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Schmetterlinge
"Aber dieses Mal gleich länger!“, mahne ich unsere Dreijährige genervt. Sie will mit dem Plastilin spielen. Vor zwei Tagen verlor sie schon nach kurzer Zeit das Interesse und ich konnte die Knetteige in zig verschiedenen Farben, die Ausstechformen vom Krokodil bis zum Weihnachtsbaum und all das andere Zeug wieder in die Schachtel räumen.
Ich modelliere ein blaues Auto mit grünen Rädern. Marie will für unsere Katze ein „Essen“ zubereiten und sticht Brokkoli, Erdbeeren, Fisch und Weihnachtskekse aus.
Irgendwann schalte ich das Radio ein und suche den Kultursender. Ich hoffe auf einen interessanten Beitrag, meinetwegen auch über das Corona-Virus. Es kommt klassische Musik. Die ist zwar weniger mein Fall, ich schalte aber trotzdem nicht um, achte aber kaum darauf.
Nach einem Klavierstück, ich glaube von Mozart, hören wir ungewohnte Töne: Dagaduga dagaduga dagaduga daaaga, singt eine weibliche Stimme. Das wird ständig wiederholt, sehr schnell, nur von ein bisschen energischer Musik begleitet. Marie springt sofort auf.
„Tanz, Papa! Tanz!“, feuert sie mich an und ich merke, diese Musik beflügelt sogar mich, den Tanzmuffel! Ich versuche nachzutanzen, was sie vormacht, ziehe Kreise auf dem Teppich, rudere mit den Hüften, schlenkere mit den Armen.
Mein Blick wandert zum Fenster, um zu kontrollieren, ob die Gardine zugezogen ist. Es muss furchtbar aussehen, was ich mache. Dann überlege ich es mir anders: Was kümmert mich das überhaupt?
Das Lied ist kurz, etwas länger als eine Minute. Dann ist es vorüber. Wir blicken uns an.
Da kommt mir eine Idee: Ich suche in der Radiothek und tippe den Namen Aziza Mustafa Zadeh und den Titel Butterflies in die Youtube-Suchleiste. Dann drehe ich das Handy ganz laut auf. Butterflies, wir tanzen, ich kann nicht sagen, ob Marie die Schmetterlinge auch sieht. Ich jedenfalls sehe sie! Sie sind überall um mich herum. Der Titel passt perfekt!
Als die Musik verstummt, schreit die Kleine sofort: „Noch einmal, Papa! Noch einmal!“ Und dann gleich wieder: „Noch einmal!“.
Ich tapse ihre Tanzschritte nach. „Ja, Papa, genauso!“, lobt sie mich mit glühenden Wangen. Die Frauenstimme flattert über die Noten und wir hüpfen, wir laufen und wedeln mit Händen und Füßen. Dabei sehe ich die glänzenden Augen meiner Tochter und mir ist ganz egal, wo ich bin, was ich bin oder wer mich vielleicht gerade dabei sieht.