen ins Küchenzelt trat, lag Hagar noch auf ihrer Strohmatte neben dem Herd. Sara schubste sie mit dem Fuß leicht an. "Warum bist du noch nicht wach? Steh auf, geh Wasser holen, mach den Herd an!"
Hagar reckte, streckte sich, erhob sich langsam. "Mir ist übel", jammerte sie. "Der Rücken schmerzt mich. Ich kann kein Wasser holen."
"Wer soll dann die schweren Krüge schleppen?" Sara stemmte die Fäuste in die Hüften. Was waren das für Töne? Jetzt überspannte ihre Magd den Bogen.
"Geh du doch!" Hagar streckte ihren Bauch übertrieben nach vorne.
Sara funkelte sie an. "Wer ist hier die Herrin und wer die Magd?"
"Wer wird dem Herrn seinen Erben schenken? Wem hat Ewhaj unzählige Nachkommen prophezeit?" Hagar grinste triumphierend.
"Nimm das sofort zurück!", rief Sara, das Blut schien in ihren Adern vor Wut zu kochen.
"Ich denke gar nicht daran!", schrie Hagar. "Ihr habt mich lange genug wie eine Sklavin behandelt! Endlich weiß ich, was ich wert bin!"
Wie von selbst war der Holzscheit in Saras Hand, sauste auf Hagar hinunter. Diese stürzte, hielt sich den blutenden Kopf, schrie: "So lasse ich mich nicht behandeln!"
Entsetzt starrte Sara auf das Blut, auf ihre Hand, ließ den Knüppel fallen, rannte aus dem Zelt. Was habe ich getan? Wie konnte ich mich zu so etwas hinreißen lassen?
Abraham stand noch in seinem Nachtgewand am Eingang des Schlafzeltes. "Was war das für ein Geschrei?" Er sah besorgt in ihr verweintes Gesicht.
"Hagar", keuchte Sara, ganz außer Atem vom Laufen, von der Aufregung. "Sie hält sich jetzt für die Herrin!"
"Oh nein", stöhnte Abraham. Sie hörte deutlich, wie sehr ihm dieser Weiberstreit zuwider war. "Beruhige dich erst einmal. Der HERR wird alles richten."
Wie naiv Männer sind, dachte Sara. Sie warf sich ihm an die Brust, ließ ihren Tränen freien Lauf. Es tat gut, seine starken Arme zu spüren. Er würde zu ihr halten. Langsam wuchs diese Sicherheit wieder in ihr, ihr Herz beruhigte sich.
Abraham löste sich von ihr. "Hilf mir, mich anzukleiden. In der Zwischenzeit wird Hagar zur Vernunft kommen, du wirst sehen."
Sie widersprach ihm nicht, es hatte keinen Sinn.
Aber Hagar war nicht im Küchenzelt. Sara lief überall herum, rief ihre Magd – vergebens.
"Sie wird sich irgendwo ausweinen", meinte Abraham.
Er schickte ihr einen Knecht für die groben Hausarbeiten, die ihr in ihrem Alter schwer fielen. Gerade als sie beim Mittagsmahl saßen, kam der Knecht atemlos angelaufen und rief: "Herr, ein Esel fehlt im Stall!"
Tiefe Sorgenfalten gruben sich in Abrahams Gesicht. "Sie ist also doch weg gelaufen."
Sara legte eine Hand auf die Seine. "Sie wird bald einsehen, wie dumm das ist und zurück kommen."
"Sie ist die Mutter meines einzigen Erben!" Er schüttelte besorgt das Haupt. "Sie kennt sich in der Wüste nicht aus!"
"Was willst du tun?" Sara sah ihn besorgt an. Er würde doch nicht -. "Die Wüste ist unendlich groß. Der Wind hat alle Spuren verweht!"
Mühsam richtet Abraham sich auf. Wie alt er geworden ist! "Aber ich kenne mich in der Wüste aus! Und mein Gott wird mich führen!"
Sara blickte erschrocken zu ihm hoch. "Schick einen Knecht oder nimm einen mit!"
Er schüttelte wieder seinen Kopf. "Die Knechte werden bei der Herde gebraucht."
"Nein, geh nicht!", rief Sara, selber erschrocken über so viel Widerspruch ihrem Gemahl gegenüber. "Wie soll es sonst weitergehen?"
Ihr Mann sah ihr in die Augen. "Wie soll es ohne einen Erben weiter gehen?" Er drehte sich um und schritt zum Stall.
Am Nachmittag zerbrach sie zwei Teller. Ihre Gedanken schwirrten wie Hummeln durch ihren Kopf. Immer wieder schaute sie hinaus in die Wüste, deren Formen sanft, ja erotisch wirkten, aber so grausam sein können. Dunkle Wolken zogen sich am Horizont zusammen. Wenn es bloß keinen Sturm geben würde! Irgendetwas Gewaltiges schien bevor zu stehen.
In der Nacht wälzte sie sich stundenlang hin und her. Die Schlafstatt erschien ihr viel leerer als sonst. Dabei war Abraham oft wochenlang fort gewesen, in den Krieg gezogen, hatte seinen Neffen Lot aus Sodom und Gomorra gerettet. Aus jeder Gefahr war er gestärkt zurück gekehrt. Doch diesmal war es anders.
Am folgenden Tag schmerzten ihr alle Knochen, noch nie war ihr die Arbeit so schwer gefallen. Sie schleppte sich in die Küche. Der Sandsturm rückte näher, es wurde immer dunkler, ein heißer Wind fegte durch die Oase, feine Sandkörner setzen sich in jede Ritze, kratzen im Mund, in der Nase, im Hals, scheuerten die Haut auf. Die Knechte liefen mit zusammengebissenen Zähnen herum, das ängstliche Blöken der Schafe zerrte an den Nerven. Mittags verkrochen sie sich in den Zelten, versuchten, alle Lücken abzudichten. Der Wind rüttelte an den Wänden, sein lautes Heulen schmerzte in den Ohren. Sara kauerte sich in eine Ecke. Ob man in der Wüste diesen Sturm ungeschützt überleben kann? In der Dunkelheit wusste sie nicht mehr, wie viel Zeit verstrichen war. Irgendwann schlief sie erschöpft ein.
Am nächsten Tag hatten sie alle Hände voll zu tun, die Tiere und sich selber zu versorgen, gebrochene Hölzer zu reparieren und die Scherben wegzuräumen. Erst als sie sich zum Schlaflager begab, fragte Sara sich, ob ihr Mann jemals wieder kommen würde. Doch sofort fiel sie in einen tiefen Schlaf.
Im Traum sah sie Tausende Männer miteinander kämpfen. Überall lagen Tote in riesigen, roten Pfützen. Im Hintergrund weinten die Witwen und Waisen. Abraham und Hagar zeigten mit dem Finger auf sie und schrieen: "Du bist Schuld, Sara!"
Sie verkroch sich in der Erde, hielt sich die Ohren zu – vergeblich, der Lärm wollte kein Ende nehmen. Endlich richtete sie sich in ihrem Lager auf – und hörte die Stimmen, die tatsächlich durch die Oase hallten. Sie sprang auf, warf sich ihr Gewand über, eilte zum Brunnen. Von weitem sah sie die Fackeln der Knechte hin und her huschen. Zwei Gestalten hockten am Boden, jemand beugte sich über sie, hielt ihnen einen Krug vor den Mund. Ihr Herz tat einen Freudensprung, schöpfte Hoffnung. Tatsächlich, da saß Hagar und dahinter ihr Mann im zerrissenem Gewand. Als er sie sah, glänzten seine Augen, schob er den Krug zur Seite.
"ER hat einen Bund mit mir geschlossen", krächzte er.
"Sei still!" Sara kniete zu ihm nieder, wollte sein Gesicht berühren, zuckte zurück, als sie sah, wie wund es war. "Du kannst mir später alles erzählen. Erhol dich erst!"
"Du wirst mir einen Sohn gebären." In seiner leisen Stimme klang eine Kraft, die jeden Zweifel hinweg spülte. Sie hielt die Luft an. Wie sollte das sein?
"Isaak wird ein großes Volk gründen", flüstere er, dann versagte ihm die Stimme und er sackte zusammen.
Die Knechte trugen ihn ins Schlafzelt, Sara salbte seine Wunden, dann blickte sie auf ihren Gemahl herab. Selbst im Schlaf wirkte er noch stark, selbstbewusst. Ein Stammesvater, der sein Volk durch alle Widrigkeiten des Lebens führte, immer den rechten Weg kannte. Wind und Wetter hatten im Laufe der Jahre tiefe Falten in sein Gesicht geschnitten. Bei einem Mann wird das als Zeichen der Weisheit angesehen. Aber eine alte Frau wie Sara sollte noch einen Säugling an ihre welke Brust drücken? Wenn sein Gott ihn vor diesem Sturm geschützt hat, was war dann noch möglich? Sara hatte selbst erfahren, wie durch das Flimmern des heißen Sandes eine Fata Morgana entstehen kann, wie man im Heulen des Windes meint, Stimmen zu hören. Doch ein Gott oder ein Engel hatte nie zu ihr gesprochen. Es waren immer ihre eigenen Ängste und Hoffnungen gewesen. Ob Abraham tatsächlich IHM begegnet war?
Im Küchenzelt brannte noch eine Fackel. Die Knechte kümmerten sich dort um Hagar. Saras Füße trugen sie wie von selbst dort hin. Da lag ihre Magd, das strähnige Haar umrahmte ihr eingefallenes Gesicht, doch ihre Augen ruhten mit einer milden Kraft auf Sara.
"Ab jetzt werde ich mich dir beugen." Ihre Stimme war leise, aber voller Sicherheit.
"Ruh dich aus", sprach Sara.
"Ein Engel hat es mir geraten." Hagar schien von innen zu leuchten.
Sara nickte. Da zuckte ein Gedanke durch ihren Kopf. "Schlaf gut!", murmelte sie, wandte sich um, ging nach draußen. Sie trat vor das Zelt, saugte gierig die frische Luft ein, blickte zu den Sternen empor. Wenn ich einen Erben gebären werde, ist Hagar nicht mehr die einzige Stammesmutter! Ein warmes Gefühl breitete sich in Sara aus. Doch plötzlich lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Was wird dann mit Hagar und ihrem Kind? Wie werden sie sich meinem Sohn gegenüber verhalten? Düstere Vorahnungen griffen mit scharfen Krallen nach ihr.
Als die Sonne sich am nächsten Tag über dem Palmenhain erhob, überwog die Freude über die glückliche Heimkehr von Abraham und Hagar. Diese beugte sich tatsächlich vor ihrer Herrin. Kurz darauf war Sara guter Hoffnung und als sie ihren Sohn Isaak in den Armen hielt, waren Albträume und Sorgen Äonen entfernt. Drei Jahre vergingen wie im Fluge. An dem Fest seiner Entwöhnung tobte Isaak mit Ismael zwischen den Palmen umher.
"Warum lässt du deinen Sohn mit dem Kind einer Magd spielen?" Jiska, eine Nichte von Abraham, schob sich ein großes Fleischstück in den Mund.
"Sie sind doch Brüder." Sara ließ ihr Brot sinken und sah die Jüngere erstaunt an. "Ich selber habe Abraham gebeten, bei meiner Magd zu liegen."
"Weil du damals glaubtest, unfruchtbar zu sein. Aber du siehst doch, wie gut es Gott mit uns meint!" Jiska hob ihre Knollennase in die Höhe. Sie war so hässlich, dass kein Mann sie heiraten wollte. "Wir sind das auserwählte Volk! Ismael ist genauso schwarz wie seine Mutter. Lass ihn mit seinesgleichen spielen. Später einmal wird er eine Ägypterin heiraten. Auf diese Fremden ist doch kein Verlass. Du hast mir selber erzählt, wie frech deine Magd gewesen ist."
"Seit sie aus der Wüste gekommen ist, folgt sie willig all meinen Befehlen. Sie hat Isaak gesäugt, sie liebt ihn wie ihren eigenen Sohn. Und der ihre ist auch meinem Herzen nahe."
Jiska warf einen raschen Blick nach rechts und links. All die anderen Gäste waren in Gespräche vertieft und lachten fröhlich. Sie beugte sich zu Sara hinüber und flüsterte: "Das täuscht sie nur vor, damit ihr Bastard erben kann!"
Sara zuckte mit den Schultern. "Isaak ist der eheliche Sohn, also wird er erben!"
"Aber Ismael ist der Erstgeborene!" Jiska hob einen ihrer dicken Finger in die Luft und grinste triumphierend.
Sara wurde blass. An diese Möglichkeit hatte sich noch nicht gedacht. "Ich muss mit Abraham darüber reden", flüsterte sie.
Die Jüngere schüttelte entschieden den Kopf. "Was nützt dir sein Versprechen, wenn er tot ist? Du musst jetzt handeln."
"Aber was soll ich denn tun?"
"Schick deine Magd und ihr Blag fort."
Mit großen Augen starrte Sara ihre Verwandte an. Was für ein Gedanke! Die Magd, die ihren Leib hingegeben hatte um Abraham eine Erben zu schenken, einfach fortschicken. Wovon sollte eine mannslose Frau mit Kind denn leben? Aber dann erinnerte sie sich wieder an die Nacht, als Abraham und Hagar aus der Wüste zurück gekommen waren. Die düsteren Vorahnungen stiegen wieder auf.
In diesem Augenblick gellte ein Schrei vom anderen Ende des Hains herüber. Sara erkannte diese Stimme sofort.
"Wo ist Isaak?", schrie sie. Bis zu diesem Tag hatte sie immerzu ein Auge auf ihrem Liebling gehabt. Doch das ungewohnte Gespräch hatte sie abgelenkt. Sie rannte in die Richtung, aus der sie das Geräusch vernommen hatte. Mein Gott, bitte mach, dass ihm nichts geschehen ist, betete sie. Da trat er hinter einem Gebüsch hervor. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Aber was war das? Er ging so langsam, wie es gar nicht seinem Temperament entsprach. Und er drückte eine Hand gegen seinen Kopf. Als sie sah, wie dicke rote Tropfen auf sein Hemd fielen, schrie sie auf. Endlich war sie bei ihm, stürzte zu ihm herab, untersuchte seine Wunde. Ein dickes Loch klaffte in seiner Wange, eine Fleischwunde, die allerdings wieder heilen würde. Gott sei Dank!
"Was ist geschehen?", rief sie.
Isaak wollte sprechen, doch sobald er seine Lippen bewegte, verzog sich sein ganzes Gesicht vor Schmerz. Da trat Ismael hervor, weiß im Gesicht, mit einem Bogen und Pfeilen in der Hand.
"Du warst es also!", brüllte Sara ihn an. "Wie kannst du es wagen, auf den Sohn deiner Herrin einen Pfeil zu schießen, du Flegel!" Sie packte ihn an den Haaren und schüttelte ihn.
"Es war ein Versehen!", rief Ismael und versuchte sich aus ihren Armen zu befreien.
"Lass meinen Sohn los!", schrie Hagar und kratzte Sara durchs Gesicht.
"Ich werde ihn nie mehr anfassen!", tobte Sara. Sie nahm Isaak auf den Arm. "Und Ismael wird meinen Sohn nie mehr etwas antun!"
Hagar wurde blass, starrte ihre Herrin an. Da kamen Abraham und alle anderen angelaufen.
"Treibe diese Magd aus mit ihrem Sohn", rief Sara ihrem Manne zu. "Denn er soll nicht erben mit meinem Sohn Isaak."
"So beruhige dich doch, Weib!" Abraham legte eine Hand auf ihre Schulter.
"Wie soll ich ruhig sein können, wenn dieser Flegel das Leben unseres einzigen Sohnes gefährdet!"
"Kümmere dich erst um Isaaks Wunde", sprach Abraham. "Nach dem Fest werden wir weiter sehen."
Aber auch am nächsten Tag hatte Sara sich nicht beruhigt, ihr Traum war wieder voller Kämpfer und Blut gewesen. Deshalb sagte sie zu Abraham: "Ich kann nicht ruhig schlafen, solange die Magd in unserer Nähe ist und der Bengel Mutwillen treibt mit unserem Sohn!"
Abraham blickte sie betrübt an. "Deine Rede missfällt mir um Ismael Willen, denn auch er ist aus meinen Lenden entsprungen." Er seufzte, wandte seinen Blick gen Himmel. "Aber der HERR hat heute Nacht zu mir gesprochen und mir geraten, dir zu gehorchen, denn nur nach Isaak soll mein Geschlecht benannt werden." Er drehte sich um, verließ mit schweren Schritten das Schlafzelt.
Ob ich nicht doch zu hart geurteilt habe?, fragte sich Sara. Aber dann dachte sie wieder an ihren Albtraum und trat in die Sonne. Von weitem sah sie, wie Abraham Brot und einen Schlauch mit Wasser nahm und es Hagar auf ihre Schulter legte, dazu den Knaben.
"Meine Söhne werden bis an alle Ewigkeit an eurem Geschlecht Rache üben!" Der Schrei ihrer Magd ging Sara durch Mark und Bein. Wenn sie Recht hat und unsere Kinder sich ohne Ende bekämpfen werden?, dachte sie. Schon drehte die junge Frau sich um und ging mit kräftigen Schritten von dannen. Sie ist stark, sie wird ihr Glück machen!, versuchte Sara sich einzureden, doch ihr war nicht wohl dabei.
Abraham kam über den Verlust seines Erstgeborenen nicht hinweg. Er ging öfter in die Wüste als zuvor. Als er etwa eine Woche später wieder einmal zurück kehrte, glänzten seine Augen wie immer, wenn sein Gott zu ihm gesprochen hatte, aber diesmal war ein noch tieferer Kummer darin zu sehen.
"Komm mein lieber Sohn!", sprach er zu Isaak. "Wir sollen auf den Berg Morija gehen um ein Opfer darzubringen." Er nahm einen Schlauch Wasser auf eine Schulter, seinen Sohn auf die andere und marschierte los.
Als Sara das sah, keimte eine böse Vorahnung in ihr auf. "Was sollst du denn opfern?", fragte sie argwöhnisch.
"Ein Schaf", antwortete Abraham, doch er sah sie nicht an.
"Wo ist denn das Schaf?" Sara fühlte einen dicken Kloß in ihrem Hals.
"Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Opfer", murmelte Abraham, drehte sich um und ging in die Wüste. Sara zitterte. Er hört nicht auf mich!, dachte sie voller Verzweiflung. Schließlich füllte sie ebenfalls einen Schlauch mit Wasser und folgte den beiden. Das Wandern durch den Sand ermüdete ihre alten Beine. Der Abstand zu den beiden wuchs, doch sie spornte sich selbst immer wieder an. Als sie endlich den Berg erreichte, sah sie mit Schrecken, wie Abraham ihren geliebten Sohn gerade auf den Opferstein band. Isaak brüllte vor Angst, sein Vater beugte sich über ihn, redete auf ihn ein. Oh mein Gott, dachte Sara verzweifelt. Was soll ich nur tun? Er wird doch nicht auf mich hören! Sie wollte schreien, brachte aber nur ein heiseres Krächzen hervor.
Doch er sah sich nach der Stimme um und fragte: "Bist du es, HERR?"
Saras Herz klopfte bis zum Hals. Er scheint meine Stimme für die eines Engel Gottes zu halten, jubelte sie, räusperte sich und rief mit tiefer Stimme: "Lege deine Hand nicht an den Knaben, denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest."
Abraham fiel auf die Knie, seufzte erleichtert auf. "Oh ich danke dir aus vollem Herzen, mein Gott!"
Schnell band er Isaak wieder los. Dann blickte er sich um, sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen. Er ging hin, nahm den Widder und opferte ihn an seines Sohnes Statt. Danach machten sie sich auf den Heimweg.
Dicke Freudentränen rannen Sara über die Wangen. Endlich wusste sie ihren Sohn in Sicherheit. Doch die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel, sie hatte ihr Wasser bereits leer getrunken und war mit ihren Kräften am Ende. Mühsam schleppte sie sich durch den Sand. Ihr Mann und ihr Sohn verschwanden bald hinter dem Horizont. Ihre Zunge klebte schwer am Gaumen, jeder Schritt wurde zur Qual. Irgendwann sank sie zu Boden. Nur für einen Moment, redete sie sich ein. Nur kurz ausruhen, gleich bin ich wieder bei Kräften. Nie war sie in eine so bedrohliche Lage gekommen. So muss es Abraham und meiner Magd gegangen sein, dachte sie. Meine Magd und ihr Junge – hoffentlich müssen sie nicht ebenso leiden. Da flimmerte die heiße Luft vor ihr und ließ bunte Lichter tanzten. Sie wischte sich über ihre Augen. Kommt das von dem Durst, werde ich jetzt wahnsinnig?, fragte sie sich. Da schien das Geflimmer vor ihr sich zu ordnen, sie erkannte eine Gestalt. Es war Hagar, wie sie sich durch die Wüste schleppte, auf der einen Schulter Ismael, um die andere baumelte ein leerer Wasserschlauch. Sie warf den Knaben unter einen Strauch, sank ein paar Schritte weiter nieder, schlug die Hände vors Gesicht und weinte. Plötzlich stand sie auf, lief zu einer Stelle unter einem Stein und fing an zu graben. Kurz danach schöpfte sie Wasser mit ihren Händen, trank einen Schluck, holte schnell ihren Sohn, ließ ihn trinken. Sara wunderte sich sehr, wie Hagar die Quelle hatte finden können. Als sie getrunken und ihren Schlauch gefüllt hatten, liefen sie weiter, schneller und schneller. Sara fragte sich, warum sie die beiden noch immer sehen konnte. Ismael wurde größer, ein Bart wuchs ihm, er begegnete einer Ägypterin. Die Bilder liefen noch rascher, um das junge Paar saßen zwölf Kinder herum, sie wurden zu stattlichen Männern, Fürsten, die jeder einen Stamm um sich scharrten. Alle legten sich ein weißes Tuch um den Kopf und banden eine Kordel darum. Da kamen zwölf andere Männer, mit einen kleinen, schwarzen Käppchen auf dem Kopf. Als Sara erkannte, wie ähnlich diese ihrem Isaak sahen und alle Männer ihre Schwerter zogen, schrie sie vor Schreck auf. Die Krieger hieben aufeinander ein, kaum fiel einer, tauchte ein Neuer auf.
Aufhören!, wollte Sara schreien, doch ihre Stimme versagte. Hört doch auf, ihr seid Brüder! Tatsächlich sah sie eine Zeitlang wie die Nachfahren Ismaels friedlich in ihren Häusern lebten.
Wo sind meine Kindeskinder?, fragte sich Sara. Da kehrten diese zurück, mit Stöcke in den Händen, aus denen Feuer hervor schoss. Am Himmel flogen Vögel, die nicht mit den Flügeln schlugen und etwas fallen ließen, was auf der Erde ein schreckliches Feuer entfachte. Am Rand standen Frauen in schwarzen Gewändern, jammerten und beweinten die Toten, ihre Väter, Söhne, Brüder.
Welch schreckliches Leid!, dachte Sara verzweifelt. Wann hat es angefangen? Wann wird es enden? Dann sank ihr Körper in den Sand.