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Schnuffeltuchener Weihnachtsmarkt

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17.12.2002
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Schnuffeltuchener Weihnachtsmarkt

Ach, ist es lange her, dass ich hier zuletzt gewesen bin. Ein Jahr, vielleicht etwas mehr. Dabei bin ich doch so gerne hier, aber es ist ein recht schwieriger Weg, darum mache ich mir nicht sehr oft die Mühe hier her zu kommen.

Heute besuche ich den Schnuffeltuchener Weihnachtsmarkt. Die Straßen sind voll mit Buden und Lädchen. Die Buden sind voll mit herrlichen Düften und Speisen und die Lädchen sind voll mit allerlei liebenswertem Krimskrams.
Ich sehe mich ein wenig um. Meine Frau liebt diesen ganzen Tinnef, also suche ich ihr einen kleinen, putzigen Eisbären aus, der ganz sicher ihr Wohlgefallen finden wird. Sie ist geradezu närrisch nach Eisbärchen.

Langsam und gemütlich schlendere ich über den Weihnachtsmarkt. Sehe hier ein Krippenspielchen, dort heißen Glühwein und Waffeln. Niemand ist in Hektik, die Wesen hier haben alle Zeit der Welt, sind lieb und freundlich zueinander.

„...und heute berichten wir ein wenig über den Planeten Erde“, hörte ich plötzlich eine Stimme weiter vorn sagen. Neugierig schlängelte ich mich durch das Sammelsurium von Wesen, die in meinen Augen zwar menschlich aussahen, aber in ihren Augen sah ich genauso aus, wie jeder einzelne von ihnen. Jeder sah den anderen als Einheimischen, obwohl keiner, und doch jeder von uns, es war. Irgendwie.

„Um über die Erde berichten zu können, müssen wir uns ein wenig rückständig benehmen. Die Menschen reden mit dem Mund und kommunizieren auf Papier oder per elektronischer Nachricht, die sie mit den Händen schreiben müssen.“

Amüsiertes Gelächter hallte über den Platz. Es gab heute wohl nicht sehr viele Menschen hier.

„...und um auf der Erde gut zu Recht zu kommen, braucht man etwas, was sich dort ‚Geld’ nennt, und etwas anderes, was bei ihnen ‚Schusswaffe’ heißt. Damit versuchen sie entweder ihr Geld zu verteidigen, oder neues zu beschaffen.“

Lautes Gelächter nun. Der Moderator hatte die Menge gut im Griff und wischte sich bereits die ersten Lachtränen aus den Augen. Und so versuchte er auch weiter zu sprechen:

„...und....und..pfffft...um sich fortzubewegen...hihihi...brauchen sie..brauchen sie irgendetwas mit Rädern und..hihihi..hoho..Benzin- oder Düsenantrieb...hahahahaha.“

Die Menge tobte, die Wesen schlugen sich auf die Schultern, hämmerten lachend gegen den Rücken ihres Vordermannes, oder rannten einfach hysterisch mit dem Kopf in irgendwelche herumstehenden Häuserwände.

Der Moderator hatte sich lachend auf dem Boden gewälzt und kleine Krater in den steinigen Untergrund geschlagen. Er versuchte, vor Tränen fast blind, wieder aufzustehen und fiel dabei in die irdische Dekoration und trug somit nicht dazu bei, die fröhlich brüllende Menge zu beruhigen.

Dann schaffte er es doch, sich aufzurappeln und wieder auf sein kleines Podium zu klettern.

„Ist..ist gut jetzt...hihihi...bleibt ruhig..hoho...seht her, ich bin auch ganz ernst.“

Von einer Sekunde auf die andere starrten ihn alle fürchterlich ernst an. Kein Laut war zu hören. Alles war still. Ich konnte neben mir das Geräusch des knisternden Feuers hören, über dem in einer Riesenpfanne Fleischklumpen brutzelten.

Die Spannung war enorm. Ich selbst sah gebannt auf den ernst blickenden Moderator. Und dann, plötzlich, grinste er und es ging wieder von vorn los.

Ein irrer, riesiger Haufen lachender Wesen. Und obwohl sie sich über meinen Heimatplaneten lustig machten, musste ich mitlachen. Es war einfach ansteckend.

„...und...und..sie haben...pffffft...hihihi“

Und dann sah er mich und verstummte kurz. Mit sehr ernstem Blick sah er mich an.

„Wen haben wir denn da? Einen Menschen?“

Ich wusste nicht wieso er mich zu erkennen vermochte. Scheinbar gab es hier doch Wesen, die uns alle unterscheiden konnten.

Die Menge drehte die Köpfe und suchte nach mir. Aber jeder sah ja nur seinesgleichen. Doch der Moderator kam schon auf mich zu, nahm mich freundlich am Arm und zog mich in das Blickfeld der Masse. Er stellte mich auf eine kleine Metallplatte, die ich bis jetzt gar nicht bemerkt hatte.

„Und jetzt sehen wir uns diesen Menschen einmal an!“

Dann trat er auf einen kleinen Knopf am Boden und ein Slimygrünes Licht blendete mich etwas, aber ich konnte mich, auf einer riesigen Leinwand über den Köpfen der Wesen, selbst sehen. Sie alle drehten sich um und sahen mich, den Menschen, wie ich wirklich aussah, drehten ihre Köpfe wieder zu mir und sahen mich als ein Wesen ihrer Natur, schauten dann wieder zur Leinwand hoch. Sie verglichen mein Äußeres mit dem ihren. Es war gemein, da ich sie nur als menschliche Wesen sehen konnte.

„Ja, liebe Schnuffeltuchener, so sieht ein Mensch aus! Arme, Beine, nur einen Kopf und noch so allerlei Kleinkram zur Fortpflanzung und so.“

Wieder brachen sie in lautes Gelächter aus. Nur sehr wenige, vielleicht noch rückständigere Wesen, betrachteten mich neugierig, ernst und vielleicht ein wenig neidisch, weil ich so aussah, wie ich es nun einmal tat.

„Na hört mal!“, rief ich, „So schlimm ist es doch nun auch wieder nicht, oder?“

Aber sie brüllten nur noch lauter und zeigten lachend mit ihren Fingern auf mich. Der Moderator sprang helfend ein:
„Ist gut Leute, kriegt euch wieder ein. Es ist doch nur ein Mensch, hihihi.“

Und zu mir gewandt

„So, lieber Mensch, wie ist denn dein Name?“

„Ähm...Karsten“

„Hehe, da bin ich aber froh, dass ich nicht deine Eltern habe. Na gut, und stimmt es, dass es auf der Erde mehr tote Menschen, als lebende Menschen gibt?“

„Huch, seltsame Frage. Hm, ja, es gibt rund fünf Milliarden lebende Menschen und im Laufe der Geschichte sind sicher mehr als fünf Milliarden Menschen gestorben. Dann stimmt es wohl.“

Und die Menge lachte wieder wie verrückt, aber ich wusste diesmal nicht warum. Darum fragte ich den Moderator danach.

„Naja, bei den meisten Schnuffeltuchenern ist es so, dass dort, wo sie herkommen, niemand stirbt. Stimmt es denn, dass ihr auf der Erde euch gegenseitig umbringt, zum Beispiel, weil jemand anders ist, als ihr?“

„Öhm, ja, das stimmt leider auch manchmal.“

Diesmal schwieg die Menge, und ich war sicher, der eine oder andere von ihnen hatte bereits einen Angehörigen seiner Rasse auf der Erde verloren.

„Aber irgendetwas gutes muss es bei euch doch auch geben, sonst würden doch nicht fünf Milliarden Menschen dort bleiben, oder?“

„Ja und nein, es gibt gutes, sehr vieles sogar und nicht alle Menschen bleiben auf der Erde, solange sie leben. Ich bin doch schließlich auch hier bei euch in Schnuffeltuchen, wenngleich ich nur als Gast hier sein kann.“

„Was soll es denn so gutes bei euch geben? Davon haben wir noch nie etwas gehört.“

„Naja, es gibt Liebe...“

„Nein, das glaube ich aber nicht.“

„Doch, doch, die gibt es wirklich und ihre höchste Ausdrucksform ist die Ehe und...“

„Ehe, davon habe ich gehört, aber es klang jedes Mal wie ein Kriegsbericht.“

„Nein, ja, viele haben vielleicht Probleme damit, aber meine Frau und ich, übrigens: ‚Huhu Schatz, guck mal ich bin im Radio!’ lieben und achten uns und sind füreinander da.“

„Ach, das gibt es wirklich?“

„Ja, wirklich.“

„Und was habt ihr sonst noch?“

„Naja, also, wir haben Weihnachten und...“

...und dann wachte ich auf. Weihnachten? Weihnachten! Verdammt. Ja, es ist bereits Weihnachten. Heute ist der vierundzwanzigste Dezember und meine Frau hat sich eine Geschichte von mir zu Weihnachten gewünscht. Oh, was bin ich doch für ein Idiot, ich habe vergessen, ihr eine zu schreiben! Mistmistmist. Was soll ich denn jetzt tun? Etwas Zeit habe ich ja noch, weil sie schläft.

Ich stehe vorsichtig auf und schleiche mich aus dem Zimmer, beeile mich, ein paar Zettel und einen Stift zu suchen und wickle mich im Wohnzimmer auf dem Sofa in eine Wolldecke ein und fange an zu schreiben:

Ach, ist es lange her, dass ich hier zuletzt gewesen bin. Ein Jahr, vielleicht etwas mehr...

 

Hallo Delrino,

die Geschichte hat mir gut gefallen. :xmas: Wenn Außerirdische zu uns kommen und sich unseren Weihnachtsstress anschauen, dann müssen sie ja zwangsläufig zu gewissen Schlussfolgerungen kommen. :D

Sprachlich fand ich die Geschichte ziemlich gelungen. Du hast eine dem Thema angemessene Sprache gewählt. Teilweise fast „märchenhaft“, locker und beschwingt.

Der Schluss, der wieder zum Anfang führt, hat mir sehr gut gefallen.

Ein paar Anmerkungen noch:

Heute besuchte ich den Schnuffeltuchener Weihnachtsmarkt und die Straßen sind voll mit Buden und Lädchen und die Lädchen
Hier würde ich zwei Sätze daraus machen, dadurch könntest du ein „und“ vermeiden. >> „...Buden und Lädchen. Die Buden ... und die Lädchen...“
Ich würde auch die Reihenfolge des ersten Satzteils beibehalten: Erst Buden, dann Lädchen.
Es gab wohl nicht sehr viele Menschen hier heute.
Das „heute“ würde ich vorziehen: „Es gab heute wohl...“
Lautes Gelächter nun.
Das „nun“ könnte entfallen.
Arme, Beine, nur einen Kopf und noch so allerlei Kleinkram zur Fortpflanzung
:D
Ehe, davon habe ich gehört, aber es klang jedes Mal wie ein Kriegsbericht.
Holla. :D

Also: Alles in allem eine schöne, sehr unterhaltsame, nicht so bierernste kleine Geschichte. :thumbsup:

Viele Grüße

Christian

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Christian!

Danke für Deine Anregungen und Dein Lob!

Zu Deiner ersten Anmerkung, die vielen "unds" sind in dem Satz beabsichtigt, allerdings die Reihenfolge mit "Buden und Lädchen" auch in dem Satz weiterzuführen ist eine sehr gute Idee. Danke!

Um des flüssigen Lesens willen werde ich den Satz aber durch das Wegnehmen von ein oder zwei "unds" ein wenig entschärfen.

Deine 2te Anmerkung: Stimmt, Dein Vorschlag liest sich flüssiger.

3te Anmerkung: Das "nun" sollte lediglich der Steigerung dienen. Zuvor "Amüsiertes Gelächter" dann "Lautes Gelächter nun.", aber ich erkenne, was Du meinst. Danke!

Schöne Feiertage, falls wir uns nicht mehr lesen!
Gruss,
Karsten

 

@ Karsten

Eine Story, in der ein so zu sagen "ernstes" Thema - nämlich die Verschiedenheit, das Fremde, begründet durch die Angst der Menschen - auf durchaus angenehme und ironische Weise herausarbeitet wird. Find ich ganz toll, hast wirklich gut hingekriegt.

Freu mich auf mehr von dir,

Gruß
Liz

 

Hey Liz!

...und ich freu mich über Deine schönen Worte zu meiner Geschichte. Danke sehr! Ich werde auch ganz sicher noch ein wenig mehr von mir auf kg.de "vorzeigen".

Liebe Grüsse und schöne Feiertage!
Karsten

 

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