- Beitritt
- 10.07.2007
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Hallo zusammen,
ich versuche, wieder in die Diskussion einzusteigen, und "überspringe" eine ganze Menge Beiträge. Sicherheitshalber möchte ich noch mal dazu sagen, das mache ich nicht, weil ich denken würde, dass die anderen es nicht wert wären, drauf zu reagieren, sondern schlicht weil ich nicht genug Zeit oder Energie habe, auf alles einzugehen. Vielleicht komme ich später noch dazu, auf weitere Beiträge zu antworten, aber da bin ich nicht sicher, weil ja die ganze Zeit neue dazu kommen. Also ich greife mir jetzt einfach Sachen raus, wo ich mich direkt animiert fühle, etwas dazu zu sagen. Wenn ihr in dem bisherigen Thread was geschrieben habt wo ihr das Gefühl habt, ich bin euch bisher eine Antwort schuldig geblieben, könnt ihr mir auch eine PN schreiben und dann würde ich mich bemühen da noch etwas dazu zu schreiben. Aber eigentlich läuft ja die Diskussion auch ohne meine Beteiligung gut ...
Hi @Manlio,
Ich habe das ziemlich schnell unterschrieben, aber vielleicht stimmt es nur im engeren Sinne, in Form von Literatur, die Klimawandel etc. ausdrücklich thematisiert. Viel größer könnte der Anteil derjenigen Bücher sein, die diese menschengemachten Probleme zumindest streifen oder in anderer Form verarbeiten.
Das fiel mir auf, als ich an zwei Bücher dachte, nämlich den Herrn der Ringe und Moby Dick. Im HdR wird das ja im Grund auch alles gebracht, aber bildhaft, als Fantasy - der "Unternehmer" Sauron, der Bäume fällen lässt, der das Idyll Mittelerde bedroht. Und in Moby Dick haben wir auch dieses moderne Thema, den Krieg des Menschen gegen die Natur, selbst wenn hier alles noch relativ harmlos aussieht, wenn ein paar Seemänner Jagd auf Wale machen. Und doch ist in dieser scheinbar romantischen Szene des frühen 19. Jahrhunderts alles angelegt, was später zu einem Riesenthema werden kann; der Fanatismus, mit dem das "unvernünftige Wesen" gejagt wird, der ist doch das Interessante, was ist das für eine Hybris, die uns antreibt, den Planeten "uns untertan" zu machen?
Ich möchte die These also etwas relativieren.
Das ist noch mal ein anderes - aber auf jeden Fall auch spannendes! - Thema. Mir ging es beim Starten des Threads erst mal um Literatur, wo die Autor:innen sich bewusst mit der Klimakrise/ökologischen Krise auseinandersetzen wollen.
Aber ich stimme dir zu, dass auch Literatur, die nicht mit dieser Intention entstanden ist, uns zu diesem Thema etwas "sagen" kann. Ich kann der "Tod des Autors"-These, also der Idee, dass man sich bei der Interpretation eines Werkes nicht unbedingt damit aufhalten muss, was der Mensch der es geschrieben hat sich dabei gedacht hat, auf jeden Fall was abgewinnen. Und ich finde es passt durchaus zu dieser Diskussion, auch über Werke zu reden, die vor der Zeit entstanden sind, wo es ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein für diese Krisen gab, weil sich in vielen Fällen trotzdem etwas relevantes dazu "herauslesen" lässt. Aber das ist dann halt recht individuell.
Tolkien hat für mich persönlich keinen wirklichen Bezug zum Thema - was nicht heißen soll, dass es für andere nicht diese Bedeutung haben kann. Ich habe ähnliche Interpretationen wie deine auch schon mal an anderer Stelle gelesen. Aber für mich passt es nicht, Herr der Ringe als Kommentar zur ökologischen Krise in der realen Welt zu lesen, und zwar weil es eben so ein sehr eindeutiges "Gut und Böse"-Narrativ ist. Es gab zwar zahlreiche Kommentare in diesem Thread, die mir unterstellt haben, dass ich mit der Aussage "Menschliches Verhalten ist die Ursache des Artensterbens und der Klimakrise" meinen würde "Menschen sind böse". Aber ich sehe mich selbst und meine Artgenossen tatsächlich nicht als Orks oder sonstige Sauron-Anhänger. ^^
Niemand bohrt nach Öl oder holzt einen Wald ab und denkt sich dabei "Muahahaha, bald werde ich die Welt zerstört haben". Wir führen keinen Krieg gegen die Natur. Wir begehen fahrlässige Tötung - und wir stehen selbst auf der Liste der potenziellen Opfer.
Das heißt nicht, dass niemand moralisch zu verurteilen wäre - die Leute von Exxon beispielsweise, die lange bevor es Allgemeinwissen war Zugang zu Studien über die zu erwartenden Folgen der Klimakrise hatten und sich entschieden haben, diese unter Verschluss zu halten, denen würde ich auf jeden Fall individuelle Schuld anlasten und die wären als literarische Figuren klar "die Bösen". Aber ich fände es reichlich absurd, Menschen, die ihr Auto volltanken, um zur Arbeit fahren zu können, als Armee der Finsternis zu casten.
Moby Dick ... ich war sehr jung und schon damals sehr umweltbewegt, als ich das gelesen habe, und ich erinnere mich, dass aus meiner Sicht der weiße Wal der Held des Romans war und ich der Besatzung des Walfängerschiffs keinerlei Sympathien entgegen gebracht habe ...
Würde ich das Buch heute noch mal lesen, würde ich aber mit hoher Wahrscheinlichkeit andere Dinge darin sehen, die ganze religiöse Symbolik etc. war damals wirklich ein bisschen zu hoch für mich.
Es gibt aber auch für mich ältere Literatur, die etwas von dem einfängt, was ich persönlich mit unserem kollektiven Dilemma verbinde - vollkommen unabhängig von der Intention des Autors. Ganz oben auf meiner Liste ist da H. P. Lovecraft. Figuren, die miterleben, wie Mächte freigesetzt werden, die Menschen nicht begreifen können und denen gegenüber sie völlig hilflos sind - da sehe ich definitiv Parallelen zu meinem Lebensgefühl. Der uralte Kohlenstoff, der in den Permafrostböden gespeichert ist, ist zwar kein Tentakelmonster, aber er kann potenziell genauso viel Schaden anrichten und hat genausowenig Verständnis und Mitgefühl für die Menschheit, die ihn aus Unwissenheit und Hybris entfesselt ...
Selbst antike Werke haben Anknüpfungspunkte - die Leute damals verstanden halt was von Tragödien. Klimawissenschaftler:innen und Ökolog:innen mit Kassandra zu vergleichen, ist mittlerweile schon ein Klischee - aber der Vergleich trifft es eben auch verdammt gut.
Trotzdem finde ich persönlich es hilfreicher, Sachen von zeitgenössischen Autor:innen zu lesen, die sich bewusst und mit Intention mit dem Thema auseinandersetzen, als mir aus älteren Sachen was zusammenzusuchen.
Hi @bernadette,
Ich vermute, dass sich die Leute einerseits vor der komplexen Recherche scheuen, was auch löblich ist, ansonsten würde ja nur herumfantasiert werden.
Andererseits ist das Thema so komplex, dass es schwierig ist, da einen Teil rauszuziehen.Nur eine KG auf emotionaler Ebene zu schreiben geht dabei auch nicht, Hintergrundwissen ist nötig. Für mich der Gedanke, wieso so wenige darauf anspringen.
Das ist bestimmt ein Faktor. Es gibt ja relativ wenige Belletristik-Autoren, die einen naturwissenschaftlichen Background haben - der schon erwähnte Andreas Eschbach ist grade das einzige Beispiel, was mir einfällt - sicher gibt es noch mehr aber kann glaube ich sicher davon ausgehen, dass es eine Minderheit ist. Das kann schon eine gewisse Hemmschwelle erzeugen, wenn man über Themen schreiben möchte, die etwas naturwissenschaftliches Hintergrundwissen voraussetzen.
Aber ich denke nicht, dass das Thema in der Hinsicht einzigartig ist und hab das Gefühl, dass es bei anderen Themen nicht so starke Hemmungen gibt. Es werden zahllose Krimis geschrieben und ich wage mal zu behaupten, dass viele der Autor:innen nicht wirklich viel Ahnung von Polizeiarbeit haben.
Wie tiefgehend die Recherche sein muss, hängt ja auch sehr davon ab, wo man den Fokus drauf legt. Wenn die Hauptfigur einer Geschichte ein:e Wissenschaftler:in ist, dann sollte man es schon glaubwürdig rüberbringen, dass die Figur etwas von ihrem Fachgebiet versteht, was wiederum bedeutet, dass man selbst auch genug davon verstehen muss, um drüber schreiben zu können.
Aber wenn es darum geht, wie die Krise sich auf den Alltag wissenschaftlicher Laien auswirkt - jemand geht im Park spazieren, sieht eine Menge tote Bäume und fühlt sich deswegen schlecht - dann muss man eigentlich nicht mehr wissen als die Figur und die Geschichte hat trotzdem etwas zu sagen und kann mMn auch gut sein, ohne dass da vor dem Schreiben irgendwelche Studien gewälzt wurden.