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Schneetagebuch

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18.11.2006
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Schneetagebuch

Erster Tag
Schnee, wie fällst du süß und weich und errichtest mir dabei ein Gefängnis aus Kälte, aus Eis. Die ersten Flocken fallen und bedecken den Boden, die Tannen und das Dach meiner Hütte mit einem abstrakten Mosaik, dessen einzelne Stücke sich bald zu einer festen Decke schließen werden. Draußen geht kaum Wind, sodass die Eiskristalle langsam zur Erde niedersinken, nur ab und zu von einer Böe durcheinander gewirbelt. Die Sonne dringt kaum durch die Wolken, ich sehe nur einen verschwommenen, hellen Fleck von ihr am Himmel, der sich schon den Gipfeln der Berge nähert. Heute ist der erste Schneetag und damit der Beginn dieser Aufzeichnungen. Bald werde ich, wenn der Pass eingeschneit ist und die Bucht gefroren, allein sein, nur in der Gesellschaft von Herrn Farst, den ich aber nur selten sehen werde; wobei sich der Winter vom Sommer in dieser Hinsicht nur dadurch unterscheidet, dass ich keine Tiere mehr sehe. Ein Mensch kommt nie hierher und das nächste Dorf, wenn man es denn so nennen will, ist von meiner Hütte aus nur über den Pass zu erreichen, was in zwei, drei Tagen, vielleicht auch früher, nicht mehr möglich sein wird. Doch zurück zum Hier und Jetzt, was hat es für einen Sinn sich in die Einsamkeit zurückzuziehen und sich immer noch Sorgen über eine längst geregelte Zukunft machen? Ich lebe schon sieben Jahre in dieser Kate und jedes Jahr verlief der Winter auf die selbe Weise: kalt, einsam, glücklich und ohne Sorgen, denn es ist für alles vorgesorgt gewesen, wie auch jetzt, die Speisekammer unter dem Haus gefüllt bis zur Decke, mehr braucht es nicht, steht doch ein ganzer Wald von Feuerholz vor meiner Tür. Ich sitze also am Kachelofen, dem einzigen nicht selbst gefertigten Einrichtungsgegenstand meiner Klause, das Buch auf dem Schoß und blickte nach draußen. Es dunkelt schnell und ich werde bald nicht mehr genügend Licht haben, um weiterzuschreiben; auch verspüre ich Hunger: ich werde mir also eine Suppe machen und dann mein Bett aufsuchen.


Zweiter Tag
Bin heute früh aufgestanden. Der Himmel hat aufgeklart, nachdem es in der Nacht weitergeschneit hat und so liegt die Welt da, voll Funkeln und Glitzern: Augenblicksdiamanten, die, kaum dass man sich bewegt, schon keine mehr sind. Ich habe ein wenig Schnee geschippt – nur ums Haus und auch nur weil ich sonst nichts zu tun habe und man dabei die Landschaft so schön betrachten kann. Nach dem Mittagessen bin ich den Weg zum Meer, der gleichsam eine Verlängerung der Passstraße ist, die sich in zehn Kilometern Entfernung durch einen schmalen Durchgang zwischen den Bergen zwängt, gefolgt. Der Schnee ist noch nicht allzu hoch, etwa zehn Zentimeter, sodass ich ohne Schneeschuhe loszog. Als ich dann das Meer schließlich erreichte, war ich außer Atem und pustete Dampfwolken in die Kälte. Ich setzte mich auf den Stein, auf dem ich jetzt noch sitze und schreibe, blicke aufs Meer, dessen graue Fluten sich unaufhörlich an die Felsen der Küste werfen und mich gelegentlich mit kalter Gischt benetzten, die an meiner Jacke festfriert und wenn ich mich bewege mit leisem Knacken abbricht und zu Boden fällt. Der Wind ist hier stärker als bei meiner Hütte und schneidend kalt fährt er mir ins Gesicht, weshalb ich mich immer wieder vom Wasser abwende und meine Wangen reibe, dass sie nicht einfrieren, denn ich habe meinen Schal vergessen. Selbst nach den sieben Wintern die ich hier verbracht habe, passiert es mir immer wieder, dass ich etwas derart Wichtiges vergesse, es ist mir unbegreiflich, aber wohl ein Teil meines alten Lebens, den ich auch hier noch nicht verloren habe, vergaß ich doch auch früher des Öfteren Dinge von Wichtigkeit. Ich denke, das letztlich meine Vergesslichkeit dazu geführt hat, dass ich hierher gekommen bin. Denn ich habe zu vieles vergessen, vor allem den Sinn meines Lebens. Doch ich verfalle wieder ins Grübeln und schließe deshalb fürs erste.

Auf dem Rückweg folgten mir Wolken, übers Meer kommend; schwer und grau waren sie. Ich sitze jetzt wieder im Warmen am Fenster, einen Becher Tee in den klammen Fingern und warte auf den Schnee, derweil meine tauben Backen zu prickeln beginnen und das Gefühl in ihnen zurückkehrt. Nachdenklich schlürfe ich meinen Tee und frage mich wieder einmal, warum ich diese Aufzeichnungen mache, es sind nun schon die sechsten. Diese Frage zu beantworten fällt mir nicht leicht. Fest steht, dass ich diese Aufzeichnungen führe, ohne den Grund dafür völlig durchschaut zu haben, doch ein wenig ist er mir doch einsehbar: es scheint, dass die Schneetagebücher mir eine Art Ersatz für einen Menschen sind und ich unterhalte mich mit ihnen statt mit meinesgleichen. Aber das kann nicht alles sein, denn ich führe keine Sommertagebücher oder so; nein nur im Winter sehne ich mich danach meine Gedanken auf Papier zu bannen, nur im Winter und den genauen Grund dafür habe ich vergessen. Ich gerate schon wieder ins Grübeln. Es scheint mir angebracht hier kurz meine Ablehnung gegen das Grübel und das doch immer wieder darauf Zurückfallen zu erklären. Das Grübeln ist mir unangenehm, denn wann immer ich es angewandt habe, lag ich falsch - wobei es meistens gar keinen Sinn machte über die jeweilige Sache auch nur einen Gedanken zu verlieren. Mit Grübeln meine ich übrigens nicht das logische Nachdenken über ein Problem oder einen Sachverhalt, mit Grübeln meine ich die völlig instinktive, subjektive und ungebundene Gedankenfreiheit, die ich mir zuweilen erlaube, wenn ich mich mit einem Thema beschäftige, dass nicht in rationale Maßstäbe passen will. Letztlich ist meine Unlust am Grübeln und mein immer wieder darauf Zurückverfallen wohl ein Teil meines Grundes für die Einsiedelei gewesen; ich dachte, dass wenn ich in völliger Einsamkeit und nur auf das Jetzt bezogen lebe, meine sinnlose Gedankenverschwendung ein Ende nehmen würde – was nicht eintrat, eher hat es sich verstärkt. Nun, warum ich immer wieder darauf zurück verfalle? Ich kann nicht anders, es ist ein Teil von mir. Selbst wenn ich mich fest auf eine Sache konzentriere und ernsthaft über sie nachdenken will, verfalle ich über kurz oder lang ins Grübeln. Trotzdem mag der Leser vielleicht kein Verständnis für meine Haltung aufbringen, vielleicht hält er mir entgegen, dass Grübeln in Maßen doch nicht schadet, ja es sehr hilfreich sein kann – doch ich bin fest überzeugt, dass ich den richtigen Weg gehe. Während ich so meine Gedanken aufs Papier brachte, damit ich sie nicht immer und immer wieder von vorne denke, sondern sie einfach nachlesen kann, ist mir ein Wort entschlüpft, dass hier fehl am Platze scheint. Ich sprach vom Leser, was ja meinen Glaube an einen solchen voraussetzt; den besitze ich auch, obwohl es doch reichlich unwahrscheinlich anmutet, dass meine Schriften jemals ein Publikum haben werden; aber der Gedanke lässt mich nicht los, dass wenn ich meine Einsiedelei irgendwann einmal beende und in die Zivilisation zurückkehre und das zu tun ist meine erklärte Absicht, (wann, wird sich noch herausstellen) meine Aufzeichnungen einem Verlag zum Druck vorlegen werde. Es ist schlimm mit mir, ich mache mir Gedanken über eine Zukunft, die es vielleicht nie geben wird und wenn doch, so liegt sie in weiter Ferne und ist daher noch nicht von Belang. Das Licht ist überdies auch wieder sehr schlecht geworden und meine Augen schmerzen schon, daher lege ich den Stift beiseite und begebe mich zur Ruhe.


Dritter Tag
Der heutige Tag war einer von denen, derentwegen ich mein Einsiedlerleben führe, ich wachte auf und fühlte mich glücklich. Dieses Glückgefühl kam daher, dass ich einen tiefen seelischen Frieden verspürte, ich war zufrieden mit mir selbst und meinem Leben und allen Entscheidungen die ich getroffen hatte, egal ob sie nun gut oder schlecht waren, sie gehörten zu mir und das reichte. Ich lag noch einige Zeit im Bett und betrachtete die Decke, über die sich langsam das Licht der aufgehenden Sonne ausbreitete. Dann stand ich auf und sah aus dem Fenster, es war noch mehr Schnee gefallen, er lag nun gut dreißig Zentimeter hoch und reflektierte das Sonnenlicht derart gleißend, dass ich wegsehen musste. Das anschließende Frühstück wärmte meine nachtklammen Glieder. Danach zog ich mich an, nahm meine Axt mit und machte mich auf, Holz zu schlagen, denn ich bin stets darauf bedacht meinen Vorrat immer möglichst groß zuhalten, damit ich keine böse Überraschungen erlebe. Das Holzschlagen war anstrengend, ich suchte mir eine kleine Tanne aus und fällte sie, worüber ich ziemlich ins Schwitzen geriet. Meine Schweißströmen wurden auf dem Rückweg, bei dem ich die Tanne hinter mir herzog, noch stärker und ich entschied mich, endlich angekommen, für ein Schneebad. Die meiste Zeit vermeide ich es im Winter mich zu waschen, es ist schlichtweg zu kalt für mich. Doch manchmal, da überkommt es mich und ich lasse meine dicken Kleider fallen und wälze mich, wie heute, im Schnee, gleich einem jungen Hund. Als ich dann bibbernd, in Wolldecken gehüllt vor meinen Ofen saß, pochte es mehrmals kräftig an die Tür. Ich fuhr hoch, wenn man so lange allein ist, kann man schon ein bisschen schreckhaft werden. Natürlich war es Farst, der meine Tür öffnete und sich die Schneeschuhe abschnallte um die draußen abzuklopfen, nachdem ich ein „Herein“ gerufen hatte. Er hängte seinen Mantel, dessen Kragen mit echtem Pelz besetzt ist, über den Stuhl, auf den er sich setzte – so wie er es immer tat. Farst ist ein netter Mensch, er wohnt eine gute Stunde Fußmarsch von mir entfernt in seiner Hütte und schnitzt das ganze Jahr über Holzmännchen, auf meine Fragen nach dem Grund wollte er nicht antworten und ich kann das verstehen, ich beantworte auch nicht gerne Fragen. Jedenfalls besuchen wir uns ab und zu, wenn es uns mal doch zu einsam wird. Er war gekommen um sich meine große Säge auszuleihen; die ist immer der Grund für unsere gegenseitigen Besuche, entweder will er sie sich ausleihen oder ich sie zurückholen, dabei braucht keiner von uns beiden sie wirklich – sie ist eben nur ein Vorwand. Der heutige Besuch verlief wie all die anderen auch: ich bot ihm Tee an, den er gerne annahm, dann saßen wir schweigend vor dem Kamin und wechselten nur gelegentlich ein Wort. Das mit dem Schweigen darf nicht falsch verstanden werden, ich und Farst mögen uns sehr gerne, wir waren nur beide der Ansicht, dass es nicht viel zu sagen gab und man deshalb besser den Mund hielte, um in Gemeinschaft zu schweigen. Nach der ersten Tasse Tee kam die zweite und die dritte; insgesamt tranken wir an diesem Tag sehr viel Tee, gut vier Liter und saßen um die drei Stunden beieinander, ohne mehr als ein paar Dutzend Worte gesprochen zu haben. Schließlich verabschiedete er sich, indem er mir kurz aus dem Handgelenk zuwinkte und ein „Bis die Tage“ vernehmen ließ – auf diese Weise verabschiedete er sich immer. Das war vor etwa zehn Minuten und ich will damit enden und den Rest des Tages genießen.


Vierter Tag
Wie kalt ist deine Hand, die ich in der meinen halte, wie kalt deine Stirn, dein Hals, deine Lippen und wie blass. Ich sitze an deiner Seite, starre dich unentwegt an, bin verzweifelt ob meiner Hilflosigkeit und warte – worauf? – auf ein Wunder, doch es wird nicht kommen. Dein Gesicht ist so schön, von Farbe und Grazie wie ein Edelweiß und mit einer leichten Härte in der Kinnpartie versehen, bläuliche Schatten unter deinen geschlossenen Lidern. Wie kann ich dir nur helfen, wie? Ich verschwende meine Zeit! Ich hole Farst.
Sitze wieder an deiner Seite, während Farst sich um dich bemüht; gehe ihm ab und zu zur Hand dabei, wenn er mich dazu auffordert; habe Wasser aufgesetzt. Meine Beine zittern noch immer von der wilden Hatz zu Farst, zittern auch vor Angst. Heute habe ich erkannt, wie wichtig Menschen wie Farst sind; ich war kaum zur Hälfte mit meiner Geschichte fertig, wie ich dich entdeckte habe, in deinem Boot am Felsenstrand, da war er schon angezogen und mit seiner Tasche voller Arznei auf dem Weg zu mir. Doch er scheint selbst beinahe so hilflos wie ich, flucht immer wieder bei geschlossenen Zähnen; seine Handbewegungen sind leicht fahrig, während er sich mit warmen Wasser einreibt um dich langsam wieder aufzuwärmen. Ich selbst beschäftige mich mit Schreiben, während ich mich für meine Nutzlosigkeit verfluche und ein wenig von dem Tee trinke, den ich vorhin für Farst aufgesetzt habe – er schmeckt scheußlich, habe in der Eile und Aufregung zu viel Tee reingetan. Langsam machen sich die in wilder Hast zurück gelegten Kilometer bemerkbar und ich werde müde; doch ich will nicht schlafen – werde an deiner Seite wachen.


Fünfter Tag
Die Nacht war ein Albtraum aus kurzen Schlafperioden, aus denen ich immer wieder aufgeschreckt bin. Zwischenzeitig habe ich mich auch mit Farst unterhalten; er meint, dass du die Unterkühlung bisher gut überstanden hast, aber wenn Fieber kommt, sieht es schlecht aus. Ich bin laut geworden vor Wut und Hilflosigkeit, habe geschrien – bis mir Farst ins Gesicht geschlagen hat. Mein erster Impuls war zurückzuschlagen, meine Wut hinaus zu prügel, auch wenn ich dabei denn einzige Menschen verjagen würde, der dir noch helfen kann; doch die Vernunft siegte und ich lockerte meine Hände wieder, die sich bereits zu Fäusten geballt hatten. Danach standen wir einige Augenblicke da, starrten einander an. Dann habe ich genickt, als Zeichen, dass ich wieder in Ordnung war und wir haben dir ein wenig gesüßten Tee eingeflößt. Jetzt sitze ich an deiner Seite, streiche dir immer wieder über die Stirn, die nun warm ist, doch nicht heiß werden darf. Was ist wenn du stürbest? Ich traue mich zum ersten Mal mir diese Frage zu stellen, davor habe ich sie wieder und wieder verdrängt - aus Angst vor der Antwort. Denn die lautet, dass auch mein Herz verstummt, wenn das deine mit seinem steten Schlagen aufhört; ich werde kalt sein und kalt werde ich leben und sterben und nie wieder die Wärme des Lebens spüren, nie mehr. Doch eins ist klar, wie es auch ausgeht, die Einsamkeit ist für mich vorbei. Entweder du lebst und sie endet damit oder du stirbst, wenn dies geschieht werde ich die Einsamkeit nicht mehr ertragen können, dass ewige Nachhallen deines Geistes in meinem Inneren und ich werde mich in die Hektik der Welt zu retten suchen.
Es ist gekommen, tat es gegen frühen Abend, es hält dich in seinen Klauen, diese grausame Geisel gesandt vom Tod, das Fieber, um statt seiner um dich zu werben; doch ich lasse dich nicht alleine, will den Gevatter fernhalten. Deine Stirn glüht in krankem Feuer, leuchtet rot und nass. Farst und ich machen dir wieder und wieder kalte Umschläge, verabreichen dir Tee und die schwache Medizin, die er mitbrachte, aber das Fieber will nicht sinken. Noch immer fällt Schnee; wie ich ihn hasse, versperrt er doch den Weg zum Dorf und zu deiner Rettung. Aber geht ungestört hernieder und stetig gewinnt der Wind an Kraft, heult schon um die Ecken des Hauses und türmt kleine Schneeberge auf, als wolle er endgültig den Weg unmöglich machen. Was soll ich tun? Gehen oder bleiben? Wenn ich gehe werde ich wahrscheinlich nicht mehr zurückkommen, bleibe ich jedoch und das Fieber tötet dich, werde ich mir niemals verzeihen können. Diese Frage dreht sich in meinem Kopf, taucht immer wieder auf, wie ein sich endlos wiederholendes Werbebanner. Ich nicke immer wieder ein und schrecke wenige Minuten später hoch, werfe dann jedesmal einen angsterfüllten Blick auf dich, fühle deine Hand, ob du noch lebst. Auch Farst kann nicht schlafen, er sitzt in meinem Sessel am Kamin und sein Kopf ist ihm auf die Brust gesunken, doch seine Augen starren unentwegt ins Feuer, dessen Flackern sein Gesicht düster und alt wirken lässt.


Sechster Tag:
Der Entschluss ist gefasst, ich werde gehen, den Weg über den Pass suchen und Hilfe holen für dich; es ist die einzige Chance, die uns bleibt. Farst hat nur genickt, als ich ihm von meinem Plan berichtete, er weiß es so gut wie ich, dass man dir nicht anders helfen kann. Noch nie habe ich es so verflucht kein Funkgerät zu besitzen; ich hielt es nicht für nötig, als ich in die Einsamkeit zog, wenn mir was passieren sollte, dann stürbe ich eben; doch nun stirbt ein anderer und an die Möglichkeit habe ich nie gedacht. Ich trinke meinen letzten Kaffee, bevor ich gehe, während ich hier diese Aufzeichnungen führe – vielleicht meine letzten, denn es schneit noch immer. Meine Schneejacke und –hose habe ich bereits angezogen, auch Schal, Mütze und Stiefel – nur Handschuhe, Schneeschuhe, Schneebrille fehlen. Gleich werde ich aufbrechen, während Farst, dessen Augen voller Trauer und Verzweiflung blicken, sich weiter um dich kümmert, werde ich mein Haus verlassen, um mein Leben für das deine zu wagen. Ich fürchte mich, deswegen sitze ich noch hier und schreibe - ja ich fürchte mich, doch will ich gehen, jetzt.
Ich schaffe es nicht. Der Sturm peitscht die Schneeflocken auf, errichtet Schneewehen und bläst sie auch in den Unterschlupf, in dem ich hocke, eine kleine Höhle unter einem Felsen. Meine Hand zittert beim Schreiben, aus Schwäche, vor Kälte, vor Scham, Angst und Wut. Nicht mal bis zum Pass bin ich gekommen, bevor meine Beine das erste Mal unter mir wegsackten; das anschließende Aufrappeln und Losstürmen war nur eine letzte Selbsttäuschung. Ich schaff es nicht, niemals bis zum Dorf – vielleicht nicht mal zum Haus zurück. Mir ist kalt und der Tod ist mir sehr nahe, steht er da nicht unter einer Tanne, die sich im Sturm beugt? Meine Zehen spüre ich schon lange nicht mehr und auch die Finger meiner rechten Hand werden langsam taub, nachdem sie mich vorher mir Schmerzen gequält haben. Ich habe keinen Antrieb mehr, selbst mein Überlebenswille ist nicht mehr vorhanden, denn ich kann dir nicht helfen und so sterbe ich, ob ich nun gehe oder bleibe. Doch ich lüge, ich habe nicht den Mut einfach zu sterben, ich klammere mich an mein bisschen Leben, an das bisschen Hoffnung, das mir noch bleibt, vielleicht wirst du von selbst gesund. Aber ich fürchte mich davor zurückzukehren, fürchte mich so sehr, dass auch der Tod viel von seinem Schrecken verliert. Wenn ich es ginge, hätte ich Gewissheit und doch, manchmal ist die Unwissenheit dieser vorzuziehen, denn dann bleibt der Hoffnung noch Raum. Wieder habe ich einen Blick auf den Tod werfen können, diesmal stand er direkt vor dem Eingang meines Unterschlupfes.
Nun bin ich doch zurück, kniee im Schnee, den Blick auf meine Hütte gerichtet, die schemenhaft im Tosen des Sturms zu erkennen ist, das gelbe Quadrat eines Fensters leuchtet in die aufziehende Nacht. Da gibt es Wärme - doch wird dort auch Leben sein? Immer wieder sehe ich mich mein Heim betreten, wie ich ohne meine Wintersachen abzulegen ins Schlafzimmer eile, sehe dich, wie du leichenblass auf meinem Bett liegst. Deine eine Hand hängt seitlich am Bett herunter, die Finger sind schlaff, dein Kopf ist zur Seite gekippt, ein dünner Speichelfaden spannt sich zwischen deinem Mundwinkel und dem Kopfkissen, dessen Lacken einen kleinen Fleck aufweist. Nur deine Lippen haben noch ein wenig Farbe und leuchten in deinem Antlitz, während die Schatten unter deinen Augen, den Augenhöhlen eines Totenschädels gleichen. Ich sehe mich, wie ich auf die Dielen sinke, mich krümme, deine Hand küsse und an meine Stirn drücke, um anschließend zu verharren. Ganz selten habe ich eine kurze Vision, wie es sein wird, wenn du noch lebst. Ich werde dich pflegen, bis du wieder gesund bist, werde für dich Kochen, dir Tee zu bereiten. Dann wenn du genesen bist, werde ich mit dir fortziehen, irgendwo in einen netten Vorort, einer großen Stadt, wo wir ein kleines Haus, mit Garten, in dem ein Apfelbaum steht haben werden. Ich sehe den Baum vor mir, groß und die Äste voller Blüten, aus denen später hundert oder mehr Äpfel werden, die die Äste herunter ziehen, dass diese fast brechen und er kommt mir vor wie das Leben selbst. Der Rest des Gartens ist wie der den meine Großmutter einst besaß, riesig und voller Beete, die kunstvoll mir Blumen abgegrenzt sind und auf denen Mohrrüben, Kartoffeln, Kohl und Radieschen wachsen. Das Haus ist gemütlich, überall hängen Bilder an der Wand und im Wohnzimmer gibt es einen Kamin und ein großes Sofa und einen Ohrensessel; im Obergeschoß ist ein Kinderzimmer. Denn wir werden Kinder haben, wir werden sie gemeinsam groß ziehen und sie werden die Sonne in unserem Leben sein. Ich werde ein wenig arbeiten müssen, aber nicht viel, den wir brauchen nicht viel. Doch diese Vision wird wohl bleiben was sie ist, eine Utopie, unmöglich zu erreichen, was daran liegt, das selbst wenn du noch nicht tot bist, es doch nur eine Frage der Zeit ist, bis der Knochenmann dich holt. Es ist seltsam, ich spüre keine Kälte mehr und auch die Erschöpfung ist verflogen, stattdessen fühle ich mich leicht, ein wenig wie ein Geist, der nur kurz die Bindung mit der Materie eingeht und sich dann wieder von ihr löst, um frei zu sein. Da, ich sehe eine Gestallt, die einige Meter entfernt zwischen zwei Bäumen steht, der Wind reißt an ihrem Gewand und die Schneeflocken lassen sie verschwommen erscheinen. Es ist der Tod, denn ich auch vorher schon gesehen habe und ich begreife, dass er nicht wegen dir hier ist, noch nicht. Er kommt wegen mir.

 
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Hi,

ich mag lange "Kapitel", aber wenn ich ehrlich bin, hab ich nach dem ersten Abschnitt vom 2. Tag abgebrochen. Es ist bestimmt eine interessante Idee, aber man kann Dinge auch länger machen, als sie sein müssen. Passieren tut nicht wirklich viel und ich hab auch nicht das Gefühl, dass ich unbedingt weiterlesen muss, wenn du vestehst was ich meine. Romantisch find ich jetzt auch nicht unbedingt. Okay, einsam im Schnee... aber irgendwas fehlt mir. Sorry, dass ich keinen besseren Kommentar schreiben konnte.

 

Hallo Eldrad,

ich finde, du erschaffst ein wirklich schönes Bild mit deiner atmosphärischen Beschreibung und den ersten Absatz habe ich auch noch gerne gelesen. An der Stelle

Nachdenklich schlürfe ich meinen Tee und frage mich wieder einmal, warum ich diese Aufzeichnungen mache, es sind nun schon die sechsten. Diese Frage zu beantworten fällt mir nicht leicht. Fest steht, dass ich diese Aufzeichnungen führe, ohne den Grund dafür völlig durchschaut zu haben,

ging es mir dann leider genauso wie Dir. Ich fand auch keinen Grund mehr weiter zu lesen und habe den Rest nur noch überflogen.
Tatsächlich scheint ja dann doch noch etwas zu passieren. Der Einsiedler findet eine unterkühlte Person (Mann oder Frau?), kümmert sich um diese und ist dann plötzlich schrecklich verliebt, obwohl sie noch kein Wort gewechselt haben, und möchte nie mehr alleine sein? Mmh, also verstanden habe ich es nicht.
Warum verliebt er sich in diese Person?
Warum will er seine selbstgewählte Einsamkeit nun plötzlich hinwerfen? Die Innere Entwicklung fehlt.

Am Ende des zweiten Absatzes sprichst du plötzlich den Leser direkt an, was einen nun völlig aus der Atmosphäre reißt. Dass der Mann mit Selbstzweifeln behaftet ist (wie wahrscheinlich jeder Autor) ist verständlich, aber das klingt mir alles so nach "Bitte, bitte, finde es gut!"

Spätestens an dieser Stelle war mir der Prot unsympathisch, er dreht sich mit seinen Gedanken um sich selbst und findet dabei doch nichts interessantes. Schade, bei dem Umfeld.

Wie wäre es, wenn du versuchst, die Story mit der unterkühlten Person gleich zum Einstieg zu bringen und seine Inneren Dialoge in diese Handlung einwebst? Außerdem würde ich versuchen, die Aussagen auf das Wesentliche zu reduzieren (also kürzen, kürzen..)

Es wäre schade, deine schönen Bilder und deine feinsinnige Ausdrucksweise mit einem faden Nachgeschmack zu genießen.

Liebe Grüße
shamrock

 

Hallo ihr beiden,
erstmal danke fürs Lesen und Kommentieren.

Da ihr beide eindeutig fürs Kürzen seit und ich es auch selber einsehe, werde ich mir die Geschichte in der Hinsicht nochmal vornnehmen; werde wohl den ganzen zweiten Abschnitt vom zweiten Tag rausnehmen, vielleicht sogar den ganzen Tag, dass werde ich mir noch überlegen.

@ shamrock

Ich finde, du erschaffst ein wirklich schönes Bild mit deiner atmosphärischen Beschreibung und den ersten Absatz habe ich auch noch gerne gelesen.
Das freut mich natürlich sehr.

Die Innere Entwicklung fehlt.
Hm, dass finde ich schwierig, weil der Erzähler ja nicht umbedingt seine Gefühle analysieren wird, zumal er ja unter Stress steht. Aber wenn der Leser es nicht mehr nachvollziehen kann dann stimmt natürlich was nicht, werde auch daran nochmal arbeiten.

Am Ende des zweiten Absatzes sprichst du plötzlich den Leser direkt an, was einen nun völlig aus der Atmosphäre reißt.
Okay, ich wollte das mal ausprobieren; hat nicht geklappt und wird geändert.

Eine Frage hätte ich noch: Soll ich Änderungen einfach reineditieren? Bei kleineren Änderungen wird das ja hier so gemacht, aber auch bei größeren?


Gruß Eldrad

 

Hallo Eldrad!

Eine Frage hätte ich noch: Soll ich Änderungen einfach reineditieren? Bei kleineren Änderungen wird das ja hier so gemacht, aber auch bei größeren?
Ja, das liegt ganz in deinem Ermessen. Eine andere Möglichkeit wäre noch, die aktuelle Version einfach unter die Geschichte (in ein Kommentarfeld) zu posten, und ganz zu Beginn der Geschichte (ins Geschichtenfeld) einen Verweis mit einem Link zu editieren, der zur aktuellen Version führt.

Grüße,
strudel

 

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