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Sarah

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30.09.2005
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Sarah

Drei Wochen waren sie nun schon in diesem Keller.
Sarah verstand nicht, warum. Papa hat gesagt, sie müssten sich verstecken, vor bösen Menschen. Böse Menschen? Sie kannte böse Menschen aus dem Fernsehen.
Sie hatte mal einen Film mit Mama gesehen, in dem ein Mann mit einem Strumpf über dem Kopf in eine Bank ging und eine Pistole in der Hand hielt. Mama hatte ihr dann erklärt, dass dies ein böser Mensch sei, der das ganze Geld klauen will.
„Papa, wenn jemand dein Geld klauen will, dann leg es doch einfach unter die Matratze, so wie Oma das immer macht“ hatte sie zu ihm gesagt. Aber Papa hatte nur müde gelächelt und ihr über den Kopf gestreichelt. „Alles wird gut werden, Puppa“, hatte er dann gesagt und dann hatte er geweint. Puppa war ihr Spitzname, weil sie früher, als sie noch klein war, immer Puppa zu ihren Puppen gesagt hatte.
Jetzt war sie schon groß, immerhin sechs Jahre alt.
Mama und Papa hatten viel geweint in den letzten Wochen. Davor war das nicht so. Mama hat fast immer gelächelt, und wenn Papa abends von der Arbeit nach Hause kam, dann hat sie sogar richtig gestrahlt. Und dann hat Papa sie immer geküsst. Ekelig, aber so machen das Erwachsene. Doch hier unten wurde nicht viel geküsst. Oft nahmen sie sich in den Arm, aber meistens weinten sie dabei.
„Warum bist du denn so traurig, Mama?“ hatte sie gefragt. „Ich bin nur traurig, weil wir nicht mehr in unserer schönen Wohnung seien können“, hatte sie dann geantwortet und Sarah auf ihren Schoß gezogen und an sich gedrückt.
„Weißt du was, Mama“, hatte Sarah dann gesagt, „ich schenke dir eines von meinen Bildern. Wenn wir das aufhängen, dann ist es hier gleich viel schöner“. Da weinte Mama wieder. Sarah schenkte ihr zwei. Das war auch eines der wenigen Dinge, die sie hier unten hatte. Stifte und Papier und ihre Puppe Bonnie.
Das war ihre Lieblingspuppe, und sie durfte sich nur zwei Sachen aussuchen, die sie mitnehmen wollte. In ihrer Wohnung hatte sie ein tolles Zimmer, ganz in rosa gestrichen mit vielen Stofftieren und jeder Menge Spielsachen. Als sie daran dachte wurde sie auch etwas traurig, aber dann dachte sie schnell an das Kaninchen und dann war sie nicht mehr so traurig. Papa hatte ihr eins versprochen, wenn sie in ihre Wohnung zurückgehen konnten. Außerdem wollte sie nicht traurig sein.
Wenn Mama und Papa immerzu traurig waren, dann musste sie doch jemand trösten, und wenn sie dann auch noch traurig wäre, das ginge doch nicht.
Seit sie hier unten waren gab es nur noch Brote zu essen. Jemand, den sie noch nie gesehen hatte, stellte einmal am Tag einen Teller mit Broten und drei Kannen Tee vor die Kellertür, einmal gab es auch Orangensaft, aber keinen frischen.
Sarah konnte keine Brote mehr sehen. Wenn sie wieder in ihrer Wohnung waren, würde sie nie wieder ein Brot anrühren, das hatte sie sich geschworen. Als sie Mama fragte, wer denn wohl immer das Essen vor die Tür stellte, sagte sie: „ein Freund, Kind“. „Aber Freunde reden doch miteinander“ hatte sie da verwirrt gesagt.
„Das ist zu gefährlich“, erwiderte Mama. Da war Sarah ganz erstaunt. Was war denn gefährlich daran, mit einem Freund zu reden? Freunde sind doch deshalb Freunde, weil sie nicht gefährlich sind. „Das verstehst du noch nicht“ hatte Mama dann seufzend gesagt und wieder ihre Stricknadeln genommen. Früher hat sie auch nie geseufzt. Jetzt seufzte sie sehr oft. Manchmal auch nur einfach so, wenn gar niemand etwas gesagt hatte. „Das verstehst du noch nicht“, hatte sie in letzter Zeit auch sehr oft gehört. Früher hatten sie ihr immer alles erklärt. Das war jetzt nicht mehr so. Das verstand Sarah nicht.
Als sie ihre Mutter das erste Mal überhaupt weinen sah, waren sie noch in ihrer Wohnung. Papa kam nach Hause und hatte ein paar Sterne mitgebracht. „Jude“ stand darauf und Mama hat sie an ihre Jacken genäht. Sarah fand den Stern schick. Aber Mama hatte geweint und da war sie entsetzt.
„Aber Mama, gefallen dir die Sterne denn nicht“, hatte sie gefragt. „Nein, nein, Schatz“ hatte ihre Mutter geschluchzt. Dann hatte Sarah auch geweint, weil sie den Stern schön fand und nicht verstand, warum Mama nicht und weil Mama weinte. Deshalb weinte sie auch. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt war sie tapfer, weil sie Mama und Papa trösten musste. Manchmal gelang ihr das sogar und sie lächelten dann sogar, dann war Sarah sehr stolz und glücklich, weil sie ihre Eltern froh gemacht hatte. Mama strickte fast den ganzen Tag. Wenn sie nicht gerade weinte oder seufzte. Manchmal weinte und seufzte sie aber auch, während sie strickte.
Sarah hatte schon drei Pullover bekommen, seit sie hier unten waren. Manchmal, wenn die Wolle alle war, lag neben dem Essen neue Wolle vor der Tür. Und dann strickte Mama weiter. Papa schrieb den ganzen Tag irgendwelche Dinge auf Papier. Dann strich er mal etwas durch und sehr oft zerknüllte er das Papier und warf es einfach in die Ecke. Papa weinte nicht so oft wie Mama, aber dafür saß er sehr oft da und starrte einfach nur die graue Wand an, obwohl da nicht mal ein Bild hing.
Das machte Sarah Angst. Auch wenn sie es nicht mochte war es ihr lieber, wenn er weinte, dann konnte sie ihn wenigstens trösten. Sarah vermisste ihre Freunde. Mama erzählte ihr jeden Tag eine Geschichte, aber sie wollte ihre Spielsachen wieder und mit ihrer Freundin Anna spielen. Aber das ging nicht, weil sie sich ja verstecken mussten. Keiner wusste, dass sie hier waren, nur der Freund, der das Essen brachte und den sie noch nie gesehen hatte. Sie sang gerne Lieder, aber hier unten musste sie immer sehr ruhig sein, damit sie niemand hört.
Und Oma vermisste sie auch. Oma hatte immer so tolle Einfälle zum Spielen für sie und sie kochte immer ihr Lieblingsessen, wenn sie sie besuchten. Warum konnte Oma nicht mit ihnen hier sein, hatte sie Papa gefragt. „Die Oma macht eine Reise“, hatte der Papa dann gesagt und dann ernst zu Mama geschaut, die traurig ihren Blick abwandte.
Oma hatte gar nichts von einer Reise erzählt, als sie das letzte Mal bei ihr waren.
Das fand Sarah komisch, aber Oma würde bestimmt tolle Sachen zu erzählen haben, wenn sie wieder zurückkam. Und Oma musste sich bestimmt auch nicht verstecken, denn alte Leute haben nicht so viel Geld, da kommen keine bösen Menschen.
Nachdem Sarah heute Morgen das verhasste Schinkenbrot gegessen hatte (Mama meint sie müsste essen, damit sie stark bleibt, aber so stark war sie gar nicht) passierte etwas, das ihr sehr viel Angst machte und weswegen sie auch nicht mehr tapfer war und weinen musste. Denn plötzlich flog mit einem großen Knall die Kellertür auf und da standen ein paar Männer mit großen Gewehren in den Händen die laut schrieen, dass sie sich auf den Boden legen sollten. Sarah hatte sich vor Angst in die Hosen gemacht, was ihr hinterher sehr peinlich war und auch unangenehm, denn sie bekam nichts anderes zum anziehen. Die Männer grölten irgendwas das Sarah nicht verstand, und dann wurde sie auf die Füße gezogen und Mama nahm sie in den Arm und sagte, sie solle nicht mehr weinen und keine Angst haben. Diesmal weinte Mama nicht, sie schluchzte nur ein wenig.
Sarah wollte sagen, dass Papa den Männern doch das Geld geben solle, aber Mama sagte sie solle still sein. Einer der Männer schlug Papa das Gewehr auf den Rücken und Mama schrie „bitte nicht vor dem Kind“, und Sarah weinte. Niemand sollte ihrem Papa wehtun, aber sie hatte zu viel Angst, um das zu sagen.
Dann wurden sie von den Männern aus dem Keller getrieben, ein Mann stieß ihr einmal mit dem Gewehr in den Rücken, damit sie schneller ging. Mama nahm sie auf den Arm. Sie wusste nicht, ob sie nun in ihre Wohnung zurück konnten.
Auf der Straße stand ein Wagen, in dem schon ein paar Leute saßen, die auch so einen tollen Stern auf der Jacke hatten, aber alle sahen sehr traurig aus, was auch kein Wunder war, denn in dem Auto saßen auch zwei Männer mit Gewehr. Bestimmt mussten alle ihr Geld abgeben. Sie mussten in den Wagen einsteigen.
Auf der Straße standen viele Leute und sie sah ihre Freundin Anna da stehen.
Da musste sie nicht mehr weinen und freute sich und winkte ihrer Freundin zu.
Anna winkte zurück und lachte, wurde dann aber von ihrer Mutter weggezogen, die neben ihr stand. Wahrscheinlich musste sie dringend weg, aber später würde sie bestimmt wieder mit ihr spielen können. „Mama, da war Anna“, sagte sie aufgeregt.
„Ja, Schatz“, sagte ihre Mutter unter Tränen und drückte sie an sich.
Dann fuhr der Wagen los. „Wohin fahren wir?“ fragte Anna ihre Mutter. Doch bevor diese antworten konnte, raunte einer der Männer mit Gewehr, sie solle ruhig sein.
Der Wagen hielt am Bahnhof. „Mama, fahren wir Zug, fahren wir?“ rief Sarah aufgeregt. Sie war nämlich erst einmal mit der Bahn gefahren und das war schon zwei Jahre her und sie konnte sich kaum noch daran erinnern.
Ihre Mutter nickte nur, während die Tränen in ihren Augen glänzten. Sie wurden aufgefordert auszusteigen. Ihr Vater war weiter vorne und sie konnte ihn nicht sehen. Sie hielt fest die Hand ihrer Mutter, während sie zum Bahnsteig geschleust wurden. Zwar freute sie sich auf das Zug fahren, aber die Männer mit den Gewehren waren überall, und sie hatte immer noch große Angst vor ihnen.
Viele Leute waren auf dem Bahnsteig und alle hatten den tollen Stern an der Jacke.
Es waren auch andere Kinder da, aber sie kannte keines von ihnen. Ein Mädchen, das wohl auch bei seiner Mutter stand, lächelte ihr zu, sie lachte zurück, versteckte sich dann aber hinter dem Rücken ihrer Mutter. Auf dem Bahnsteig stand ein Zug mit einigen Anhängern, aber das waren keine Personenwagen, sondern Transportwagen, das wusste Sarah, das hatte sie schon in Büchern gesehen. Trotzdem mussten die Leute in diese Transportwagen einsteigen und auch Sarah und ihre Mama und ihr Papa, der weiter vorne stand, wurden in einen Wagen geschoben. Es gab hier keine Fenster, alles war zugenagelt. Das gefiel Sarah nicht, denn sie wollte doch sehen, wo sie hinfuhren. Ziemlich viele Leute stiegen noch in den Wagen ein, in dem sie waren. Es war furchtbar eng. Dann wurde die Tür geschlossen und Licht kam nur durch die Ritzen der Holzbalken. Sarah fing wieder an zu weinen, sie wollte jetzt nicht mehr Zug fahren, das gefiel ihr ganz und gar nicht. Zumindest die Männer mit den Gewehren waren hier nicht mehr. „Mama, wo fahren wir hin?“ fragte sie noch einmal ihre Mutter, an der sie sich fest gedrückt hielt. „Ich weiß es nicht Kind, ich weiß es nicht“, sagte Mama, und Sarah glaubte dass sich das ängstlich anhörte. Mama hatte nie Angst. Und dann sagte Mama, sie solle keine Angst haben. Aber wie sollte sie denn keine Angst haben, wenn Mama auch Angst hat. Papa stand jetzt wieder neben ihr und drückte feste ihre Hand. So, dass es ein wenig wehtat. Aber Sarah war tapfer.
Sie fuhren sehr lange mit dem Zug. Es wurde dunkel und dann wieder hell. Sarah hatte furchtbaren Durst und Hunger, sie würde sogar ein Schinkenbrot essen, aber das gab es hier nicht. Aber Sarah war tapfer und weinte nicht. Dann wollte sie Bonnie an sich drücken, aber Bonnie war nicht da. „Mama, Mama, wir haben Bonnie vergessen“, schrie sie entsetzt und fing an zu weinen. „Wir müssen zurück und sie holen!“ „Beruhige dich, Sarah“, sagte Mama, „wir können jetzt nicht zurück, wir werden Oma einen Brief schreiben und sie bitten, Bonnie zu schicken, wenn sie von ihrer Reise zurück ist“. Mama küsste sie auf die Stirn. Ja, Oma würde Bonnie schicken und sie könnte mit einem tollen Postwagen fahren. Das wird Bonnie gefallen. Sie hörte bald auf zu weinen. Keiner der Menschen in diesem Zug sprach, alle starrten nur vor sich hin, so wie Papa das immer getan hatte. Ein paar Kinder weinten. Das mussten mindestens drei Tage gewesen sein, dachte Sarah als der Zug endlich anhielt, aber das konnte ja nicht sein, denn so lange kann ja kein Mensch ohne was zu trinken leben.
Sie hatte so einen Durst.
Dann wurden die Türen aufgerissen und da waren wieder die Männer mit den Gewehren und schrieen sie sollen aussteigen. Sie standen vor einem riesigen eingezäunten Gelände, so ähnlich musste ein Ferienlager aussehen, überlegte Sarah, aber überall waren die Gewehre und Leute, die krank und sehr schmutzig aussahen. Dann kam etwas sehr Schlimmes. Einer der Männer schrie, dass die Kinder in eine Schlange, die Erwachsenen sich in einer anderen Schlange aufstellen sollten. Mama fing an zu schreien, und Sarah schrie auch, denn sie wollte nicht von ihren Eltern weg, sie kannte hier doch niemanden. Selbst Papa schrie und hielt Sarah fest. Dann kam ein Mann und schlug ihn wieder mit dem Gewehr, dann zerrte er Sarah von Mama und Papa weg und stellte sie in die Kinderreihe. Andere Eltern schrieen auch und die Kinder weinten. Sarah weinte auch. Sie sah zu ihrer Mama, die ihre Hände nach ihr ausstreckte und schrie, aber sie konnte nicht zu ihr laufen, sie wurde festgehalten. Dann wurden sie weggebracht. Sie sah das Mädchen vom Bahnhof wieder und sie nahmen sich an die Hände, ohne zu wissen wie der andere heißt. Sie wurden in eine Umkleidekabine gebracht und die Männer sagten, sie sollten sich ausziehen, da sie jetzt duschen würden. Die Männer schrieen jetzt nicht mehr, waren sogar ein bisschen nett, aber Sarah hatte gesehen, wie sie ihren Papa schlugen. Sie wollte zu ihren Eltern. Die Männer sagten, dass sie nach der Dusche wieder zu ihnen könnte. Erwachsende und Kinder dürften nicht zusammen duschen. Das klang einleuchtend für Sarah, zuhause ging sie zwar schon mal mit Papa duschen, aber in der Badeanstalt machten sie das auch nicht. Da weinte sie nicht mehr, bald würde sie wieder bei ihren Eltern sein. Ihre Kleidung warfen sie in große Körbe. „Zum Waschen“, sagten die Männer. Dann gingen sie in einen großen Raum mit vielen Duschdüsen an den Decken. Vielleicht würde es sogar ein bisschen lustig werden mit so vielen Kindern unter der Dusche. Ein bisschen so, wie ein Ferienlager sein muss. Dann wurden die Türen geschlossen.

 

Hallo Sumpfkuh,

hier hast du dich zum ersten Mal in einer Historik-Geschichte probiert, wie ich aus deiner Geschichtenliste ersehen kann.

Da du nicht schreibst, in welcher Zeit die Handlung spielt, rate ich mal so um 1940 rum oder später.
Da fallen mir zunächst die Sätze auf:

Sie hatte mal einen Film mit Mama gesehen, in dem ein Mann mit einem Strumpf über dem Kopf in eine Bank ging und eine Pistole in der Hand hielt.

und

In ihrer Wohnung hatte sie ein tolles Zimmer, ganz in rosa gestrichen mit vielen Stofftieren und jeder Menge Spielsachen.

Sie hören sich ein bisschen zu sehr nach der "Jetzt-Zeit" an. Vor allem bei den vielen Stofftieren und eine Menge Spielsachen, sowie einen Film sehen (hört sich an wie Fernsehschauen), das war wohl für die damalige Zeit nicht so real.

Ich könnte mir auch denken, dass die Eltern ein 6jähriges Mädchen über die Situation aufklären könnten. Die Kinder der damaligen Zeit waren doch schon wesentlich früher erwachsen. Sarah hat bestimmt auch in der Schule oder wenn sie mit anderen Kindern spielte, über die Zustände erfahren. Sie musste auch wissen, dass sie Jüdin war und was mit Juden geschehen würde.

Die Geschichte hat mir nicht so gut gefallen. Vielleicht lag es daran, dass du in einem etwas kindlichen Stil geschrieben hast. Es hört sich so an, als hätte Sarah die ganze Geschichte selbst aufgeschrieben während dieser Zeit und ein anderer fand die Aufzeichnung dann später. Vielleicht war es ja Absicht, weil sich der Stil durch die ganze Geschichte gezogen hat.

Aufgefallen sind mir noch einige Zeichensetzungsfehler, besonders Kommata und die Satzzeichen bei der wörtlichen Rede. Vielleicht gehst du da nochmal drüber. (Kannst hierfür auch unter "Korrektur-Center" nachschauen, da findest du auch Regeln).

Viele Grüße
bambu

 

Mahlzeit!

Ich nehm es gleich vorweg: Viel Gutes werde ich nicht zu sagen haben - dazu finde ich den Text nicht nur misslungen sondern schon beinahe ärgerlich...

Sumpfkuh schrieb:
Böse Menschen? Sie kannte böse Menschen aus dem Fernsehen.
Ganz ehrlich - im Grunde war der Text schon nach diesem Satz bei mir durchgefallen ... Fernsehkrimis im 3. Reich?! Eine 30-Sekunden-Recherche bei Google hätte dir sagen können, dass es zu Beginn des 2. WK in ganz Deutschland ca. 500 Fernsehgeräte gab, die fast ausschließlich für Soldaten zur Verfügung standen - vom damaligen Programm (Propaganda ohne Ende, nix Krimis mit Strumpfmasken) ganz zu schweigen ... typischer Fall von lausig bzw. gar nicht recherchiert.

Ansonsten ist das eine Ansammlung von oberflächlichem Allgemeinwissen zum Thema Judenverfolgung - beliebig und ohne wirklich fesselnden emotionalen oder erzählerischen Ansatz oder auch nur wirklichen historischen Gehalt, dazu fehlt es nämlich an Details. Der überkindliche Stil - zumal nicht von einer Ich-Erzählerin ausgehend - und die aufgesetzte Naivität der Prot sind extrem nervig. Ist eine 6jährige wirklich der geeignete Erzähler für so eine Geschichte? Bzw. kann selbst eine 6jährige unter diesen Umständen wirklich so doof sein? Zu doof, um die Diskriminierung in Schule und Alltag, das Verschwinden von Freunden und Nachbarn, die antisemitische Plakatpropaganda etc. so gar nicht mitzukriegen und sich ihre - wenngleich kindlichen - Gedanken dazu zu machen? Ich denke eher nicht. Ehrlich: Der ganze Text wirkt wie ein einziges oberflächliches "Ich schreib jetzt mal eine total betroffen machende Geschichte über Juden-Deportation und sowas..."

Sorry, dass das Schulterklopfen dafür ausbleibt. Ein solcher Text macht in meinen Augen nur Sinn, wenn er von echten Zeitzeugen verfasst wird. Das Tagebuch der Anne Frank gibt es allerdings schon.
Eine Dramatisierung solcher Geschehnisse erfodert allerdings sehr viel mehr korrekte Recherche, stilistische Sicherheit und Vielfalt und nicht zuletzt einen weniger beliebigen erzählerischen Ansatz. So ist das für meinen Geschmack mit Verlaub gesagt einfach Mist, sorry. Eine stümperhafte Ausschlachtung eines "dankbaren" Themas. Von mir gibt's dafür einen dicken Daumen nach unten...

 

Hallo Sumpfkuh!

Ich kann mich da nur Horni anschließen. Gäbe es einen Preis für die am schlechtesten recherchierte Geschichte, Du hättest mit dieser Geschichte sehr gute Chancen drauf.

Nicht nur das schon erwähnte Ambiente (haufenweise Spielsachen, Fernseher, etc.) stimmt da nicht, auch nicht nur die Tatsache, daß das Mädchen von gar nichts weiß. Selbst die Ankunft im Konzentrationslager ist in keiner Weise recherchiert: Um sie gleich umzubringen, hätten sie sie doch nicht so weit transportieren müssen - erst wurden sie noch für diverse Versuche mißbraucht und ihre Arbeitskraft ausgenutzt, bevor sie in die Gaskammern - "Duschen" - gebracht wurden.

Ich bezweifle aber auch, daß die Geschichte durch Bearbeiten besser werden könnte - erst solltest Du einmal gründlich recherchieren. Lies Bücher, schau Dir Filme an, geh auf Ausstellungen, besuche mindestens ein KZ und höre Dir Zeitzeugenberichte an. Dann versuchs nochmal.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Einen wunderschönen guten Abend,

Kritik in allen Ehren, jedoch sollte sie am richtigen Punkt ansetzen. Aus diesem Grund mische ich mich hier auch mal ein. Dabei lassen wir mal für einen Moment die Kritik an der Sache aus. Ich möchte Kritik an der Kritik üben. Denn hier scheint mir doch Voreingenommenheit am Werke zu sein. Wie sagte Jules Renard (1864 - 1910) noch gleich?

Ein Kritiker muß die Wahrheit sagen. Er muß sie aber auch kennen.

Genau an diesem Punkt möchte ich ansetzen. Horni sagt, dass die Geschichte nach dem zitierten Satz bereits durchgefallen war.

Horni schrieb:
Fernsehkrimis im 3. Reich?! Eine 30-Sekunden-Recherche bei Google hätte dir sagen können, dass es zu Beginn des 2. WK in ganz Deutschland ca. 500 Fernsehgeräte gab, die fast ausschließlich für Soldaten zur Verfügung standen - vom damaligen Programm (Propaganda ohne Ende, nix Krimis mit Strumpfmasken) ganz zu schweigen ... typischer Fall von lausig bzw. gar nicht recherchiert.

Hier ist ein "Autsch" angebracht. Hier wäre von Seiten des Kritikers wohl eine Recherche, die länger dauert als nur 30 Sekunden, angebracht gewesen. So gab es sehr wohl Filme über böse Menschen im Dritten Reich. Sogar Thriller gab es, auch von der UFA für das Fernsehen produziert. Diese wurden ab 1937 auch im Fernsehen gesendet. (Einer davon, von dem es wenigstens ETWAS im Internet zu lesen gibt: Wer fuhr IIA 2992?). Die Handlung und Moral dieser Fernsehfilme hatte selbstverständlich propagandistischen Hintergrund. Oberflächlich dienten sie jedoch der Unterhaltung und es darf auch angenommen werden, dass Ganoven in Strumpfmasken nicht fehlten. Richtig ist, dass die Anzahl der Fernseher im Dritten Reich gering war. Damit aber auch die Bevölkerung in den Genuss des teuren Fernsehens (ein Fernseher kostete damals etwa 2500 Reichsmark) und der damit verbundenen Propagandamaschine kamen (wozu brauchten Soldaten in den Anfangsjahren auch Überzeugungsarbeit), wurden von der Deutschen Reichspost in Berlin und Potsdam (später auch in Hamburg) so genannte Fernsehstellen eingerichtet, vergleichbar in etwa mit den Internetcafés von heute. (Ja, da höre ich die suchenden Kritiker wieder rufen: "Aber die Nazis haben sich doch hauptsächlich auf das Radio konzentriert!" - Sie mögen beruhigt sein, diese Kritiker. Ich tätschle ihnen auf den Kopf und sage beruhigend: "So ist es, liebe Kritiker, aber deswegen gab es das Fernsehen AUCH noch." Die Kritiker sehe ich nun also wieder in die Sessel sinken und alle sind zufrieden.) So in etwa könnte jedenfalls die Protagonistin in den Genuss eines Krimis gekommen sein. Und angenommen es wäre so, dann wäre die kindliche Naivität angesichts der Motive der Soldaten in Sumpfkuhs Geschichte (sie wollten ja nur Geld) sogar als ein pars pro toto für die Leichtgläubigkeit eines Großteils der Bevölkerung der damaligen Zeit anzusehen.

Soviel zu leichtfertiger Kritik. Es ist bedauerlich, dass ausgerechnet ein Moderator dazu tendiert, sich durch destruktive, polemische und - man möge mir dieses augenzwinkernde Zitat verzeihen - "stümperhafte" Bewertungen Geltung zu verschaffen sucht (dies ist jetzt nicht nur auf diese, sondern auch auf andere Kritiken bezogen, man erspare mir entsprechende Ausschlachtung). Daher meine Bitte: man möge wieder zu sachlicher Auseinandersetzung mit den Texten zurückkehren und nicht um des Zerstörens willen auf den "Antwort"-Button klicken. Oder um es mit Goethe zu sagen:

Rezensieren und Tadeln sind im Wörterbuch manches jungen Gelehrten vollkommen synonym.

Mit versöhnendem Blicke,

eHonkey.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ähm .. und was will uns das jetzt sagen? Das man mit ganz viel Recherche diese Textstelle u.U. irgendwie vielleicht verteidigen kann? Eine Recherche, die ich als Kritiker nicht tätigen müsste, sondern die Autorin? Die Selbstverständlichkeit, mit der hier Fernsehen erwähnt wird, lässt - neben der allgemeinen Oberflächlichkeit des Textes - bereits den Schluss zu, dass hier gar keine richtige Recherche betrieben wurde. Andernfalls wäre es nämlich sinnvoll gewesen, evtl. den Film selbst zu nennen. Die Prot ist 6 Jahre alt - wie lange darf es also her sein, dass sie den Film gesehen hat? Ihn zu sehen, dürfte vor dem Hintergrund der Zeit und der Umstände ein bemerkenswertes Ereignis im kurzen Leben der Prot gewesen sein! Eine Episode, der man bereits eine halbe Geschichte widmen könnte...
(Zudem: Die ohnehin nur an wenigen Stellen verfügbaren "Fernsehstuben" dürften zum Zeitpunkt der Geschichte selbst für Juden, die zufällig einen in der Nähe hatten, mit Sicherheit nicht mehr problemlos zugänglich gewesen sein. Zumal kein Ort, keine Zeit, nichts genannt wird. Lebt sie z.B. in sagen wir mal Korschenbroich Ende 1940, dann dürfte sie einen Fernseher wenn überhaupt höchstens vom Hörensagen kennen. Denn Tatsache bleibt: Der Anteil der deutschen Bevölkerung (von den Juden ab einem gewissen Zeitpunkt ganz zu schweigen), der überhaupt Zugang zu einem Fernseher hatte, war so verschwindend gering, dass man hier wohl kaum von einer selbstverständlichen oder auch nur halbwegs alltäglichen sondern bestenfalls von einer sehr priveligierten Nutzung sprechen kann. (Wie gesagt: 500 Geräte. Von denen mit Kriegsbeginn fast alle vom Militär vereinnahmt wurden, und das nicht nur für Durchhaltepropaganda, sondern für ganz banale Informations- und Ausbildungszwecke - soviel war selbst mit meiner "stümperhaften" 30-Sekunden-Recherche bereits herauszufinden. [Edit: Welche ich ohnehin nur gestartet hatte, um mich zu vergewissern, dass mein spontaner Zweifel berechtigt war. Hätte da statt "im Fernsehen" gestanden "im Kino", wäre alles nur halb so schlimm. Das wäre zumindest halbwegs plausibel gewesen. So aber machte mich die Formulierung sofort skeptisch. Das ist mE ein echter "Flüchtigkeitsfehler" bzw. Symptom für die mir bereits aus einem anderen Text bekannte Heransgehensweise der Autorin an Geschichten, der mich für den übrigen Text schlimmes erahnen ließ. Und die übrige Geschichte ist leider auch dementsprechend.] Diese Umstände gehören mE entweder erwähnt oder "das Fernsehen" als solches einfach weggelassen. All diese Gedanken entstehen, derweil ich diesen ersten Absatz der Geschichte lese, und ich denke nur: "Au Backe..." Unter historischer Authenzität, und sei sie noch so banal, verstehe ich jedenfalls was anderes. Doch das nur am Rande.)

Es steht mir also sehr wohl zu, eine Geschichte, der man bereits in den ersten 3 Sätzen anmerkt, wie oberflächlich und nachlässig sie recherchiert und ausgeführt wurde, als bei mir durchgefallen zu bezeichnen. Immerhin geht es hier um meinen Eindruck vom Text. Und meine Befürchtungen an den Text wurden im Folgenden von eben demselben voll und ganz bestätigt. Und das hat weder etwas mit Polemik noch mit "Geltungsbedürfnis" zu tun (Solche Anmerkungen - oder soll ich es als "dreiste Unterstellung" getrost beim Namen nennen? - kannst du dir sparen oder sie mir per PN mitteilen, wo sie hingehören.), sondern ist schlicht und einfach meine Meinung zu diesem Text.

Soll heißen: Du kannst so dick auftragen, wie du gerne möchtest, es ändert nichts daran, dass ich diese Geschichte stilistisch mies, schlecht recherchiert und erzählerisch vollkommen daneben finde. Und dass ich es tatsächlich als einen Versuch betrachte, allein durch das Aufgreifen eines bestimmten Themas "Bonus-Punkte" zu ernten, die über die erzählerischen und sonstigen Mängel des Textes hinweg täuschen sollen. Ich finde sowas ärgerlich. Diese Ansicht zu kommunizieren, lasse ich mir von niemandem mies machen. Punktum.
An meiner geäußersten Meinung ändert sich daher nicht das geringste. An der Qualität der Geschichte mE ebenfalls nicht. Der tiefere Sinn deines Kommentars (außer dem seltsamen Versuch, mich irgendwie persönlich anzugreifen) ist mir insofern vollkommen schleierhaft, sorry.

Gruß,
Horni

PS: Hätte ich tatsächlich einen Mangel an "Geltung" zu verzeichnen, dann - man verzeihe mir diesen augenzwinkernden Kommentar - würde ich wahrscheinlich eher so auftreten wie du. :rolleyes:

 

Okay, war ein Versuch wert.

Ich dachte das einige Filme und Bücher genügt hätten. Scheinbar doch zu wenig Hintergrundwissen.
Aber noch als kurze Anmerkung: Als die Ammis im Vormarsch waren, da hieß es schnell noch so viele wie möglich umzubringen. So habe ich es zumindest gelesen.
Irgendwie mußte die Geschichte ja auch kurz gehalten werden.
Trotzdem, auf diesem Feld lass ich es lieber :shy:
Danke für`s lesen, kritisieren und verweisen :D

Ich komme wieder ...:-)

 

Hallo Sumpfkuh,

die Idee, eine solche Geschichte aus der Sicht eines Kindes zu erzählen, finde ich gar nicht mal so schlecht.
Allerdings hat mir die Umsetzung nicht so gut gefallen. Mein Hauptkritikpunkt ist, dass das Mädchen zu kindlich für mich wirkt. Unter diesem Umständen kann ich mir nicht vorstellen, dass sie vor gar nichts eine Ahnung hat. Glaubst du wirklich, dass die Eltern ihr unter diesen Umständen gar nichts erzählen würden? Denke nur mal an diverse Filme, in denen den Kindern eingeschärft wurde, sich zu verstecken... in denen die Kinder auch wussten, warum sie sich verstecken sollten. Natürlich ist mir klar, dass das Mädchen noch nicht alles erfassen kann, aber das sie deswegen verfolgt bzw. sich verstecken müssen, sollte sie einfach kapiert haben.
Das Ende fand ich auch extrem Mitleiderheischend - sicherlich ist es so vorgefallen, aber man merkt, dass du den Leser durch dieses Ende schockieren möchtest. Man merkt, dass du die ganze Geschichte nur auf dieses Ende hin geschrieben hast.

Ein paar Sachen solltest du nachrecherchieren, das Mädchen weniger kindlich und das Ende weniger schockierend sein. Ich kann mir vorstellen, dass du unter diesen Umständen doch noch einiges aus der Geschichte herausholen kannst.

LG
Bella

 

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